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Ich sah ihn tatsächlich nicht wieder; Mittwoch und Donnerstag verstrichen ganz normal, mit Bergen von Unterlagen auf meinem Schreibtisch, den Verhandlungen mit der Bank, die sich viel versprechend angelassen hatten und zwischendurch einer hysterischen Tanja, die irgendwelche Buchungsposten auf einem Post-it notiert hatte, der aber von ihrem Monitor gefallen und von der Putzmannschaft entsorgt worden war. Alles Wühlen, Suchen und Jammern half nichts mehr, und erst, nachdem sie uns alle den letzten Nerv gekostet hatte, fiel ihr ein, dass sie ja wusste, wer ihr den Posten genannt hatte. Ein Anruf, und sie hatte die Daten wieder!

Für Freitag erwartete ich mir also nicht mehr viel, die Wochenportion Drama hatten wir ja schon genossen. Zunächst ließ sich alles auch eher geruhsam an; ich arbeitete einige Akten durch, nahm den Anruf von der Bank entgegen, dass sowohl der Kredit als auch die Umschichtung älterer Verbindlichkeiten vom Vorstand genehmigt worden sei, zankte mich kurz mit Felix´ affiger Assistentin Inge, die sich mal wieder oberschlau vorkam und dringend einen Dämpfer brauchte, überprüfte auf dem Bildschirm die Zahlen von letzter Woche, die fehlerlos zu sein schienen (wie immer, so dumm waren die in der Produktion auch nicht, und unsere Buchungen stimmten ohnehin immer bis auf den letzten Cent) und überlegte, was ich zu Mittag essen sollte: Fisch oder Salat? Und heute Abend? Was sollte ich kochen, was musste ich noch einkaufen?

Felix schaute kurz vorbei, um mit mir eine Abrechnung zu besprechen, die ihm eher rätselhaft erschien. Wie immer sah er völlig zerzaust aus. Er neigte dazu, sich in Stresssituationen (etwa falschen Beträgen, falschen Konten, fehlenden Unterschriften oder überschrittenen Kostenplänen) die Haare zu raufen und sich immer wieder verzweifelt in seinem Schreibtischsessel hin und her zu werfen. Das hielten die beste Frisur und der beste Anzug nicht aus, entsprechend verknittert kam Felix auch daher, verbeultes Sakko, wirre rötliche Locken, die Brille schief auf der Nase, die Krawatte irgendwo hinter dem Ohr. Ich grinste still in mich hinein und sah das Kontenblatt durch, das ihm Probleme machte, aber ich kam damit auch nicht zurecht. „Was soll das überhaupt sein?“, versuchte ich das irritierende Blatt schließlich abzufertigen. „Materialkosten für die neue Produktionsgruppe, der Kopfzeile zufolge“, antwortete Felix müde. „Von letzter Woche, nicht? Die Seite, die dienstags neu im Firmennetz war?“

„Richtig, wieso?“

„Die hab ich doch auch irgendwo? Aber sie sah irgendwie anders aus... warte mal!“

Die Seite hatte mich am Dienstag verwirrt, aber ich hatte keinen Fehler gefunden, also hatte ich mir doch eine Kopie zurückbehalten, um bei Gelegenheit ein scharfes Auge darauf zu werfen. Da! In der untersten Schublade, wo sonst?

Ich legte die beiden Ausdrucke nebeneinander, meiner war vom 2. April, Felix´ Exemplar von heute, also vom 5. April. Ziemlich schnell stellten wir beide fest, dass sie nicht identisch waren. Zwar stimmten die Endsummen überein, aber auf Felix´ Ausdruck war eine höhere Summe für die Designabteilung veranschlagt worden, ohne, dass sich sonst etwas verändert hatte. „Das kann doch überhaupt nicht sein“, regte Felix sich auf, „was ist denn das für ein Scheißprogramm, das muss doch merken, wenn sich exakt ein Betrag ändert?“

„Sollte man meinen. Sonst merkt es das auch immer. Nee, pass auf, hier!“

Ich deutete auf einen Posten kurz vor der Schlusszeile. „Hier steht auch ein höherer Eingang! Wieso haben die nachträglich mehr Geld gekriegt? Das interessiert mich jetzt aber!“

„Mich auch“, sagte Felix grimmig und guckte zu, wie ich den Chef der Produktion, Promberger, anrief.

