Читать книгу Unstimmigkeiten - Elisa Scheer - Страница 2
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ОглавлениеPuh, war es hier voll! Ich verstand gar nicht mehr, warum ich ausgerechnet am Karsamstag in die Stadt gewollt hatte. Sämtliche Idioten der Stadt – und hierzulande gab es ungewöhnlich viele Idioten, so kam es mir manchmal vor – schoben sich durch die Kaufhäuser und über den Markt, drängten sich um die Stände, an denen Osterschmuck und sonstiger Tinnef verkauft wurde, standen mir pausenlos im Weg oder drängten von hinten.
Ich arbeitete mich durch das Gewühl, kaufte die Ostereier, auf die Werner so großen Wert legte (vor allem bei Nougat und Knickebein schüttelte ich mich innerlich), fand auch fertige bemalte Eier, die man an den Osterstrauch hängen konnte, nahm im Vorübergehen das Duschgel mit, das mir schon fast ausgegangen war, wischte mir den Schweiß von der Stirn und überlegte, was ich Werner zu Ostern schenken sollte, versteckt in einem dieser großen Pappmaché-Eier mit der Bemalung im Stil der Fünfziger Jahre. Ein Aftershave? Eine Krawatte? Einfallslos. Ein richtig schönes T-Shirt? Aber dann musste ich ja noch einmal in den dritten Stock... Boxershorts mit Osterhäschen drauf? Warum nicht, so etwas fand er sicher lustig. Eine Opern-CD? La Bohème hatte er noch nicht, glaubte ich, als ich im Geiste das CD-Regal durchging. Gut, CDs gab es im Erdgeschoss, das war weniger anstrengend.
Ich wühlte mich in die Medienabteilung durch, vorbei an der endlosen Schlange vor der Oster-Sonderflächen-Kasse, und blätterte hastig die eher bescheidene CD-Auswahl durch. Aktuelle Hits gab es reichlich, aber La Bohème? Da! Sogar zwei verschiedene Interpretationen. Was war besser, Boston Symphony Orchestra oder Wiener Philharmoniker? Ich dachte an Werner und seine Faszination für die USA und nahm die Bostoner Variante. Geschenkpapier auch noch? Nein, das Papp-Ei, das mich stark an die Häschenschule aus meiner eigenen Kindheit erinnerte, reichte ja wohl. Etwas Ostergras noch. Mist, noch mal in die Schlange!
Als ich mit dem albernen Osterkram (verdammte Geldschneiderei des Einzelhandels) fertig war und mich aus dem Kaufhaus kämpfen konnte, war es schon fast elf. Da konnte ich ja nur froh sein, dass ich alle Lebensmittel schon gestern auf dem Heimweg von der Arbeit besorgt hatte! Wie immer, wenn solche Lästigkeiten anstanden, war Werner natürlich verhindert – gestern ein dringendes und hochwichtiges Meeting (kein Chef, der bei Verstand war, berief am Freitagnachmittag ein Meeting ein, das dann sein eigenes Wochenende verkürzte!), heute musste er unbedingt seinen Wagen zur Inspektion bringen und mit dem Mechaniker über das Klappergeräusch sprechen, das er in letzter Zeit beim Rechtsabbiegen gehört hatte. Typisch! Gegenüber dem Kaufhaus lag das Pumps. Brautschuhe musste ich mir irgendwann auch noch kaufen, fiel mir ein. Es war zwar Blödsinn, Schuhe zu kaufen, bevor ich wusste, wie das Kleid aussehen würde, aber ich konnte ja mal einen Blick riskieren... Seufzend verstaute ich meine Einkäufe etwas geschickter, nahm an einem der Marktstände noch ein Päckchen Färbetabletten mit und betrat das Pumps, einen riesigen Schuppen, in dem die Schuhe ringsherum auf Birkenholzregalen standen – immer nur der linke Schuh, den rechten musste man sich bringen lassen. In der Mitte stand ein großes rundes Sofa aus knalllila Plüsch, für die Anproben, und wie üblich ließ sich keine Verkäuferin sehen. Ich strich langsam an den Regalen entlang, bis ich Größe vierzig gefunden hatte. Toll war die Auswahl nicht, fand ich.
