Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 49

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Inhaltsverzeichnis

„Ich fürchte, unser Signor Capitano hält es nicht lange aus in Mirando. Es ist gefährlich, daß er hier fortwährend seine See vor Augen hat; er blickt mit einer solchen Sehnsucht darauf hin, als wolle er uns je eher je lieber davonsegeln.“

Mit diesen Worten wandte sich Marchese Tortoni an seinen Gast, der während der letzten Viertelstunde fast gar keinen Antheil am Gespräche genommen hatte und den der junge Wirth soeben auf einem verstohlenen Gähnen ertappte.

„Nicht doch!“ verteidigte sich Hugo. „Ich fühle mich nur so grenzenlos unbedeutend und unwissend bei all’ diesen idealen Kunstgesprächen, bin so tief durchdrungen von dem Gefühle dieser meiner Unwissenheit, daß ich mir soeben in aller Eile das ganze Commando während eines Sturmes wiederholte, um mir die tröstliche Ueberzeugung zu verschaffen, daß ich doch auch noch irgend etwas verstehe.“

„Ausrede!“ rief der Marchese. „Sie vermissen das weibliche Element hier, das Sie so sehr verehren und das Sie nun einmal nicht entbehren zu können scheinen. Leider kann mein Mirando Ihnen diesen Reiz noch nicht bieten. Sie wissen, ich bin unvermählt und habe mich bisher noch nicht entschließen können, meine Freiheit zu opfern.“

„Noch nicht entschließen können, Ihre Freiheit zu opfern,“ parodirte Hugo, „mein Gott, das klingt ja ganz entsetzlich. Wenn Sie wirklich die höchste Stufenleiter irdischen Glückes noch nicht erstiegen haben, wie die eigentliche Lesart lautet –“

Glauben Sie ihm nicht, Cesario!“ fiel Reinhold ein. „Mein Bruder ist mit all’ seiner Ritterlichkeit und Galanterie doch im Grunde eine Eisnatur, die so leicht nichts erwärmt. Er tändelt mit Allen – Empfindung hat er für Keine; der jedesmalige Roman, den er Liebe, gelegentlich auch wohl Leidenschaft zu nennen beliebt, dauert gerade so lange, wie er am Lande ist, und verweht mit der ersten frischen Brise, die seine ‚Ellida‘ wieder heraustreibt in’s Meer. In seinem Herzen hat sich noch nie etwas geregt.“

„Abscheuliche Charakteristik!“ rief Hugo, seine Cigarre fortwerfend. „Ich protestire feierlichst.“

„Willst Du etwa behaupten, sie sei ungerecht?“

Der Capitain lachte und wandte sich an Tortoni. „Ich versichere Ihnen, Signor Marchese, daß ich auch unverbrüchlich treu sein kann – meiner schönen blauen Wellenbraut da draußen“ – er wies nach dem Meere hinüber –, „der habe ich mich nun einmal angelobt mit Herz und Hand. Sie allein versteht es, mich immer wieder von Neuem zu fesseln und festzuhalten, und wenn sie mir auch hin und wieder erlaubt, in ein Paar schöne Augen zu blicken, eine ernstliche Untreue duldet sie nicht.“

„Bis Du einmal doch in ein Paar Augen blickst, die Dich lehren, daß Du auch nicht gefeit bist gegen das allgemeine Loos der Sterblichen,“ sagte Reinhold, halb scherzend, halb mit einer Bitterkeit, die nur dem Bruder allein verständlich war. „Es giebt solche Augen.“

„O ja, es giebt solche Augen,“ wiederholte Hugo mit einem beinahe träumerischen Ausdrucke in das Meer hinausblickend.

„Wie, Signor, der Ton klang ja äußerst bedenklich,“ neckte der Marchese. „Sind Sie vielleicht doch schon den bewußten Augen begegnet?“

„Ich?“ der Capitain hatte den augenblicklichen Ernst schon wieder abgeschüttelt und war ganz wieder der alte Uebermuth. „Thorheit! Ich hoffe noch ziemlich lange dem ‚allgemeinen Loose der Sterblichen‘ zu trotzen. Sie hören es ja.“

„Schade, daß Sie hier so gar keine Gelegenheit finden, diesen heroischen Entschluß zu bewahrheiten,“ meinte Cesario. „Die einzige Nachbarschaft, die wir haben, schließt sich in einer Weise ab, die es gar nicht bis zu einer Versuchung kommen läßt. Die junge Signora zumal –“

„Eine junge Signora? Wo?“ Hugo fuhr aufgeregt in die Höhe.

Der Marchese zeigte nach einem Landhause hinüber, das, kaum eine Viertelstunde entfernt, halb versteckt in einem Olivenwalde lag.

„Dort drüben die Villa Fiorina ist schon seit mehreren Monaten bewohnt. Wie ich höre, sind es sogar Landsleute von Ihnen, Deutsche, welche sich dort für den Sommer niedergelassen haben; aber sie scheinen sich vollständigste Einsamkeit und Unsichtbarkeit zum Gesetze gemacht zu haben. Es wird Niemand dort empfangen, Niemand angenommen. Besuche aus S., die Bekanntschaften aus der Heimath geltend machten, wurden ohne Ausnahme zurückgewiesen, und da die Familie sich auch bei ihren Spaziergängen größtentheils auf den Park und die Terrasse beschränkt, so ist die Unnahbarkeit eine vollständige.“

„Und die Signora? Ist sie schön?“ fragte Hugo in lebhaftester Spannung.

