Читать книгу Eine böse Überraschung - Elisa Scheer - Страница 6

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Kurz darauf fuhren ein Streifenwagen, eine zivil wirkende dunkelgraue Limousine aus bayerischer Produktion, ein Notarztwagen und ein weißer Kombi auf das Grundstück.

„Na, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, murmelte Willi. „Der reinste Acker, dieser Rasen.“

Der Notarztwagen entlockte Henni ein albernes Kichern: „Ist der nicht ein paar Jahre zu spät dran?“

Die Uniformierten aus dem Streifenwagen traten an die Kellerkante und forderten alle anderen auf, zurückzutreten und sich vom Tatort fernzuhalten, dann spähten sie selbst hinunter.

Sie wurden von Weißgekleideten vertrieben – „Spurensicherung“, wusste Willi, der ja Fernsehkrimis liebte.

„Der muss doch schon ewig da liegen“, mutmaßte Henni, „ob´s da überhaupt noch Spuren gibt?“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte jemand hinter Henni und sie fuhr herum. Ein freundlich zwinkernder Mann um die Vierzig in einem ordentlichen Trenchcoat stand hinter ihr und zückte einen Ausweis. „Marquart, Kripo Leisenberg.“

„Naja“ meinte Henni, „wenn außer dem Schädel und ein paar Knochenresten nichts mehr übrig ist – dauert so etwas nicht mindestens ein Jahrzehnt?“

„Vielleicht sogar länger. Aber manche Spuren halten ewig. Es gibt doch sogar Mammut-DNA. Wer sind Sie übrigens?“

„Henriette Möbius. Das ist mein Bruder Wilhelm. Der Trümmerhaufen da vorne war mal unser Elternhaus.“

„Besser die Elternhütte“, warf Willi ein. „Die Nazibillighütte Haus zu nennen, wäre zu viel des Lobes.“

„Nazi - ? Vermuten Sie da irgendwelche Umtriebe?“

Henni winkte ab. „Ach wo. Die Hütte war Baujahr 38, da waren alle anständigen Baumaterialien ja wohl schon kriegswichtig. In der Hütte haben wir nur gefroren und zu klein war sie für sechs Leute auch.“

„Du hattest wenigstens ein eigenes Zimmer!“, wollte Willi wieder stänkern, aber Marquart hob eine Hand. „Bitte nur Sachdienliches! Sechs Personen?“

„Unsere Eltern und wir vier Kinder“, erklärte Henni. „Wir haben noch zwei Brüder, Ulrich und Ludwig. Woher haben zwei WG-Freaks eigentlich diesen Hang zu altmodischen Vornamen?“

Marquart verdrehte ein wenig die Augen. „Das überlegen Sie sich dann bitte mit Ihren Brüdern. Warum sind Sie heute hier?“

„Wir wollten beim Abriss zuschauen, und der Chef von MayBau hat es uns erlaubt.“

„Aha – warum?“

„Ist doch spannend“, erklärte Henni. „Ja, ich weiß schon, ich sollte wahrscheinlich traurig sein, aber ich fand es nur interessant. Allerdings hätte ich mir die sortenreine Trennung etwas aufregender vorgestellt – und mein Dachkämmerchen habe ich nicht einstürzen gesehen, weil das ganze morsche Ding auf einmal runtergekommen ist.“

„Ihre Eltern haben das Haus an MayBau verkauft?“

Die junge Frau neben Marquart tippte alles in ihr Handy ein und Henni runzelte die Stirn. „Ich finde das Display ja immer arg futzelig… wäre ein Tablet nicht praktischer? Oder gibt es dafür noch kein Geld?“

„Doch, wir haben Diensttablets – aber hier kann ich mich nicht setzen, und im Stehen ist so ein Tablet recht schwer, finde ich.“

„Willi?“

Willi enteilte, einen der Klappstühle zu holen.

„Meine Kollegin, Frau Bohn“, stellte Marquart etwas verspätet vor. Die beiden Frauen lächelten sich an und kurz breitete sich Stille aus.

