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Inhaltsverzeichnis

Die nächsten Tage und Wochen im Almbach’schen Hause gehörten nicht zu den angenehmsten. Es konnte dem Kaufmann natürlich nicht verborgen bleiben, daß sein Schwiegersohn öffentlich mit einer Composition hervorgetreten war, schon deshalb nicht, weil Doctor Welding im Morgenblatte eine ausführliche Besprechung jenes Concerts brachte, in der der Name des jungen Componisten genannt wurde. Aber weder das Lob, das der sonst so strenge Kritiker hier ertheilte, noch der Beifall, mit dem das Lied überall aufgenommen wurde, noch selbst die Dazwischenkunft des Consuls Erlau, der lebhaft für Reinhold Partei nahm und ganz entschieden für dessen musikalische Begabung eintrat, vermochten das Vorurtheil Almbach’s zu erschüttern. Er beharrte darauf, in jeder künstlerischen Bestrebung eine ebenso unnütze wie gefährliche Spielerei zu sehen, den eigentlichen Grund der Untüchtigkeit zum praktischen Geschäftsleben und die Wurzel alles Uebels. Da er so wenig wie sonst Jemand davon wußte, daß es eine Art von Gewaltstreich gewesen war, mit dem Signora Biancona Reinhold zum öffentlichen Hervortreten gezwungen, so hielt er das Ganze für eine vorher abgekartete Sache, die ohne sein Wissen, wider seinen Willen unternommen war, und das brachte ihn vollends außer sich. Er ließ sich so weit hinreißen, seinen Schwiegersohn wie einen Knaben darüber zur Rede zu stellen, und ihm kurz und gut jede weitere Beschäftigung mit der Musik zu verbieten.

Das war nun freilich das Schlimmste, was er thun konnte. Reinhold flammte bei dem Verbote in einem ganz unzähmbaren Trotze auf. Die Leidenschaftlichkeit, die trotz Allem, was sie äußerlich fesselte und in Schranken hielt, doch den eigentlichen Grundzug seines Charakters bildete, brach jetzt in wahrhaft erschreckender Heftigkeit hervor. Es gab eine furchtbare Scene, und hätte sich nicht Hugo rasch besonnen in’s Mittel gelegt, der Bruch wäre jetzt schon unheilbar geworden. Aber Almbach sah mit Entsetzen, daß der Neffe, den er erzogen und geleitet, den er mit allen möglichen Familien- und Geschäftsbanden an sich gefesselt, ihm völlig entwachsen war und nicht daran dachte, sich seinem Machtworte zu beugen. Der Streit war für den Augenblick beigelegt worden, aber nur, um bei der nächsten Gelegenheit von Neuem hervorzubrechen. Eine Scene folgte der andern; eine Bitterkeit überbot die andere. Reinhold stand bald genug im Kampfe gegen seine ganze Umgebung, und der Trotz, mit dem er seinen musikalischen Studien mehr als je nachhing und seine Selbstständigkeit nach außen behauptete, erhöhte nur den Groll seiner Schwiegereltern.

Frau Almbach, die die Ansichten ihres Mannes durchaus theilte, unterstützte jenen nach Kräften, Ella dagegen verhielt sich, wie gewöhnlich, vollständig passiv. Von ihr wurde freilich ein Eingreifen ober eine Parteinahme weder erwartet noch verlangt; den Eltern fiel es nicht ein, ihr auch nur den geringsten Einfluß auf Reinhold zuzutrauen, und Reinhold selbst ignorirte sie in dieser Angelegenheit völlig und schien ihr gar nicht einmal das Recht einer Meinungsäußerung zuzugestehen. Die junge Frau litt unleugbar unter diesen Verhältnissen; ob sie auch die traurige, demüthigende Rolle empfand, die sie, die Gattin, hier spielte, wo sie von beiden Parteien übersehen, bei Seite geschoben und als unmündig behandelt ward, ließ sich kaum entscheiden. Sie zeigte bei den erbitterten und erregten Debatten der Eltern und bei der fortwährenden Gereiztheit ihres Mannes, die oft um geringfügiger Anlässe willen hervorbrach und sich zumeist gegen sie richtete, stets die gleiche geduldige Fügsamkeit, kam nur höchst selten mit einem bittenden Worte, nie mit einer entschiedenen Parteinahme dazwischen, und zog sich, wenn sie wie gewöhnlich von beiden Seiten herb zurückgewiesen wurde, scheuer als je zurück.

