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Am Montag kam ich wieder mit einer gewissen Erleichterung zur Arbeit, obwohl dort ja auch nicht alles zum Besten stand. Decker, der unheilige Florian, ließ sich nicht blicken, umso besser. Wahrscheinlich schnüffelte er zuerst in der Produktion herum, Arbeitsabläufe straffen, Material sparen, Personal sparen, Krankenstand senken... was solche Leute eben so taten.

Ich bastelte an Finanzierungsplänen herum, kontrollierte die Firmenkonten, auf denen ich wiederum keinen Hinweis auf krumme Geschäfte fand, überarbeitete mit Promberger und Siemers zusammen den endgültigen Finanzierungsplan für die Picknicklinie, ließ mir von Tobi Rappelsburg einen Voranschlag für seine Teenieserie zeigen, an dem dann noch einiges zu tun war – von der finanziellen Seite verstand der Kleine eben noch nichts, aber er zeigte Initiative, das musste man anerkennen. Und solcher Schnickschnack wie poppige Ordner, Mappen und billige Täschchen verkaufte sich ohnehin am besten!

So verging die Woche zunächst relativ routinemäßig, abgesehen davon, dass Felix, dieser Sturkopf, nicht glauben wollte, dass der Neue uns wegrationalisieren sollte, und mich der Paranoia beschuldigte.

Am Donnerstag aber fanden wir die nächsten Buchungen, die nicht übereinstimmten. Seit dem ersten Vorfall hatte ich mir angewöhnt, täglich alle Tabellen auszudrucken und gut zu verwahren – und die vom Donnerstag stimmte mit der vom letzten Freitag wieder in einem Posten nicht überein. Dieses Mal ging es nicht um Design und erhöhtes Budget, statt dessen hatte man einen Posten nachträglich verringert, ausgerechnet beim Material, wo wir im Streitfall trotzdem zahlen mussten, um den Lieferanten nicht zu vergrämen. Dafür waren die Personalkosten angestiegen, obwohl ich genau wusste, dass ihn dieser Arbeitsgruppe niemand Neues aufgetaucht und kein Gehalt gestiegen war und auch niemand eine Zulage verdient hatte. Promberger wusste jedenfalls auch nichts, und ich war sicher, sobald die Zahlungen veranlasst waren, würden die Daten wieder geändert werden.

Jedenfalls monierte ich die Beträge, soweit es möglich war, und veranlasste nur die ursprünglichen Beträge. Mal sehen, wer da protestieren würde! Das Kürzel von Promberger war auf jeden Fall nicht authentisch. Ob das ein Hacker war? „Also wenn ich ein Hacker wäre, würde ich das nur einmal machen, für eine ordentlich große Summe. Und dann raus dem Netz, ohne Spuren zu hinterlassen“, schlug Felix vor, und eigentlich musste ich ihm da Recht geben. Warum diese Kleckerbeträge? Lumpige fünfhundert Euro? Übte da jemand? Das erhöhte doch nur die Gefahr, erwischt zu werden!

Felix besorgte uns die Netzprotokolle, aber mit denen konnten wir mangels Erfahrung nicht allzu viel anfangen, und unser Systembetreuer war mal wieder krank. Wir debattierten den halben Nachmittag lautstark über das Problem, während Inge und Tanja miteinander tuschelten, uns ab und zu mit vorwurfsvoller Miene neue Unterlagen auf den Schreibtisch packten und grundsätzlich etwas nervös wirkten. Warum, verstand ich auch nicht – es sei denn, sie hatten unsere bildschöne Nemesis schon durch die Korridore schleichen sehen und waren ihr auf der Stelle verfallen. Nein, Blödsinn, der war für die beiden Hühner doch zu alt! Und Tanja war dazu viel zu vernünftig...

Vernünftig war ich normalerweise auch – und davon war im Moment nicht mehr viel zu spüren. Warum sollte es Tanja anders gehen, jung und beeinflussbar, wie sie noch war?

Als sie das nächste Mal mit einer Mappe hereinkam, fragte ich sie: „Wie finden Sie diesen Neuen, der hier „hereinschmecken“ soll?“

„Welchen Neuen? Ach, was das das Meeting am Freitag? Den hab ich noch

nicht zu sehen gekriegt, ist er so furchtbar? Übrigens, das hier sollten Sie mit Priorität A behandeln, sagt Winter, er braucht die Kalkulation in einer Stunde wieder.“

Ich nahm mir die Mappe vor und schickte sie wieder zurück. Also war Tanja nicht wegen des Neuen nervös – und außer mir hatte noch keiner den Verdacht, dass es um Einsparungen ging. Was hatte sie denn dann? Und warum guckte die Karr schon wieder so frech? So, als wüsste sie was, was sonst keiner wusste. Ich sollte Felix mal bitten, sie etwas besser im Auge zu behalten – aber nicht mehr heute, er hatte sich und sein zerwühltes Outfit schon wieder ins Direktionsvorzimmer getragen.