Zehn Zentimeter hohe, hauchdünne Absätze, mit bunten Glitzersteinen besetzt. So geschmackvoll wie die Trauringe in Vier Hochzeiten und ein Todesfall! Der gesamte Schuh war aus schwarzem Lackleder gefertigt, aus der billigen Qualität, die sofort Risse kriegte. Ich drehte ihn interessehalber um und keuchte auf – zweihundertneunundzwanzig Euro? Das waren ja fast vierhundertsechzig Mark? Ohne Umrechnen kam ich mit dem neuen Geld immer noch nicht zurecht, eigentlich ein Armutszeugnis für jemanden, der den ganzen Tag mit Geld zu tun hatte.
Das Prachtstück daneben war rot, ein herrliches, hundsordinäres Rot. Wildleder, Absätze, mit denen man keinen Schritt tun konnte, ohne sich einen doppelten Bänderriss zu holen. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, solche Schuhe unter weißer bodenlanger Seide hervorblitzen zu lassen und die ganze verdammte Familie in den Kirchenbänken in Ohnmacht fallen zu lassen. Vielleicht sollte die bodenlange weiße Seide auch noch bis zur Hüfte geschlitzt sein, darunter rote Strumpfbänder... Nein, das wäre zu grausam.
Fliederfarbene Seide, mit elfenbeinfarbener Spitze besetzt. Für Unterwäsche ganz nett, aber als Schuh?
Schwarzes Wildleder, halbhoher Absatz, silberne Einfassungen. Gar nicht hässlich – aber über zweihundert Euro? So schön waren sie auch wieder nicht. Gab´s hier nichts in weiß? Ja, Sandälchen, hauchdünne Riemen auf gewaltigen Absätzen, die Riemchen mit Strasssternchen besetzt. Wenn ich nicht spätestens auf dem Weg zum Altar auf die Schnauze fliegen wollte, konnte ich diese Konstruktion auch vergessen. Außerdem war ich barfuß über 1.75 groß – mit solchen Schuhen würde ich den armen Werner noch überragen, kam ja überhaupt nicht in Frage!
Sonst hatten sie in Weiß überhaupt nichts, dafür eine Menge in Pink, Knalltürkis und Kobaltblau. Und jeder Schuh hatte irgendeine entstellende Verzierung – falsche Juwelen, Messingornamente, affige Stickereien, Löcher an den blödesten Stellen. Ich knallte den letzten Schuh ins Regal zurück und wandte mich schon zur Tür, als mein Blick auf die Blondine auf dem lila Sofa fiel, die von Schuhen umgeben dasaß und gerade zu versuchen schien, sich zwischen grauem Wildleder mit silbernen Sternchen und blauem Leder mit eingesticktem Edelweiß zu entscheiden. Scylla und Charybdis, dachte ich mir, da hob die Blondine den Kopf und quietschte. „Hélène!“
„Sonja?“, fragte ich ungläubig. „Was für ein Zufall!“
„Welche soll ich nehmen?“
„Das fragst du aber nicht im Ernst, oder?“
„Doch... die blauen passen zum Dirndl, die grauen genau zu meiner Lederjacke. Ach, ich nehm´ beide, was soll´s.“
Sie pfiff auf zwei Fingern, worauf eine Verkäuferin angetrabt kam und die beiden Schuhe ehrfürchtig in die jeweiligen Schachteln zum rechten Gegenstück legte. Fassungslos sah ich zu, wie Sonja lässig eine goldene Kreditkarte auf den gläsernen Tresen knallte und mal eben rund fünfhundert Euro für zwei Paar völlig überflüssige Schuhe abdrückte.
