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2 Mittwoch

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Anja Benisch teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Topf, in dem sie Karottenbrei erwärmte, und dem Laufställchen im Wohnzimmer, in dem Luca rhythmisch zwei Kunststoff-Bauklötze gegeneinanderschlug.

Luca war ein Schatz; sie eilte hinüber und beugte sich über das Laufstallgitter. „Na, mein Süßer? Baust du schön?“

Er strahlte sie an. „Mama…!“

Sie strich ihm über die Wange, was er tatsächlich mit „Ei, ei“ kommentierte, und kehrte zum Karottenbrei zurück. Die Temperatur passte, wie sie rasch überprüfte; sie rührte noch einen kleinen Klecks Sahne für den Geschmack ein und füllte den Brei in einen vorgewärmten Napf.

Als sie Luca auf dem Schoß hatte, überkam sie wieder dieses Glücksgefühl, das sie jedesmal empfand, wenn sie seinen warmen kleinen Körper im Arm hatte.

Ein Kind zu haben… ein eigenes Kind: Was konnte es Schöneres geben? Luca drehte sich um und schaute zu ihr auf: „Mama…?“

„Ja, mein Liebling. Jetzt gibt es einen leckeren Brei!“

Er sperrte sofort sein Mäulchen auf, offenbar verstand er schon das Wort „Brei“, auch wenn er noch nicht allzu viel sprechen konnte; außer Mama, Papa, will! und Arm! hatte er noch nichts zu bieten, aber er war doch erst gerade einmal neun Monate alt. Immerhin stand er manchmal schon im Laufställchen, wenn er nicht gerade mit seinem Spielzeug beschäftigt war. War er nicht ein kluger kleiner Kerl?

Er verputzte auch den ganzen Brei, ohne ungebührlich viel in die Gegend zu prusten, ließ sich ohne Protest das Gesicht abwischen, freute sich über eine frische Windel und ließ sich dann zum Mittagsschlaf ins Bett legen.

Mutter sein war herrlich, fand Anja. Und Bastian dachte das gleiche, ein leidenschaftlicher Vater! Glücklicher konnte man nicht sein…

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Roswitha eilte an ihren Spion: Wer lief denn um diese Zeit im Treppenhaus herum? Der Greif war in seiner Wohnung und kam erfahrungsgemäß so bald nicht mehr heraus, die Benisch spielte mit ihrem kleinen Schreihals, die Schmalzl war in der Arbeit – sie hatte sie heute Morgen im Vorbeigehen an der Kasse im Drogeriemarkt gesehen.

Die alte Holnbeck war ins Betreute Wohnen umgezogen – Zeit war´s gewesen, man musste ja schon fürchten, dass sie irgendwas auf dem Herd vergaß und das ganze Haus in Brand steckte!

Ziemlich jung, die Neue. Mit mehreren Reisetaschen beladen. Hatte wohl kein Geld für ein Umzugsunternehmen. Ob die wohl laute Musik spielte? Das war hier ein ruhiges Haus!

Na, abwarten, der Greif würde sich schon rechtzeitig aufmandeln, da musste sie selbst sich gar nicht sofort einmischen! Der mandelte sich schließlich wegen jedem Schmarrn auf, der alte – naja.

Außerdem waren alle im Haus harmlos, wenn man sie mit den Spinnern drunten im Erdgeschoss verglich, in ihren trübseligen, farblosen Kutten und mit ihrer komischen fernöstlichen Musik. Ob die schwarze Messen feierten? Zu blöd, dass die immer diesen Sichtschutz am Fenster hatten…

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Amelie hatte sämtliche Bücher und Ordner in der Wohnung ausgepackt, ihren Putzkram in der Küche aufgestapelt und dann ihre Taschen wieder eingesammelt, um die nächste Ladung zu holen.

Viel war es eigentlich gar nicht mehr, in einem WG-Zimmer sammelte man nicht gar so viel Wohlstandsmüll an. Etwas Geschirr, in Frotteetücher gewickelt, ein Wäschegestell, ihren Kosmetikkram, zwei Töpfe, zwei Reisetaschen mit all ihren Klamotten und ihrem Bettzeug und als letztes ihren grauen Klappsessel, den man zu einem verdammt schmalen Bett ausklappen konnte.

Sie schnaufte ordentlich, als sie alles nach oben geschleift hatte, und sah sich dann etwas unentschlossen um.

Erst mal was essen, beschloss sie in einem Anfall von Unlust. Der Bäcker war ja gleich gegenüber!

Mit einer Leberkässemmel, einer winzigen (und umso teureren) Flasche Diet Coke und zwei Brezen kam sie zurück, zog einen Teller aus den Frotteetüchern und aß erst einmal, während sie sich umsah. Der Vermieter hatte offensichtlich weißeln lassen, der Mosaikparkettboden war alt, aber gut gepflegt und an der Decke im Wohnzimmer hing noch eine Lampe – nicht ganz ihr Geschmack, aber erträglich. Unauffällig.

Trotzdem – sobald sie fertig gegessen hatte, sollte sie etwas Putzzeug besorgen, denn in der WG hatten sie das Allernötigste gemeinsam benutzt und ab und zu einen Euro ins Putzschwein geworfen.

Was machten die wohl in diesem Silver Centre? Sie warf, während sie darauf wartete, die Straße in Richtung Drogeriemarkt überqueren zu können, einen Blick auf die abweisende Fensterfront. Vielleicht krumme Geldgeschäfte? So sah es jedenfalls aus…

Im Drogeriemarkt suchte sie länger, bis sie ein ökologisches Universalputzmittel gefunden hatte, dazu einige Microfaserlappen und einen Bodenwischer. Ob sie Parkettpolitur brauchte, musste sie ja jetzt noch nicht entscheiden! Sie stand schon an der Kasse an, als eine junge Frau in wallendem Schwarz in den Laden kam und sich etwas ratlos umsah. War das eine Nonne? Sie schaute noch, als die Kassiererin sie auffordernd ansah, sich dann drehte und „So eine schon wieder“, murmelte.