„Nein“, griff Willi die Frage auf und reichte Henni den Klappstuhl, „wir haben das Haus verkauft. Unsere Eltern sind vor fast einem Jahr tödlich verunglückt.“

„Oh“, war Marquart offensichtlich betreten, „darf ich fragen, wie das geschehen ist?“

„Sie haben eine USA-Reise unternommen und waren auf einem Inlandsflug dort, der dann abgestürzt ist. Bei Albuquerque, oder, Henni?“

Henni hatte den Stuhl aufgeklappt und begutachtete nun das Tablet der Kommissarin mit professionellem Interesse. „Was? Ja, das stimmt. Eine kleine Privatfluglinie, offenbar mit schlecht gewarteten Maschinen – aber das darf man nicht öffentlich sagen.“

„Ach?“

„Milliardenklagen – man kennt doch die Amis“, warf Willi wieder ein. „Das könnte diesen Ganoven doch das Geschäft versauen.“

„Haben Sie nicht geklagt?“

Henni winkte ab. „Kein Interesse an näherem Kontakt mit denen. Und dieses Schadensersatzrecht ist mir zumindest recht suspekt.“

„Nun gut“, lenkte Marquart von diesen antiamerikanischen Äußerungen ab, „Sie haben das Haus also vor einem Jahr geerbt – hier wohnen wollte keiner von Ihnen?“

„Nein, wirklich nicht. Wir sind vielleicht verwöhnt, aber ein Mindestmaß an neuzeitlichem Komfort wollten wir schon haben. Meine Brüder haben alle mehrere Kinder und erinnern sich sicher noch mit Grausen, wie eng es in diesem Häuschen war – und ich stehe zwar auf Minimalismus, aber eher vom Typus Smart Home und Klassische Moderne.“

Kommissarin Bohn nickte eifrig. „Alles digital, außer den Klamotten? Toll…“

Henni grinste. „Finde ich auch. Bücher, Filme, Musik in digitaler Form machen das Aufräumen so angenehm. Und man spart viel Platz!“

„Maggie, können wir zur Sache zurückfinden?“, mahnte Marquart. „Also, Sie wollten das Haus nicht bewohnen. Dann war der Verkauf wohl die beste Lösung.“

„Ja, das dachten wir eben auch“, sagte Willi. „Mit dem Erlös konnte jeder sein Haus oder seine Wohnung“ – mit einem Seitenblick auf Henni – „ein schönes Stück abzahlen.“

„Da ich keine solche Riesenscheune gebraucht habe, bis ich fast schon schuldenfrei“, konnte Henni sich nicht verkneifen.

„Äpäpäp“, machte Willi aus alter Gewohnheit; Henni grinste und wurde dann wieder ernst. „Aber wer könnte dieses Skelett im Keller sein?“

„In welchem Teil des Kellers liegt denn der Fundort?“, wollte Marquart wissen.

„Hm…“ Henni trat etwas näher an die Kante und rekonstruierte mit raschen Fingerbewegungen die Lage der Räume im Keller, ausgehend von den Resten der Kellertreppe.

„Das ist der Vorratsraum. Oder, Willi?“

Willi reckte den Kopf. „Ja, stimmt. Der erste Raum, wenn man die Treppe runtergestolpert kam, war diese Rumpelkammer, dann kam der Vorratsraum, da war eine marode Tiefkühltruhe drin und ein Regal mit schrumpeligen Äpfeln.“

„Es hat da immer nach Erde gerochen. Irgendwie modrig“, erinnerte sich Henni. Willi gab ein bestätigendes Geräusch von sich.

„Ich glaube, da war gar kein richtiger Fußboden“, überlegte Henni. „Was für eine erbärmliche Hütte, oder? Festgetrampelte Erde im Keller, wo gibt´s denn noch sowas! Dass man da überhaupt eine Tiefkühltruhe aufstellen durfte?“

„Durfte man wahrscheinlich auch gar nicht. Und die Rumpelkammer war auch bloß Erde“, behauptete Willi. „Ich glaube, nur die Heizung und die Waschküche hatten einen Estrich. Ja, und die Waschküche natürlich einen Abfluss.“

Henni kicherte. „Hat nicht viel genützt, weißt du noch?“

Marquart räusperte sich mahnend. „Das heißt, jemand hätte eine Leiche durchaus im Vorratsraum vergraben können…“