Danach wandte sie sich mir zu. „Hast du ein bisschen Zeit?“
Ich nickte. „Mit meinen Einkäufen bin ich durch, und hier hat mir eh nichts gefallen. Wollen wir ins Café Royal gehen?“
„Gute Idee. Ich hab den ganzen Nachmittag Zeit.“
„Ich nicht ganz, der blöde Osterkram schreit nach mir. Aber auf einen Kaffee hab ich jetzt Lust. Und brauchen tu ich ihn auch.“
Im Café Royal war es voll wie immer, aber auf der Terrasse gab es noch einen Platz in der Sonne, die für die Jahreszeit allzu intensiv herunterbrannte. Wir installierten uns mit unseren Taschen und Tüten und bestellten, Sonja einen Cappuccino, ich einen Espresso, ich hasste Milchschaum. „Und, was treibst du so?“, fragte ich dann. „Wenn ich mir ansehe, was du für Schuhe ausgibst, scheinst du ja nicht schlecht zu verdienen, oder?“
Sonja zuckte die Achseln. „Geht so. Schuhen konnte ich doch noch nie widerstehen. Ich arbeite bei einem Wirtschaftsprüfer, ist ganz nett. Und du?“
„Elastochic.“
Sonja prustete. „Was stellt ihr denn her? Stützstrumpfhosen? Ist das ein volkseigener Betrieb? Saublöder Name!“
„Ja, weiß ich. Aber wir produzieren Plastikgeschirr, trendige Ringbücher und allen Kram, den man aus Kunststoff machen kann. Im Moment vor allem aus diesem halbtransparenten Zeug in weiß und knallblau, kennst du bestimmt.“
„Ja, kann sein. Und was machst du da?“
„Ich arbeite in der Finanzabteilung, Buchhaltung, Finanzplanung, Marketing. Ist ganz interessant.“
„Immerhin, dann haben wir wenigstens beide was Brauchbares gefunden. Ich hab vor ein paar Wochen Sybille und Heike getroffen, kannst du dich an die beiden noch erinnern? Die suchen seit Jahren nach etwas Anständigem und müssen immer noch jobben. Und Michi, der die ganz fette Karriere machen wollte – stundenweise in einem Mittelstandsbetrieb Rechnungen nachprüfen.“
„Bitter. Warst du mit ihm nicht mal zusammen?“
„Stimmt. Und das wären wir auch noch, wenn er es verkraftet hätte, dass ich einen Job habe und er genau genommen nicht. Aber es gab nur noch Zoff, und ich lass mich doch nicht feuern, nur damit er sich überlegen fühlt!“
„Natürlich nicht. Ich verstehe auch nicht, warum Männer damit nie zurechtkommen. Aber das Problem hatte ich noch nicht, Werner verdient immer noch ein bisschen mehr als ich. Allerdings schrumpft der Unterschied langsam
dahin, so oft kommen bei Finanzbeamten die Gehaltserhöhungen nicht.“
„Werner ist Finanzbeamter geworden?“
„Ja, ist doch praktisch, ich kann ihn immer fragen, wenn ich ein steuerrechtliches Problem habe. Er ist ziemlich gut in seinem Job.“
„Aha“, machte Sonja, und mir fiel ein, dass sie Werner noch nie gemocht hatte. Auf einem Fest vor über fünf Jahren hatte sie – ziemlich betrunken – den ganzen Abend versucht, mir „etwas Besseres“ zu suchen, aber natürlich nichts gefunden. Da Werner damals gehört hatte, wie sie ihre Absicht etwas unartikuliert verkündet hatte, war er seitdem auch nicht mehr so recht von ihr begeistert. Mein Vorschlag, das Ganze mit Humor zu nehmen und abzuwarten, was sie so anschleppen würde, hatte seinen Zorn auch nicht besänftigt.
„Dass du immer noch mit dem zusammen bist?“ Sonja hatte sich offenbar auch nicht verändert. „Warum denn nicht? Wir passen prima zusammen! Im Juni wollen wir sogar heiraten, jetzt haben wir das Zusammenleben lange genug geprobt. Nur, weil du ihn nicht magst... Ich fand manche von deinen Freunden auch eher seltsam, diesen Maler zum Beispiel, wie hieß er doch gleich?“
„Arthur?“
„Ja, kann sein. Der, der dich immerzu nackt gemalt hat, und dann konnte man auf dem Bild überhaupt nicht erkennen, wozu er ein Modell gebraucht hatte.“
„Ich war eben seine Muse. Außerdem bin ich den doch längst los. Aber dieser Werner, der hat so einen Blick drauf – ich weiß nicht.“
„Was denn für einen Blick?“, fragte ich gereizt und bestellte mir noch einen Espresso. „Du hast ihm seit Jahren nicht mehr in die Augen gesehen!“
„So einen Meine-Frau-hat-es-nicht-nötig-zu-arbeiten-Blick. Ist er nicht der, der bei euch entscheidet, was gemacht wird?“
„Nein“, knurrte ich und weigerte mich, über die Frage näher nachzudenken. Gar nicht wahr!