Cesario zuckte die Achseln. „Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich sah sie nur flüchtig und in ziemlicher Entfernung ein einziges Mal. Eine schlanke jugendliche Gestalt, ein Kopf voll schöner goldblonder Flechten; das Gesicht war mir leider nicht zugewandt, und ich ritt auch ziemlich schnell vorüber. “

Ohne das Gesicht gesehen zu haben? Signor Marchese, ich bewundere Ihren Stoicismus, verwahre mich aber feierlich gegen die Zumuthung, ihn irgendwie nachzuahmen. – Bis heute Abend bringe ich Ihnen und Reinhold die Nachricht, ob die Signora wirklich schön ist oder nicht.“

„Das möchte Ihnen doch schwer werden,“ lachte der Marchese. „Sie hören es ja, der Eintritt ist nicht zu erlangen.“

„Bah, als ob mich das hinderte!“ rief Hugo übermüthig. „Jetzt fängt die Sache erst an interessant zu werden. Eine unzugängliche Villa, eine unsichtbare Dame, die noch dazu blond und eine Deutsche ist – das werde ich untersuchen, gründlich untersuchen. Schon meine Pflicht als Landsmann gebietet mir das.“

„Gott sei Dank, daß Sie ihn auf diese Spur gebracht haben, Cesario,“ sagte Reinhold. „Nun stört uns hoffentlich sein mühsam verhaltenes Gähnen nicht mehr, wenn wir von Musik reden. Ich wollte so noch Einiges über die Partitur mit Ihnen sprechen.“

Der junge Marchese war aufgestanden und legte jetzt wie bittend die Hand auf seine Schulter.

„Nun, und die Oper? Bleiben Sie unerbittlich bei Ihrem Ultimatum stehen? Ich versichere Ihnen, Rinaldo, es ist fast unmöglich, all die Aenderungen bis zum Herbste durchzuführen; ich habe mich selbst davon überzeugt. Man wird einen neuen Aufschub verlangen müssen, und Publicum und Gesellschaft warten nun bereits seit Monaten.“

„So warten sie noch länger.“ Es klang eine hochmüthig schroffe Abweisung in den Worten.

„Wie ein Dictator gesprochen,“ bemerkte Hugo. „Bist Du immer so souverain dem Publicum gegenüber? Das Bild, das Maestro Gianelli von Dir entwarf, scheint doch einige treffende Züge zu besitzen. Ich glaube, es war wirklich nicht so unbedingt nothwendig, das ganze Opernpersonal, inclusive Eccellenza den Intendanten, so in Verzweiflung zu bringen, wie Du es diesmal gethan hast.“

Reinhold hob den Kopf mit dem ganzen Stolze und der ganzen Rücksichtslosigkeit des verwöhnten, gefeierten Künstlers, der gewohnt ist, seinen Willen als ein Gesetz befolgt zu sehen, und dem ein Widerspruch gleichbedeutend mit Beleidigung ist.

„Ueber mein Werk und dessen Ausführung verfüge ich. Entweder man hört die Oper in der Gestalt, wie ich es wünsche, oder man hört sie nicht. Ich habe ihnen die Wahl gelassen.“

„Als ob es eine Wahl gäbe!“ meinte Cesario achselzuckend, indem er sich zu einem der Diener wandte, um ihm einen Auftrag zu geben, und die Brüder auf einige Minuten allein ließ.

„Leider scheint es hier keine zu geben,“ sagte Hugo, dem jungen Wirthe nachblickend. „Und Marchese Tortoni hat Dich auch mit auf dem Gewissen, wenn Du schließlich noch ganz und gar verdorben wirst durch die unsinnige Vergötterung, die man mit Dir treibt. Der leistet das Möglichste darin, wie überhaupt Dein ganzer Verehrerkreis! Sie setzen Dich ja wie einen Dalai Lama in die Mitte und gruppiren sich ehrfurchtsvoll um Dich herum, um den Aeußerungen Deines Genius zu lauschen, auch wenn es diesem Genius gelegentlich einmal belieben sollte, seine begeisterte Umgebung zu maltraitiren. Schade um Dich, Reinhold. Sie treiben Dich damit unfehlbar zu der Klippe, an der schon so manche bedeutende Kraft gescheitert ist – zur Selbstvergötterung.“

„Nun, daß dies vorläufig noch nicht geschieht, dafür sorgst Du schon,“ entgegnete Reinhold sarkastisch. „Du scheinst Dich jetzt ganz ausgezeichnet in der Rolle des getreuen Eckhard zu gefallen und probirst sie bei jeder Gelegenheit; sie ist aber die undankbarste von allen; gieb sie auf, Hugo! Sie sagt Deiner Natur ganz und gar nicht zu.“

Der Capitain runzelte die Stirn, aber er blieb vollkommen ruhig bei dem Tone, der einen Anderen leicht gereizt hätte, warf die Vogelflinte über den Rücken und ging hinaus. Nach wenigen Minuten schon befand er sich draußen am Meere, und als der frische Seewind erst seine Stirn kühlte, da war es auch schon wieder aus mit dem ganzen Ernste des Herrn Capitain; er schlug richtig den Weg nach der Villa Fiorina ein.