Tanja und Karin packten auch gerade zusammen; ich nahm mir seufzend noch einige dringende Unterlagen vor und warf sie dann in den Ausgang; der Fall der seltsamen Buchungen hatte mich heute schon genug Zeit gekostet. Als ich fand, dass es genug war, stellte ich erschrocken fest, dass es schon wieder halb sieben war. Werner würde eingeschnappt sein! Hastig packte ich meinen Kram zusammen, schloss alle Unterlagen weg und trabte durch das verwaiste Vorzimmer nach draußen.

Die Tiefgarage war auch schon so gut wie leer, das übliche Feierabendgegröle war verstummt. In der hintersten Ecke stand mein silberner Golf und blinkte freundlich, als ich auf die Fernbedienung druckte.

„Frau Thibault?“ Ich fuhr zusammen und ließ vor Schreck alles fallen, Tasche, Schlüssel, Handschuhe. „Großer Gott, müssen Sie sich so anschleichen!“, schimpfte ich und funkelte ihn an.

„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken“, murmelte Decker.

„Was wollen Sie denn dann?“, fragte ich pampig und sammelte alles wieder auf. Erst die Leute erschrecken und dann rauswerfen, das konnte ihm so passen! „Ich weiß es nicht.“ Er stand dicht vor mir und sah mich unverwandt an, dann lächelte er etwas kläglich und mein Zorn verrauchte auf der Stelle.

Als er noch einen Schritt auf mich zutrat, wich ich nach hinten aus. Das ging einige Male gut, aber dann prallte ich mit dem Rücken gegen meinen Wagen.

Decker kam noch näher.

„Was soll das werden?“, murmelte ich mit einem allerletzten Rest an kritischem Bewusstsein, aber ich hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als ich Deckers Finger spürte, die sich hart in meine Schultern gruben. Dann wurde es dunkel vor meinem Gesicht, weil sein Kopf das trübe Licht vollständig abschirmte, als er mich küsste.

Und wie er mich küsste! Seine Gier schien mindestens so groß zu sein wie meine; er presste sich mit dem ganzen Körper an mich, so dass ich zwischen ihm und der Fahrertür eingeklemmt war, seine Zunge tobte durch meinen Mund, seine Hände glitten fahrig über meinen Rücken und wanderten dann zu meinen Brüsten.

Ich revanchierte mich ohne nachzudenken. Sein Körper unter dem feinen Tuch fühlte sich gut an, fest und hart; er duftete betörend, nach einem letzten Hauch eines edlen Rasierwassers, ein bisschen nach Waschpulver, ein bisschen nach frischem Schweiß und ein wenig undefinierbar männlich. Sein Haar war glatt und weich, wie weichgespült; ich fuhr mit rastlosen Fingen durch die glänzenden braunen Strähnen und streichelte sein Gesicht, das sich ein klein wenig kratzig anfühlte. Als seine Hand unter meinen Rock glitt, hätte ich ihn eigentlich stoppen müssen – das ging doch nun wirklich zu weit: Die vernünftige, kalte Frau Thibault lässt sich von einem Mann, von dem sie nicht einmal den Vornamen kennt, in der Tiefgarage bumsen? Kommt ja gar nicht in Frage, dachte ich erbost und löste mich so weit von der Autotür, dass Decker meinen Rock leichter hochschieben konnte.

Eine Strumpfhose hätte ihn wahrscheinlich aufgehalten, aber dummerweise hatte ich heute morgen nur noch eine passende Strumpfhose gefunden und sie beim Anziehen zerrissen, also hatte ich zu den affigen halterlosen Strümpfen gegriffen, die ich für den Notfall in der Schublade bunkerte. Während seine Finger in meinen Seidenfrench glitten, öffnete er mit der anderen Hand meine Bluse und hakte den BH auf. Statt ihn wegzustoßen und ihm streng politisch korrekt eins in die Fresse zu hauen, stöhnte ich nur, weil sich seine Finger zwischen meinen Beinen so köstlich anfühlten, zerrte sein feines Oberhemd aus der Hose und knöpfte es ungeschickt auf. „Wir sollten das nicht tun“, murmelte Decker an meinem Hals und ließ seine Zunge in mein Ohr gleiten.

