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Eigentlich war ich ganz froh, dass diese dämlichen Feiertage vorbei waren, stellte ich im Stillen fest, als ich am Dienstagmorgen meine Tasche auf meinen tadellos aufgeräumten Schreibtisch fallen ließ. Endlich wieder Alltag, Arbeit, Haushalt, keine Familie und hoffentlich kein Wort von dieser bescheuerten Hochzeit!

Natürlich hatte Werner Recht, wenn er fand, dass ich ihm die Vorfreude auf die Hochzeit nicht durch meine betont lustlose Einstellung vermiesen sollte, aber dieses ganze Geschiss ging mir derartig auf die Nerven, dass ich einfach nicht anders konnte. Gut, die Gästeliste hatten wir zusammengestrichen, ich musste noch ein geeignetes Mehrzweckkleid und ein nicht zu furchtbares Restaurant finden und dieses unsägliche Brautgespräch absolvieren, ohne dass der Pfarrer merkte, wie wenig ich hinter einer kirchlichen Trauung stand - aber dann hätte ich das Gröbste ja wohl überstanden. Manchmal fragte ich mich zwar, ob ich in eine Familie einheiraten wollte, in sich der so etwas wie Wilma ungeniert breitmachte, aber dann fiel mein Blick wieder auf Werner, den lieben, guten Werner, mit dem ich seit Jahren so problemlos zusammenlebte, und ich war mir wieder sicher.

Schluss damit, Tanja schleppte gerade einen Haufen Mappen an. „Hier, das sind die Abrechnungen aus der Produktion, und das ist wegen dieser Kreditumschichtung, Schmidt sagt, das sollen Sie sich mal ansehen, und angeblich stimmt bei diesen Kalkulationen für die neue Produktpalette irgendwas nicht.“ Krachend lud sie den Stapel auf meinen Tisch. Ich verkniff es mir gerade noch, mir die Hände vor lauter Vorfreude zu reiben, und schlug als erstes die Kreditmappe auf, das war termingebunden und ziemlich eilig, weil wir morgen mit der Bank verhandeln mussten.

Ich brütete etwa eine Stunde über den Unterlagen, rechnete und kalkulierte, schlug einiges in den alten Kreditverträgen nach und hatte den strittigen Punkt schließlich gefunden. Statt Tanja meine Ergebnisse zu diktieren, schickte ich sie lieber Kaffee kochen und tippte meine Anmerkungen schnell selbst.

Sobald sie mit einem verheißungsvoll dampfenden Becher zurückkam - so stark, dass der Löffel drin stehen blieb - bat ich sie, die Mappe zu Schmidt, meinem Kollegen, zurückzubringen.

Wir waren in dieser Abteilung zu dritt, Felix Schmidt, Cordula Wernheimer und ich; über uns stand der Chef der Abteilung Finanzen und Marketing; die Stelle war allerdings im Moment unbesetzt, weil Frank Ingener, der bisherige Chef, im Januar zum Bungeejumping nach Australien geflogen war. Nein, das Seil war nicht gerissen, böse Zungen meinten aber, das wäre doch wenigstens spektakulär gewesen. Er hatte sich eine ganz profane Thrombose auf dem endlosen Flug zugezogen und war noch auf dem Flughafen von Sydney tot umgefallen. Seitdem war der Posten unbesetzt; die Geschäftsleitung suchte entweder immer noch oder hoffte, die Position einsparen zu können. Alle Firmen sparten zurzeit wie verrückt, da machten wir keine Ausnahme, obwohl das Geschäft blühte.

Im Stillen war ich der Meinung, das der Job eines Finanz- und Marketingchefs wirklich überflüssig war; Felix und ich schafften die Arbeit locker, auch Cordula konnte man eigentlich feuern, aber dazu hätte sie erstmal da sein müssen. Heute war sie schon wieder krank, Kreislaufprobleme! Was der Frau fehlte, was auch bloß ein Tritt in den Hintern.