„Na, wie du meinst. Und heiraten, ja? Richtig mit allen Schikanen?“
„Ja“, bestätigte ich, „die Familien lassen sich das nicht nehmen.“
„Familien? Sag bloß! Yannick besteht darauf, dass er dich in weißem Tüll zum Altar geleiten darf? Der muss sich aber gewaltig verändert haben.“ Sie trank einen großen Schluck und sah mich schlau an, ohne sich den Milchschnurrbart abzuwischen. Und ich hatte auch keine Lust, sie darauf hinzuweisen, nicht, wenn sie mich so in die Zange nahm!
„Yannick ist das egal“, gab ich zu, „Werners Eltern hätten gerne eine richtige Hochzeit, na, und Werner selbst auch. Er hat ja viel Sinn für traditionelle Werte. Was dagegen?“ Sonja versicherte hastig, dass sie nichts dagegen hatte, aber ich traute ihr nicht – sie wollte stänkern, eindeutig!
„Wo wollt ihr denn heiraten?“
„Wie üblich eben. Erst Rathaus, dann Stadtkirche. Aber wenn es dich beruhigt, wir haben schon eine abgespeckte Version entworfen, ohne Junggesellinnenabschied, ohne Polterabend und mit einer bescheidenen Gästeliste.“
„Warum ohne Junggesellinnenabschied?“
„Weil ich nicht völlig verkatert vor dem Standesbeamten stehen will. Und ein Vermögen wollen wir auch nicht gerade ausgeben, ich ärgere mich schon genügend über das Brautkleid. Einen Haufen Geld für ein Kleid ausgeben, das man nie wieder anziehen kann, das nagt schon an mir“, gestand ich ehrlicher als bisher.
„Hast du schon ein Kleid?“
„Nein. Noch nicht mal Schuhe! Was glaubst du, warum ich bei Pumps war? Aber High Heels kommen gar nicht in Frage, ich will ja keine komische Figur abgeben!“
„Mattweiße Ballerinas aus Seidenrips“, murmelte Sonja, die Fachfrau. „Geh zu Dorfner, der hat so was.“
„Der ist ja noch teurer!“ Der Verschlag empörte meine geizige Seele bis ins Innerste. Nein, geizig war übertrieben, sparsam war ich, preisbewusst, eben eine Finanzfachfrau. Ich würde keine Aktien kaufen, die eine schlechte Performance erwarten ließen, warum sollte ich Schuhe kaufen, die nach einem Tag im Schrank landeten?
„Am Tag nach der Hochzeit bringst du sie hin und lässt sie färben, grau oder so. Die machen das tadellos und du hast ein paar prima Schuhe fürs Business. Du läufst doch immer noch so edel gestylt herum, oder?“
Das konnte ich nicht bestreiten. Die Idee war nicht übel. Und Seidenballeri-nas... in denen konnte ich wenigstens laufen.
„Du siehst toll aus“, lobte Sonja mich plötzlich, als hätte sie das Gefühl, nun genug Ärger gemacht zu haben, „ein bisschen wie die junge Fanny Ardant, vor allem mit der Frisur.“
Ich fuhr mir unwillkürlich durch die kinnlangen dunkelbraunen Locken und war geschmeichelt. „Findest du echt?“
„Ja, echt. Und du hast so was Edles, vielleicht, weil du so groß und schlank bist. Schicke Jeans!“
Jetzt übertrieb sie aber, die Jeans waren ein stinknormales stonewashed-Teil aus dem Horizont und das T-Shirt mit der kleinen Stickerei sah zwar nobel aus, aber nur, weil man die Stickerei nicht richtig erkennen konnte, sie bedeutete überhaupt nichts. No name-Turnschuhe, keine Strümpfe, Sonnenbrille von Tchibo im Ausschnitt.