Die Wahrheit zu sagen, begann sich Hugo bereits zu langweilen in Mirando und in der vorwiegend künstlerischen Atmosphäre, welche die Neigung des Marchese und die Gegenwart seines Bruders dort schufen. Die paradiesische Lage der Besitzung war dem mit der Schönheit der Tropenwelt vertrauten Seemanne nichts Neues, und die Einsamkeit, der sich Reinhold mit einer fast krankhaften Sehnsucht hingab, sagte Hugo’s lebensfroher Natur durchaus nicht zu. Freilich lag das von Fremden schon reich bevölkerte S. in ziemlicher Nähe, aber man konnte doch nicht allzu oft hinüberfahren und dadurch dem jungen Wirthe zeigen, daß man bei ihm die Geselligkeit vermisse. Da kam denn diese vermuthlich schöne und jedenfalls geheimnißvolle und interessante Nachbarschaft äußerst gelegen, und Hugo war sofort entschlossen, sie sich zu Nutze zu machen.

„Das halte ein Anderer aus mit diesen Künstlern und Kunstenthusiasten!“ sagte er ärgerlich, während er den Weg am Meere entlang verfolgte. „Den halben Tag lang sitzen sie am Flügel, und während der übrigen Zeit sprechen sie von Musik. Reinhold bewegt sich ewig in Extremen. Mitten aus dem wildesten Leben, aus den unsinnigsten Aufregungen stürzt er sich Hals über Kopf in diese ideale Einsamkeit und will nichts weiter hören und wissen als nur seine Musik; mich soll nur wundern, wie lange das anhält. Und dieser Marchese Tortoni? Jung, schön, reich, aus dem edelsten Geschlecht, weiß dieser Cesario mit dem Leben nichts Besseres anzufangen, als sich monatelang in die Einsamkeit seines Mirando zu vergraben, den Dilettanten in großem Stile zu spielen, und dem Reinhold mit seiner maßlosen Vergötterung den Kopf noch mehr zu verdrehen. Da verstehe ich meine Zeit doch besser anzuwenden!“

Bei diesen letzten mit großem Selbstgefühle gesprochenen Worten blieb der Capitain stehen, denn das Ziel seines Ganges war vorläufig erreicht. Vor ihm lag die Villa Fiorina, überschattet von hohen Pinien und Cypressen und wie vergraben in blühenden Gesträuchen. Das Haus selbst schien prachtvoll und geräumig zu sein, aber die Hauptfront, sowie die nach dem Meere hinaus gelegene Terrasse waren so dicht umrankt und umgeben von Rosen- und Oleandergebüschen, daß selbst der Falkenblick Hugo’s es nicht vermochte, die duftige Schutzwehr zu durchdringen. Eine hohe, von Schlingpflanzen überwucherte Mauer umschloß die parkartigen Gartenanlagen, die in dem Olivenwalde endigten, der die Besitzung umgab. Sie mochte, nach der Großartigkeit der ganzen Anlage zu urtheilen, wohl früher das Eigenthum einer vornehmen Familie gewesen sein, dann, wie so viele ihres Gleichen, öfter den Besitzer gewechselt haben, und jetzt reichen Fremden zum vorübergehenden Aufenthalt dienen. Jedenfalls gab sie an Schönheit der Lage dem viel gepriesenen Mirando des Marchese Tortoni nicht das Geringste nach.

Der Capitain hatte seinen Feldzugsplan bereits entworfen; er musterte daher nur flüchtig die Umgebung, machte einen vergeblichen Versuch von der Seeseite her einen freieren Blick auf die Terrasse zu gewinnen, maß für alle Fälle mit dem Auge die Höhe der Gartenmauer und schritt dann geradeswegs nach dem Eingange, wo er die Glocke zog und ohne Weiteres die Herrschaft zu sprechen verlangte.

Der Pförtner, ein alter Italiener schien für dergleichen Fälle schon seine Instruction zu haben, denn ohne nur nach dem Namen des Fremden zu fragen, erklärte er kurz und bündig, die Herrschaft nehme keine Besuche an, und er bedaure, daß sich der Signor umsonst bemüht habe.

Hugo zog kaltblütig seine Karte hervor. „Man wird eine Ausnahme machen. Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit, die durchaus persönliche Rücksprache erfordert. Ich werde inzwischen hier warten, da ich jedenfalls werde empfangen werden.“

Er ließ sich ruhig auf die Steinbank nieder, und diese unerschütterliche Zuversicht imponirte dem Pförtner dermaßen, daß er wirklich an die Wichtigkeit der vorgeblichen Mission zu glauben begann. Er verschwand mit der Karte, während Hugo, ganz unbekümmert um die etwaigen Folgen, das Resultat seines kecken Manövers abwartete.

Dieses Resultat war ein über Erwarten günstiges, denn schon nach kurzer Zeit erschien ein Diener, der den Fremden, welcher sich mit einem deutschen Namen eingeführt, auch in dieser Sprache anredete, und ihn ersuchte, einzutreten. Er führte den Capitain in einen Gartensaal und ließ ihn dort allein, mit der Versicherung, der Herr werde sogleich erscheinen.