Unter uns dreien standen noch die jeweiligen Assistentinnen, Inge bei Felix, Tanja bei mir, Irmgard (deutlich älter und besonnener) bei Cordula.

Ich nahm mir die nächste Mappe vor, die Kalkulationen für die neue Produktpalette. Happige Summen kamen da zusammen, und die geschätzten Ladenpreise erschienen mir leicht überzogen. Ich rechnete alles nach und kalkulierte dann lieber neu, nachdem ich einige Vorschläge für Einsparungen an den Rand gekritzelt hatte.

Die Produktionsabrechnungen waren wöchentliche Routine, aber heute sahen sie befremdlich aus, ohne dass ich sofort den Finger auf das Problem legen konnte. Wer hatte das denn abgezeichnet? Siemers? Nein, Promberger persönlich, dann mussten sie doch eigentlich korrekt sein…

Trotzdem fieselte ich Posten für Posten und Buchung für Buchung durch und fand tatsächlich eine – allerdings nicht allzu große – Fehlbuchung. Ich besserte sie in Rot aus und schickte die Abrechnung in die Produktion zurück, dann widmete ich mich dem Standardkram, der sich im Lauf der letzten zwei Stunden in meinem Eingangskorb angesammelt hatte, und warf einen Blick in den Terminplaner, den Tanja, so jung sie noch war, penibel führte: 15.00 Besprechung Dr. Oberl. Da hatte ich ja noch Zeit; ich warf die abgezeichneten Akten in den Ausgangskorb und ging Anja Dichtl in der Personalabteilung besuchen. Sie stand zwar in der Hierarchie eine Stufe über mir, aber wir verstanden uns gut und ich wollte sie fragen, was wir wegen Cordula unternehmen konnten.

Viel fiel uns zu diesem Problem leider nicht ein, es sei denn, wir schwärzten Cordula bei der Geschäftsleitung an, und das erschien uns nun doch zu mies. Also blieb mir nichts übrig, als ihre Arbeit, so gut es ging, mitzuerledigen, und Anja, Cordula einen Termin beim Vertrauensarzt aufs Auge zu drücken.

Unzufrieden kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück und überprüfte einige Abrechnungen, die Tanja schon kontrolliert hatte. Sie stimmten, und ich gab sie ihr mit vorsichtigem Lob zurück, bevor ich mich der Kopie einer Buchungsübersicht zuwandte, die aus der Produktion stammte. Auch sie war fehlerlos, aber mich irritierte etwas daran, ohne dass ich den Fehler fand. Ich konnte nicht mehr tun, als sie abzuzeichnen und mir zu notieren, dass ich diese Buchungen im Auge behalten wollte. Sicherheitshalber behielt ich eine Kopie.

Und jetzt hatte ich Hunger. Ich rief Anja an und verabredete mich mit ihr in zehn Minuten vor der Tür. Da Elastochic keine eigene Kantine unterhielt, aßen wir in einem kleinen Lokal in der Nähe, das unsere Essensgutscheine annahm und dafür recht Essbares servierte.

Bei einem großen Salat mit Putenstreifen und Kräuterbaguette unterhielten wir uns über den Sonntagsfilm, den wir beide extrem dämlich gefunden hatten, danach amüsierte Anja mich mit sämtlichen Pannen, die ihre Hochzeit vor einigen Jahren beinahe ruiniert hätten. Ich lachte ehrlich, aber dann fiel mir das Damoklesschwert ein, das über mir hing, und ich seufzte grabesschwer.

„Was hast du denn?“, fragte Anja teilnahmsvoll. „Ach, ich mag nicht heiraten“, murmelte ich.

„Dann lass es doch“, antwortete sie und spießte ein Gurkenscheibchen auf.

