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Stadtrat Wiesinger wirkte zunächst leicht irritiert, als Felix und Maggie vor der Tür seines Dienstzimmers standen und ihre Ausweise hochhielten: „Ich wüsste jetzt nicht… na, kommen Sie lieber mal rein.“ Dies wurde von einem nervösen Blick links und rechts den menschenleeren Gang entlang begleitet.

Das Arbeitszimmer des Herrn Stadtrat wirkte recht altväterisch, aber ob das an der generellen Atmosphäre des Rathauses oder am Geschmack des Bewohners lag, war so schnell nicht zu entscheiden.

„Solche Arbeitszimmer bekommen nur die hauptamtlichen Stadträte, nicht wahr?“, begann Felix im Plauderton. Wiesinger, der etwas unruhig verfolgte, wie Maggie ihr Tablet startklar machte und dann die Eckdaten eingab, antwortete: „Ja… vor allem die Dezernenten. Die Räumlichkeiten hier reichen nicht einmal für alle Hauptamtlichen aus. Ich bin ja für die Leisenberger Verkehrsplanung zuständig… aber dafür wird sich die Kriminalpolizei doch wohl kaum interessieren?“

„Nein, da haben Sie natürlich Recht“, beeilte Felix sich zu versichern. „Einer Ihrer Neffen oder Ihre Nichte hat Sie noch nicht informiert?“

„Äh – nein. Was ist denn passiert? Es ist doch einem von den Kindern nicht etwa etwas zugestoßen? Obwohl, Kinder sind sie mittlerweile wohl auch nicht mehr… lassen Sie mich kurz nachrechnen… die Jüngste müsste mittlerweile auch schon Mitte dreißig sein, nicht wahr? Was ist denn also passiert?“

„Zunächst haben die Kinder Ihrer verstorbenen Schwester ihr Elternhaus verkauft.“

„Oh.“ Wiesinger wirkte tatsächlich leicht erschrocken. „Nun, das ist sozusagen das Ende einer Ära, nicht wahr? Aber vielleicht auch verständlich. Ich erinnere mich noch an das Häuschen – malerisch, aber schon sehr, sehr klein und eng. Vielleicht auch nicht mehr ganz auf dem heutigen Stand der Technik, und die jüngere Generation hat da vielleicht höhere Ansprüche als wir seinerzeit…“

Was sollte der Quatsch denn bedeuten, überlegte Maggie erbost, während sie tippte. Damals waren höhere Ansprüche doch wohl auch nicht notwendig – für zwei Fernsehprogramme und ein orangefarbenes Telefon von der Post brauchte man ja schließlich nicht viel Stand der Technik…

„Mag sein“, antwortete Felix und lächelte freundlich. „Deshalb ist es wohl auch logisch, dass das Häuschen keinen Liebhaber gefunden hat, sondern abgeräumt werden musste. Und möchten Sie raten, was beim Abriss entdeckt wurde?“

Wiesinger runzelte die Stirn, dann lächelte er etwas krampfhaft. „Hoffentlich nur allerlei Sperrmüll und nicht etwa Altlasten? Kontaminierter Boden? Aber woher auch, ich gehe doch nicht davon aus, dass Gabi und Hanshelmut dort chemische Experimente durchgeführt und die Produkte einfach weggeschüttet haben? So etwas gibt es wirklich, ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen… beim Bau der Umgehungsstraße im nördlichen Waldstetten zum Beispiel haben wir -“

„Nein, um eine Verseuchung des Bodens geht es uns nicht. Herr Wiesinger, wir sind von der Mordkommission, nicht von einer Umweltbehörde. Beim Ausgraben der – etwas vorsintflutlichen – Fundamente sind die Bauarbeiter auf menschliche Überreste gestoßen.“ Felix ließ dies erst einmal wirken und beobachtete, wie Wiesingers Gesicht von Verständnislosigkeit über Unglauben zu Entsetzen wechselte.