„Stimmt“, antwortete ich heiser und streichelte seine heiße, nackte Brust, „wir hören auch sofort auf.“

„Ja“, kam die tonlose Antwort, und dann schlossen sich seine Lippen um meine Brustwarze und saugten so zärtlich daran, dass ich alleine davon schon dem Orgasmus nahe war. Und jetzt glitt ein Finger in mich hinein... Unerträglich, wieso nur ein Finger? Ich zog entschlossen seinen Reißverschluss auf und befreite, was darunter schon aufgeregt zuckte. Eindrucksvoll und mehr als einsatzbereit, auch ohne meine streichelnden Finger.

Decker sah mich kurz fragend an, las in meinen Augen offenbar, was er lesen wollte, packte mich unter den Hinterbacken und hob mich hoch. Dann klemmte er mich wieder zwischen sich und dem Auto ein und schob sich entschlossen in mich hinein. Ich keuchte gierig, als er in voller Länge in mich eingedrungen war, und umklammerte mit den Beinen seine Hüften, um seine Bewegungen besser erwidern zu können. Diese Bewegungen waren langsam und nachdrücklich, und jede verdoppelte meine Erregung, so dass ich den Orgasmus schon gewaltig kommen spürte, als Decker gerade erst anfing, sein Tempo zu steigern. Ich wäre nach meinem leisen Schrei vor lauter Schwäche nach hinten gefallen, aber die Fahrertür war im Weg. So rang ich nur nach Atem, bis ein halblautes, kehliges Stöhnen mir verriet, dass auch Decker so weit war. Das hätte mir auch die klebrige Feuchtigkeit verraten konnten, die ich plötzlich in und an mir spürte.

Decker presste mich weiter gegen die Fahrertür und küsste mich noch einmal wild, aber langsam kehrte mein Verstand zurück. Vorsichtig schob ich ihn zurück, ließ meine Füße wieder auf den Boden gleiten und zupfte mit gesenkten Augen meinen Rock zurecht. Erst als ich wieder in vorzeigbarem Zustand war (abgesehen von meinem klatschnassen Höschen), sah ich zu ihm auf. Sein Blick war ratlos, suchend, schuldbewusst? Schwer zu deuten, jedenfalls unsicher.

„Das ist nie passiert“, sagte ich also nur, öffnete die Tür und stieg ein. Als ich langsam zur Ausfahrt rollte, sah ich ihn im Rückspiegel, wie er mir nachsah und dann zu seinem eigenen Wagen schritt. Es war ein Wunder, dass ich auf dem Weg nach Hause keinen Unfall baute. Der Wagen lief auf Autopilot und ich dachte ratlos im Kreis: Warum hatte ich das gemacht? Ich stand kurz davor, einen netten, zuverlässigen und lieben Mann zu heiraten, und trieb es mit einem nahezu unbekannten Kollegen, vielleicht dem Mann, der mich von der Gehaltsliste streichen würde, auf absolut tierische Weise in der Tiefgarage, ans Auto gelehnt! In einem Spielfilm hätte ich die Szene als unrealistisch und ein bisschen ordinär empfunden. Aber es war der göttlichste Sex meines Lebens gewesen, das musste ich zugeben.

Unruhig rutschte ich auf dem Fahrersitz hin und her, die Nässe zwischen meinen Beinen juckte, und ich überlegte, wie ich an Werner vorbei unter die Dusche kommen konnte. Warum hatte ich das bloß gemacht? Was war denn an diesem Decker so unwiderstehlich? Und was hatte er an mir so toll gefunden? Oder machte er das mit jeder, die dumm genug war, mitzuspielen? Vielleicht war das ein Test? Alle, die willensschwach genug waren, sich auf eine Nummer einzulassen, wurden gefeuert, weil sie zu wenig Charakter bewiesen hatten? Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, dass er so mies war – aber wir hatten doch überhaupt nicht miteinander gesprochen. Was hatte er gesagt? „Wir sollten das nicht tun.“ Aber er hatte es trotzdem getan, und ich auch. Was sollte das heißen? Dass er nicht widerstehen konnte? Blinde Leidenschaft? Nackte Gier? Eine schnell genutzte Gelegenheit?

Sollte ich es Werner sagen? Wie würde er reagieren? Enttäuscht, verzweifelt, wütend? Würde er sich von mir trennen? Wollte ich das? Wozu war das gut? Ich würde Werner nur verletzen, unsere Beziehung ruinieren, und wofür? Für die schwache Chance, noch einmal in der Tiefgarage auf der Motorhaube gefickt zu werden? Wirklich nicht.

