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Inhaltsverzeichnis

Die flammende Pracht des Sonnenunterganges schien Erde und Himmel in ein Meer von Gluth und Verklärung zu tauchen. Das ganze wunderbare Farbenspiel des Südens leuchtete auf am westlichen Horizonte, und die Lichtfluth ergoß sich weithin über die Stadt mit ihren Kuppeln, Thürmen und Palästen. Es war ein unvergleichliches Panorama, das sich rings um die Villa ausbreitete, die außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe lag, weithin sichtbar mit ihren Terrassen und Säulengängen und umgeben von den tiefer gelegenen Gärten, in denen sich die üppigste Fülle südlicher Vegetation entfaltete. Da hoben die ernsten Cypressen ihre dunklen Häupter; da schwankten Pinien im leisen Abendwinde, weiße Marmorstatuen blickten aus Lorbeer- und Myrthengebüschen hervor; der Strahl der Fontainen rauschte und sprühte nieder auf den Rasenteppich, und Tausende von Blumenkelchen sandten ihren berauschend süßen Duft empor. Ueberall Schönheit und Kunst, Duft und Blüthen, Licht und Farbenglanz.

Auf der Terrasse und in den angrenzenden Partien des Parkes befand sich eine zahlreiche Gesellschaft, die den Genuß des herrlichen Abends und die wundervolle Aussicht hier draußen dem Aufenthalte in den Sälen drinnen vorziehen mochte. Sie schien in ihrer überwiegenden Mehrheit der Aristokratie anzugehören, doch sah man auch manche Gestalt darunter, die unzweifelhaft den Künstler verrieth, und hier und da erschien das dunkle Gewand eines Geistlichen neben den hellen Toiletten der Damen oder den glänzenden Uniformen. Die verschiedensten Elemente schienen sich hier zu vereinigen. Man promenirte, plauderte, und saß oder stand in zwanglosen Gruppen beisammen.

In einer dieser Gruppen, die sich am Fuße der Terrasse, dicht neben der großen Fontaine zusammengefunden hatte, wurde die Unterhaltung mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit geführt; es mußte sich wohl um einen Gegenstand von allgemeinerem Interesse handeln. Die einzelnen Worte und Namen, die genannt wurden, schienen die Aufmerksamkeit eines der Gäste zu erregen, der, von der Terrasse kommend, gerade an der Gruppe vorüberging. Es war offenbar ein Fremder; das verrieth das helle Braun des Haares und der Augen, wie überhaupt das ganze Gesicht, das, obwohl gebräunt von Luft und Sonne, dennoch nicht das dunkle Colorit des Südländers zeigte. Die Capitainsuniform kleidete die kräftig männliche Gestalt äußerst vortheilhaft, und Haltung und Bewegungen vereinigten sehr glücklich das freie, etwas ungebundene Wesen des Seemannes mit den Formen der guten Gesellschaft. Er blieb in der Nähe der lebhaft debattirenden Herren stehen und folgte deren Gespräch mit offenbarer Theilnahme.

„Diese neue Oper ist und bleibt aber doch nun einmal das Hauptereigniß der Saison,“ sagte ein Officier in der Uniform der Carabinieri, „und da begreife ich nicht, wie man sie so ohne Weiteres verschieben kann. Die Aufführung ist bereits festgesetzt; die Proben haben begonnen; die sämmtlichen Vorbereitungen sind fast geendigt, da auf einmal wird das Alles unterbrochen, und die ganze Aufführung bis zum Herbste verschoben – das Alles ohne irgend einen ersichtlichen Grund.“

„Der Grund liegt einzig in dem souverainen Belieben des Signor Rinaldo,“ entgegnete ein anderer Herr in etwas hämischem Tone. „Er ist es nun einmal gewohnt, Oper und Publicum ganz nach Laune und Willkür zu behandeln.“

„Ich fürchte, Sie irren, Signor Gianelli,“ fiel ein junger Mann von vornehmem Aeußeren ein wenig erregt ein. „Wenn Rinaldo selbst den Aufschub forderte, so wird man ihm wohl Anlaß dazu gegeben haben.“