„Nein, du verstehst mich nicht. Ich will schon mit Werner verheiratet sein, aber mir graust vor der Hochzeit, er hat so eine entsetzliche Verwandtschaft, und das sinnlose Brautkleid, und auch noch in der Kirche... grässlich!“

„Mir hat das damals eigentlich Spaß gemacht“, antwortete Anja, „einmal war ich der Mittelpunkt!“

„Ich werde garantiert nicht der Mittelpunkt sein, sondern die teuflischen Bälger seiner blöden Schwester. Ich denke, ich heirate in Schokoladenbraun, sie wischen ja doch wieder ihre klebrigen Finger an mir ab. Wenn ich bei dieser Hochzeit irgendwas zu sagen hätte, wären Gäste, die noch nicht zehn sind, einfach nicht zugelassen. Aber die halten mich ohnehin alle für herzlos, weil ich nicht vor Rührung zerfließe, wenn ich mir mich in weißer Tüllgardine und affiger Frisur vorstelle.“

„Und warum macht ihr diesen Aufwand?“

„Wegen der Mischpoche. Frommer Onkel, ältliche Tanten, Werners Was-sollen-die-Nachbarn-sagen-Eltern, seine penetrante Schwester. Der einzige mit klarem Verstand ist mein Bruder, aber der lacht bloß blöde.“

„Du Arme. Aber bis Juni ist ja noch etwas Zeit. Vielleicht sagen noch ein paar Gäste ab?“

„Hoffentlich!“, murrte ich düster und biss krachend in mein letztes Stück Baguette.

Der Termin bei Dr. Oberl entpuppte sich als Meeting, bei dem die Produktion die ersten Prototypen eines neuen Picknickgeschirrs vorstellte. Wir begutachteten die Musterstücke, überprüften den Finanzplan dazu, stritten kurz über die möglichen Vermarktungsstrategien, Felix hielt wieder seinen Lieblingsvortrag über product placement. Oberl, der etwas zum Kleinlichen neigte, stellte jede Menge überflüssiger Fragen, ich monierte einen Fehler in der Berechnung, Anja referierte über den Personalmehrbedarf und einer der Azubis, Tobi Rappelsburg, durfte seine Idee vorstellen – halbdurchsichtige Ringbücher, in denen vorne zwischen den beiden Kunststoffschichten ein Schmuckemblem so eingeschweißt war, dass es fast dreidimensional wirkte.

Oberl zögerte, Anja und ich fanden die Idee gut und ließen uns begeistert auf eine Debatte ein, welcher Schmuck passen könnte: Blumen, Oldtimer, Euroscheine, das Bild einer Kamera, Schriftzüge in besonders schönen Lettern, Popstars... „Popstars nicht“, meinte Felix schließlich, „die können von heute auf morgen out sein, und dann stehen wir da. Die anderen Ideen sind gut."

Tobi schaute enttäuscht, er hatte wohl Britney Spears einfügen wollen. Dafür beschlossen wir, auch über passende Agendamappen und Gummizugmappen nachzudenken. Befriedigt setzte sich der Kleine wieder auf seinen Platz und Oberl löste das Meeting auf.

„Frau Thibault, bleiben Sie noch einen Moment da? Herr Schmidt, Sie auch?“, rief er, als wir schon fast durch die Tür waren. Was war denn jetzt noch? „Kommen Sie noch eine Zeitlang ohne Chef zurecht? Wir haben für den armen Herrn Ingener immer noch keinen Nachfolger gefunden.“

„Kein Problem“, meinte ich, „das schaffen wir schon." Felix nickte bestätigend. Ein oberster Chef mischte sich doch nur störend in alles ein! Endlich wurden wir in Gnaden entlassen, und ich wandte mich den Aufzügen zu, während Felix, der hier oben – im Vorzimmer von Direktor Winter – seine Angebetete hatte, vom rechten Wege abirrte. Der Lift kam mal wieder ewig nicht. Ich wurde schon ganz ungeduldig, aber endlich machte es Pling und die Edelstahltüren öffneten sich. In meine Mappe vertieft, trat ich ein und hob den Kopf gerade mal soweit, dass ich auf die Zwei drücken konnte, dann las ich die Unterlagen weiter. Ein Räuspern schreckte mich auf. Ich sah hoch und erstarrte.

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