Читать книгу Unstimmigkeiten - Elisa Scheer - Страница 6
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ОглавлениеWas für ein schöner Mann! Groß, fast einen Kopf größer als ich, glänzendes braunes Haar, elegant geschnitten, verblüffend grüne Augen mit kleinen Fältchen in den Winkeln, eine klare Haut mit einigen Sommersprossen auf der schmalen, aber markanten Nase, ein hinreißend erotisch geschwungener Mund, ein kleines Grübchen neben dem Mundwinkel und ein weiteres im Kinn, breite Schultern, lange Beine, hervorragende Kleidung.
Im Bruchteil einer Sekunde, so schien es mir, hatte ich diese Bestandaufnahme gemacht; jetzt konnte ich nur noch starren, während ich merkte, dass ich zu atmen vergaß. Er auch. Er starrte ebenso, dann atmete er ein, als müsse er nach Luft ringen. Ich sah in seine geweiteten Pupillen und konnte überhaupt nicht mehr denken.
Pling! Hinter mir ging die Lifttür auf und ich stolperte benommen in den Gang hinaus. Als ich mich hastig wieder umdrehte, glitten die Türen gerade zu. Mist! Wer konnte das gewesen sein? Der absolute Traummann! Und ich war mir sicher, dass nicht nur mich bei seinem Anblick ein so starkes Begehren gepackt hatte wie noch nie. Sein tiefes Luftholen, seine erweiterten Pupillen – ihm war es eindeutig genauso gegangen!
Es gab die Liebe auf den ersten Blick also doch? Unsinn, Liebe – das war doch bloß Begierde! Liebe, das war das, was ich für Werner empfand. Aber warum kam mir das plötzlich so langweilig vor? So spießig?
Nein, Unsinn. Werner war meine Zukunft, so ein alberner Moment wie eben im Lift konnte daran doch nichts ändern. Das war kein bisschen besser als die Teenieschwärmerei für irgendwelche Popstars oder Schauspieler. Und nur die ganz doofen Mädchen früher in der Schule servierten ihre Freunde ab, weil sie nicht wie Robbie Williams oder Johnny Depp aussahen. Das musste ich mit fast dreißig schließlich nicht imitieren! Werner, das war etwas Handfestes. Und blöde Familien gab es schließlich überall – dass ich Wilma am liebsten mit Betonschuhen im Fluss versenkt hätte, war kein Grund, irgendeinen Besucher anzuschmachten und dafür meinen Zukünftigen zu vernachlässigen.
Zurück an die Arbeit! Ich telefonierte wegen einiger Unterlagen herum, zeichnete korrekte Abrechnungen ab und machte mich dann an den detaillierten Finanzplan für die neue Produktlinie.
Hatte ich eigentlich vorhin im Aufzug gut ausgesehen? Die geweiteten Augen des schönen Unbekannten sprachen dafür; sicherheitshalber kontrollierte ich aber mein Make-up im Taschenspiegel (alles in Ordnung, noch glänzte die Nase nicht), zupfte meine Kostümjacke (dunkelblauer Gabardine) zurecht und hob prüfend die Beine, die in seidig glänzenden dunkelblauen Strumpfhosen steckten. Nein, keine Laufmasche. Und die halbhohen dunkelblauen Lackpumps sahen ebenfalls tadellos aus, keine Kratzer, kein schiefer Absatz. Korrekt hatte ich also auf jeden Fall ausgesehen. Schön? Das lag doch wohl im Auge des Betrachters! Ich fand mich schon ganz nett, Sonjas Vergleich mit Fanny Ardant hatte mir sehr geschmeichelt. Es könnte schlimmer sein, stellte ich fest und ging wieder an den detaillierten Finanzplan.
Einige Daten fehlten mir, also war weiteres Herumtelefonieren angesagt. Gegen halb sechs aber hatte ich genug geschafft, um guten Gewissens heimgehen zu können. Unterwegs kaufte ich noch ein bisschen ein, obwohl wir von Ostern her noch endlos viel Essen im Haus hatten. Als ich aber die Wohnungstür aufschloss und meine Tüten in der Küche abstellte, kam Werner aus dem Wohnzimmer, wo er wahrscheinlich mal wieder ferngesehen hatte, und sofort überfiel mich mein schlechtes Gewissen wieder: Ich hatte doch wirklich beim Anblick eines fremden Kerls innerlich gesabbert – und wie! Also war ich besonders liebevoll zu Werner, fragte, wie sein Tag war („Wie soll er schon gewesen sein, wie immer halt“), was er essen wollte (prompt wünschte er sich Allgäuer Käsespatzen, die mir jetzt eigentlich zu mühsam waren) und ob er Pläne für den Rest des Abends hatte. Hatte er nicht.
Also zog ich mich seufzend um (Spätzleteig war nichts für dunkelblauen Gabardine und Lackpumps, von den schweineteuren Strumpfhosen ganz zu schweigen) und rührte Spätzleteig an. Werner hatte sich längst wieder vor seinen Fernseher getrollt, wo er die Börsenkurse verfolgte, und ich haderte mit mir – wenn ich mir die vorletzte Frage verkniffen hätte, hätte es Spaghetti irgendwas gegeben, das hätte ihm auch geschmeckt und ich wäre schon fast fertig. Aber nein, ich musste ja für einen (allerdings absolut nicht jugendfreien) Blick Buße tun!
