Читать книгу Unstimmigkeiten - Elisa Scheer - Страница 3

2

Оглавление

Beim Osterfrühstück beobachtete ich Werner, der sich schon das dritte gefärbte Ei aufschlug und es dann sorgfältig in Scheiben schnitt, um es auf einem Stück Nussbaguette mit Kräuterkäse zu verteilen. Im Prinzip fand ich das auch lecker, aber doch nicht drei Portionen! So war leicht zu verstehen, warum Werner viermal in der Woche zum Sport ging – bei solchen Portionen wäre er sonst bald doppelt so breit.

Noch sah er aber gut aus, etwas größer als ich, kräftig, dunkelblond, braunäugig – und zur Feier des Tages ziemlich unrasiert. Er zwinkerte mir freundlich zu und biss in sein Käsebrot. Ich feixte zurück und häufte Krabbenmayonnaise auf eine halbe Mohnsemmel. Er war schon ein lieber Kerl. Nicht unbedingt alltagstauglich, aber daran hatte ich mich in den letzten Jahren gewöhnt, er gehörte eben zu denen, die nie wussten, wann etwas in die Reinigung gebracht, geputzt, geschält oder gewaschen werden musste. Als er das letzte Mal etwas in der Maschine gewaschen hatte, mussten wir danach den Kundendienst kommen lassen, der das Flusensieb und einen Keilriemen austauschte. Sechs Jeans und ein Paar Turnschuhe hatte er hineingestopft! Ich hielt ihm einen Vortrag, den er offensichtlich nur halb verstand, und beschloss, in Zukunft lieber selbst zu waschen.

Immerhin besorgte er die Getränke, das war ja auch schon was, und legte sich bei Bedarf mit dem Hausmeister an.

Wir wohnten in einem schönen Haus, einem perfekt renovierten Bau aus den Fünfzigern, mit elegant geschwungenen Treppen und einem Vorgarten, der immer reizvoll bepflanzt wurde. Unser Ende der Rubensstraße sah sehr viel stilvoller und ruhiger aus als der Teil, der dem Bahnhofsviertel zugewandt war. Dort gab es dafür die guten Geschäfte, bei uns lag nur – an der Ecke zur Holbeinstraße – ein sehr teures französisches Restaurant.

Fünf Zimmer, zwei Bäder, Küche, Kammer und nach hinten raus ein asymmetrisch geschwungener großer Balkon – was wollte man mehr? Die Miete war verdammt hoch, aber zu zweit trugen wir das locker. Und hier konnten wir noch lange bleiben, das Haus war zu schade, um es abzureißen, der Eigentümer, eine große Versicherung, geriet so bald sicher auch nicht in akute Geldnot, und Gewerbe waren in diesem Haus nicht erlaubt, also konnte er uns auch nicht rauswerfen und dafür an Büros vermieten. Fünf Zimmer würden sogar noch reichen, wenn wir wider alles Erwarten doch eines Tages ein Kind kriegen würden. Und unsere Einrichtung, die übliche Mischung aus IKEA (die etwas besseren Stücke), geerbtem Kram und günstig geschossenen Designerstücken, wie dem knallblauen Riesensofa vor dem Fernseher, gefiel mir gut. Wenn ich Werner im Juni heiratete, würde ich vielleicht mein ganzes Leben hier verbringen, bis es für uns beide Zeit wurde, in Betreutes Wohnen überzusiedeln. Auch dieser Gedanke gefiel mir. Da wir beide ziemlich klotzig verdienten, hätten wir später sicher auch genug Geld für einen angemessenen Lebensabend.

Ich lächelte ihn versonnen an. Zuverlässig, lieb, ein guter, rücksichtsvoller Liebhaber... Ich mochte, wie er duftete, wie er sich anzog, wie er blinzelte, wie er gerne „die Sache in die Hand nahm“. Gut, manchmal wollte er etwas im Alleingang regeln und brachte mich damit auf die Palme, manchmal war er eindeutig emotionaler als ich, die zu einer gewissen Kaltschnäuzigkeit neigte, und manchmal war er tagelang muffig, wenn wir uns gestritten hatten. Aber damit konnte ich leben. Doch, Werner war der Richtige für mich. Sicher war es mit der großen Leidenschaft nicht mehr so weit her – nie gewesen, wenn ich mal richtig nachdachte -, aber nach sechs Jahren? Und eine funktionierende Ehe konnte man doch sowieso nicht auf Leidenschaft aufbauen, da gab es Wichtigeres, fand ich: Verständnis, gleiche Interessen und – was und? So etwas wie Freundschaft? Vielleicht...