Der Einzige, der mit Allen nach wie vor auf dem besten Fuße stand und seine Stellung als allgemeiner Liebling unangefochten behauptete, war merkwürdiger Weise der junge Capitain. Wie alle eigensinnigen Menschen, fügte sich Almbach weit eher einer Thatsache als einem Conflicte, und verzieh leichter die directe, aber ruhige Mißachtung seiner Autorität, die der älteste Neffe sich hatte zu Schulden kommen lassen, als die stürmische Auflehnung gegen seinen Willen, die jetzt von dem jüngeren versucht ward. Hugo hatte, als er sah, daß ihm ein verhaßter Beruf aufgezwungen werden sollte, weder getrotzt, noch den Oheim beleidigt; er war einfach davon gegangen und ließ den Sturm hinter seinem Rücken austoben. Freilich kam es ihm auch gar nicht darauf an, später die Rückkehr des verlorenen Sohnes in Scene zu setzen, um sich damit den Wiedereintritt in das Haus, dem sein Bruder angehörte, und die Wiederaufnahme in die Gunst seiner Verwandten zu sichern. Reinhold besaß weder die Fähigkeit noch die Lust, in dieser Weise mit den Verhältnissen zu spielen und sie sich dienstbar zu machen. Wie er niemals im Stande gewesen war, seine Abneigung gegen das Geschäftsleben und seine Gleichgültigkeit gegen die kleinbürgerlichen Interessen zu verhehlen, so machte er auch jetzt kein Hehl aus seiner Verachtung der ganzen Umgebung, seinem glühenden Haß gegen die Fesseln, die ihn einengten, und das war es, was ihm nicht verziehen wurde. Hugo, der entschieden auf der Seite seines Bruders stand, durfte ganz offen dessen Partei nehmen, was auch bei jeder Gelegenheit geschah. Der Oheim vergab ihm das, fand es sogar natürlich, denn die Art des jungen Capitains, sich zu geben, ließ es nie zu einem Conflicte kommen, während bei Reinhold dieser Punkt nur berührt zu werden brauchte, um sofort die heftigsten Scenen zwischen ihm und den Schwiegereltern zu veranlassen.

Es war um die Nachmittagsstunde, als Hugo das Almbach’sche Haus betrat und unten an der Treppe seinem Diener begegnete, den er vorher mit einem Auftrage zu dem Bruder gesandt hatte. Jonas war eigentlich nur dem Namen nach Matrose auf der „Ellida“; er war längst von den Schiffsarbeiten entbunden und ausschließlich zur Dienstleistung bei dem jungen Capitain bestimmt worden, den er auch bei einem längeren Aufenthalte auf dem Lande nie verließ, und dem er mit zäher, unerschütterlicher Anhänglichkeit überall folgte. Beide standen ungefähr in gleichem Alter. Jonas war im Grunde nichts weniger als häßlich; er konnte in seiner Sonntagstracht sogar für einen ganz hübschen Burschen gelten, aber seine ungeschickten Manieren und sein rauhes, wortkarges Wesen ließen diese Vorzüge nie zur Geltung kommen. Er stand mit dem ganzen Dienstpersonal des Almbach’schen Hauses, zumal mit dem weiblichen, auf beinahe feindseligem Fuße, und noch Keiner davon hatte je eine freundliche Miene bei ihm gesehen oder ein Wort mehr von ihm gehört, als unumgänglich nothwendig war. Auch jetzt sah er äußerst grämlich aus, und die vier oder fünf Thaler, die er soeben in die rechte Hand zählte, schienen sein höchstes Mißfallen zu erregen, so grimmig schaute er darauf hin.

„Was giebt es denn, Jonas?“ fragte der Capitain herantretend. „Hältst Du Uebersicht über Dein Baarvermögen?“

Der Matrose blickte auf und setzte sich in Positur, aber sein Gesicht wurde nicht freundlicher.

„Zum Blumenhändler soll ich gehen und einen Strauß abholen,“ brummte er, das Geld in die Tasche steckend.

„Ei sieh! Benutzt man Dich hier auch schon zum Blumenboten?“

„Ja, hier auch,“ sagte Jonas, nachdrücklich das letzte Wort betonend, und mit einem vorwurfsvollen Blicke auf seinen Herrn fügte er hinzu: „Gewohnt bin ich’s freilich.“

„Allerdings,“ lachte Hugo. „Aber ich bin es nicht gewohnt, daß Du dergleichen Gänge für einen Andern als mich besorgst. Wer hat es Dir denn aufgetragen?“

„Herr Reinhold,“ lautete die lakonische Antwort.

„Mein Bruder – so?“ sagte Hugo langsam, während ein Schatten über seine eben noch so hellen Züge hinflog.

„Und ein wahres Sündengeld soll ich dafür bezahlen,“ murrte Jonas weiter. „Herr Reinhold versteht es noch besser als wir, die Thaler fortzuwerfen für die Dinger, die morgen verwelkt sind. Und wir sind doch wenigstens nicht verheirathet, aber er –“

„Der Strauß ist jedenfalls für meine Schwägerin bestimmt,“ schnitt ihm der Capitain kurz das Wort ab. „Was giebt es dabei zu verwundern? Glaubst Du, ich werde meiner Frau keine Blumen schenken, wenn ich erst einmal verheirathet bin?“

Die letzte Bemerkung mußte dem Matrosen wohl sehr unerwartet kommen, denn er richtete sich mit einem Rucke in die Höhe und starrte seinen Herrn im vollsten Entsetzen an, aber schon in der nächsten Minute kehrte er beruhigt zu seiner früheren Haltung zurück und sagte zuversichtlich:

„Wir heirathen nie, Herr Capitain.“

„Ich verbitte mir dergleichen Orakelsprüche, die mich ohne Weiteres zur Ehelosigkeit verdammen,“ fiel Hugo ein. „Und warum werden ‚wir‘ denn nie heirathen?“

„Weil wir uns aus den Frauenzimmern gar nichts machen,“ beharrte Jonas.