„Ü-überreste?“, stotterte er schließlich. „Aber – Gabi und Hanshelmut sind doch bei diesem F-flugzeugabsturz - ? Wer sollte das denn sein?“

„Deshalb sind wir ja zu Ihnen gekommen. Herr Wiesinger, Sie haben doch auch einmal in diesem Häuschen gewohnt, nicht wahr?“

„Was? Ach – nun ja, schon – aber das ist doch Jahrzehnte her! Das war, lassen Sie mich nachdenken, 1972. Das ist länger als vierzig Jahre her, so alt können die Überreste doch wohl nicht sein?“

„Warum nicht? Ein Skelett kann sich Jahrhunderte halten“, warf Maggie ein, die bisher nur mitgeschrieben hatte. „Oder noch länger, wenn man an diese keltischen Funde hier in der Gegend denkt.“

„Und das könnte es nicht sein?“ Wiesinger war offenbar bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen.

„Nein. Kleidungsreste sprechen doch eindeutig für das zwanzigste Jahrhundert“, behauptete Felix, ohne rot zu werden.

„Und aus der Nazizeit kann die Leiche auch nicht stammen?“ Wiesinger schien nur das Bestreben zu kennen, das Skelett irgendjemand anderem zuzuschieben. Felix schüttelte den Kopf. „Wir wissen noch nicht, ob das Skelett etwas mit Ihnen zu tun haben kann -“

„Das verbitte ich mir!“

„- aber wir möchten von Ihnen vorläufig auch nur wissen, was Sie uns über diese kurzlebige WG sagen können.“

Wiesinger lehnte sich zurück, sichtlich erleichtert, und legte die Hände betont entspannt zur Merkel-Raute zusammen. „Ach so… wie gesagt, 1972 bis Anfang1973. Wer hat denn dort alles gewohnt… viel Platz war ja nicht, deshalb habe ich mich auch ziemlich bald davongemacht. Lieber ins Studentenheim, dachte ich mir damals.“

Felix räusperte sich mahnend.

„Ach ja, also, Gabi und Hanshelmut waren natürlich dort, aber ich denke mal, deren Daten haben Sie sowieso – außerdem sind beide ja tot. Und dann – hm, wie hieß denn die mit den roten Locken… die Gisa war das. Gisela, genau!“

„Und wie noch?“, fragte Maggie, ohne den Blick vom Tablet zu heben.

„Hui! Also, wer sagt denn, dass sie nach vierzig Jahren noch so heißt?“

„Wenn sie in den Achtzigern geheiratet hat, hat sie sich vielleicht so einen schicken Doppelnamen zugelegt.“

„Irgendwas Unfriedliches… Streiter – nein: Zänker! Gisa Zänker. Sie hat Romanistik studiert, glaube ich. Oder Kunstgeschichte? Germanistik?“

„Wer noch?“

„Ja… der Wolfi natürlich, den habe ich sogar mitgebracht, weil er bei seinen Eltern rausgeflogen war. Wolfgang Brunnhauser. Journalist wollte er werden… komisch, was einem da alles wieder einfällt! Und er hat dauernd die lauteste Musik gehört, Neil Sedaka, Elton John, Jackson Five… ganz gute Sachen eigentlich. Heute ist er, glaube ich, bei einem Musiksender und gräbt da alte Schätzchen aus. Oder so ähnlich. Ich bin vor Jahren mal im Autoradio über ihn gestolpert, sozusagen.“

„Mehr Leute haben nicht dort gewohnt?“

Wiesinger schenkte Maggie einen nachsichtigen Blick, der sie sofort gegen ihn einnahm. „Haben Sie das Häuschen mal gesehen? Mit fünf Leuten ist es – war es – völlig überbesetzt.“

„Die Familie Möbius war doch sogar zu sechst?“

„Stimmt. Die Kinder können einem nur leidtun.“

„Sie scheinen es ganz gut überstanden zu haben“, schnappte Felix. „Außer Ihnen, Frau Zänker und Herrn Brunnhauser wohnte also niemand dort, vom Ehepaar Möbius einmal abgesehen?“

„Stimmt.“ Wiesinger klang mürrisch.