„Glück muß der Mensch haben,“ sagte Hugo, selbst ein wenig erstaunt über dieses unerwartet schnelle Gelingen. „Ich wollte, Reinhold und der Marchese könnten mich jetzt sehen. Mitten in der ‚unzugänglichen‘ Villa, in Erwartung des Herrn und Gebieters derselben, und nur einige Thüren weit von der blonden Signora. Das ist vorläufig genug für die ersten fünf Minuten, und das hätte nicht einmal mein genialer Herr Bruder fertig gebracht, vor dem doch sonst alle Thüren springen. Jetzt heißt es aber selbst genial sein, im Lügen nämlich. Was in aller Welt sage ich diesem Edlen, bei dem ich mich in einer wichtigen Angelegenheit habe anmelden lassen, ohne je eine Sylbe von ihm gehört zu haben, so wenig als er von mir? Ah bah! Irgend Jemand hat mir auf irgend einer meiner Fahrten irgend einen Auftrag gegeben. Im schlimmsten Falle kann ich mich doch nur in der Person geirrt haben, inzwischen ist die Bekanntschaft eingeleitet, und das Uebrige ergiebt sich von selbst. Ich werde die Improvisation ganz nach der Persönlichkeit des Betreffenden einrichten, jedenfalls gehe ich nicht von der Stelle, ohne die Signora gesehen zu haben.“

Er nahm Platz und begann in vollster Gemüthsruhe die Umgebung zu betrachten. „Meine verehrten Landsleute scheinen in der That der glücklich situirten Minderheit anzugehören, die jährlich über einige Zehntausende verfügt. Die ganze Villa nebst Park zum ausschließlichen Gebrauche gemiethet – die Einrichtung mit großen Kosten vervollständigt, denn diesen Comfort findet man nicht hier im Süden – die eigene Dienerschaft mitgebracht; ich sah nicht weniger als drei Gesichter da draußen, denen die urgermanische Abkunft auf der Stirn geschrieben steht. Jetzt ist nur die Frage, ob wir es mit der Aristokratie oder mit der Börse zu thun haben. Das Letztere wäre mir lieber, ich kann da doch wenigstens einige mercantilische Beziehungen geltend machen, während ich vor einem hohen Adel in der ganzen Nichtigkeit des Bürgerlichen – – wie, Consul Erlau?“

Mit diesem in grenzenlosem Erstaunen hervorgestoßenen Ausrufe prallte Hugo von der Schwelle zurück, auf der jetzt die wohlbekannte Gestalt des Handelsherrn erschien. Der Consul war freilich im Laufe der Jahre sehr gealtert, das einst so volle dunkle Haar erschien grau und spärlich; die Züge trugen den Ausdruck eines unverkennbaren Leidens, und auch das freundliche Wohlwollen, das sie sonst belebte, war, für den Augenblick wenigstens, einer kalten Gemessenheit gewichen, mit der er sich dem Gaste näherte.

„Herr Capitain Almbach, Sie wünschen mich zu sprechen?“

Hugo war bereits Herr seiner Ueberraschung geworden und augenblicklich entschlossen, diesen ganz unerwartet günstigen Zufall nach Kräften zu benutzen. Er nahm all seine Liebenswürdigkeit zusammen.

„Herr Consul, ich bin Ihnen sehr dankbar – ich hoffte in der That kaum, von Ihnen persönlich empfangen zu werden.“

Erlau ließ sich nieder und lud ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen ein.

„Ich habe auch auf ärztliche Anordnung Besuche zu meiden; bei der Nennung Ihres Namens aber glaubte ich eine Ausnahme machen zu müssen, da es sich vermuthlich um meine Eigenschaft als Vormund Ihres Neffen handelt. Sie kommen im Auftrage Ihres Bruders?“

„Im Auftrage Reinhold’s?“ wiederholte Hugo ungewiß. „Wie so?“

„Es ist mir lieb, daß Herr Almbach keine persönliche Annäherung versucht hat, wie er sie schon einmal schriftlich versuchte,“ fuhr der Consul noch immer in dem Tone kühler Zurückhaltung fort. „Er scheint trotz unserer absichtlichen Zurückgezogenheit den gegenwärtigen Aufenthalt seines Sohnes zu kennen. Ich bedaure aber, Ihnen mittheilen zu müssen, daß Eleonore durchaus nicht gesonnen ist –“

„Ella? Sie ist hier? Bei Ihnen?“ fuhr Hugo mit solcher Lebhaftigkeit auf, daß Erlau ihn mit äußerster Befremdung anblickte.

„War Ihnen das nicht bekannt? Dann, Herr Capitain, darf ich wohl fragen, was mir eigentlich die Ehre Ihres Besuches verschafft?“

Hugo überlegte einen Augenblick, er sah wohl, daß der Name Reinhold’s, der ihm die Thüren geöffnet, doch die schlimmste Empfehlung war, die er hier mitbringen konnte, und faßte danach seinen Entschluß.