„Du hast eine höchst wunderbare Manier, immer im Plural zu sprechen,“ spottete der Capitain. „Also ich mache mir nichts aus den Frauen? Ich dächte, das Gegentheil hätte oft genug Deinen Ingrimm erregt.“

„Aber zur Heirath kommt es doch nicht,“ triumphirte Jonas im Tone unerschütterlicher Ueberzeugung. „Im Grunde machen wir uns nicht so viel aus der ganzen Gesellschaft. Weiter als bis zum Blumenschicken und Handküssen geht die Geschichte nie, dann segeln wir ab, und sie haben das Nachsehen. Es ist auch ein wahres Glück, daß es so ist. Frauenzimmer auf der ,Ellida‘ – Gott bewahre uns davor!“

Diese mit unverwüstlichem Ernste, freilich auch wieder in dem unvermeidlichen Plural gegebene Charakteristik schien leider das Richtige getroffen zu haben, denn der Herr Capitain erhob nicht den geringsten Einwand dagegen. Er zuckte nur lachend die Achseln, drehte dem Matrosen den Rücken und stieg die Treppe hinauf. Er fand Reinhold in dessen eigener Wohnung, die im oberen Stocke lag, und ein einziger Blick auf das Gesicht des Bruders, der heftig im Zimmer auf und ab schritt, zeigte ihm, daß auch heute etwas vorgefallen sein müsse.

„Du willst ausgehen?“ fragte er nach der ersten Begrüßung mit einem Blicke auf den Hut und die Handschuhe, die auf dem Tische lagen.

„Später!“ antwortete Reinhold, sich zusammennehmend. „In einer Stunde etwa. Du bleibst doch einige Zeit?“

Hugo überhörte die letzte Frage. Er stand vor seinem Bruder und sah ihn forschend an.

„Hat es wieder eine Scene gegeben?“ fragte er halblaut.

Der finstere Trotz, der einige Minuten lang aus den Zügen des jungen Mannes gewichen war, kehrte wieder zurück.

„Gewiß. Man hat wieder einmal den Versuch gemacht, mich wie einen Schulknaben zu behandeln, der, wenn er sein tägliches Arbeitspensum geleistet, sich auch noch in den Erholungsstunden überwachen lassen und von jedem Gange Rechenschaft ablegen muß. Ich habe ihnen klar gemacht, daß ich dieser ewigen Bevormundungen müde bin.“

Der Capitain fragte nicht, um welchen Gang es sich bei diesem Streite handelte; das kurze Gespräch mit Jonas schien ihn hinreichend darüber aufgeklärt zu haben; er sagte nur kopfschüttelnd: „Es ist ein Unglück, daß Du so gänzlich abhängig von dem Onkel bist. Wenn es früher oder später zwischen Euch zum Bruche kommt und Du aus dem Geschäfte trittst, so ist das für Dich eine Existenzfrage; Dein ganzes Einkommen fällt damit. Du allein könntest Dich wohl zur Noth Deinen Compositionen anvertrauen, aber ihnen jetzt schon die Erhaltung einer Familie zumuthen, hieße Deine Zukunft von vornherein in Frage stellen. Ich hatte damals nur für mich allein einzustehen; Du wirst nothgedrungen warten müssen, bis Dich ein größeres Werk in die Lage versetzt, mit Frau und Kind der ganzen kleinbürgerlichen Sphäre den Rücken zu kehren.“

„Unmöglich!“ rief Reinhold beinahe ungestüm. „Bis dahin wäre ich zehnmal zu Grunde gegangen, und was ich an Talent besitze, mit mir. Ausharren, warten, vielleicht noch Jahre lang? Das kann ich nicht, das ist für mich gleichbedeutend mit Selbstvernichtung. Meine neue Arbeit ist vollendet. Wenn sie nur einigermaßen den Erfolg der ersten erreicht, so ermöglicht sie mir wenigstens, einige Monate in Italien zu leben.“

Hugo stutzte.

„Du willst nach Italien? Warum denn gerade dorthin?“ fragte der Capitain.