„Und wie würden Sie es einschätzen, hatten die Möbius eher eine richtige Kommune im Auge, alternative Wohnformen oder so etwas – oder wollten sie einfach an der Miete ein bisschen verdienen?“

Dass man ihn um sein Urteil bat, schien dem Herrn Stadtrat schon besser zu gefallen.

„Eine Mischung von beiden, denke ich“, sagte er nach einigem Nachdenken. „Einerseits waren Gabi und Hanshelmut wohl doch zu bürgerlich, um an etwas wie die Kommune 1 – das meinten Sie doch, oder? – zu denken. Andererseits waren wir damals alle erst knapp volljährig, einundzwanzig oder zweiundzwanzig und natürlich recht spaßorientiert. Meistens aber beschränkte sich der Spaß darauf, zu viel Bier zu trinken und hinterher zu zanken, wer die Flaschen wegbringen und neues Bier besorgen sollte. Ja, und laut Musik zu hören.“ Er grinste. „Manchmal riefen die Nachbarn tatsächlich die Funkstreife, wegen des Lärms dieser - Halbstarken.“

„Ach ja? Welche Nachbarn, links oder rechts?“

„Kommt wohl auf die Perspektive an, nicht? Moment… wenn man vom Haus auf die Straße schaute, waren es die linken Nachbarn… hießen die nicht Hemmerle? Die mit dem ewig kläffenden Köter?“ Er versank in nostalgischen Gedanken.

Felix und Maggie gönnten ihm einige Minuten; die Aussage war ohnehin enttäuschend, denn gerade das Nachbarhaus zur linken Hand war ja schon abgeräumt worden. Nun, Max und Liz eruierten hoffentlich gerade die übrigen Nachbarn!

„Wissen Sie denn etwas über die Nachbarn zur Rechten?“

Wiesinger warf ihnen einen nachsichtigen Blick zu. „Sind das etwa immer noch die gleichen? Ich meine, nach über vierzig Jahren?“

„Wie hießen die Nachbarn damals denn?“

„Oh… ich fürchte, das weiß ich nicht mehr… oder doch… Moment: Irgendwas mit R… Pichler, genau! Nein, Pichl. Pichler? Doch Pichler, ja, ich bin sicher.“

Felix betrachtete ihn etwas misstrauisch: so viel Gestammel?

„Vielen Dank“, sagte er dann nur höflich. „Wie würden Sie Frau Zänker denn beschreiben?“

„Frau Zän- ach so, die Gisa! Die Gisa… sie war immer lustig und auf Spaß aus. Abends war sie eigentlich immer unterwegs, in den Tanzschuppen am Herzog-Roderich-Platz…“ Er bemerkte Maggies Blick und lächelte väterlich. „Ein Tanz- oder Beatschuppen war das, was man später als Disco bezeichnete. Meine Töchter heute würden wohl Club sagen.“

Maggie nickte und tippte weiter.

„I Can Get No Satisfaction“, murmelte Wiesinger, was Maggie blinzeln ließ. „Wie bitte?“

„Stones?“

„Ach so, ja.“

Wieder dieses väterliche Lächeln. „Sie sind eben doch eine ganz andere Generation…“

„Die Stones sind Klassiker“, murmelte Maggie und speicherte sicherheitshalber. „Wir kennen ja auch die Beatles noch.“

„Stones oder Beatles…“ Wiesinger wollte schon wieder auf den Nostalgiepfad zurück.

„Geha oder Pelikan“, murmelte Felix.

Maggie blinzelte wieder und konterte: „Apple oder Samsung.“

Sie grinsten sich zu dritt kurz an, dann seufzte Felix und erhob sich. „Ich denke, die Erinnerungen an unser verschiedenes Kinderspielzeug heben wir uns für den nächsten Besuch auf. Vorläufig schon einmal schönen Dank.“

Wiesinger sprang nach einem Blick auf die Uhr ebenfalls auf. „Du lieber Himmel, ja – Dr. Richter wartet schon seit bestimmt zehn Minuten auf mich!“

Er verließ mit seinen Besuchern den Raum, schloss ab und eilte fast schon in Panik in Richtung Sitzungssaal.

