Читать книгу Nachbarschaft mit kleinen Fehlern - Elisa Scheer - Страница 6
4 Donnerstag
Оглавление„Und, sitzt du noch im Chaos?“, wollte Rieke wissen, als sie bereits die Speisekarte lasen, obwohl sie doch alle grundsätzlich immer dasselbe aßen.
„Nö, geht eigentlich schon. Möbel stehen, Kram ist verräumt. Komische Leute wohnen da, glaube ich.“
„Huch?“ Bastian sah von seiner Karte auf. „Wie – komisch?“
„Ach, so ein alter Hausl, der auf die Hausmoral schaut, jedenfalls wirkt er so. Und nach dem, was ich im Drogeriemarkt gehört habe, ist im Erdgeschoss eine Art Sekte drin.“
„Da, wo es wie ein Versicherungsbüro ausschaut?“
„Ja, genau. Eine von denen hab ich im Drogeriemarkt gesehen. Ganz in Schwarz in so einer Kutte – und sie hat nur ein Stück der allerbilligsten Seife gekauft. Vielleicht dürfen die nicht mehr – oder sie müssen alles Geld dem Guru geben?“
„Hat die das erzählt oder hast du das irgendwo gelesen?“ Bastian, der alte Skeptiker!
„Gelesen“, schnappte Amelie, „die sah mir nicht aus, als würde sie mit anderen Leuten reden. Ich nehme das Huhn in Hoisin-Sauce. Und vorher Gebackene Wan-Tans.“
„Müssen die nicht Leute auf der Straße anquatschen und Persönlichkeitstests anbieten? Bei denen man dann erfährt, dass man gefährliche Defizite hat und unbedingt Kurse bei – nee, das ist Scientology, oder? Ich will Ente süßsauer und eine große Frühlingsrolle“, verkündete Bastian.
„Gebratene Nudeln mit acht Gemüsen und die scharfe Suppe.“ Rieke klappte die Karte zu und sah sich herausfordernd um. Bastian tat ihr wie immer den Gefallen: „Dass ausgerechnet so ein Kraftpaket wie du vegan isst?“
„Da siehst du´s eben, man braucht kein Fleisch, um Muskeln zu haben.“
„Und als nächstes kommen jetzt der Sojaanbau und die Umweltschäden dadurch. Leute, ihr seid manchmal wie Dinner for One, immer der gleiche Text. Ich sollte euch wohl Miss Sophy und James nennen…“
„Wenn es dir Spaß macht? Wer wohnt jetzt da noch außer den Gurus und dem alten Moralapostel? Sind da wirklich alle merkwürdig, Amy?“
„Weiß nicht. Im Keller war eine etwas ältere Frau, die scheint mir so der Typ Stiegnhausratsch´n zu sein.“
„So eine gibt´s doch in jedem Haus?“
„Bei uns nicht“, behauptete Bastian.
Amelie ignorierte das. „Und eine Blondgelockte wohnt im dritten Stock und hat so getan, als hätte ich mich eingeschlichen. Na gut, leicht übertrieben, vielleicht war sie nur ganz allgemein schlecht gelaunt. Ich kenne die doch alle noch gar nicht!“ Sie überlegte kurz. „Und ob ich die eigentlich alle genauer kennenlernen will, weiß ich auch noch nicht. Aber die Wohnung ist schon wirklich schön, vielen Dank nochmal für die Hilfe.“
„Danke hierfür“, antwortete Bastian, der verzückt die große, duftende Frühlingsrolle betrachtete, die man gerade vor ihn hingestellt hatte.
Rieke tauchte den Löffel in ihre Suppe und fragte, wie es denn mit IKEA-Besuchen aussah; Amelie erläuterte mit vollem Mund ihre Sofa-Überlegungen.
„Gibt´s da schon Vorhangschienen?“
„Ich glaube schon. Mal sehen, was gut hinpasst!“
Das Gespräch wandte sich schließlich anderen Themen zu, bis sie alle satt und ermattet um den Tisch saßen und wie immer überlegten, ob sie tatsächlich noch die gebackene Banane – nein, lieber doch nicht!
„Du kannst jetzt ja glatt vom Kaiserpalast zu Fuß nach Hause gehen“, stellte Rieke neidvoll fest. „Noch ein Vorteil! Und ganz ehrlich, die Leute in der WG waren schon auch komisch. Und viel näher dran.“
o
Ja, zu Fuß nach Hause zu gehen, das hatte was, stellte Amelie danach fest. Das Bahnhofsviertel wirkte zwar auf Uneingeweihte, Touristen (aber wer kam schon, um Leisenberg anzuschauen?) und schreckhafte Gemüter etwas zweifelhaft, war aber doch eher harmlos. Höchstens ein ganz schwacher Hauch Reeperbahn, wenn überhaupt!
Aus der Lessingquelle taumelte ein Gast, der mehrere Gläser zuviel konsumiert haben musste, aber bevor er zu Boden gehen und sich neben der ausgetretenen Stufe zum Eingang schlafen legen konnte, kamen zwei Kumpels hinterher und zerrten ihn wieder auf die Beine. „Geh, Ferdl, komm mit!“
Na, so hundertprozentig zurechnungsfähig schienen die auch nicht mehr zu sein… aber zu dritt würden sie es ja wohl schaffen… Amelie schlenderte weiter.
Zu Beginn des Dortmunder Wegs kam ihr wieder eine klösterliche Gestalt entgegen, aber jetzt war es ein Mann. In dunklem Grau. Und er hatte ein gutes Gesicht, wenn er sie auch giftig musterte, soweit man das im trüben Licht der Straßenlaterne überhaupt erkennen konnte.
Wahrscheinlich hatten die sowas wie einen Zölibat und da waren ja Weibsbilder natürlich die Verführung pur…
Was konnten Frauen eigentlich dafür, dass Männer sich nicht zusammenreißen konnten? Amelie ärgerte sich, bis sie zu Hause ankam, eilte einigermaßen leise die Treppen hinauf und verschwand in ihrer Wohnung.
Das Bett musste sie noch beziehen, wenigstens ein Laken auf die Matratze…
Sobald das geschafft war, fiel sie zufrieden ins Bett. Morgen wieder Agentur… wenn schon, das machte doch auch Spaß!