„Wohin denn sonst?“ warf Reinhold ungeduldig ein. „Italien ist die Schule jeder Kunst und jedes Künstlers. Dort allein kann ich das beschränkte und lückenhafte Studium ergänzen, zu dem die Verhältnisse mich zwangen. Begreifst Du das nicht?“

„Nein,“ sagte der Capitain ziemlich kühl. „Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein, daß ein Anfänger sogleich auf die hohe Schule muß. Du findest hier zum Studium Gelegenheit genug, und die meisten unserer Talente haben jahrelang ringen und arbeiten müssen, ehe Italien ihren Werken die letzte Weihe gab. – Gesetzt aber, Du führtest Deinen Plan aus, was soll inzwischen aus Deiner Frau und dem Kinde werden? Denkst Du sie mitzunehmen?“

„Ella?“ rief der junge Mann ist einem fast wegwerfenden Tone. „Das wäre das sicherste Mittel, mir jeden Aufschwung unmöglich zu machen. Denkst Du, ich werde beim ersten Schritt, den ich in die Freiheit hinaus thue, die ganze Kette der Häuslichkeitsmisère mit mir schleppen?“

Zwischen Hugo’s Augen wurde eine leichte Falte sichtbar. „Das klingt sehr hart, Reinhold,“ erwiderte er.

„Ist es meine Schuld, daß mir die Wahrheit endlich einmal zum Bewußtsein kommt?“ grollte Reinhold. „Meine Frau kann sich nun einmal nicht über die Küchen- und Wirthschaftssphäre erheben. Es ist nicht ihre Schuld, ich weiß es, aber es ist deshalb nicht weniger das Unglück meines Lebens.“

„Ella’s Beschränktheit scheint allerdings als eine Art Dogma in der Familie festzustehen,“ bemerkte der Capitain ruhig. „Du glaubst blindlings daran, wie all die Anderen. Habt Ihr Euch denn schon jemals die Mühe genommen, zu untersuchen, ob diese Annahme wirklich so unfehlbar ist?“

Reinhold zuckte die Achseln. „Ich glaube, das wäre in diesem Falle wohl überflüssig. In keinem Falle aber kann die Rede davon sein, daß ich Ella mit mir nehme. Sie bleibt mit dem Kinde natürlich hier im Hause ihrer Eltern, bis ich zurückkomme.“

„Bis Du zurückkommst – und wenn es nun nicht geschieht?“

„Was soll das heißen? Was meinst Du damit?“ fuhr der junge Mann auf, während eine dunkle Röthe über sein Gesicht hinflammte.

Hugo kreuzte seine Arme und sah ihn fest an. „Es fällt mir auf, daß Du jetzt auf einmal mit fertigen Plänen hervortrittst, die jedenfalls längst entworfen und auch wohl besprochen sind. Leugne nicht, Reinhold! Du allein wärst nie so in’s Extrem gegangen, wie Du es jetzt im Kampfe mit dem Onkel thust, ohne auf einen Rath oder eine Vorstellung zu hören; es ist da fremder Einfluß thätig. – Ist es wirklich unbedingt nothwendig, daß Du Tag für Tag zu der Biancona gehst?“

Reinhold gab keine Antwort; er wandte sich ab und entzog sich so der Beobachtung des Bruders.

„Man spricht bereits ist der Stadt davon,“ fuhr dieser fort. „Es kann nicht lange dauern, so dringt das Gerücht auch hierher. Ist Dir das wirklich ganz gleichgültig?“

„Signora Biancona studirt meine neue Composition ein,“ sagte Reinhold kurz, „und ich sehe in ihr nun einmal das Ideal einer Künstlerin. Du hast sie auch bewundert.“

„Bewundert, ja! Im Anfange wenigstens, angezogen hat sie mich nie. Die schöne Signora hat so etwas – Vampyrisches in ihren Augen. Ich fürchte, auf wen sich diese Augen richten, in der Absicht, ihn festzuhalten, der bedarf einer starken Dosis Willenskraft, um Herr seiner selbst zu bleiben.“

Er war mit den letzten Worten an die Seite seines Bruders getreten, der sich jetzt langsam umwandte und ihn ansah.

„Hast Du das auch schon empfunden?“ fragte er düster.

„Ich? Nein!“ entgegnete Hugo mit einem Anfluge seiner alten spöttischen Laune. „Ich bin zum Glück wenig empfänglich für dergleichen romantische Gefahren und überdies hinreichend vertraut damit. Nenne es Leichtsinn, Unbeständigkeit – wie Du willst! Aber mich vermag nun einmal eine Frau nicht lange und tief zu fesseln; mir fehlt eben das Element zur Leidenschaft. Du aber trägst es nur zu sehr in Dir, und wo Dir ein Gleichartiges entgegenkommt, da liegt die Gefahr auch dicht dabei. Nimm Dich ist Acht, Reinhold!“

„Willst Du mich damit an die Fesseln erinnern, die ich trage?“ fragte Reinhold bitter. „Als ob ich sie nicht täglich und stündlich fühlte, und mit ihnen die Ohnmacht, sie zu zerreißen. Wäre ich frei, wie Du es damals warst, als Du Dich der Sclaverei hier entrissest, es könnte noch Alles gut werden; aber Du hast ganz Recht, mich haben sie bei Zeiten festgekettet, und ein Traualtar ist der sicherste Riegel, den man allen Freiheitsgelüsten vorschiebt – ich muß es jetzt erfahren.“

Sie wurden unterbrochen; der Hausdiener überbrachte eine Anfrage des Buchhalters an den jungen Herrn Almbach. Dieser hieß den Mann gehen und wandte sich dann an seinen Bruder.