Promberger wusste überhaupt nichts von einem höheren Budget, er arbeitete mit dem alten Betrag. Und höhere Designkosten waren ihm auch nicht aufgefallen. „Wer hat denn das gebucht?“

Ich guckte nach. „Steht nicht drauf, nur Ihr Kürzel.“

„Na, ich war´s nicht“, brummte er. „Faule Sache, das.“

„Ich werde es bei Gelegenheit Dr. Oberl zeigen“, versprach ich. „Und Sie wollen sicher auch die Augen offen halten, oder?“

„Können Sie Gift drauf nehmen!“, schnauzte er und legte auf.

„Irgendwer zweigt da was ab“, murmelte ich. „Oder jemand kann absolut nicht rechnen“, suchte Felix nach einer Entschuldigung. „Das Programm kann rechnen, und keiner ist hier so doof, dass er aus Versehen falsche Daten eingibt. Selbst wenn – wieso stimmt es dann hinterher wieder?“

„Zwei Beträge exakt passend geändert“, sagte Felix langsam, „stimmt, so was ist kein Versehen mehr. Wir müssen doch um fünf sowieso zum Chef, dann zeigen wir es ihm, ja?“

„Genau. So was trage ich nicht gerne alleine. Wieso müssen wir um fünf zum Chef?“

„Keine Ahnung, Inge hat mir einen Zettel auf den Schreibtisch geknallt.“

Ich öffnete die Tür. „Tanja? Hab ich einen neuen Termin?“

„Steht im Kalender! Um fünf Dr. Oberl!“, rief sie zurück und fuhr damit fort, den Kopierer zu füllen.

Ich legte die beiden Blätter mit unseren roten Anmerkungen und der Gesprächsnotiz von Promberger (warum ich sie nicht wie sonst von Tanja abtippen ließ, wusste ich auch nicht) in eine neue Mappe und schloss sie in der untersten Schublade ein, bevor ich mich dem Routinekram auf meinem Schreibtisch weiter widmete.

Wozu war denn heute schon wieder ein Meeting bei Dr. Oberl? Aber gut, dann konnte ich ihm gleich die Unstimmigkeiten in den Abrechnungen zeigen.

Ich regelte, was noch so anlag, ging mit Anja Fisch essen, kaufte hastig einige Kleinigkeiten für das Abendessen und rannte wieder an meinen Schreibtisch zurück, den Tanja mir schon wieder mit einem Riesenstapel zugemüllt hatte.

Endlich war es fünf. Ich fuhr mit Felix und Anja nach oben, die kostbare Mappe unter dem Arm. Wir konnten doch nicht schon wieder eine neue Produktlinie haben? Nicht zweimal in einer Woche!

Schließlich saßen wir alle, halb neugierig, halb unwillig (Freitagnachmittag! Wochenende! Heimgehen!) um den nierenförmigen Konferenztisch mit dem schon etwas welligen Nussbaumfurnier. Den mussten die alten Chefs schon mitgebracht haben, als sie vor fast dreißig Jahren die Firma gründeten. Wahrscheinlich hatten sie das Teil auf dem Speicher gefunden und beschlossen, dass es für Konferenzen (damals sagte man ja noch nicht Meeting) noch reichen würde. Sparsam waren sie ja alle drei – nur Prack nicht, wenn es um seine jugendlichen Freundinnen ging.

Ging es hier bald mal los? Ich sah gerade ziemlich gereizt auf meine Uhr und dachte an die Einkäufe, die noch neben meinem Schreibtisch standen (hätte ich sie bloß in den Kühlschrank geräumt, das konnte hier ja noch ewig dauern!), als die Tür aufging und Oberl und Winter eintraten. Prack hatte um diese Zeit sicher schon etwas Besseres vor... Sie hatten noch einen Kerl im Schlepptau, bemerkte ich, als ich meinen strengen Blick von der Uhr löste.