„Warum lächelst du?“, fragte Werner. Ich fuhr zusammen. „Nur so. Weil wir gut zusammenpassen, finde ich.“

„Stimmt. Eigentlich haben wir es richtig gut, was? Ostersonntag, nur ganz kurz die nervende Familie, eine schön geschmückte Wohnung, heute Abend dieser Superfilm – saugemütlich.“

„Welcher Superfilm?“

„Ich hab mir doch Pulp Fiction ausgeliehen, schon vergessen? Den ziehen wir uns heute Abend rein. Ich muss ihn morgen früh wieder zurückbringen, Richy will ihn auch noch gucken. Und heute müssen wir ja noch einen in Familie machen.“ Der Blick war direkt etwas vorwurfsvoll, als sei das heute nicht seine Familie. Und Pulp Fiction kannte ich schon. Der blödeste Film seit Jahren, meiner bescheidenen Meinung nach. Werners erwartungsvolles Strahlen stimmte mich allerdings wieder friedlich.

„Gut, Pulp Fiction. Um zehn käme allerdings auch Manche mögen´s heiß, den hab ich schon lange nicht mehr gesehen.“

„O Gott, Kerle im Weiberfummel. Nein, den will ich nicht sehen. Pulp Fiction wird dir gefallen, bestimmt, Leni.“

„Sag nicht immer Leni zu mir“, murrte ich. Im Moment zeigte er nicht gerade die Seiten, die ich an ihm liebte!

„So heißt du doch! Wie würdest du denn Helene abkürzen?“

„Gar nicht“, murmelte ich, „außerdem heiße ich Hélène.“

„Da krieg ich ja einen Knoten in der Zunge. Komm, Lenimaus, nun sei wieder gut, ja?“

Was blieb mir anderes übrig, außer schnell irgendwo einen zweiten Fernseher zu kaufen? Ich lächelte resigniert. „Wenn du fertig bist, räume ich schnell auf, und dann fahren wir zu deinen Eltern, gut?“

„Gut.“ Werner erhob sich und wollte sich davonmachen, aber ich stoppte ihn und bat ihn, mir beim Abräumen zu helfen. Er trug jedes Teil einzeln in die Küche und stellte es weiträumig verteilt ab; ich seufzte innerlich und sammelte alles wieder ein, um die Reste zu verpacken und das Geschirr in die Spülmaschine zu schichten. In der Zeit, in der er drei Teller und eine Tasse transportiert hatte, war ich mit dem ganzen Rest fertig geworden!

Nein, häusliche Talente gehörten eindeutig nicht zu seinen Pluspunkten, aber das hatte ich ja schließlich immer schon gewusst. Dafür machte er mir bezüglich der Wohnung keine Vorschriften, abgesehen von Festtagsdekorationen, fand alles lecker, was ich so kochte, verglich mich nie mit seiner Mutter, warf seine Socken meistens in den Wäschekorb und war in puncto Steuerrecht wirklich ausgefuchst. Außerdem mochte ich seinen Körper, seine festen Umarmungen, seine liebevollen Küsse, seine... naja, das war´s. Und das reichte ja wohl auch!

Sobald sich die Maschine wieder abgeschaltet hatte, fuhren wir zu seinen Eltern nach Henting-Ost. Sie bewohnten dort ein kleines Siedlungshäuschen, in dem Werner und seine Schwester Wilma aufgewachsen waren.

Werner fuhr, obwohl es mein Wagen war, da seiner ja immer noch klapperte. Er war ein guter Fahrer, aber ein nervöser Beifahrer, also überließ ich ihm meist das Steuer und entspannte mich auf dem Beifahrersitz, mir war es zu lästig, den Fahrer zu beobachten und dauernd „Pass auf!“ zu plärren.

Das Gekreisch aus dem Haus war schon zu hören, bevor Werner den Wagen auch nur korrekt eingeparkt hatte. Äh, also hatte Wilma nicht nur ihren langweiligen Mann, sondern auch die drei Kinder mitgebracht!