„Ehrlich? Ich meine, muss da nicht trotzdem sowas wie Beton drunter sein? Und die Erde wahrscheinlich gerade mal zehn Zentimeter?“ Henni schüttelte den Kopf. Marquart spähte hinunter. „Nein, offenbar hat man damals auch am Beton gespart – Holzbretter, ziemlich angefault, waren wohl das einzige unter der Erde.“

„Und unter den Holzbrettern war wohl wieder Erde. Oder Kies“, überlegte Willi. „Was für ein Schund...“

„Vorstellbar“, kommentierte Marquart. „Können Sie sich an jemanden erinnern, der plötzlich verschwunden ist?“

Henni und Willi sahen sich an, dann schüttelten sie beide den Kopf. „Nö“, antwortete Henni schließlich. „Unsere Eltern hatten selten Besuch, Freunde von früher, ein Onkel… aber verschwunden ist von denen niemand, jedenfalls wüsste ich nicht.“

„Vor unserer Zeit war hier bestimmt mehr geboten“, ergänzte Willi. „Die müssen hier so eine Art WG gehabt haben. Kurz vor meiner Geburt sind sie dann wohl bürgerlich geworden…“

„Und wann war das, Herr Möbius?“

„Also, geboren bin ich am 14. Juni 1974. Ich denke, die WG hat sich irgendwann im Frühjahr aufgelöst.“

„Nicht eher schon dreiundsiebzig?“, fragte Henni.

„Sehr interessant“, murmelte Marquart. „Wer gehörte denn alles zu dieser WG?“

Willi zuckte die Achseln. „Keine Ahnung, das war ja nun wirklich vor meiner Zeit.“

„Warte mal, Willi – hat Mama nicht mal gesagt, ihr Bruder war auch dabei?“

„Der Thomas? Ehrlich? Der ist doch dermaßen spießig!“

„Ja und? Erstens ist eine WG ja wohl nicht ehrenrührig und zweitens waren unsere Altvorderen ja auch ziemlich bieder, oder?“

Willi nickte. „Vielleicht hat die Hütte irgendwann abgefärbt…“

Allmählich klang Marquart etwas ungeduldig. „Thomas – und wie noch?“

„Thomas Wiesinger.“

„Wie der Stadtrat?“

„Ja, das ist er ja auch“, erklärte Henni. „Wir haben wenig Kontakt. Er ist auch noch CEO bei LogiTrans und wohnt in Waldstetten. Die Adresse weiß ich jetzt gerade nicht auswendig.“

„Was denn“, spottete Willi, „hast du nicht alle Daten auf dem Handy?“

„Nur, was ich auch öfter brauche. Den Thomas brauche ich doch nie.“

„Das kriegen wir auch so heraus“, beruhigte Frau Bohn und lächelte von ihrem Klappstuhl aus in die Runde.

„Vielleicht weiß der Thomas auch noch, wer damals alles in der WG gewohnt hat“, wollte Henni wenigstens etwas hilfreich sein.

Willi prustete. „Na logisch – senil ist er noch nicht. Aber viele können es nicht gewesen sein, hier war doch wirklich kein Platz.“

„Auch wieder wahr. Jeder ein Zimmer? Dann sind das…“, sie zählte an den Fingern ab, „eins unten, zwei oben und eins im Dach. Vier Leute? Dürftig…“

„Vielleicht haben sich Papa und Mama ja auch ein Zimmer geteilt, wie hätten sie mich sonst produziert?“, gab Willi zu bedenken.

„Nun gut“, resignierte Marquart, „Sie geben meiner Kollegin bitte noch Ihre Adressen, auch die Ihrer beiden Brüder. Wir kommen sicher wieder auf Sie zu.“

„Zum Beispiel, wenn Sie wissen, wie lange das Skelett da schon in der Erde liegt?“, fragte Henni und zeigte in die Kellergrube, wo diverse Weißgekleidete Knochenstückchen in Plastiktütchen füllten.

„Zum Beispiel“, nickte Marquart, verabschiedete sich knapp und schritt hinüber zu der Leiter, die in die Grube führte.

„Dann fangen wir mal mit Ihnen an, Frau Möbius!“, forderte die Kommissarin sie munter auf.

Eine böse Überraschung

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