Also schabte ich den Teig ins Kochwasser, heizte den Ofen auf, bereitete eine Auflaufform vor und machte einen Kopf Salat an, mit Zitronensaft und Zucker, wie Werner es liebte.
Sobald die Spätzle samt geriebenem Käse im Ofen vor sich hin schmurgelten, räumte ich die Wohnung ein bisschen auf, putzte im Bad Becken und Wanne (Werner verlor allmählich ganz nett Haare), hängte einige Klamotten ordentlich auf und wischte im Flur etwas Staub. Dann deckte ich den Tisch, wobei Werner mich krampfhaft ignorierte. Ich seufzte innerlich: Er würde es nie lernen! Selbst wenn ich ihm alles beibrächte, was man im Haushalt wissen musste, würde er doch nie von sich aus aktiv. Nicht einmal mein Geklapper löste einen Aha-Effekt aus! Er hatte wirklich die Ruhe weg bei seinem Börsenbericht, den ich im Übrigen auch ganz gerne gesehen hätte, denn auch meine eigenen Anlagen mussten wieder mal überprüft und gegebenenfalls umgeschichtet werden. Nein, nicht jetzt, die Käsespatzen mussten fast fertig sein.
Werner futterte, als sei im Finanzamt die Kantine abgebrannt. Mir blieben gerade noch ein Löffel Käsespatzen und der Löwenanteil des Salats, auch recht. Damit hatte ich den Blick aber wirklich abgebüßt, und noch mal würde das auch nicht vorkommen. Sicher war der Traumprinz nur ein ganz normaler Besucher gewesen, der aus der Chefetage kam, und ebenso sicher kam er nie mehr wieder – oder doch so selten, dass ich ihm leicht aus den Weg gehen konnte.
Als ich die Küche wieder in Ordnung gebracht hatte – ohne Werner damit lästig zu fallen, dass er mir helfen sollte – kuschelte ich mich auf dem Sofa an ihn. Der Rennfahrerfilm interessierte mich zwar nicht besonders (trotz Tom Cruise), aber ich sagte nichts, holte zwischendurch sogar für Werner ein frisches Bier und ein Schälchen Erdnüsse.
Er warf mir einen verblüfften Blick zu, als ich alles vor ihn hinstellte. „Was ist denn heute los? Der Service ist ja exzellent!“ Ich knuffte ihn spielerisch und antwortete nicht, aber gegen Ende des Films merkte ich, dass es in Werners Kopf gearbeitet hatte. Etwa folgendes Ergebnis war dabei herausgekommen: Wenn sie so lieb zu mir ist, will sie bestimmt, dass ich auch lieb zu ihr bin. Wann haben wir eigentlich das letzte Mal miteinander geschlafen? Palmsonntag? Dann wird´s ohnehin mal wieder Zeit – warum nicht heute?
Das halbe Lächeln um seinen Mund sagte mir genug, schließlich kannte ich ihn seit sechs Jahren!
Tatsächlich, kaum lief der Abspann, schaltete Werner ab, ohne wie sonst auf die Trailer für das Folgeprogramm zu achten, und griff nach mir. Sein Kuss beruhigte mich mehr als alle meine Bravheitsdemonstrationen heute Abend. Ich erwiderte ihn genießerisch und ließ meine Hand über Werners Hals und seine Brust gleiten.
„Komm mit“, murmelte er dann halblaut und zog mich hoch und ins Schlafzimmer.
Schön, dachte ich hinterher. Werner war immer so sanft und achtete auch darauf, dass ich auf meine Kosten kam. Wie eine geruhsame Welle war der Orgasmus über mich hinweggeschwappt, und heute störte es mich auch gar nicht, dass Werner hinterher im Bad verschwand. Das war nun mal sein persönlicher Tick, dass er sich hinterher säubern und das Kondom richtig entsorgen wollte. Träge lächelte ich vor mich hin und reckte mich im Bett.
Er war ja schon ein Süßer!
Da kam er wieder, küsste mich noch einmal, murmelte: „Das war toll“, und stieg dann auf seiner Seite ins Bett, wo er den Wirtschaftsteil entfaltete.
Ich drehte mich auf die Seite, damit mich das Licht nicht beim Einschlafen störte, und schloss die Augen. Was fehlte mir denn bei Werner? Wir lebten gut zusammen, wir harmonierten im Bett – es war immer sehr nett, und so triebgesteuert waren wir schließlich beide nicht, vielleicht lag das an unserer unerotischen Branche – wir hatten, eben wegen unserer ähnlichen Berufe, gemeinsame Interessen und ich wusste, woran ich mit ihm war. Kein Vergleich mit einem albernen Märchenprinzen, über den ich rein gar nichts wusste und den ich garantiert auch nie wieder sehen würde.