Werner verzog schon das Gesicht, und ich konnte es ihm nachfühlen, die drei waren bemerkenswert schlecht erzogen, fand ich. Schon die Begrüßung an der Tür wurde unterbrochen, weil die drei kleinen Monster um uns herumsprangen und krähten: „Was habt ihr uns mitgebracht?“

„Gar nichts“, fertigte ich sie ab, „wir wussten doch gar nicht, dass ihr auch kommt. Habt ihr nicht heute Morgen schon Ostereier gesucht?“

„Ja!“, plärrte Jonas, „Und im Zoo! Aber wir wollen hier auch was kriegen!“

„Pech gehabt, man kriegt nicht immer, was man will.“

„Du bist doof“, entschied Lara, und der Kleinste, Benedikt, trat mir, um das zu unterstreichen, ans Schienbein. Werners Mutter verdrehte die Augen zum Himmel, sagte aber nichts, sondern küsste mich nur kurz auf die Wange. Werner war von den drei kleinen Nervensägen unbehelligt geblieben, vielleicht, weil er sie seit Jahren einfach ignorierte. Von ihrer Mutter waren sie es wohl gewohnt, dann man Frauen pausenlos nerven durfte und Männern lieber aus dem Weg ging – ihr eigener Vater jedenfalls konnte, wenn sie zu furchtbar waren, direkt streng werden.

Wilma saß im Wohnzimmer auf einem der geblümten Sofas und blätterte in einem Fotoalbum, das sie offenbar selbst mitgebracht hatte. Als wir hereinkamen, sah sie kurz auf, wurde aber schnell angelenkt.

„Mama, Mama, die sind so doof, die haben uns gar nichts mitgebracht!“

„Ist ja gemein. Aber ihr habt heute doch schon so viele Ostereier gekriegt.“

„Trotzdem!“, heulte Jonas los, und Wilma warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich reichte Werners Mutter schnell den Frühlingsstrauß, den ich gestern noch schnell besorgt hatte, und das löste neues Protestgeheul aus. „Die Oma kriegt was, und wir nicht.“

„Ich hab´s euch eben schon gesagt“, erwiderte ich scharf, „dass ihr auch kommt, wusste ich nicht. Die Oma hat die ganze Arbeit mit dem Essen und dem Kaffee, also kriegt sie was geschenkt.“

„Sprich nicht so gereizt mit meinen Kindern!“, schnauzte Wilma mich an.

„Dann sollen sie mich nicht mir ihrer Gier reizen“, antwortete ich auch nicht freundlicher und verzog mich zu meiner künftigen Schwiegermutter in die Küche. „Hast du nicht auch ab und zu Lust, die Engelchen kräftig übers Knie zu legen?“, fragte ich halblaut und half ihr, den Lammbraten aufzuschneiden und grüne Bohnen in eine Schüssel zu füllen. „Weiß Gott. Aber Wilma steht ja auf völlige Gewaltfreiheit. Und dazu gehört offenbar auch, dass man den Kindern nichts verbieten darf. Verzogene Fratzen.“

Ich brummte zustimmend. „Wo sind die Männer eigentlich?“

„In der Garage, Otto hat einen neuen Schlagbohrer, und den muss er Werner und Helmut natürlich vorführen. Du kannst die drei gleich mal holen, ja?“

Ich ging durch die Hintertür und über den Vorplatz in die Garage, wo die drei die Köpfe zusammensteckten. Rhythmisches Aufheulen verriet mir, dass der Bohrer in jedem Modus präsentiert werden musste. Wie drei Teenies, die ein Mofa bestaunten! „Geiles Teil“, fand Helmut, der trotz seiner Strenger-Vater-Attitüde gelegentlich Kindergarten- und Grundschuljargon übernahm. „Kann man damit auch in Beton dübeln?“, fragte Werner begierig und drehte sich fast schon ärgerlich um, als ich mich räusperte. „Das Essen ist fertig.“

„Ja, gleich“, murmelte mein Schwiegervater. „Schaut mal, und hier kann man umschalten, dann hat er die doppelte Drehzahl...“

Ich verließ die Garage achselzuckend wieder. Meine Schwiegermutter saß schon am Tisch; ich setzte mich dazu und beobachtete, wie Wilma ihre Brut so verteilte, dass sie sich nicht während des Essens prügeln konnten. Lara landete neben mir, und ich war wieder einmal froh, dass ich gut waschbare Kleidung angezogen hatte, denn mit veralteten Höflichkeitsformen wie etwa Tischmanieren waren die Kleinen nicht belastet worden. Die braune Hose hatte etwa die Farbe der Lammbratensauce, und schlimmer konnte es eigentlich nicht kommen. Es sei denn, es gab Heidelbeereis.