„Ich muß noch einen Augenblick in das Comptoir. Du siehst, ich gerathe nicht in Gefahr, in einer allzugroßen Romantik unterzugehen; dafür sorgen schon unsere Handlungsbücher, in denen vermuthlich wieder ein paar Thaler nicht vorschriftsmäßig eingetragen sind. Auf Wiedersehen, Hugo!“

Er ging, und der Capitain blieb allein zurück. Einige Minuten lang saß er noch wie in Gedanken versunken, während die Falte auf seiner Stirn immer tiefer wurde; dann auf einmal richtete er sich wie mit einem raschen Entschlusse empor und verließ gleichfalls das Gemach, aber nicht, um sich nach dem unteren Stocke zu dem Oheim und der Tante zu begeben; er ging geradewegs nach dem gegenüberliegenden Zimmer, das seine Schwägerin bewohnte.

Ella war in der That dort; sie saß am Fenster, den Kopf tief auf eine Handarbeit herabgeneigt, aber es hatte beinahe den Anschein, als sei diese in der Eile ergriffen worden, als die Thür sich so unvermuthet öffnete; das rasch bei Seite geworfene Taschentuch und die gerötheten Augenlider der jungen Frau verriethen eben erst getrocknete Thränen. Sie sah mit unverhehltem Erstaunen ihren Schwager eintreten. Es war allerdings das erste Mal, daß er sie in ihrem Zimmer aufsuchte; er kam auch nur bis in die Mitte desselben und blieb dort stehen, ohne sich ihrem Sitze zu nähern.

„Darf der ,Abenteurer‘ es noch einmal wagen, sich Ihnen zu nahen, Ella? Oder bannt ihn das über ihn ausgesprochene Verdammungsurtheil gänzlich von Ihrer Schwelle?“

Die junge Frau erröthete; sie drehte in peinlichster Verlegenheit die Arbeit zwischen den Händen.

„Herr –“

„Capitain!“ fiel Hugo ein. „Ganz richtig, so pflegen mich meine Matrosen stets zu nennen. Noch einmal diese Bezeichnung aus Ihrem Munde, und ich falle Ihnen sicher nicht wieder mit meiner Gegenwart lästig. Bitte, Ella, hören Sie mich heute an!“ fuhr er sehr entschieden fort, als die junge Frau Miene machte, aufzustehen. „Diesmal halte ich die Thür blokirt, durch die Sie bei meinem Nahen stets zu verschwinden pflegen; es ist auch zum Glück keine Magd in der Nähe, die Sie mit irgend einem Auftrage an Ihre Seite fesseln können. Wir sind allein, und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, ich gehe nicht eher von der Stelle, bis ich entweder begnadigt werde, oder – den unvermeidlichen ,Herrn Capitain’ anzuhören bekomme, der mich ein- für allemal vertreiben soll.“

Ella hob die Augen empor und jetzt sah man es deutlich, daß sie geweint hatte.

„Was liegt Ihnen denn an meiner Verzeihung?“ entgegnete sie ruhig. „Mich haben Sie am wenigsten gekränkt; ich sprach nur im Namen meiner Eltern und Hausgenossen.“

„An denen liegt mir gar nichts,“ fuhr Hugo mit der ungenirtesten Aufrichtigkeit heraus. „Aber daß ich Sie gekränkt habe, das thut mir leid, sehr leid, das hat mir wie ein Alp auf der Brust gelegen bis zu diesem Augenblicke. Ich kann doch nicht mehr thun, als ehrlich und herzlich um Verzeihung bitten. Sind Sie mir noch böse, Ella?“

Er streckte ihr die Hand hin. Es lag in der Bewegung und in den Worten eine so warme, offene Liebenswürdigkeit und Aufrichtigkeit, daß eine Verweigerung der Bitte fast unmöglich schien, und Ella legte wirklich, wenn auch etwas zögernd, ihre Hand in die seinige.

„Nein,“ sagte sie einfach.

„Gott sei Dank!“ rief Hugo aufathmend. „Also endlich bin ich doch in meine Rechte als Schwager eingesetzt. Ich ergreife hiermit feierlich Besitz davon!“

Er ließ dem Worte die That folgen, indem er einen Stuhl heranzog und an ihrer Seite Platz nahm. „Wissen Sie, Ella, daß Sie mich seit unserer neulichen Begegnung ganz außerordentlich interessiren?“ fuhr er fort.

„Es scheint, man muß unartig gegen Sie sein, um Sie zu interessiren,“ bemerkte Ella, fast im Tone des Vorwurfs.