Nein, Werner musste das nicht wissen. Ich starrte blind durch die nasse Windschutzscheibe. Der Regen war schon mal nicht schlecht. Ein Hupen riss mich aus meinen Überlegungen, und ich ließ einem anderen Wagen im letzten Moment die Vorfahrt. Dann fuhr ich an den Straßenrand und setzte die Idee um, die mir gerade eben gekommen war. Mittlerweile prasselte der Regen ganz schön herunter, und ich bewegte mich außerhalb des Autos betont langsam, um schön gleichmäßig nass zu werden. Dann praktizierte ich sorgfältig das Wischerblatt aus einem meiner Scheibenwischer heraus und versteckte es unter dem Rücksitz. Als mir die Haare feucht in die Stirn hingen und mein Kostüm schon an meinem Körper klebte (Mist, das bedeutete Reinigung!), war ich zufrieden und stieg wieder ein. Mein Handy versteckte ich unter dem Fahrersitz, dann fuhr ich endlich nach Hause. Verdammt, schon nach acht Uhr – hatte die heiße Szene in der Tiefgarage denn so lange gedauert?

Werner saß vor dem Fernseher und futterte Pizza aus einem Karton. Als ich wie eine getaufte Maus in der Tür erschien, sah er nur kurz auf.

„Wo kommst du jetzt erst her?“

„Der Scheibenwischer ist kaputt gegangen, ich musste total langsam fahren.“ Doof, wenn man es recht bedachte! Aber Werner grunzte nur. „Hättest ja mal anrufen können!“

„Weiß ich. Das Handy liegt leider noch im Büro. Scheiße, morgen muss ich gleich zur Tankstelle, wegen neuer Wischerblätter. Typisch, auf der Beifahrerseite geht er natürlich noch! Du, ich dusche erst mal, mir ist total kalt.“

In Wahrheit war mir eher total heiß, von der Erinnerung und von meiner Lügerei. Ich sauste ins Bad, riss mir die Kleider vom Leib und stellte mich lange unter die Dusche, die Flasche mit dem Duschgel in der Hand, ohne sie auch nur zu öffnen. Erst, als ich doch begann, mich einzuschäumen, kam mir eine neue, noch viel grässlichere Idee – Decker hatte kein Kondom benutzt, sonst wäre ich nicht so nass gewesen. Vor einer Schwangerschaft hatte ich keine Angst, ich nahm ja die Pille und hatte sie auch noch nie vergessen, aber was war, wenn er so etwas öfter tat? Es wahllos mit irgendwelchen Frauen trieb, die er nicht kannte? Er konnte sich ja sonst was geholt und mir jetzt angehängt haben... Aids womöglich! Ich musste es Werner doch sagen! Oder er durfte nie das Kondom vergessen... Jetzt brauchte ich womöglich noch eine neue Lügengeschichte, um das zu erklären! Langsam verstrickte ich mich in einem Gespinst, das ich selbst nicht mehr durchschaute... Heute war ich auf jeden Fall für alles zu fertig, beschloss ich und trocknete mich müde ab. Als ich in Nachthemd und Bademantel ins Wohnzimmer tappte, sah Werner kaum vom Bildschirm auf. „Besser?“, murmelte er.

„Mhm“, antwortete ich und setzte mich neben ihn. Was guckte er denn da? Irgendeinen Erdbebenfilm, belanglose action, wüstes Gekreische – und ausgerechnet New York, war das nach dem 11. September nicht ein bisschen geschmacklos? Ich guckte aber brav mit und stellte nebenbei fest, dass Werner eine große Pizza komplett verdrückt hatte. Wenigstens hatte er nicht hungern müssen, weil ich so pflichtvergessen war!

„Willst du nichts essen?“, fragte er in diesem Moment, als habe er meine Gedanken gelesen.

„Nein, mir ist nicht gut. Ich bin total müde, wärst du böse, wenn ich schon schlafen gehe?“

Werner schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, und ich trollte mich erleichtert. Schlafen konnte ich zwar erst einmal nicht, aber wenigstens konnte ich mich schlafend stellen, als Werner gegen halb elf ins Bett kam. Ich musste mich umgehend testen lassen, beschloss ich. Oder Decker fragen! Nein, viel zu peinlich. Aber Blutprobe, warten, die Ungewissheit... Und wenn Decker log?

Ich hatte mich wirklich gründlich in die Scheiße geritten!