Oh Gott, der Märchenprinz! Er lächelte verhalten in die Runde, und als sein Blick auf mich fiel, weiteten sich seine Augen wieder. Ich schaute schleunigst weg und verkniff es mir sehr mühsam, an meiner Frisur oder dem Kostüm herumzuzupfen. Stattdessen setzte ich ein Pokerface auf, das wahrscheinlich wenig überzeugend wirkte.

„So, meine Damen und Herren, das ist Herr Dr. Decker, der in den nächsten Wochen etwas in unsere Firma hineinschmecken wird. Ich baue darauf, dass Sie ihn alle nach Leibeskräften unterstützen und ihm alle Abläufe erklären. Herr Dr. Decker, ich darf Ihnen die Damen und Herren Abteilungsleiter dann der Reihe nach vorstellen...“

„Ich bitte darum“, antwortete Decker mit einer tiefen, weichen Stimme, die meinen Unterleib kribbeln ließ. Meine Knie zitterten unwillkürlich; energisch stützte ich die Hände darauf.

„Hier vorne haben wir Herrn Promberger, der die Produktion leitet, Frau Dichtl von der Personalabteilung und, da wir in der Finanzabteilung momentan keinen Chef haben, Frau Thibault für die Finanzplanung und Herrn Schmidt für das Marketing. Frau Thibault, wo ist denn Frau Wernheimer? Das ist unsere Buchhaltungschefin“, erläuterte er Decker.

„Krank“, murmelte ich und nickte dem Prinzen kühl zu.

„Ach, mal wieder? Na, ich bin sicher, Sie beide kommen auch so zurecht.“ Felix und ich nickten synchron, was hätten wir auch sonst tun sollen? Decker verwickelte Promberger in ein kurzes Gespräch, und ich nutzte die Gelegenheit, Oberl anzusprechen. Er wirkte etwas vergrämt, wahrscheinlich wollte er die Vorstellung dieses dubiosen Mitarbeiters – welche Funktion hatte der denn überhaupt? – nicht durch Alltagskram stören lassen. Als ich nachdrücklich darauf bestand, ihm die Abrechnungen zu zeigen, zog er sich knurrend mit mir in eine Ecke zurück, warf aber nur einen flüchtigen Blick auf die fraglichen Posten und die Gesprächsnotiz.

„Das kann doch auch Zufall sein, oder? Ich schlage vor, Sie bewahren das auf und behalten die Situation im Auge. Und wenn es wieder vorkommt, lassen Sie sich einen Termin geben und dann besprechen wir das genau.“

Aha, nach dem Motto Nerven Sie mich bloß jetzt nicht damit! Hauptsache, ich hatte ihn informiert, wenn er nichts daraus machte, was es nicht mehr mein Problem. Und im Auge behalten wollte ich die Sache ohnehin! Ich notierte auf den Kontenblättern, dass ich Oberl heute informiert hatte – nicht dass es später hieß Warum haben Sie denn nicht gleich etwas gesagt?

Oberl verzog sich eilig und ließ seinen neuen Schützling mit uns alleine. Er hatte Promberger und Anja schon erledigt und wandte sich nun Felix zu, mit dem er einige unverbindliche Floskeln austauschte und flüchtig über Marketingstrategien sprach. Dann trollte sich Felix hastig ins Wochenende (sicher unter Mitnahme der Direktionssekretärin) und ich fand mich alleine mit diesem viel zu gut aussehenden Typen wieder. Was sollte ich bloß sagen? Ich zermarterte mir vergeblich nach etwas Originellem das Hirn, aber mir fielen nur Plattheiten ein, also beschränkte ich mich auf ein vorsichtiges Lächeln. „Frau Thibault? Interessanter Name... Wie heißen Sie mit Vornamen?“