„Ich muß zuvörderst einen Irrthum aufklären,“ entgegnete er mit vollster Offenheit. „Ich komme weder als Abgesandter meines Bruders, wie Sie zu vermuthen scheinen, noch bin ich überhaupt in seinem Interesse oder mit seinem Wissen hier. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, er hat augenblicklich noch keine Ahnung davon, daß seine Gattin und sein Sohn sich in seiner Nähe, daß sie sich überhaupt in Italien befinden. Mich dagegen“ – hier hielt es der Capitain doch für angemessen, etwas Dichtung in die Wahrheit zu mischen – „mich dagegen führte ein Zufall auf die Spur, von deren Richtigkeit ich mich vorerst zu überzeugen wünschte. Ich kam, um meine Schwägerin zu sehen.“

„Das würde wohl besser unterbleiben,“ meinte der Consul mit auffallender Kälte. „Sie werden begreifen, daß ein solches Zusammentreffen für Eleonore nur peinlich sein kann –“

„Ella weiß am besten, wie ich von jeher zu der ganzen Angelegenheit gestanden habe,“ unterbrach ihn der Capitain. „und sie wird mir sicher die erbetene Unterredung nicht versagen.“

„Nun wohl, so thue ich es im Namen meiner Pflegetochter,“ erklärte Erlau bestimmt.

Hugo stand auf. „Herr Consul, ich weiß, daß Sie Vaterrechte über meinen Neffen und auch wohl über seine Mutter erworben haben, und ehre diese Rechte. Deshalb bitte ich Sie um die Gewährung dieser Zusammenkunft. Ich werde meine Schwägerin mit keinem Worte, mit keiner Erinnerung verletzen, wie Sie es zu fürchten scheinen, nur – sehen möchte ich sie doch wenigstens.“

Es lag in den Worten eine so warme ernste Bitte, daß der Consul schwankte. Er mochte wohl an die Zeit denken, wo der Muth des jungen Capitain Almbach ihm das beste seiner Schiffe gerettet hatte, und der Dank, den der reiche Handelsherr in überschwenglicher Weise abzutragen bereit war, höflich, aber bestimmt zurückgewiesen wurde. Es wäre mehr als undankbar gewesen, diesem Manne gegenüber auf der schroffen Abweisung zu beharren; er gab nach.

„Ich werde fragen, ob Eleonore zu dieser Unterredung geneigt ist,“ sagte er aufstehend. „Von Ihrem Hiersein ist sie allerdings schon unterrichtet, denn sie war bei mir, als ich Ihre Karte empfing. Ich bitte nur um einige Augenblicke Geduld.“

Er verließ das Zimmer; es vergingen wohl an zehn Minuten ungeduldigen Harrens, da endlich wurde die Thür von Neuem geöffnet und ein Damenkleid rauschte auf der Schwelle. Hugo ging rasch der Eintretenden entgegen.

„Ella! Ich wußte, daß Sie mich nicht –“ Er stockte plötzlich, die zum Willkommen ausgestreckte Hand sank langsam nieder, und der Capitain stand wie angewurzelt.

„Sie scheinen mich kaum mehr zu erkennen,“ sagte die junge Frau, die vergeblich auf eine Vollendung des Grußes wartete. „Habe ich mich denn so sehr verändert?“

„Ja – sehr,“ bestätigte Hugo, dessen Auge noch immer in maßlosem Erstaunen an der Gestalt der vor ihm stehenden Dame hing. Der kecke, übermüthige Seemann, der sich sonst jeder Lage des Lebens, jeder Ueberraschung gewachsen zeigte, stand hier stumm, verwirrt, fast bestürzt da. Freilich, wer hätte das auch je für möglich gehalten!

Das also war aus der einstigen Gattin seines Bruders geworden, aus der scheuen furchtsamen Ella, mit dem blassen unschönen Gesichtchen und dem linkisch schüchternen Wesen! Jetzt erst sah man es, was jene Kleidung gesündigt hatte, in der Eleonore Almbach immer nur wie die Magd und nie wie die Tochter des Hauses erschien, und was jene unendliche Haube, die, wie für die Stirn einer Sechszigjährigen gemacht, Tag für Tag das Haupt der noch so jugendlichen Frau bedeckte. Das Alles war verschwunden bis auf die letzte Spur. Das helle duftige Morgengewand ließ die schlanke, noch immer mädchenhaft zarte Gestalt in ihrer ganzen Schönheit hervortreten, und der überreiche Schmuck der blonden Flechten, die jetzt unverhüllt getragen wurden, umgab in seiner ganzen schweren, goldschimmernden Pracht das Haupt. Das Gesicht der „blonden Signora“ hatte Marchese Tortoni freilich nicht gesehen, aber Hugo sah es jetzt, und während dieses secundenlangen Anschauens fragte er sich immer wieder, was denn eigentlich mit diesen Zügen vorgegangen sei, die einst so starr und leer waren, daß man ihnen den Vorwurf der Stumpfheit gemacht, und die nun so beseelt und durchgeistigt erschienen, als sei ein Bann von ihnen genommen und irgend etwas Niegeahntes darin zum Leben erwacht. Freilich lag es noch um den Mund wie ein Zug leisen, nicht überwundenen Schmerzes, und die Stirn überschattete eine Schwermuth, die sie früher nicht gekannt, aber die Augen suchten nicht mehr verschleiert und scheu den Boden; jetzt waren sie klar und voll aufgeschlagen, und sie hatten wahrlich nichts eingebüßt von der einstigen Schönheit. Ella schien es gelernt zu haben, das, was ihr die Natur gegeben, nicht mehr ängstlich vor fremden Blicken zu verstecken. Als sie achtzehn Jahre alt war, fragte ein Jeder achselzuckend: „Wie kommt diese Frau an die Seite dieses Mannes?“ Mit achtundzwanzig war sie eine Erscheinung, die mit jeder Anderen in die Schranken treten konnte. Wie schwer mußten der Druck und die Fesseln des Elternhauses auf der jungen Frau gelastet haben, wenn wenige Jahre, in freieren edleren Umgebungen verlebt, genügt hatten, um die einstige Hülle bis auf den letzten Rest abzustreifen und dem Schmetterlinge die Flügel zu lösen. Die fast unglaubliche Veränderung bewies, was die einstige Jugenderziehung verschuldet.