Die Kinder verlangten lautstark nach Essen und klopften mit den Besteckrücken auf den Tisch, um ihren Hunger zu unterstreichen. Das brachte auch die langmütige Oma in einen Konflikt: Sollte man den Kindern nachgeben oder den nicht minder schlecht erzogenen Männern, die anscheinend immer noch in der Garage ihren Bohrer aufheulen ließen? Wilma befreite sie aus dem Dilemma, indem sie den Kindern auftat – wenig Reis, ganz wenig Gemüse, viel Lammbraten (gemeinerweise den Anschnitt auch, auf den ich mich schon gefreut hatte) und viel Sauce.

Jonas plärrte sofort wieder los. „Das ist zuviel Soße! Mach das weg, Mama!“

„Das geht nicht. Lass es halt übrig. Guten Appetit!“

Klasse, wir hatten ja noch gar nichts! Wilma nahm sich selbst ziemlich reichlich, Werners Mutter von allem nur ein bisschen, ich bediente mich üppig bei den Bohnen (die waren hier sensationell gut) und sparsam beim Reis und fischte mir dann schnell den anderen Anschnitt von der Platte, dazu ein Löffelchen Sauce.

Trockenes Essen, den Wein schenkte hier der Hausherr ein, und der ließ sich ja nicht blicken! Werners Mutter schaute bedrückt drein; der restliche Lammbraten kühlte langsam ab und begann, glasig auszusehen. Ich hatte meinen Teller schon fast geleert, obwohl ich betont langsam gegessen hatte, als die Männer endlich kamen.

Werners Vater beklagte sich, dass der Braten nicht mehr heiß war, aber seine Kritik wurde von Laras schrillem Geschrei übertönt – ihr war Sauce in die Bohnen gelaufen. Angesichts dieser Katastrophe ließ sie ihr Besteck mit Schwung auf den Teller fallen, so dass die Sauce aufspritzte und meine helle Bluse sprenkelte.

„Nächstes Mal ziehe ich ein Ganzkörperkondom an“, schimpfte ich. „Pass doch ein bisschen auf, Lara!“

Lara heulte natürlich erst recht los, und Jonas wollte sofort wissen, was ein Kondom war. Ich gab die Frage an seinen Vater weiter, der ihn barsch anwies, die Klappe zu halten und aufzuessen.

„Wenn ich den Mund zumache, kann ich doch nicht essen“, maulte Jonas und fischte angeekelt die wenigen weißen Reiskörner vom Saucenrand. Helmut sah aus, als dächte er über die Vorzüge der Prügelstrafe nach, und ich konnte ihn gut verstehen. Wilma warf mörderische Blicke in die Runde, vor allem auf mich.

Werner, auf Laras anderer Seite, aß stetig und schweigend, nur einmal wechselte er mit seinem Vater eine Bemerkung, die sich auf den Schlagbohrer bezog. Familie! Wäre es weniger furchtbar, wenn die Kinder unter Aufsicht in der Küche irgendein Kinderessen – Spaghetti, Hähnchen, Pommes oder so – serviert bekämen und uns hier verschonten? Welches Kind mochte schon Lammbraten mit grünen Bohnen und Wildreis?

Benedikt jedenfalls nicht. „Was´n das schwarze Zeug?“

„Wildreis“, erklärte Wilma ihm geduldig, „so was wie ein Gras.“

„Gras?“, fragte Lara entsetzt. „Ich ess doch kein Gras! Ich bin doch kein Hase!“

„Mama, Mama, können wir nicht einen richtigen Hasen haben? In einem Käfig?“

Haha, Wilma - Selbsterhaltungstrieb oder Mutterliebe? Selbsterhaltungstrieb. Irgendwo war schließlich auch Wilmas Schmerzgrenze erreicht! „Nein“, erklärte sie knapp und wechselte entschlossen das Thema. Nicht unbedingt glücklich, denn es ging darum, was der Osterhase gebracht hatte. Das erinnerte Jonas an den Hasen und Lara an gewisse Leute, die nichts mitgebracht hatten. Ich wich, so gut es ging, den Saucenspritzern von links aus, aß den letzten Rest Lammbraten und sah unauffällig auf die Uhr. Erst zwanzig nach eins, drei Stunden mussten wir sicher hier noch herumhängen. Wurden diese Gören denn nie müde?

„Habt ihr schon einen Termin?“, fragte der künftige Schwiegervater mich mit-

ten in diese Überlegungen hinein.

„Äh – was für einen Termin?“, fragte ich töricht zurück.