Hach, diese Stimme! Ich räusperte mich energisch. „Hélène.“

„Elaine? Wie Lancelots Frau?“

„Nein.“ Ich musste lächeln. „Wie Helene, leider.“

Ich hätte zwar gerne seinen Vornamen erfahren, hielt es aber für eine gute Strategie, in dieser Hinsicht Desinteresse zu signalisieren. „Und welche Aufga-ben werden Sie hier übernehmen?“

„Ach, so dies und das...“ Er lächelte hinreißend, aber trotz meiner dämlichen Verwirrtheit fiel mir auf, wie ausweichend diese Antwort war. Ja, aber diese unglaublich grünen Augen, die sich jetzt in meine – langweilig blauen – versenkten. Nix! Reiß dich zusammen, Hélène! Vielleicht sollte ich mich selbst Leni nennen, so wie Werner es immer machte, dass hatte so etwas herrlich Unromantisches.

„Und Sie sind für die Finanzplanung zuständig? Interessante Aufgabe.“

„Stimmt. Zurzeit teilen Herr Schmidt und ich uns auch noch die Buchhaltung.“ Ich war drauf und dran, die Geschichte von den Unstimmigkeiten in den Abrechnungen herauszusprudeln. Gerade noch rechtzeitig klappte ich den Mund wieder zu und sah demonstrativ auf die Uhr. „Es tut mir Leid, aber ich fürchte, ich muss jetzt gehen...“

„Schade“, antwortete er einfach und lächelte kurz. Oh, dieses Grübchen! Ich floh zu meinen Einkaufstüten und dann schleunigst nach Hause. Werner strich schon unruhig durch die Wohnung. „Warum kommst du so spät?“

Werner, tu mir das nicht an, flehte ich innerlich, ich brauche dich doch als Gegengift gegen diesen Paradiesapfel, der mir heute auch noch vorgestellt wurde! Sei nicht stinkig...

Doch, Werner war stinkig, unbestreitbar, und als ich auf die Uhr sah – fast sieben! – war mir auch klar, warum.

„Tut mir wirklich Leid, mein Schatz“, gurrte ich und küsste ihn auf die Wange, „aber Oberl hat um fünf noch ein Meeting angesetzt, um uns so einen Schnösel vorzuführen, von dem nicht mal feststeht, was er bei uns machen soll. Wahrscheinlich rationalisieren“, schimpfte ich und merkte in diesem Moment, dass das gar nicht so unwahrscheinlich war. Vielleicht kam der Typ wirklich von einer Unternehmensberatung? Und ich Schaf hatte noch erzählt, dass wir die Arbeit von Cordula mitmachten und dabei nicht halbtot in den Seilen hingen! Klar, das würde jetzt bis zum Rentenalter an Felix und mir hängen bleiben, denn Cordulas Stelle konnte man ja wirklich locker einsparen!

Ich kochte laut klappernd, um meinen Frust abzureagieren, während Werner am Putzschrank lehnte. War ich dämlich! Der Kerl grinste nur so verführerisch, um in Ruhe abschätzen zu können, wer gefeuert werden sollte! Als ich den Topf mit der Peperonisauce auf den Herd knallte, zuckte Werner zusammen. „Hast du Angst um deinen Job? Wie heißt der Kerl denn?“

„Deckel oder Decker oder Becker oder so. Oberls Gebiss sitzt nicht richtig, da musst du immer raten. Nee, um meinen Job hab ich keine Angst, aber ich sehe mich schon bis an mein Lebensende Cordulas Arbeit mitmachen. Mit diesem Schnösel arbeite ich nicht zusammen, egal was passiert.“

„Das wäre doch nicht so tragisch, wenn sie dich einsparen“, meinte Werner friedlich, „dann kriegen wir eben gleich Kinder.“

„Ach ja?“, fauchte ich ihn an und kippte die Spaghetti so ins Sieb, dass die Hälfte im Spülbecken landete, was Werner Gott sei Dank nicht gesehen hatte. Schnell fegte ich sie zurück ins Sieb. „Und wie wollen wir dann diese Wohnung halten? Von deinem Gehalt alleine? Das wird aber eng! Außerdem will ich meinen Job behalten.“

„Warum bist du so wütend?“, fragte er verwirrt.