„Ja, es scheint so,“ stimmte der Capitain mit voller Gemüthsruhe bei. „Wir ,Abenteurer‘ sind nun einmal ein eigenes Volk und wollen anders behandelt sein, als die Normalmenschen. Sie scheinen bei mir durchaus das Richtige getroffen zu haben. Seit Sie mir damals so schonungslos den Text lasen, habe ich das ganze Haus in Ruhe gelassen; ich habe einen ganzen Ehrfurchts- und Achtungs-Cursus dem Onkel und der Tante gegenüber durchgemacht und sogar meine Indianergeschichten sämmtlicher haarsträubender Effecte beraubt, einzig aus Furcht vor gewissen strafenden Augen. Das kann Ihnen doch unmöglich entgangen sein.“

Es flog etwas wie ein halbes Lächeln über das Antlitz der jungen Frau, als sie fragte:

„Es ist Ihnen wohl recht schwer geworden?“

„Sehr schwer, obgleich die Verhältnisse hier im Hause es mir eigentlich hätten erleichtern sollen. Sie waren in der letzten Zeit nicht danach, daß man seinen Uebermuth daran hätte üben können.“

Bei dieser Hindeutung erlosch der flüchtige Schimmer von Heiterkeit sofort in Ella’s Gesicht; es hatte einen angstvoll bittenden Ausdruck, als sie sich jetzt zu ihrem Schwager wandte.

„Ja, es ist traurig bei uns,“ sagte sie leise, „und es wird schlimmer von Tag zu Tag. Die Eltern sind so hart, und Reinhold so gereizt, so heftig bei jeder Gelegenheit. O mein Gott, vermögen Sie denn gar nichts über ihn?“

„Ich?“ fragte Hugo ernst. „Die Frage möchte ich Ihnen, der Gattin, zurückgeben.“

Ella schüttelte in trostloser Resignation das Haupt. „Auf mich hört ja doch Niemand, und Reinhold am wenigsten. Er ist der Meinung, ich verstehe nichts von all diesen Dingen – er würde mich nur herb zurückweisen.“

Hugo blickte mitleidig auf die junge Frau, die so offen eingestand, daß sie ihrem Manne gegenüber ganz macht- und einflußlos war, und auch nicht den geringsten Antheil an seinem Denken und Streben hatte.

„Und doch muß irgend etwas geschehen,“ sagte er entschieden. „Reinhold reibt sich in diesem Kampfe auf; er leidet grenzenlos darunter und macht Andere leiden. Sie hatten geweint, Ella, als ich eintrat, und es ist in diesen Wochen kein Tag gewesen, wo ich nicht diesen rothen Schein um Ihre Augen gesehen habe. Nein, rücken Sie nicht so ängstlich seitwärts! Dem Bruder wird doch wohl einmal ein freies Wort erlaubt sein, und Sie sollen sehen, daß er auch etwas Anderes kann, als Posten treiben. Ich wiederhole Ihnen: es muß etwas geschehen, durch Sie geschehen. Es gilt Reinhold’s Künstlerberuf, seine ganze Zukunft, und in dem Kampfe muß seine Frau an seiner Seite stehen, sonst könnten es – Andere statt ihrer thun, und das wäre gefährlich.“

Ella sah ihn mit einem Gemisch von Erstaunen und Schrecken an. Es geschah ihr wohl zum ersten Male in ihrem Leben, daß man sie zur offenen Parteinahme aufrief, und sich von ihrem Eingreifen irgend eine Wirkung versprach. Und was konnte denn mit den „Anderen“ gemeint sein, die ihren Platz einnehmen könnten? Ihr Gesicht verrieth deutlich, daß sie auch nicht die leiseste Ahnung davon hatte.

Hugo sah das und hatte doch nicht den Muth, weiter zu gehen; denn weiter gehen hieß hier, den ersten Verdacht in die Seele der noch ganz ahnungslosen Frau werfen, zum Angeber des eigenen Bruders werden und unausbleiblich eine Katastrophe heraufbeschwören, von deren Nothwendigkeit er gleichwohl überzeugt war. Aber das ganze Wesen des jungen Capitains sträubte sich gegen diese peinvolle Aufgabe; er saß unentschlossen da, als ihm der Zufall zu Hülfe kam. Es wurde draußen an die Thür geklopft und gleich darauf trat Jonas mit einem großen Blumenstrauße in der Hand ein.