„Na, für die Hochzeit?“

„Ach so, ja – Werner? Haben wir schon einen Termin?“

Werner nickte kauend. „Den achtzehnten und neunzehnten Juni.“

„Zwei Tage?“, fragte ich entsetzt. „Schaffen wir das nicht an einem?“

„Aber Helene, du möchtest doch sicher vor der kirchlichen Trauung zum Friseur, damit der Schleier gut sitzt, oder?“ Die schwiegermütterliche Besorgnis war rührend, aber da musste ich doch sofort eingreifen.

„Ich hab nicht vor, einen Schleier zu tragen, und meine Frisur ist tadellos. Ich gehe ein paar Tage vor der standesamtlichen Trauung noch mal ins Hair, das reicht dann schon.“

„Willst du lieber einen Hut tragen?“

„Gar nichts. Ich mag Kopfbedeckungen nicht. Also von mir aus können wir auch morgens ins Rathaus und mittags in die Kirche, dann haben wir es hinter uns.“

„Man könnte meinen, du freust dich gar nicht auf die Hochzeit“, maulte Wilma.

Ich warf ihr einen gereizten Blick zu. „Warum auch? Ich freue mich darauf, verheiratet zu sein, aber das ganze Brimborium, die Kosten, der organisatorische Aufwand. Und dann steht man bloß mit einem Kleid da, dass man nicht weiterverkaufen und auch nie mehr anziehen kann.“

„Man kann es doch färben“, wandte Wilma ein.

„Hast du das gemacht?“

„Ja, in hellblau. Sieht gut aus.“

„Und wie oft hast du es seitdem getragen?“

„Einmal“, gab sie zu, „erst war ich immerzu schwanger und dann hatten wir nie Gelegenheit, auf Bälle zu gehen.“

„Eben. Ein umgefärbtes Ballkleid kann ich auch nicht brauchen. Wieso kann ich das Kostüm von der standesamtlichen Trauung nicht auch in der Kirche tragen?“

„Schatz, das gehört sich nicht. Ein graues Kostüm! Alle werden denken, etwas stimmt nicht.“

„Grau? Wieso grau?“ Entsetztes Keuchen bei den Schwiegereltern.

„Weil graue Wildseide ein Schweinegeld kostet und ich die Farbe noch gut bei wichtigeren Meetings tragen kann. Ich hab´s mit Elfenbein probiert, aber es sieht eben wie ein Brautkostüm aus, da grinsen doch alle, Guck, die trägt ihre Hochzeitsklamotten auf. Das kann ich mir nicht leisten.“

„Nimmst du deine Arbeit nicht etwas zu wichtig?“, fragte Wilma pikiert. „Du beurteilst alles danach, ob du es ins Büro anziehen kannst!“

„Wonach denn sonst?“, fragte ich ehrlich erstaunt.

„Du bist kaltschnäuzig!“, warf sie mir vor.

„Weiß ich“, grinste ich, „aber ich bin nun mal ein unromantischer Mensch.“

„Lohnt es sich denn noch, wenn du dich so in deine Arbeit reinkniest?“, fragte Werners Vater. Ich sah ihn verblüfft an, und er versuchte, seine Frage zu erläutern. „Ich meine, ihr kriegt doch sicher bald Kinder, und dann hörst du doch ohnehin auf zu arbeiten.“

„Das hat ja wohl noch Zeit, und scharf bin ich auf Kinder nicht.“

„Vielleicht in zwei, drei Jahren“, fügte Werner hinzu und ich blinzelte überrascht. Das hatten wir so präzise nicht ausgemacht! Na, vielleicht wollte er mir nur ein bisschen helfen.

Ich beendete die Debatte, indem ich Werners Mutter beim Abräumen zur Hand ging. So entkam ich wenigstens den voll gestopften, aber deshalb leider kein bisschen müden Kindern, die sofort wieder begannen, im Wohnzimmer herumzutoben, bis Wilma eine Fernsehsendung entdeckte, mit der man sie ruhig stellen konnte. Wir plauderten halblaut über neutrale Themen, das Wetter, Urlaubspläne, Sonderangebote, nur nicht über diese furchtbare Hochzeit, während wir einträchtig die Spülmaschine einräumten und die Arbeitsplatten abwischten. Was würden sie erst sagen, wenn sie hörten, dass ich vorhatte, meinen Namen zu behalten? Das wusste ja noch nicht einmal Werner!