„Sie wünschten eine Unterredung mit mir, Herr Capitain?“ begann Ella, indem sie sich auf die Ottomane niederließ. „Darf ich bitten?“

Worte und Haltung waren so sicher und unbefangen, wie die einer vollendeten Weltdame, die einen Besuch empfängt, aber auch fremd und kühl, als habe sie nicht die geringste Beziehung zu diesem Besuche. Hugo verneigte sich; es lag noch eine helle Röthe auf seiner Stirn, als er, der Einladung folgend, an ihrer Seite Platz nahm.

„Ich bat darum – der Herr Consul glaubte mir in Ihrem Namen diese Unterredung versagen zu müssen, aber ich bestand auf der directen Anfrage bei Ihnen. Ich hatte ein besseres Vertrauen zu Ihrer Güte, gnädige Frau.“

Sie sah ihn groß und fragend an. „Sind wir uns so fremd geworden? Warum geben Sie mir diesen Namen?“

„Weil ich sehe, daß mein Besuch hier als ein unberechtigtes Eindringen angesehen wird, das man nur um des Namens willen, den ich trage, nicht entschieden zurückweist,“ versetzte Hugo mit einiger Bitterkeit. „Schon Herr Consul Erlau ließ mich das fühlen, und hier mache ich zum zweiten Male die Erfahrung. Und doch kann ich auch Ihnen nur wiederholen, daß ich ohne Auftrag, selbst ohne Wissen – eines Anderen hier bin und daß dieser Andere bis zur Stunde noch keine Ahnung von Ihrer Nähe hat.“

„Nun so bitte ich Sie, diese Nähe auch ferner ein Geheimniß bleiben zu lassen,“ sagte die junge Frau ernst. „Sie werden begreifen, daß ich nicht wünsche, meine Anwesenheit verrathen zu sehen, und S. ist immerhin weit genug entfernt, um das möglich zu machen.“

„Wer sagt Ihnen denn, daß wir unseren Aufenthalt in S. genommen haben?“ fragte Hugo etwas betreten über die Sicherheit dieser Annahme.

Sie wies nach den auf dem Tische liegenden Zeitungen. „Ich las heute Morgen, daß man dort zwei der ersten musikalischen Berühmtheiten erwartet. Die Nachricht ist verspätet, wie ich sehe, und Sie sind jedenfalls Gast Ihres Bruders.“

Hugo schwieg; er hatte nicht den Muth, ihr zu sagen, um wie vieles näher ihr der einstige Gatte war, und die Zeitungsnotiz konnte er sich leicht erklären, da er von der bevorstehenden Ankunft Beatricens wußte. Man war eben gewohnt, sie und Reinhold stets zusammen zu nennen, und wenn dieser auch jetzt noch in Mirando weilte, so setzte man sein Kommen doch als bestimmt voraus, sobald sie in S. eingetroffen. Im Grunde war es ja auch ein verabredetes Zusammentreffen zwischen den Beiden, ableugnen ließ sich das nicht.

„Aber weshalb dieses Verbergen?“ fragte er, den gefährlichen Punkt ganz unberührt lassend. „Sie sind es doch nicht, Ella, die eine etwaige Begegnung zu scheuen oder zu fliehen hat?“

„Nein! Aber meinen Knaben will ich um jeden Preis schützen vor der Möglichkeit einer solchen Begegnung.“

„Mit seinem Vater?“ Hugo legte einen vorwurfsvollen Nachdruck auf das letzte Wort.

„Mit Ihrem Bruder – ja!“

Der Capitain sah überrascht auf. Der Ton klang eiskalt, und starr und eisig lag es auf dem Antlitze der jungen Frau, das auf einmal den Ausdruck eines unbeugsamen Willens zeigte, wie ihn Niemand in dieser lieblichen Erscheinung gesucht hätte.

„Das ist hart, Ella,“ sagte Hugo leise. „Wenn Sie sich unnahbar machen – ich begreife es nach dem, was geschehen ist, warum aber auch den Knaben? Reinhold versuchte es schon einmal, sich seinem Kinde zu nähern – Sie wiesen ihn zurück –“

Ella unterbrach ihn, „Sie haben mir gesagt, daß Sie ohne Auftrag kommen, Hugo, und ich glaube Ihnen; dann aber braucht dieser Punkt nicht weiter zwischen uns erörtert zu werden. Lassen wir ihn ruhen! – Ich war sehr überrascht, Sie hier in Italien wieder zu sehen. Gedenken Sie lange hier zu bleiben?“

Der Capitain folgte, wenn auch mit einiger Betroffenheit, dem gegebenen Winke. Es war ihm doch noch gar zu ungewohnt, daß seine junge Schwägerin, die er fast nur als stumme scheue Zuhörerin gekannt, so vollständig das Gespräch beherrschte und es mit so großer Sicherheit und Unbefangenheit auf einen anderen Gegenstand hinüberzuleiten wußte, wenn der frühere ihr peinlich wurde.