Der Matrose mochte sonst wohl vorsichtiger sein, wenn er dergleichen Aufträge für seinen Herrn besorgte. Er wußte aus Erfahrung, daß dessen Blumenspenden, wenn auch von den betreffenden jungen Damen, so doch nicht immer von den respectiven Vätern und Beschützern mit besonderer Freundlichkeit aufgenommen wurden, und pflegte sich, wenn auch mit geheimem Ingrimm, stets an die richtige Adresse zu halten. Diesmal aber hatte Hugo mit der hingeworfenen Bemerkung, der Strauß sei für seine Schwägerin bestimmt, den Irrthum selbst verschuldet. Jonas zweifelte natürlich nicht daran, daß die Bemerkung seines Capitains, mit der dieser nur seinen Bruder decken wollte, ernst gemeint sei; er schritt deshalb direct auf die junge Frau Almbach zu und präsentirte ihr die Blumen mit den Worten:

„Ich kann Herrn Reinhold im ganzen Hause nicht finden, und da will ich den Strauß doch lieber gleich hier abgeben.“

Ella sah erstaunt auf das prachtvolle Rosenbouquet nieder, das, mit ebenso viel Kunst wie Geschmack zusammengefügt, eine Auswahl der herrlichsten Blüthen zeigte.

„Von wem kommen die Blumen?“ fragte sie.

„Vom Blumenhändler,“ berichtete Jonas. „Herr Reinhold hat sie bestellt, und ich habe sie abgeholt; da ich ihn aber nirgends finde –“

„Es ist gut. Du kannst gehen,“ fiel ihm Hugo in’s Wort, während er rasch zu seiner Schwägerin trat und die Hand, wie beschwichtigend, auf ihren Arm legte. Ein befehlender Wink gab der Weisung noch mehr Nachdruck, und Jonas trollte ab, konnte aber doch nicht umhin, sich darüber zu wundern, daß die junge Frau Almbach die Artigkeit ihres Mannes in so seltsamer Weise aufnahm. Sie war ja auf einmal zusammengezuckt, als habe sie ein Stich in das Herz getroffen, und kreideweiß war sie dabei geworden. Aber der Herr Capitain hatte mit gerunzelter Stirn und einem Ausdruck im Gesicht dabei gestanden, als möchte er die theuren Blumen am liebsten zum Fenster hinauswerfen. Jonas besaß zum Glück allzu viel Phlegma, als daß er sich um die Verhältnisse im Almbach’schen Hause viel hätte kümmern sollen; bei seiner feindseligen Stellung zu dem Dienstpersonal erfuhr er auch wenig genug davon; so ließ er es denn bei einer mäßigen Verwunderung bewenden und kümmerte sich in der Ueberzeugung, seinen Auftrag gewissenhaft erfüllt zu haben, nicht weiter um den Auftraggeber.

Drinnen im Zimmer herrschte einige Secunden lang tiefes Schweigen. Ella hielt das Bouquet noch krampfhaft fest in der Hand; aber das sonst so stille, leblose Antlitz der jungen Frau mit dem leeren, beinahe stumpfen Ausdrucke war seltsam verändert. Jetzt war jeder Zug desselben gespannt, wie im peinigenden Schmerze, und die Augen hafteten starr und unverwandt auf der bunten Blüthenpracht, auch jetzt noch, als sie sich zu ihrem Schwager wandte.

„Reinhold gab den Auftrag?“ fragte sie, wie nach Athem ringend. „Dann kamen die Blumen wohl nur durch – Irrthum in meine Hände?“

„Nicht doch,“ sagte Hugo mit einem vergeblichen Versuch, sie zu beruhigen. „Reinhold hat den Strauß bestellt, nun ja! Jedenfalls doch für Sie?“

„Für mich?“ Es klang ein ergreifendes Weh aus dem Tone. „Ich habe noch niemals eine Blume von ihm erhalten. Für mich sind diese hier sicher nicht bestimmt.“

Hugo sah, daß er nicht auf halbem Wege stehen bleiben dürfe – der Zufall hatte entschieden; jetzt galt es, dem Winke des Schicksals zu gehorchen. „Sie haben Recht, Ella,“ versetzte er entschlossen, „und es wäre nutzlos und gefährlich, Sie noch länger darüber zu täuschen. Reinhold hat mir nicht gesagt, wem das Bouquet bestimmt ist; ich weiß aber, daß es noch heute Abend in den Händen der Signora Biancona sein wird.“

Ella zuckte zusammen, und der Blumenstrauß fiel zu Boden. „Signora Biancona?“ wiederholte sie tonlos.

„Die Sängerin, die sein erstes Lied vor dem Publicum sang,“ fuhr der Capitain mit Nachdruck fort, „der auch seine neue Composition gilt. Dieselbe, zu der er täglich geht, die bereits sein ganzes Denken und Empfinden einnimmt. Sie wußten bisher noch nichts davon – ich sehe es an Ihrem Gesichte; aber Sie müssen es jetzt erfahren, ehe es zu spät ist.“

Die junge Frau gab keine Antwort; ihr Antlitz war so farblos, wie die weißen Blüthen, die den Rand des Bouquets umgaben; stumm bückte sie sich danach, hob es vom Boden auf und legte es auf den Tisch nieder; aber kein Laut, keine Entgegnung kam von ihren Lippen. Hugo wartete vergeblich darauf.