„Danke“, antwortete ich trocken, „überschlag dich nicht. Du siehst auch gut aus.“
Sonja freute sich, und ich hatte nicht wirklich gelogen. Das glatte blonde Haar glänzte in der Sonne, ihre kleine, runde Figur war so knackig wie eh und je, und der schwarze Anzug mit dem mintfarbenen T-Shirt darunter stand ihr. An den beiden Pickeln am Kinn musste sie vielleicht noch etwas arbeiten, und so, wie sie jetzt verstohlen daran herumfingerte, war ihr das auch bewusst.
„Nicht knibbeln!“, sagte ich unwillkürlich in dem Ton, den meine Mutter früher benutzt hatte, und Sonja schaute sofort schuldbewusst und setzte sich auf ihre Hand. „Wollt ihr eigentlich Kinder?“, fragte sie nun. Kam das von dem streng-mütterlichen Ton, den ich eben angeschlagen hatte? Ich zuckte die Achseln. „Ich bin nicht übermäßig scharf drauf, und Werner wohl auch noch nicht. Mal sehen, wann wir das beruflich unterbringen können.“
„Immer noch obercool unterwegs, was? Big Business?“
„Besser als Windelnwaschen“, murmelte ich und sah auf die Uhr. Schon Viertel nach eins? Jetzt wurde die Zeit langsam knapp, ich gab Sonja einen Zehner und verabschiedete mich mit dem üblichen „Wir telefonieren!“ Vielleicht würde ich sie wirklich mal anrufen. Als ich mit meinen Tüten und Täschchen in der Rubensstraße ankam, war es fast zwei, die blöde U-Bahn war mal wieder im Tunnel zwischen Bahnhof und Tizianstraße stecken geblieben.
Werner saß im Wohnzimmer und zappte sich durch die Programme, bis er die Vorschau auf die heutigen Fußballspiele gefunden hatte. Auch gut – wenn er mich noch nicht vermisst hatte, hieß das, dass er noch keinen allzu großen Hunger hatte. Ich schaltete den Herd unter dem Gulasch ein, das ich heute Morgen vorbereitet hatte, und setzte Nudelwasser auf, dann packte ich meine Einkäufe aus. So ein Mist, die Schokoladeneier fühlten sich verdächtig weich an, ich hätte wohl doch nicht in der prallen Sonne sitzen sollen! Also stopfte ich diese Tüte komplett in den Kühlschrank, legte Ostergras, Ostergeschenk, Ostereierfarbe und sonstigen Mist beiseite und konzentrierte mich auf Gulasch mit Nudeln und Gurkensalat. Werner sah auf, als ich den Tisch in der Essecke deckte, und drehte den Ton geringfügig leiser.
„Das Klappern war der Auspufftopf. Kostet leider einen Hunderter, einen neuen einzubauen, sagt der Meister. Soll ich mit deinem nicht auch mal zur Inspektion fahren?“
„Danke“, antwortete ich und stellte Salz und Pfeffer auf den Tisch, „ich war doch grade erst, dem fehlt gar nichts. Er ist ja auch erst ein Jahr alt.“
„Du warst selbst bei der Inspektion?“
„Mach ich doch immer“, sagte ich abgelenkt – hatte ich tatsächlich nur eine Gabel mitgebracht oder war mir eben die andere runtergefallen? Nein, unter dem Tisch lag sie nicht, eher draußen in der Küche. „Ich nehme dir das gerne ab.“
„Danke, aber mir macht das Spaß. Wenn du willst, kannst du mir beim nächsten Mal das Tischdecken abnehmen.“
Werner brummte. „Ich weiß doch nie, wo was hingehört und wo du das ganze Zeug aufbewahrst.“
„So viele Möglichkeiten gibt´s da auch nicht“, erwiderte ich freundlich, „du findest den Kram schon. Essen ist gleich fertig!“
Ich goss die Nudeln ab und kippte sie in die Schüssel, füllte das heiße Gulasch in die andere und trug alles zum Esstisch. Als ich auch noch den Salat geholt hatte, saß Werner schon zufrieden schnuppernd am Tisch; die Fußballvorschau lief nun wenigstens ohne Ton. Na, wenn ihm das Spaß machte... Er aß mit gutem Appetit und kratzte zu guter Letzt die Schüsseln noch aus, damit ja nichts umkam. „Hast du Forsythienzweige geholt?“, fragte ich schließlich.