Immerhin gelang es mir am Freitag, Decker aus dem Weg zu gehen. Die HIV-Frage konnte ich ihm ja ohnehin nicht stellen, obwohl ich während der Arbeit tausend Situationen durchspielte, in denen ich ganz natürlich zu dieser Frage kommen konnte. Leider war keines dieser Szenarios auch nur annähernd realistisch. Also verwarf ich sie alle, konzentrierte mich fünf Minuten lang auf die Unterlagen vor mir und plante die nächste Szene durch. Oder doch lieber zum Arzt? Aber auf keinen Fall zu meinem Hausarzt! Ich konnte irgendeine Erkältung oder Entzündung vorschieben, um mir Werner erstmal vom Leib zu halten…

Erst betrog ich Werner, dann log ich auch noch schamlos! Und die Szene in der Tiefgarage bereute ich auch nur wegen der ganzen Komplikationen, ansonsten dachte ich gerne mit dämlichem Lächeln daran zurück – außer, wenn ich überlegte, dass Decker sehr gut finstere Absichten verfolgt haben konnte, wenn ich auch nicht wusste, welche genau. Jedenfalls kam ich mir ziemlich schlecht vor – und dabei war ich vor wenigen Wochen noch so brav und korrekt gewesen, die effiziente Finanzplanerin mit dem tadellosen Auftreten und der gesicherten, bürgerlichen Zukunft. Und jetzt? Ich belog und betrog meinen künftigen Mann, hatte mir vielleicht noch eine Krankheit eingefangen und wusste überhaupt nicht mehr, was ich wollte. Vielleicht sollte ich mich besser wieder auf die Arbeit konzentrieren, bevor ich noch so gravierende Fehler machte, dass es Decker einen Vorwand gab, mich auf die schwarze Liste zu setzen!

Ich holte mir alle Buchungsübersichten und aktuellen Stände der Firmenkonten auf den Bildschirm, las sie gründlich durch und druckte sie aus, um eine Handhabe zu besitzen, falls sich wieder rätselhafte Abweichungen zeigen sollten. Heute war allerdings nichts zu sehen.

Die alten Fehlbuchungen waren über Prombergers Rechner gelaufen. Hatte er seine Finger mit drin? Das konnte ich mir nicht vorstellen, der konnte ja nicht einmal schwindeln, wenn es die Höflichkeit erforderte! Ich fuhr hinunter und lief über den Hof in die Produktion, wo ich ihn in seinem Glaskabuff über der Werkshalle fand. Als ich ihm erzählte, was ich herausgefunden hatte, regte er sich fürchterlich auf, und es war gar nicht so einfach, ihm klarzumachen, dass ich ihn gar nicht verdächtigte. Mühsam erklärte ich ihm, dass jeder Rechner in unserem Netz über die IP-Adresse eine Signatur auf den Dokumenten hinterließ und die veränderten Konten eindeutig von hier ins Netz gespeist worden waren.

„Wer kann denn an diesen Rechner hier?“

„Na, jeder, der ihn braucht!“, antwortete Promberger grämlich.

„Wer soll ihn denn brauchen?“, fragte ich erstaunt zurück. „Siemers hat einen eigenen, drüben in der Werkstatt, und die Lehrlinge haben in ihrem Aufenthaltsraum auch jeder einen. Sie sollten schon sicherstellen, dass niemand außer Ihnen diesen Rechner benutzt.“

„Jetzt kennt doch jeder das Kennwort!“

„Dann ändern Sie es, aber schleunigst. Oder wollen Sie, dass unter allen falschen Abrechnungen Ihr Zeichen steht?“

„Nein... Wie ändert man das Kennwort?“

Ich schrieb ihm die Schritte auf einen Zettel; Promberger stammte aus einer Generation, der ein Rechenschieber vertrauter war als Tastatur und Maus, und ich war sicher, dass er noch nie in die Tiefen der Systemsteuerung vorgedrungen war. Er kam mit dem Finanzprogramm zurecht und zur Not auch mit der Designsoftware, aber dabei waren die Lehrlinge schon viel gewitzter, was ihn manchmal ärgerte.

„Nehmen Sie nicht gerade den Namen Ihrer Frau, das versucht jeder Hacker als erstes. Und verraten Sie das Kennwort niemandem sonst!“

Mürrisch trollte er sich an seinen Rechner, und ich kehrte in mein Büro zurück und erzählte Felix, dass ich hoffte, wenigstens diesen Zugang verstopft zu haben. Felix lobte mich, was meine Stimmung ungewöhnlich hob – wenigstens etwas lief noch wie früher, wenn ich mich schon sonst nicht mehr im Griff hatte!