„Glauben Sie, daß ich Freude habe an der Grausamkeit, Ihnen zu enthüllen, was man sonst jeder Frau verbirgt?“ fragte er mit unterdrückter Bewegung. „Glauben Sie, daß ich nicht mit irgend einer Erfindung die Ungeschicklichkeit des Burschen wieder gut machen und mich selbst für den Spender der unglückseligen Blumen ausgeben könnte? Wenn ich das nicht thue, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit schonungslos aufdecke, so geschieht es, weil die Gefahr auf’s Aeußerste gestiegen ist, weil nur Sie allein noch retten können – und dazu müssen Sie klar sehen. Signora Biancona steht im Begriffe nach ihrer Heimath abzureisen, und Reinhold erklärte mir vorhin, daß er seine Studien in Italien fortsetzen wolle und müsse. Begreifen Sie den Zusammenhang?“

Ella fuhr auf. Jetzt zum ersten Male brach eine verzweiflungsvolle Angst mitten durch die starre Ruhe ihres Wesens.

„Nein, nein!“ rief sie wie außer sich. „Das kann er nicht. Das darf er nicht. Wir sind ja vermählt.“

„Er darf nicht?“ wiederholte Hugo. „Sie kennen die Männer schlecht, Ella, und Ihren eigenen Mann am wenigsten. Trauen Sie nicht zu sehr auf das Recht, das die Kirche Ihnen gab; auch diese Macht hat ihre Grenze, und ich fürchte, Reinhold steht bereits jenseits derselben. Sie freilich haben keine Ahnung von jener glühenden, dämonischen Leidenschaft, die einen Mann willenlos in Fesseln legt, ihn so mit ihrem Banne umstrickt, daß er um ihretwillen Alles vergißt und Alles opfert. Signora Biancona ist eine von jenen dämonischen Naturen, die solche Leidenschaften einflößen können, und hier steht sie im Bunde mit Allem, was Reinhold’s eigentliches Leben ausmacht, mit der Musik, der Kunst, dem Ideale. Da schützt keine Kirche und kein Trauschein mehr, wenn sich die Frau nicht selbst zu schützen weiß. Sie sind sein Weib, die Mutter seines Kindes. Vielleicht hört er Ihre Stimme noch, wo er sonst nichts mehr hört.“

Die schweren Athemzüge der jungen Frau zeigten, wie schwer sie litt, und ein paar Thränen, die ersten, rollten langsam aus ihren Augen, als sie kaum hörbar erwiderte: „Ich werde es versuchen.“

Hugo trat dicht an ihre Seite. „Ich weiß, daß ich heute einen Zündstoff in die Familie geworfen habe, dem vielleicht der letzte Rest von Frieden zum Opfer fällt,“ sagte er ernst. „Hunderte von Frauen würden jetzt verzweiflungsvoll zu ihren Eltern stürzen, um mit ihnen, oder allein, den Gatten zur Rede zu stellen und eine Scene herbeiführen, die das letzte Band zerreißen und ihn unwiderruflich aus dem Hause treiben würde. Sie werden das nicht thun, Ella; ich weiß es, deshalb habe ich bei Ihnen gewagt, was ich so leicht bei keiner andern Frau gethan hätte. Was Sie Reinhold sagen, wie Sie ihn halten wollen, das steht ja bei Ihnen, aber lassen Sie ihn jetzt nicht von Ihrer Seite, lassen Sie ihn nicht nach Italien!“

Er schwieg und schien eine Antwort zu erwarten – vergebens! Ella saß da, das Gesicht ist beiden Händen verborgen, sie regte sich kaum, als er ihr Lebewohl sagte. Der junge Capitain sah, daß sie den Schlag allein verwinden mußte, und so ging er denn. –

Als Reinhold eine halbe Stunde später aus dem Comptoir zurückkam, lag das Rosenbouquet ist seinem eigenen Zimmer auf dem Schreibtische, und er nahm es an sich, in der festen Meinung, Jonas habe es dorthin gelegt. Inzwischen saß Ella im Schlafzimmer ihres Kindes und wartete, nicht auf ein Lebewohl ihres Mannes – an dergleichen Zärtlichkeiten war sie in ihrer Ehe nicht gewöhnt – aber sie wußte, daß er nie das Haus verließ, ohne erst noch nach seinem Knaben zu sehen. Die junge Frau fühlte nur zu gut, daß sie selbst ihrem Gatten nichts war, daß ihre ganze Bedeutung für ihn einzig in dem Kinde wurzelte; sie fühlte, daß die Liebe zu seinem Kinde der einzige Punkt war, auf dem sie seinem Herzen näher treten konnte, und deshalb erwartete sie ihn gerade hier zu der so unendlich schweren und qualvollen Unterredung; er mußte ja kommen. Aber sie sollte heute vergebens warten. Reinhold kam nicht. Zum ersten Male vergaß er auch den Abschiedskuß auf die Stirn seines Kindes, vergaß er das letzte und einzige Band, das ihn noch an die Heimath fesselte. In seiner Seele war jetzt nur noch Raum für einen Gedanken, und der hieß: Beatrice Biancona.

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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