Untermalt vom Gekreisch eines japanischen Comics, brüteten Werner und sein Vater über einer langen Liste und stritten sich halblaut. Ich setzte mich neugierig dazu und guckte. Lauter Namen, Tante dies und Onkel das. Dann dämmerte mir die furchtbare Wahrheit. „Himmel noch mal, sollen die etwa alle zur Hochzeit kommen?“

„Ja, natürlich. Eine Hochzeit ist doch ein Familienfest!“, antwortete Werner erstaunt. Ich nahm ihm den Zettel weg und las ihn mir gründlich durch.

Werner Leni

Eltern Yannick (Trauzeuge?)

Wilma & Helmut

Jonas, Lara, Benedikt

Tante Emma & Onkel Karl

Susanne, Sybille, Sandra

Onkel Joachim mit Freundin

Dr. Winkelmann & Frau

Helga & Heinz

Nathalie, Tristan, Joy

Reinhard (Trauzeuge) & Katja

Kevin, Dennis, Janine

Michael & Tina

Paul, Anna, Teresa

Tante Toni & Tante Anni

Onkel Josef und Tante Zenzi

Sebastian & Carolin

Ehepaar Untermeier

Ehepaar Vinzberger

Ehepaar Ähler

„Die meisten kenne ich überhaupt nicht.“, stellte ich ärgerlich fest. „Darf ich eigentlich auch jemanden einladen?“

„Was ist das denn für eine Frage? Dein Bruder kommt, und sonst hast du doch keine Familie, oder?“

„Stimmt. Allerdings hat mein Bruder auch eine Frau und zwei Kinder, und die

hast du nicht auf die Liste geschrieben. Was ist mit Freundinnen?“

„Wenn du das unbedingt möchtest, natürlich. An wen hast du denn gedacht?“

„Sonja“, sagte ich schnell, nicht weil sie meine beste Freundin gewesen wäre, sondern weil ich sie gestern erst getroffen hatte und weil ich wusste, dass Werner sie nicht leiden konnte, was ja auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Muss das sein? Diese Zimtzicke. Ich wusste gar nicht, dass du zu der noch Kontakt hast.“

„Doch. Und Veronique und die Kinder möchte ich auch bei der Hochzeit haben.“

„Sprechen die überhaupt deutsch?“, fragte Wilma grämlich.

„Ein bisschen. Na und? Die meisten können doch notfalls auch Englisch oder Französisch, oder?“

„Das sollte eigentlich ein schöner Tag werden, nicht einer, an dem man sich mit Leuten rumärgern muss, die man gar nicht kennt“, maulte Wilma. Ich riss Werner die Liste weg und strich meinen Bruder energisch durch. „Ohne seine Familie kommt er ohnehin nicht, dann können wir´s doch gleich lassen. Schließlich kann es mir ja egal sein, Hauptsache, für Wilma wird es ein schöner Tag.“

„Bist du jetzt sauer?“, fragte Werner erstaunt.

„Natürlich nicht! Warum sollte ich sauer sein, wenn nur Leute von deiner Seite kommen dürfen? Was das alles kostet! Und wer sind diese Ehepaare? Nie gehört!“

„Unsere Nachbarn“, erklärte Werners Vater, „das gehört sich so.“

„Und was ist mit unseren Nachbarn?“, fragte ich Werner, der die Achseln zuckte. „Die kennen wir doch kaum.“

„Ich schon. Na gut, ich sage allen, dass ich auf die Gästeliste keinen Einfluss hatte. Und mit Yannick und Véro kann ich ja mal alleine essen gehen, nicht? Gott, bin ich froh, wenn diese zwei Horrortage vorbei sind!“ Wilma schnaufte. „Du bist herzlos!“

„Wenn schon! Sag doch mal ehrlich! Ich verkleide mich aufs Albernste, gebe ein Schweinegeld für ein Fest aus, auf dem ich fast niemanden kenne, muss einen auf gerührt machen und in der Kirche so tun, als legte ich auf den Segen irgendwelchen Wert. Ist doch furchtbar. Ach Werner, warum können wir nicht einfach in der Mittagspause aufs Standesamt gehen?“

„Die anderen erwarten doch von uns eine richtige Hochzeit, das können wir nicht machen.“

„Wo wollt ihr denn feiern?“, fragte Helmut. „Bei so vielen Leuten wird das echt nicht billig.“

„Keine Ahnung“, murrte ich. Gut, ich hatte ein paar tausend Euro für dieses lächerliche Fest beiseite gelegt, aber darüber hinaus würde ich keinen müden Euro opfern, alleine zahlte ich das nicht, egal, wie oft Wilma auf dem Brauchtum herumritt.