„Was?“ Die Gabel stoppte auf halbem Weg.
„Für den Osterstrauß“, erklärte ich freundlich, „du wolltest doch einen haben.“
„Ach so, ja. Nein. Ich war nach der Werkstatt noch im Medienmarkt. Tolle Spiele hatten die da, ich hab ein bisschen rumgedaddelt. Na, und Blumenläden gibt´s in der Gegend ja nicht.“
Das stimmte leider. „Dann gehe ich noch mal schnell, der Blumenladen muss noch offen haben, glaube ich“, verkündete ich und schob meinen Stuhl zurück. Forsythien waren aus, als ich im La Fleur stand, aber es gab noch Kirsch- und Haselzweige, auch nett. Ich ließ mir zehn Stück zusammenstellen und dachte im Geiste über die passende Vase nach, dann trabte ich mit dem papierumhüllten Strauß wieder nach Hause.
In der Küche entschied ich mich schließlich für die weiße Kugelvase, schnitt die Zweige zurecht, stellte sie ins Wasser und arrangierte sie gleichmäßig. Die Küche machte einen recht ordentlichen Eindruck – Werner hatte doch wohl nicht abgedeckt und die Spülmaschine eingeräumt? Das war ja noch nie dagewesen!
Nein, hatte er nicht. Das hätte mich auch ziemlich erstaunt. Der Esstisch sah so aus, wie wir ihn verlassen hatten, Werner war verschwunden. Die Vase landete auf dem Sideboard zwischen den beiden Fenstern, wo sie recht nett aussah. Ich fand ja dieses Schmückmanie, in die das ganze Land zu passenden Zeitpunkten verfiel, eher albern, aber Werner war mit Osterstrauß aufgewachsen, warum sollte er jetzt keinen mehr haben? Schnell räumte ich den Tisch ab und die Spülmaschine ein; während sie rumpelnd vor sich hin arbeitete, verteilte ich die bemalten Eier aus Holz und Kunststoff gefällig an den Zweigen und klemmte schließlich noch eins der sinnlosen bestickten Deckchen von Werners Großmutter unter die Vase, damit das polierte Holz keinen Rand bekam. Nett, ja – wenn man auf solchen Kram stand.
In der Küche füllte ich das große Pappei mit Ostergras und der La Bohème-CD, dann kochte ich zehn frische Eier hart und stellte die Näpfchen mit den Färbetabletten auf – rot, lila, blau, grün, gelb. Der große Rattankorb, den wir sonst nie benutzten, kriegte eine große Osterserviette und eine sorgfältig auseinander gezupfte Handvoll Ostergras, dann fischte ich die harten Eier aus dem Kochwasser und legte je zwei in eins der Farbnäpfchen, wo ich sie dann die vorgeschriebenen zehn Minuten lang hin und her drehte. Stumpfsinnig... Aber harte Eier aß ich selbst ganz gerne, und das Frühstück morgen sollte doch einigermaßen festlich sein, mit Pinza, Schinken, Krabbensalat und eben Ostereiern. Wenigstens war Werner so weit erwachsen, dass ich die Schokoladeneier nicht mehr verstecken musste.
Die fertigen, abgetrockneten und mit Öl dünn eingeriebenen Eier glänzten schon in ihrem Nest, als ich in einem zweiten Korb ein Nest aus Schokoeiern und Häschen arrangiert hatte. So, fertig! Ich leerte die Farbbrühen aus, spülte die Näpfe ab, räumte die Spülmaschine aus und wischte die Küche oben und unten schnell auf. Das war´s!