„Ist das eine Nonne?“, fragte Amelie also, während sie ihre Einkäufe aufs Band legte.

„Nonne? Ach wo! Das sind bloß so g´spinnerte Leut´ von da drüben.“ Sie wies auf Amelies Haus.

„Spinner? Dieses komische Silver Centre? Ich dachte, das wäre so was wie eine Bank? Die haben doch die Fenster abgedeckt, das sieht irgendwie geheimnistuerisch aus“, antwortete Amelie, während sie ihre Beute einpackte und der Kassiererin einen Zwanziger reichte.

„Denk ich mir auch immer. Wer weiß, was die da drin treiben… Schwarze Messen vielleicht?“

„Huch!“, machte Amelie. „Glauben Sie echt?“

„Weiß man´s? Sieben dreiunddreißig zurück, danke schön…“

Amelie stand schon in der Tür, als die Frau in der schwarzen, bodenlangen Kutte an die Kasse kam und eine Seife der Hausmarke aufs Kassenband legte.

Ganz schön asketisch, fand sie und kehrte in ihre Wohnung zurück, wo sie erst einmal alle Fächer der Küchenschränke auswischte – nicht allzu gründlich, denn sie hatten ohnehin recht sauber gewirkt. Den neuen Bodenwischer weihte sie im Bad und in der Küche ein und fuhr, als der Microfaserbezug bereits etwas trockener war, auch über das Parkett in Schlafzimmer und Wohnzimmer.

Wirklich eine nette Wohnung – klein, aber hübsch. Die Küche ohne Waschmaschine, aber entweder gab es eine Waschküche im Keller oder sie würde den SB-Waschsalon frequentieren. Das Bad hatte nur eine Duschkabine, aber Baden hielt Amelie ohnehin für unökologisch. Diese Wohnung würde es ihr ermöglichen, besser auf Nachhaltigkeit zu achten, als es in der WG möglich war, wo man sich dann bloß in endlose Streitereien verstrickte – Wer hatte den Müll nicht richtig getrennt? Wer hatte diese Plastiktüte eingeschleppt? Waren Kaffeekapseln einen ökologische Sauerei?

Jetzt hatte sie endlich Ruhe und Frieden!

Die Küchenschränke waren trocken und der Boden glänzte auch nicht mehr nass, also konnte sie das Geschirr einräumen und ihr Besteck der obersten Schublade anvertrauen. Der Putzkram kam unter die Spüle, der Aufnehmer des Schrubbers wurde sorgfältig ausgespült und zum Trocknen über den Wasserhahn gehängt. Wie ordentlich sie heute war! Ob das in der neuen Wohnung etwas länger anhielt als in der WG und diesem Winzappartement an der Kirchfeldener Landstraße? Sie kicherte in sich hinein, als sie sich erinnerte, wie grandios sie dort im Chaos versunken war. Nein, hier würde es anders werden – schon deshalb, weil sie ihren ganzen Plunder vor dem Umzug bestimmt halbiert hatte.

Naja, immer noch genug Schotter… bis jetzt hatte sie nach einem Umzug immer noch eine Menge wegwerfen können.

Aber jetzt machte sie das Ganze doch mit System, mit dem Entrümpelbuch von Lea Sarow. Minimalismus war schließlich der Trend der Zeit!

Die Küche wies auch einen Hochschrank auf, der innen blitzblank war und sieben völlig leere Fächer aufwies. Bis sie morgen ihren Kleiderschrank aufbauen konnte, würde sie hier ihre Klamotten schön sortiert aufbewahren, dann verknitterten sie nicht. Übermorgen musste sie schließlich wieder arbeiten und in der Literaturagentur konnte sie nicht wie eine Pennerin aufschlagen.

Also schleifte sie die beiden Reisetaschen in die Küche und ging an die Arbeit. Zwei schwarze Hosen, eine aus Samt, zwei graue Hosen, eine aus Cord, eine in Pink. Das gab ein ordentliches Häufchen. Daneben drei Strickjacken (schwarz, grau, rosa), darüber zehn dazu passende T-Shirts und eine Kiste mit Unterwäsche und Strümpfen, die kaum in das Fach passen wollte. Die vier Blazer (pink, schwarz, dunkelgrau, hellgrau) hängte sie an die Küchentür, die Blusen an die Schlafzimmer- und an die Badezimmertür.

Das Bettzeug warf sie auf den Klappsessel, die Kosmetika kamen ins Bad. Nicht schlecht für die erste Runde, fand sie.

Oh, Handtücher und die anderen beiden Bettbezüge und die Laken dazu! Im Küchenschrank war noch viel Platz…

Schließlich war mit Ausnahme der Bücher, der Ordner aus dem Studium und dem Kram für den Ess-/Schreibtisch alles aus dem Weg geräumt und Amelie sah sich zufrieden um. Schrank, Regale, Tisch und Bett konnten morgen kommen!

Sollte sie sich bei allen Nachbarn vorstellen? Oder warten, bis sie sie zufällig im Treppenhaus traf? Auf diese komischen Leute aus dem Silver Centre war sie sowieso nicht scharf… sie würde warten, ob sie sie im Treppenhaus traf! Bei diesem Greifenklau hatte sie ja wohl eh schon verschissen…

Na, morgen!

Nachbarschaft mit kleinen Fehlern

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