Noch etwas war wie immer, stellte ich fest, als ich an einem Spiegel vorbeikam – ich sah auch noch so kompetent und korrekt aus wie sonst. Wenn ich da an gestern Abend dachte, zerzaust, den Rock um die Taille, die Beine gespreizt... Schon bei dem Gedanken wurde mir ganz heiß, halb vor Scham, halb vor Erregung.

„Was hast du? Du bist ganz rot im Gesicht“, fragte Felix verblüfft.

„Ach, nichts. Mir ist nur so warm“, log ich schnell.

„Hier hat es bloß achtzehn Grad!“, wunderte er sich.

„Na, vielleicht werde ich krank?“

„Bitte du nicht auch noch!“, stöhnte er, „dann mache ich die Arbeit von vier Leuten glücklich alleine, das geht dann doch zu weit. Und jetzt muss ich wirklich dieses Marketingkonzept für die Picknicklinie fertig stellen und mit der Werbeagentur sprechen.“

W & P?“

„Klar, die werden immer besser.“

„Stimmt, von denen hab ich noch nie einen doofen Spot gesehen. Ich hab eine klasse Idee, pass auf! Zu jedem Sechserpack Teller packen wir einen dazu, der weicher ist, und den können die Leute als Frisbee nutzen, wenn sie sich vollgestopft haben – zum Abtrainieren.“

„Doof. Aber, na gut, vielleicht sollten wir das vorschlagen. Überhaupt, Spielzeug als Bestandteil des Picknickkoffers. Ich werd´s notieren. Seit wann bist du so kreativ?“

„Vorübergehende Verwirrung“, behauptete ich und floh wieder an meinen Rechner, neben dem Tanja allerlei Kram säuberlich aufgestapelt hatte. Ich arbeitete den Stapel durch, diktierte Tanja einige Memos und Zusammenfassungen und bat sie, die Schriftstücke dazuzuheften und die Mappen dann weiterzuleiten. Viertel nach fünf... Freitag... Felix telefonierte schon mit seinem Schätzchen, Tanja hatte alles erledigt und hing gerade schräg über einem Taschenspiegel, das Wimperntuschenbürstchen in der Hand. „Gleich auf die Piste?“, fragte ich im Vorbeigehen, und Tanja zuckte zusammen und schmierte sich Wimperntusche über die Backe.

„Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken“, sagte ich, während sie hektisch mit einem Taschentuch den Schaden zu beseitigen versuchte, und fuhr meinen Rechner herunter.

„Schon gut, ich weiß auch nicht, warum ich so schreckhaft bin“, murmelte sie und begann ihre Restaurierungsarbeiten von neuem.

„Zurzeit sind Sie überhaupt etwas nervös“, versuchte ich taktvoll zu bohren, „wenn Sie irgendein Problem haben, sagen Sie es doch hoffentlich?“

„Mach ich, aber das ist gar nicht nötig. Trotzdem vielen Dank“, fügte sie höflich hinzu.

„Na gut, dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und gute Erholung.“ Was sollte ich denn sonst sagen?

Heute war ich ausnahmsweise vor Werner zu Hause, trotz eines ausführlichen Abstechers in den Supermarkt. Bis er auftauchte, müde und verschwitzt, direkt aus dem Fitnessstudio, hatte ich schon die ganze Wohnung flüchtig entstaubt und die Böden gesaugt, außerdem das Abendessen vorbereitet und den Fernseher so eingestellt, dass die Fortsetzung dieser Erdbebengeschichte kam. Richtig diensteifrig war ich, wie ein Weibchen. Das musste das schlechte Gewissen sein!

Beim Putzen und Räumen hatte ich wieder Gelegenheit, sinnlos im Kreis zu denken. Solange ich sicher war, dass sich der Vorfall nicht wiederholen würde, musste ich Werner nichts davon erzählen. Wie würde ich reagieren, wenn er mir beichtete, er hätte seine Sekretärin über den Schreibtisch geworfen? Verletzt? Ungläubig? Ich kannte seine Vorzimmerdame leider, sie stand kurz vor der Rente und erzählte dauernd von ihren zahlreichen Dackeln und Enkeln. Ungläubig, eindeutig. Und wenn er eine verführerische neue Sekretärin bekommen hätte? Schon traurig. Und misstrauisch – was, wenn er sich was geholt hatte? Da war ich wieder am entscheidenden Punkt angekommen.