„Wie ich Leni kenne, bei MacDonald´s“, stänkerte Wilma. Die Kinder kreischten sofort begeistert auf und waren stinksauer, als sie endlich verstanden hatten, dass wir absolut nicht vorhatten, auf der Stelle mit ihnen dorthin zu fahren.

„Hast du eigentlich eine Mitgift?“, fragte Wilma schließlich.

Ich blinzelte verblüfft. „Eine was? Wilma, was liest du eigentlich so? Ach, bevor ich es vergesse – Werner, wir brauchen noch einen Notartermin vor der Hochzeit.“

„Wozu?“ Jetzt sah er ratlos drein. „Für den Ehevertrag, was dachtest du denn?“

„Muss das sein?“ Vater Reitz verzog das Gesicht.

„Ja, das muss sein!“ Scheißegal, wie die Hochzeit verlief, aber ohne Ehevertrag würde sie überhaupt nicht stattfinden, das war mal klar! „Du denkst ja jetzt schon an die Scheidung, wenn du so was willst“, kritisierte Wilma. Das war mir zu blöde, um überhaupt darauf zu antworten. „Welche Form sollen wir nehmen?“, fragte Werner halblaut.

„Gütertrennung“, tuschelte ich zurück, „das ist doch am einfachsten, oder?“

Er nickte langsam. „Gut. Und wegen der Kinder lassen wir uns vom Notar beraten.“

Welche Kinder? Na gut, das hatte ich ja schließlich selbst in der Hand. Glücklicherweise schien niemand das mit der Gütertrennung gehört zu haben. Andererseits hatte die Familie Reitz nicht so wenig Geld, also waren sie vielleicht ganz froh, wenn ich da nicht rankam. Dass ich auch nicht arm war, wussten sie vielleicht nicht. Besser so!

Wilma und ihr Vater guckten immer noch kritisch drein, aber alles wollte ich mir von denen nun auch nicht vorschreiben lassen; lieber half ich Werners Mutter, den Kaffee vorzubereiten und zählte danach die Minuten, bis wir endlich wieder gehen konnten.

Auf dem Heimweg wirkte Werner ein bisschen verkniffen. Lag das mir oder an seiner Familie? Eigentlich war ja nur Wilma so eine Pest, der Rest ging. Gut, sein Vater war auch nicht ganz mein Geschmack, aber die Mutter war lieb, Helmut war ganz vernünftig. Die Kinder allerdings sollte man auf einer einsamen Insel aussetzen – oder sie von jemandem erziehen lassen, der etwas davon verstand. „Du freust dich wirklich nicht auf die Hochzeit, oder?“

„Nein. Nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich freue mich darauf, mit dir verheiratet zu sein, aber dieses Fest – nee.“

„Warum eigentlich? Ich dachte, alle Frauen fiebern auf diesen Tag hin?“

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach zu unromantisch, ich meine, zwischen uns beiden ändert sich doch ohnehin dadurch nichts, oder?“

„Wenig“, stimmte er zu und bog auf den Hof hinter dem Haus ab. „Wenigstens, so lange wir keine Kinder haben.“

„Bist du sicher, das du überhaupt welche willst?“

„Ja. Du nicht?“

„Nein. Jedenfalls nicht so bald. Das wird ja ein furchtbarer Stress, mit dem Job und so.“

„Ja, ein paar Jahre wirst du schon aussetzen müssen.“ Er stellte die Zündung ab und löste seinen Gurt. „Ein paar Jahre? Dann bin ich doch total weg vom Fenster, ich kann bestenfalls als Sachbearbeiterin wieder anfangen!“

„Das ist der Lauf des Lebens. Was schlägst du denn vor?“

„Entweder, dass wir beide auf Teilzeit gehen, oder ein Au pair-Mädchen. Als Nur-Hausfrau sehe ich mich nicht, dazu macht mir meine Arbeit viel zu viel Spaß.“ Werner brummte, sagte aber nichts. Erst, als wir wieder im Wohnzimmer saßen, fing er erneut an: „Und warum warst du heute so böse auf Wilma?“

„Weil das doch eigentlich unsere Hochzeit ist und sich alles nur darum dreht, ob es Wilma gefällt. Ich darf niemanden einladen, denn Wilma will sich nicht mit Leuten rumärgern, die sie nicht kennt, wahrscheinlich müssen ihre grässlichen Bälger auch noch Blumen streuen und stellen mir in der Kirche ein Bein. Wozu müssen wir die Nachbarn deiner Eltern einladen? Sind die wichtiger als mein einziger Bruder?“