„Wohl länger, als ich anfangs glaubte,“ sagte er, ihre Frage beantwortend. „Mein Aufenthalt war ursprünglich nur auf kurze Zeit bestimmt, aber ein Sturm, der uns auf offener See ergriff, hat meine Ellida so zugerichtet, daß ich nur mit Mühe den nächsten italienischen Hafen erreichte und vorläufig noch nicht daran denken kann, die Fahrt wieder aufzunehmen. Die Arbeiten am Schiffe werden Monate erfordern, und mein Urlaub ist somit in’s Ungewisse verlängert worden. Ich ahnte freilich nicht, daß ich Sie hier finden würde.“

Ueber das Antlitz der jungen Frau flog ein Schatten.

„Wir sind auf ärztlichen Befehl hier,“ erwiderte sie ernst. „Ein Brustleiden nöthigte meinen Pflegevater, den Süden aufzusuchen; seine Gattin ist schon seit mehreren Jahren todt, und Sie wissen ja, daß er kinderlos ist. Ich war längst in die Rechte einer Tochter getreten; da war es wohl selbstverständlich, daß ich auch die Pflichten derselben übernahm. Die Aerzte bestanden durchaus auf diesen Ort, der in der That die günstigste Wirkung zu üben scheint, und so sehr ich wünschte, gerade Italien zu vermeiden, so konnte ich es doch nicht über mich gewinnen, den Kranken, dem meine Nähe Bedürfniß geworden war, allein reisen zu lassen. Wir glaubten jeder peinlichen Begegnung vorzubeugen, wenn wir die Stadt vermieden, in der – Signor Rinaldo lebt, und uns hier die einsamste und abgelegenste der Villen zu möglichster Zurückgezogenheit auswählten. Die Maßregeln waren umsonst, wie ich sehe; Sie waren kaum in meiner Nähe, als Sie auch bereits meinen Aufenthalt entdeckten.“

„Ich? Ja freilich,“ sagte Hugo in unwillkürlicher Verlegenheit. „Und Sie machen mir einen Vorwurf daraus?“

Ella lächelte. „Nein! Aber gewundert hat es mich, daß Capitain Hugo noch so viel Interesse für die kleine Cousine und ehemalige Spielgefährtin hegte, um so hartnäckig auf einem Wiedersehen zu bestehen, das ihm anfangs verweigert wurde. Wir glaubten uns hinreichend gegen fremde Besuche gesichert zu haben. Sie wußten dennoch den Eingang zu erzwingen, und das zeigt mir, daß ich auch schon in meinem früheren Leben Freunde besessen habe. Bis heute bezweifelte ich das, aber es ist doch eine Gewißheit, die mir wohl thut, und dafür danke ich Ihnen, Hugo.“

Sie hatte die Augen klar und voll zu ihm aufgeschlagen, und mit einem reizenden Lächeln, welches das Gesicht unendlich lieblich erscheinen ließ, streckte sie ihm jetzt vertraulich die Hand entgegen. Aber der freundliche Dank fand keine Antwort – die Stirn des Capitains brannte in glühender Röthe, und urplötzlich sprang er auf und stieß ihre Hand zurück.

„Nein!“ sagte der Capitain. – „Das geht nicht! – Ich – ich habe Ihnen ein Bekenntniß zu machen, Ella, – auf die Gefahr hin, daß Sie mir dann sofort die Thür weisen.“

„Was haben Sie mir denn zu bekennen?“ fragte die junge Frau erstaunt.

Hugo sah zu Boden. „Daß ich noch immer der ‚Abenteurer‘ bin, dem Sie einst so nachdrücklich den Text gelesen. Gebessert hat ihn das freilich nicht, aber er hat es seitdem doch nicht wieder versucht, mit seinen Thorheiten Ihnen nahe zu kommen, und kann’s auch heute nicht. Also kurz und gut, ich hatte keine Ahnung davon, wer die Bewohner dieser Villa seien, als ich meine Schritte hierher lenkte. Ich ließ mich bei dem mir völlig unbekannten Herrn melden, weil Marchese Tortoni mir von einer jungen Dame gesprochen hatte, die hier in äußerster Zurückgezogenheit lebe, und – ja, das wußte ich vorher, daß Sie mich wieder so ansehen würden.“

Ihr Blick hatte ihn in der That ernst und vorwurfsvoll getroffen; jetzt wandte sie sich schweigend ab und sah durch das Fenster. Es entstand eine Pause, dann trat Hugo an ihre Seite.