„Männer!“, knurrte ich und knallte die Schüsseln auf den Tisch. „Iss!“

Werner warf mir einen scheuen Blick zu und setzte sich folgsam. Erst als er einen Teller voll verputzt hatte, sah er auf. „Hast du dich jetzt wieder beruhigt? Ich mag es nicht, wenn du so giftig bist.“

„Das mag ich auch nicht. Aber wenn Rationalisierungsfuzzi und Hausfrauendasein zusammentreffen, brennt mir schon mal eine Sicherung durch.“

„Wenn du deinen Job verlieren solltest, ziehen wir eben weiter nach draußen, dort sind die Mieten billiger. Und genau genommen reichen doch drei oder vier kleinere Zimmer auch, oder? Mehr als zwei Kinder kriegen wir eh nicht, und draußen ist die Luft besser.“ Das wurde ja immer schlimmer!

„Ich will nicht in einem öden Vorort leben, ich will hier bleiben und weiter arbeiten“, maulte ich und hörte zu meinem Schrecken, dass meine Stimme klang, als sei ich neun und bettelte um eine neue Barbie. Werner stritt aber nicht weiter, sondern tat sich noch einmal auf und aß, als würden wir uns nicht gerade um unsere Zukunft streiten.

Allmählich hatte ich aber selbst keine Lust mehr, herumzuzanken; es war auch wichtiger, zu überlegen, was ich tun sollte, damit dieser teuflisch schöne Rationalisierungsexperte nicht ausgerechnet meinen Job wegrationalisierte. Wichtig sein, unentbehrlich sein... Zeugten Überstunden von besonderem Eifer oder von der Unfähigkeit, in der vorgegebenen Zeit fertig zu werden? War nicht eher Cordula in Gefahr? Immerhin fehlte sie andauernd und wir machten ihre Arbeit mit! Na, ich musste auf jeden Fall diese Bilanzabweichungen klären, und Felix musste mit einem genialen Marketingkonzept für die Picknicklinie und die Teenie-Schmuck-Ordner rüberkommen, dann waren wir auf jeden Fall wichtig und der Kerl sah sich bei anderen um.

Menschlich sehr schön, wirklich – lass mir bloß meinen Job und feuere andere Leute, heiliger Sankt Florian. Florian hieß er sicher auch, nomen est omen...

Über das Wochenende konnte ich ohnehin nichts unternehmen, und dass Oberl sich die Kopien nur flüchtig angeschaut hatte, würde er sicher bereuen, sobald wieder so ein Fall vorkam. „Leni, wo bist du denn?“ Werner wedelte mir der Hand vor meinem Gesicht herum, und ich fuhr zusammen.

„Was? Ach, nichts. Ich hab nur überlegt, was ich machen kann, um meinen Job zu retten.“

„Jetzt ist Wochenende, Leni. Kannst du denn an gar nichts anderes mehr denken als an deine Arbeit? Ich kann doch auch abschalten!“

„Ja, gut“, seufzte ich und stand auf, um den Tisch abzuräumen. Dass Werner ebenfalls aufstand, aber nur, um nach dem Fernsehprogramm zu angeln, registrierte ich am Rande und es missfiel mir, aber ich hatte nicht mehr den Nerv, mich darüber zu empören. Lieber abspülen und die Küche putzen, als weiter über die Frage streiten, wo wir später im Kreise unserer Kinderchen wohnen wollten. Mit war zwar klar, dass ich das nicht mehr ewig verschieben konnte, aber heute nicht, keinesfalls. Sobald in der Küche klar Schiff war, gesellte ich mich also zu Werner aufs Sofa und verfolgte mit ihm einen uninteressanten Film über einen Hausmeister, der zum Killer umgepolt wurde. Alternative wäre aber Die Hochzeit auf dem Lande gewesen – und Hochzeit war für mich zurzeit ja ein absolut schmutziges Wort. Glücklicherweise mochte Werner ohnehin keine Herz-Schmerz-Filme. Harte action brachte uns wenigstens nicht auf unser Dauerthema!