„Hat der so viel Schiss vor dem Bürgermeister?“, wunderte sich Maggie nach einem letzten Blick auf die zerknitterte Rückansicht des Trachtenanzugs.

„Sieht ganz so aus. Da können wir notfalls den Hebel ansetzen. Du hast sämtliche Fakten?“

„Klar. Die dürftigen Fakten. Dem ist die WG doch total peinlich!“

*

„Was habt ihr?“, fragte Felix schon beim Eintritt ins Büro.

„Geht so“, antwortete Liz zuerst. „Die Nachbarn in dem Haus, das schon abgerissen ist, hießen Hemmerle, sagt Frau Möbius. Die waren schon ziemlich alt, erst ist der Hund gestorben – Gottseidank, hatten die Eltern gesagt, der muss pausenlos gekläfft haben – und dann starb erst er und ein Jahr später sie. Offenbar gab es eine Erbengemeinschaft, keiner wollte da wohnen, aber über einen Verkauf wurde man sich so schnell auch nicht einig, erst, als die Eltern Möbius auch tot waren. Dann gingen beide Häuser an die Firma MayBau, die für die Grundstücke einen recht anständigen Preis zahlte – der Möbius zufolge – und auch die scheußlichen Hütten nicht allzu sehr nutzte, um den Preis zu drücken. Offenbar kommen dort zwei Dreispänner hin, jedes mit einem handtuchgroßen Gärtlein.“

Leicht atemlos hielt sie inne. „Ach ja, und die MayBau firmiert in der MiniCity, Otto-Hahn-Weg 14. Der Inhaber heißt Lars Maybach.“

Felix lobte sie und bat sie, die Fakten an der Tafel festzuhalten. Liz grinste: „Längst passiert!“

Max hatte die Nachbarn auf der anderen Seite befragt, die natürlich schon lange nicht mehr Pichler hießen, sondern Santini/Mayerhofer. Sie betrieben gemeinsam ein Eiscafé und hatten das Häuschen nur für ein Jahr gemietet. „Sobald der Laden richtig läuft, wollen sie sich „was Gescheites“ zulegen. Über das Möbius-Haus wissen sie gar nichts, sie kennen es nur als leerstehende Bruchbude und haben auch ihre Vormieter nicht kennengelernt; sie haben das Ding über einen Makler gemietet, es ist ja auch etwas besser in Schuss als die anderen. Trotzdem würde ich mich schämen, so etwas auf dem Wohnungsmarkt anzubieten.“

Nachdem auch noch Maggie vom Besuch bei Wiesinger berichtet hatte und alles festgehalten war, lehnte sich Felix zurück. „Plan für morgen: Gisa Zänker suchen, Wolfgang Brunnhauser suchen, Lars Maybach befragen, auf den Obduktionsbericht warten. Wenn wir ungefähr wissen, wann das Skelett in die Erde gekommen ist, gehen wir die offenen Vermisstenfälle durch. Da muss doch einer abgängig sein.“

„Oder eine. Das Skelett könnte ja auch eine Frau sein!“, erklang eine Stimme von der Tür. Felix sah auf. „Anne! Hallo – willst du ein bisschen mitarbeiten?“

Anne Malzahn wehrte ab. „Wir haben genug zu tun, herzlichen Dank auch. Wisst ihr schon etwas über eure Fundsache? Die Sache ist schon überall herum, so etwas Spannendes hat man ja nicht so oft.“

„Bis jetzt haben wir fast gar nichts“, seufzte Felix. Anne lachte. „So fängt es doch immer an! Na, frohes Schaffen!“ Damit verschwand sie wieder.

„Herzloses Weib“, schimpfte Felix hinter ihr her und stand auf. „Für heute reicht´s, finde ich. Morgen um acht verteilen wir die neuen Jobs und hoffen das Beste.“

Eine böse Überraschung

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