Sicherheitshalber erzählte ich Werner beim Essen, wie anstrengend es zurzeit bei uns zuging, um für spätere Müdigkeit/Unlust/Kopfschmerzen das Fundament zu legen. Er nickte nur und lobte das Essen. Das passte mir auch wieder nicht. Solange genug gutes Essen auf dem Tisch stand und abends ein schön lauter Actionfilm lief, war ihm alles andere egal? Ach ja, auf gebügelte Hemden legte er auch noch Wert...

War ich nach sechs Jahren schon zur Haushälterin mutiert, mit der man ungefähr dreimal im Monat friedlich ein Nümmerchen schob? Friedlich war es mit ihm, das stimmte. Aber das wusste ich doch schon länger, warum störte es mich denn jetzt? Weil ich wusste, wie toll und wild es mit anderen sein konnte? Ich war doch nicht als Jungfrau zu Werner gekommen, ich wusste doch, dass auch im Bett nicht alle Männer gleich waren! Nachdenklich kaute ich auf meinem überbackenen Brokkoli herum. Wann hatten wir uns das letzte Mal über etwas unterhalten, was weder die Haushaltsorganisation („Kommst du heute an der Reinigung vorbei?“ „Der Handtuchhalter wackelt“, „Wir haben keine Reserveglühbirnen mehr“) oder diese Hochzeit („Müssen wir die auch einladen?“, „Meine Eltern freuen sich doch so!“) betraf? Das musste ja Monate her sein! War unsere Beziehung nicht ohnehin am Ende? Aber was war die Alternative? Sollte ich mir eine eigene kleine Wohnung suchen und als Single-Karriere-Frau leben? Erschreckte mich das oder hatte der Gedanke seine Reize? Ich wusste es nicht. Ach, ich wusste gar nichts mehr!

Werners zufriedenes Seufzen riss mich aus diesen zwecklosen Überlegungen. „Sehr lecker. Übrigens, übernächste Woche muss ich zu einer Fortbildung.“

„Ach ja? Zu welchem Thema?“ Interesse zeigen!

„Ich glaube, es geht darum, wie diese ganzen zertifizierten privaten Vorsorgepolicen steuerlich zu behandeln sind. Das kommt ja bald gewaltig auf uns zu. Eine ganze Woche, im Kloster Seeried in Unterfranken.“

„Im Kloster?“ Ich musste lachen. „Ja, das ist jetzt ein Konferenzzentrum. Ziemlich luxuriös. Von Montag bis Samstag, und die Überstunden am Samstag kriegen wir nicht gezahlt.“

Kein Wort, dass er mich vermissen würde. Na, ich wollte jetzt auch nicht heucheln, wenn es nicht unbedingt notwendig war! Stattdessen räumte ich, von Werner billigend betrachtet, den Esstisch ab.

„Dann musst du ja am Montag ganz früh weg, oder?“

„Stimmt. Die Abteilung hat einen Bus gechartert, der um halb sechs vor dem Finanzamt abfährt. Dann sind wir um zehn dort, hoffe ich. Um elf fängt das an, und es geht bis Samstagnachmittag um vier. Um fünf holt uns der Bus wieder ab, also vor neun, halb zehn bin ich nicht wieder zu Hause. Aber vielleicht tut es mir ganz gut, wenn ich mal rauskomme. Und du hast dann ja auch weniger Arbeit, nicht?“

Gut beobachtet, ärgerte ich mich im Stillen, wenn du schon weißt, dass du Arbeit machst, warum hilfst du mir dann nie? Ich verdrängte diesen Gedanken und lächelte falsch. „Sag mir rechtzeitig, was du mitnehmen willst, damit alles gewaschen und gebügelt ist!“ Das wurde ja immer schlimmer, ich war schon wie eine Hausfrau aus den Fünfziger Jahren! „Mach ich“, antwortete er geistesabwesend und begann, in der Fernsehzeitung zu blättern.

Ich füllte die Spülmaschine und überlegte, ob er immer schon so wenige Interessen gezeigt hatte. Machten wir denn gar nichts anderes mehr als zusammen zu essen und hinterher fernzusehen? Ich zog mir ja auch mal ganz gerne einen schönen Film rein – aber gar nichts anderes? Das war doch nicht immer so gewesen? Und La Bohème hatte er sich auch noch nicht angehört!