„Das war der ‚Zufall’, der mich hergeführt. Nun, Ella? Ich warte auf meine Strafpredigt.“

„Sie sind ja frei und haben keine Pflicht zu verletzen,“ sagte die junge Frau kühl. „Im Uebrigen kann meine Meinung in solchen Dingen wohl schwerlich von Einfluß auf Sie sein, Herr Capitain.“

„Und damit hat der Herr Capitain sich zu entfernen, um das nächste Mal verschlossene Thüren zu finden, nicht wahr?“ In seiner Stimme klang eine unverkennbare Erregung. „Sie sind doch ungerecht gegen mich. Daß ich hier, wo ich völlig Unbekannte zu finden wähnte, einem Abenteuer nachging – nun, das ist eben nichts Neues bei mir, aber daß ich die grenzenlose Albernheit beging, es Ihnen einzugestehen, obwohl mir doch der beste Vorwand zur Täuschung gegeben war, das ist sehr neu, und dazu haben nur Sie mich mit diesen Augen gezwungen, die mich wieder so groß und fragend anblickten, daß ich roth wurde wie ein Schulknabe und nicht von der Stelle konnte mit meiner Lüge. Und dafür bekomme ich nun auch sofort wieder den ‚Herrn Capitain‘ zu hören, der sich, Gott sei Dank, auf eine Viertelstunde aus unserem Gespräch empfohlen hatte.“

Ella schüttelte leise das Haupt. „Sie haben mir die ganze Freude am Wiedersehn verdorben – jetzt freilich –“

„Haben Sie sich denn gefreut? Haben Sie das wirklich?“ rief Hugo, sie lebhaft unterbrechend, mit aufblitzenden Augen.

„Gewiß,“ versicherte sie ruhig. „Man freut sich immer, wenn man in der Ferne Grüße und Erinnerungen aus der Heimath wiederfindet.“

„Ja so,“ sagte Hugo langsam. „Ich hatte ganz vergessen, daß wir nebenbei noch Landsleute sind. Also nur den Deutschen haben Sie in mir gesehen? Da bekenne ich denn doch offen, daß meine Regungen nicht so allgemein patriotischer Natur waren, als ich Sie wiedersah.“

„Trotz der unvermeidlichen Enttäuschung, die Ihnen die Entdeckung bereitete?“ fragte Ella mit einiger Schärfe.

Der Capitain sah sie einige Secunden lang unverwandt an.

„Sie lassen mich das unvorsichtige Geständniß arg büßen, Ella. Sei’s darum! Ich muß es wohl ertragen. Nur eine Frage noch, ehe ich gehe, oder eine Bitte vielmehr. Darf ich wiederkommen?“

Sie zögerte mit der Antwort; er trat ihr einen Schritt näher. „Darf ich wiederkommen? Ella, was habe ich Ihnen denn gethan, daß Sie auch mich von Ihrer Schwelle bannen wollen?“

Es lag ein Vorwurf in den Worten, der seinen Eindruck auf die junge Frau nicht verfehlte. „Ich thue es ja auch nicht,“ erwiderte sie leise. „Wenn Sie mich wieder aufsuchen wollen – Ihnen wird unsere Thür nicht verschlossen sein.“

Mit einer raschen Bewegung ergriff Hugo ihre Hand und zog sie an seine Lippen, aber diese Lippen ruhten ungewöhnlich lange darauf, viel länger als es sonst bei einem Handkuß üblich ist, und Ella schien das zu fühlen, denn sie zog etwas hastig die Hand zurück. Ebenso hastig richtete sich auch der Capitain auf; die helle Röthe von vorhin lag wieder auf seinem Antlitz und er, der nie um eine Artigkeit oder eine passende Antwort verlegen war, sagte jetzt nur einsilbig:

„Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen also!“

„Auf Wiedersehen!“ entgegnete Ella mit einer Befangenheit, die seltsam mit der Ruhe und Sicherheit contrastirte, die sie während der ganzen Unterredung gezeigt hatte. Fast schien es, als bereue sie die soeben gegebene Erlaubniß, die gleichwohl nicht mehr zurückgenommen werden konnte.

Wenige Minuten darauf befand sich Capitain Almbach im Freien und schlug langsam den Rückweg nach Mirando ein. Er hatte wieder einmal seinen Willen durchgesetzt und das heute Morgen im Uebermuthe gegebene Versprechen eingelöst. Aber er schien wenig geneigt, diesen Triumph irgendwo geltend zu machen. Nach der Villa zurückschauend, strich er mit der Hand über die Stirn wie Jemand, der aus einem Traume erwacht.

„Ich glaube, die elegische Atmosphäre in Mirando hat mich angesteckt,“ murmelte er ärgerlich. „Ich fange jetzt auch an, die einfachsten Dinge vom ideal-romantischen Standpunkte aufzufassen. Was ist denn eigentlich an dieser Begegnung, daß ich so gar nicht darüber hinauskommen kann? Die Erlau’schen Salons sind eben eine gute Schule gewesen, und die Schülerin hat über Erwarten leicht und schnell begriffen. Geahnt habe ich längst so etwas und doch – Thorheit, was geht es mich denn an, wenn Reinhold schließlich seine Blindheit bereuen lernt! Und sie weiß noch nicht einmal, wie nahe er ihr ist, so nahe, daß eine Begegnung auf die Dauer nicht ausbleiben kann. Ich fürchte, der Versuch einer Annäherung käme Reinhold dieses Mal noch viel theurer zu stehen als jener erste. Was war das für ein seltsam eisiger Ausdruck in ihrem Gesichte, als ich auf die Möglichkeit einer Versöhnung hindeutete! Das,“ – hier athmete Hugo auf, in vielleicht unbewußter, aber tiefster Genugthuung – „das sprach ‚Nein‘ bis in alle Ewigkeit. Und wenn sie jetzt auch Zufall oder Schicksal wieder zusammenführt, jetzt ist’s zu spät – jetzt hat er sie verloren.“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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