Zufrieden zog ich mich mit einem neuen Buch, Neue Methoden des Controllings, in mein winziges Arbeitszimmer zurück und las. Aus dem Wohnzimmer ertönte mittlerweile wieder Pfeifen, Jubeln und die aufgeregte Stimme eines Moderators, Werner war also angenehm beschäftigt, so dass ich die Neuen Methoden in Ruhe studieren konnte. Vielleicht ließen sich auf diese Weise einige Arbeitsschritte einsparen? Schließlich öffnete sich meine Tür.
„Hast du nicht auch Lust auf einen Kaffee?“
Mich packte ein Teufelchen. „Au ja, gute Idee! Für mich bitte schwarz.“
Werner sah mich ratlos an. „Was? Ich dachte - na gut.“
Kaffee kochen konnte er, das wusste ich. Ich lauschte auf das Geklapper in der Küche, hörte, wie etwas klirrend zu Boden fiel, zuckte zusammen, bemühte mich, nicht helfend einzugreifen, und schlenderte erst fünf Minuten später in die Küche.
Die Kaffeemaschine blubberte und ließ verdächtig helles Gebräu durchlaufen, auf dem Boden lagen die Scherben einer Tasse und einige Häufchen Kaffeepulver.
Ich reichte Werner, der mir kläglich entgegensah, einen feuchten Lappen und deutete stumm auf das Kaffeepulver. Ungeschickt bückte er sich und wischte herum, bis das Pulver unter den Unterschränken verschwunden war. Klasse! Ich hob währenddessen die Scherben auf und schmetterte sie in den Mülleimer. „Kann man das nicht mehr kleben?“, fragte Werner und warf den braun verschmierten Lappen auf die saubere Arbeitsfläche.
„Nein. Außerdem ist das lächerlich, wer soll denn aus einer geklebten Tasse trinken?“
„Dann ist das Service ja nicht mehr komplett!“
„Ich weiß“, fauchte ich, „aber ich hab die Tasse ja nicht runtergeschmissen, oder? Ich hab die Absicht schon verstanden.“
„Welche Absicht? Glaubst du, ich habe die Tasse mit Absicht kaputt gemacht? Leni, wie kommst du mir vor?“
„Ach nein? Soll das alles – kaputte Tasse, schmutziger Lumpen, schmutziger Boden – nicht heißen Das passiert eben, wenn du mich zwingst, die Küche zu betreten?“
„Leni, ich versteh dich nicht. Ich hab den Kaffee doch aufgewischt!“
„Hast du nicht, du hast ihn unter die Unterschränke gefegt, wo er jetzt so lange vor sich hingammeln wird, bis ich mich erbarme und ihn da wieder rauskratze.“
„Du kannst das eben besser, Leni!“
Sehr einfach! Und er sollte nicht immer Leni sagen, das klang so nach Bauerntrampel. Ich hieß Hélène und legte auch Wert darauf, aber das hatte Werner schon seit sechs Jahren ignoriert. Jetzt war daran auch nichts mehr zu ändern. „Was soll ich denn tun?“ Gott, wie er jetzt dreinschaute! Irgendwie war er ja doch süß, wenn er sich auch im Haushalt immer absichtlich dumm stellte.
„Spül den Lappen gründlich aus, ja, so, bis kein Kaffee mehr rauskommt. Und dann fährst du mit einem flachen Lappenzipfel unter den Schrank, bis du den Kaffee eingefangen hast. Und beim nächsten Mal nimmst du pro Tasse bitte einen ganzen Löffel Kaffeepulver, ja?“
Er wischte und schaute demütig zu mir auf. So war es Recht, aber ich wusste leider genau, dass diese unterwürfige Pose nicht anhalten würde – bei der nächsten Gelegenheit würde er sich wieder mit Hingabe als Tölpel präsentieren. Es ging wirklich alles doppelt so schnell, wenn ich es selbst machte, und mein erzieherischer Eifer erlahmte immer wieder nach einem Versuch. Schließlich stand er auf, spülte den Lappen, nachdem ich ihn wieder darauf hingewiesen hatte, aus und trank einen Schluck von seinem Kaffee, bevor er die Tasse angewidert ins Spülbecken leerte und sie irgendwo abstellte. Ich gab es auf, allerdings kapitulierte ich nicht so weit, dass ich anständigen Kaffee gekocht hätte.