Eigentlich verlief das Wochenende genauso, wie ich es gerne hatte – friedlich, nur mit Essen, Fernsehen, langem Schlafen und einem netten Spaziergang, ohne Wilma und ihre Brut, ohne Eltern, ohne Hochzeitspläne... Und während Werner zufrieden vor der Sportschau saß und gebannt verfolgte, ob der hiesige Verein es wenigstens in die zweite Bundesliga schaffen konnte, verkroch ich mich in mein Arbeitszimmerchen, studierte allerlei Börsenmagazine, Charts und Chatrooms und schichtete in meinem Depot gründlich um, bis meine Investitionen der momentanen Wirtschaftslage Rechnung trugen. Ja, ein hübsches Sümmchen, stellte ich dann zufrieden fest, man merkte, dass ich mit meiner Hälfte vom Erbe meiner Eltern genauso gut gewirtschaftet hatte wie mit dem Geld, das mir von meinem Gehalt jeden Monat übrig blieb. Für eine kleine Eigentumswohnung würde es schon locker reichen, aber alles in ein spießiges Reihenhaus stecken, in dem ich gar nicht wohnen wollte? Und ich glaubte nicht, dass Werner ähnlich viel Kapital aufbringen konnte; wenn ich aber den Löwenanteil des Hauses zahlte, wäre Werner bestimmt sauer, weil das an seiner männlichen Ehre kratzte. Und ich wäre genauso sauer, denn wenn mir später nur die Hälfte des Hauses gehörte, wollte ich auch nicht mehr als die Hälfte zahlen.

Ja, Wilma würde herumzetern, wenn sie davon wüsste – eine Frau, die wirklich liebte, würde freudig alles für den Mann ihres Lebens und die Kinderchen opfern. Schön dämlich, aber Wilma zufolge war ich ja ohnehin eine kaltherzige, karrieregeile Person, die den lieben Werner gar nicht verdient hatte. Nur blöd, dass Werner seine Schwester eigentlich für eine dumme Kuh ohne Interessen hielt, die nicht einmal ihre angebeteten Sprösslinge so weit erziehen konnte, dass man sie in der Öffentlichkeit präsentieren konnte.

Gut, Wilma ließ das ganze Wochenende nichts von sich hören, Werner erwähnte die Sache mit dem Reihenhaus nicht mehr und er trug am Sonntag sogar einige abgegessene Frühstücksteller in die Küche und lobte mich, weil ich seine Hemden mitgebügelt hatte. Nicht einmal der Spaziergang führte beziehungsreich an geeigneten, preiswerten Reihenhäusern vorbei! Warum nagte dann doch eine schwer fassbare Unzufriedenheit an mir? Mir fehlte doch nichts! War es das Gefühl, dass sämtliche Streitfragen nur aufgeschoben und nicht entschieden waren? Der Gedanke an diese grausige Hochzeit? Die leise Langeweile, die mich gelegentlich beschlich? Aber warum fand ich das Wochenende plötzlich langweilig und nicht friedlich wie sonst? Hatte ich etwas Entspannung nach dieser anstrengenden Woche nicht verdient? Neben Werner hertrabend, neben ihm vor dem Fernseher sitzend und ihm gegenüber am Esstisch sitzend dachte ich darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Und nachts im Bett fiel mir auch nicht ein, warum ich plötzlich diese leise Unzufriedenheit verspürte. Lag es daran, dass Werner seine Vorstellung vom Dienstag nicht wiederholte? Etwas mehr Sex hätte unserer Beziehung vielleicht nicht geschadet, aber Sex, um die Probleme zu betäuben, die mir im Kopf herumgingen und die ich nicht einmal klar benennen konnte? Das war schließlich auch keine Lösung.

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