Ich säuberte die Küche fertig und ging dann wieder ins Wohnzimmer. „Wollen wir nicht wieder mal weggehen, in eine nette Kneipe oder so?“

Zustimmendes, aber eher desinteressiertes Brummen. Ach, die Zusammenfassung des ersten Teils! Ja, das war natürlich wichtiger! Resigniert hielt ich den Mund und versuchte, mich auf weiteres Kreischen und einstürzende Mauern zu konzentrieren – vergeblich. Wieso hatten wir eigentlich gar keine Freunde mehr? Früher hatten wir manchmal etwas mit Beate und Theo gemacht oder auch mit Hannes und Sabrina. Hannes war doch ein Kollege von Werner, mit dem musste er doch noch Kontakt haben? In der ersten Werbepause fragte ich nach. „Hannes? Der hat sich nach Augsburg versetzen lassen, weil Sabrina dort ein Grundstück geerbt hat, und jetzt bauen sie, glaube ich. Von denen hab ich seit mindestens einem Jahr nichts mehr gehört.“

„Hast du die Adresse?“

„Glaub ich nicht. Wozu denn, die sind doch eh nicht mehr da.“

„Man könnte wenigstens den Kontakt halten, die waren doch sehr nett“, argumentierte ich.

„Ja, aber sie sind eben weg. Wozu noch Kontakt halten?“

„Wenn du meinst. Wollen wir mit Beate und Theo was machen?“

„Meinetwegen. Die sind so zottelig.“

„Zottelig?“

„Na, du weißt schon. Alles selbst gestrickt und schadstofffrei.“

„Das ist doch sehr lobenswert“, wandte ich ein.

„Mich nervt´s“, beschied mich Werner und widmete sich wieder dem Film, der nun weiterlief. Ich verzog mich an meinen Rechner und wühlte mich durch eine Telefonbuchseite, bis ich Hannes und Sabrina gefunden hatte – glaubte ich wenigstens, aber so viele Leute, die Tertesheimer hießen, gab es im Raum Augsburg auch nicht. Ich notierte die Adresse und suchte gleich noch Beate und Theo. Die waren ja auch umgezogen! Wieso wohnten die denn jetzt am Kreuz West? Dort war es doch absolut scheußlich, Autobahn, Hochhäuser, Industriegebiet, riesige Geistersiedlungen, erst halb fertig. Früher hatten sie eine sehr charmante, etwas baufällige Hinterhofwohnung gehabt, in der sie wüste Feste gefeiert hatten. Morgen sollte ich die beiden mal anrufen, nahm ich mir vor.

Überhaupt, es musste doch möglich sein, etwas mehr Pep in unsere Beziehung zu bringen? Mehr Freunde, mehr Weggehen, etwas Kultur, etwas mehr und besserer Sex – äh! Vorher sollte ich erst einmal sicherstellen, dass ich mir in der Tiefgarage nichts geholt hatte. Das Problem lag aber auch darin, dass ich in erotischer Hinsicht eigentlich keine besondere Lust mehr auf Werner hatte. Vielleicht kam das wieder, wenn alles andere wieder besser lief? Als ich nach dem Ende des Films wieder mal ins Wohnzimmer schaute, stellte ich fest, dass Werner umgeschaltet hatte und nun schon im nächsten Film feststeckte.

„Was ist das denn?“, fragte ich, nachdem ich mir die krause, klischeehafte Handlung einige Minuten betrachtet hatte. Wortlos schob Werner mir die Fernsehzeitschrift zu. Agent Red – Ein tödlicher Auftrag?

„Werner?“

„Mhm?“

„Dir ist schon klar, dass das hier als Flop des Tages qualifiziert wird?“

Grunzen. „Na, wenn dir das egal ist... Ich glaube, ich gehe ins Bett und lese ein bisschen.“

Erneutes Grunzen. Himmel noch mal, man konnte meinen, wir wären schon seit dreißig Jahren verheiratet!

„Um fünf vor zwei kommt noch Klippe des Todes, falls du dann immer noch nicht genug hast“, warf ich noch spitz hin und verzog mich ins Bett.

Werner war wirklich langweilig geworden, fand ich ärgerlich. Überhaupt, war es denn ein Wunder, wenn man in einer so öden Beziehung für andere Verlockungen anfällig wurde?

Nach zehn Minuten hatte ich es geschafft, mir einzureden, dass Werner alleine an der Szene in der Tiefgarage Schuld hatte, aber dann merkte ich doch, dass das etwas zu weit ging. Und ich hatte auch nichts unternommen, um unsere Beziehung lebendig zu halten.

Mit dem Vorsatz, morgen a) nach einem Brautkleid Ausschau zu halten und b) Beate anzurufen, löschte ich das Licht.

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