„Du hast ihn doch von der Liste gestrichen!“

„Weil er ohnehin nicht ohne Vero und ohne die Kinder kommen wird, und Wilma duldet doch keine Ausländer auf ihrer – deiner Hochzeit.“

„Wer soll dann deinen Trauzeugen machen?“

Ich zuckte die Achseln. „Gib mir mal die Liste!“

Ich strich sie glatt und tippte dann mit geschlossenen Augen darauf. „Paul.“

„Spinnst du?“

„Wieso? Ich kenne den doch nicht. Ist er nicht zurechnungsfähig oder was?“

„Paul ist vier Jahre alt, der Jüngste von meinem Kumpel Michi. Ist dir eigentlich egal, wer dein Trauzeuge ist?“

„Gesetzlich ist es egal, das ist doch eh nicht mehr vorgeschrieben. Und auf der Liste kenne ich niemanden. Halt, nein – Wilma wird es nicht, sonst ist es mir egal.“

Werner schnaufte und nahm mir die Liste weg. „Es bleibt bei Yannick. Und Veronique, Steffi und Jacques kommen auch, basta.“

„Danke“, murmelte ich. Er schob mir die Liste wieder hin. „Schreib deine Freunde drauf! Verdammt, das ist unsere Hochzeit, du hast Recht. Wilma soll ihre Klappe halten. Ich hätte sie damals doch aus dem Baumhaus schubsen sollen.“ Ich überlegte, den Stift in der Hand. Sonja? Petra, noch aus der Schule? Nein, seit Jahren nicht gesehen... Jemanden aus dem Büro? Tanja, meine Assistentin? Nein, lieber nicht. Cordula, meine Kollegin, mochte ich eigentlich nicht besonders. Sie war ziemlich oft krank, und ich nahm es ihr schon etwas übel, dass ich dann ihre Arbeit mitmachen musste.

Niemanden aus dem Büro... Und vom Studium? Beate und Theo? Vielleicht, aber die hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen und auf ihrer Hochzeit war ich auch nicht gewesen. Ich legte den Stift wieder weg. „Können wir nicht lieber die andere Seite etwas zusammenstreichen? Müssen die alle kommen? Wer sind die überhaupt?“

Werner seufzte wieder. „Tante Emma ist Mamas Schwester, sie ist wirklich nett. Mit Mann und Kindern, die Kinder haben sicher nicht alle Zeit, aber die sind ganz okay, soweit ich mich erinnern kann. Onkel Joachim ist Mamas Bruder und ein Vollidiot, aber wir können nicht Emma einladen und ihn nicht. Seine Freundin kenne ich nicht, aber sicher ist sie knapp halb so alt wie er, der alte Bock. Dr. Winkelmann ist unser Hausarzt. Helga ist Wilmas beste Freundin – komm, die streichen wir, wie kommt Wilma dazu, die einzuladen. Außerdem sind Helgas Kinder genauso anstrengend wie die von Wilma. Reinhard und Michi sind meine besten Freunde, ihre Frauen sind in Ordnung, die Kinder kenne ich nicht so gut, alle so zwischen vier und neun, denke ich. Hm... Toni und Anni sind Papas Schwestern, zwei langweilige Krähen, aber ziemlich harmlos, Onkel Josef ist Papas Bruder und furchtbar fromm. Der würde tot umfallen, wenn wir nicht in der Kirche heiraten, das gäbe jahrelangen Ärger. Und die Nachbarn – die streichen wir auch. Besser?“

Ich nickte erleichtert. Mit dem Rest konnte ich leben. Siebenundzwanzig Erwachsene und neun Kinder, viel mehr Frauen als Männer, egal. Sechsunddreißig Leute, pro Nase fünfzig Euro Kosten – das ging gerade noch.

„Auto, Blumen, Klamotten“, murmelte Werner vor sich hin und ich seufzte. „Muss ich in weißem Tüll heiraten?“

„Ach, Leni, jetzt sei doch nicht ganz so lustlos. Das ist auch meine Hochzeit, und ich möchte mich schon gerne an mehr erinnern als an eine muffige Braut.“

„Entschuldige, ich nehme mich jetzt zusammen. Hast du Hunger?“

„Nein.“ Er griff nach der Fernbedienung und lehnte sich im Sofa zurück.

Unstimmigkeiten

Подняться наверх