„Um Vergebung, Signor Marchese, das that man nicht,“ versetzte Jener. „Ich, als Capellmeister der großen Oper, weiß am besten, welch eine unendliche Mühe und welche immensen Opfer an Zeit und Geld es gekostet hat, um den Wünschen Rinaldo’s zu entsprechen. Er brachte mit seinen Anforderungen und Bedingungen die ganze Theaterwelt in Verwirrung; denn er verlangte Aenderungen im Personale, wie sie noch nicht dagewesen sind, und dergleichen mehr. Es wurde ihm, wie gewöhnlich, in Allem nachgegeben, und man glaubte nun endlich seines hohen Beifalls sicher zu sein, aber jetzt, wo er aus M. eintrifft, findet er Alles noch tief unter seiner Erwartung, befiehlt Abänderungen und dictirt Neuerungen in der rücksichtslosesten Weise. Es war vergebens, daß man den Versuch machte, ihn durch Signora Biancona umzustimmen; er drohte die ganze Oper zurückzuziehen, und,“ hier zuckte der Maestro spöttisch die Achseln, „die Verantwortung für ein solches Unglück wollten Eccellenza, der Intendant, denn doch nicht auf sich nehmen. Er versprach Alles, gewährte Alles, und da es schlechterdings nicht möglich war, die dictatorisch geforderten Aenderungen in der kurzen Zeit auszuführen, selbst auf den Herrscherbefehl Signor Rinaldo’s nicht, so muß die Aufführung bis zur nächsten Saison verschoben werden.“

„Der Intendant hat ist diesem Falle ganz recht gethan, dem Wunsche oder meinetwegen der Laune des Componisten nachzugeben,“ sagte der junge Marchese bestimmt. „Die Gesellschaft hätte es ihm nie verziehen, wenn eine übel angebrachte Consequenz sie einer Oper Rinaldo’s beraubt hätte. Man weiß, daß dieser im Stande ist, seine Drohung auszuführen, und sein Werk in der That zurückzuziehen, und einer solchen Alternative gegenüber blieb eben nichts weiter übrig als unbedingtes Nachgeben.“

„Freilich! Mein Widerspruch gilt nur dieser Art von Terrorismus, den sich ein fremder Künstler hier im Herzen Italiens erlaubt, indem er die Einheimischen zwingt, sich seiner speciell deutschen Auffassung der Musik zu fügen.“

„Besonders wenn diese Einheimischen schon zweimal mit einer Oper Fiasco gemacht haben, während jede neue Schöpfung Rinaldo’s vom stürmischen Beifall des Publicums getragen wird,“ flüsterte der Marchese seinem Nachbar zu.

Dieser, ein Engländer, sah äußerst gelangweilt aus. Er war des Italienischen nur theilweise mächtig, und die rasch und lebhaft geführte Unterhaltung blieb ihm daher größtentheils unverständlich. Nichtsdestoweniger beantwortete er die leise und verächtliche Bemerkung seines jugendlichen Nachbars mit einem würdevollen Kopfnicken und sah sich darauf hin aufmerksam den Maestro an, als sei ihm dieser auf einmal eine Merkwürdigkeit geworden.

„Wir sprechen von der neuen Oper Rinaldo’s,“ wandte sich der Officier artig erklärend an den Fremden, der bisher einen stummen Zuhörer abgegeben hatte, und jetzt in fremdartig klingendem, aber doch geläufigem Italienisch antwortete.

„Ich hörte soeben den Namen. Irgend eine musikalische Größe vermuthlich?“

Die Herren blickten den Fragenden in sprachlosem Erstaunen an, nur das Gesicht des Maestro verrieth eine unverkennbare Genugthuung darüber, daß es doch wenigstens einen Menschen auf der Welt gab, der diesen Namen nicht kannte.

„Irgend eine?“ betonte Marchese Tortoni. „Verzeihung, Signor Capitano, aber Sie sind wohl sehr lange auf der See gewesen und kommen vermuthlich aus einer andern Hemisphäre?“

„Direct von den Südsee-Inseln!“ bestätigte der Capitain, trotz des ironischen Tones der Frage mit einem verbindlichen Lächeln. „Und da man dort leider noch nicht so vertraut ist mit den künstlerischen Erzeugnissen der Neuzeit, wie es im Interesse der Civilisation wohl zu wünschen wäre, so bitte ich, meiner bedauernswerthen Unkenntniß zu Hülfe zu kommen.“

„Es handelt sich um den ersten und genialsten unserer jetzigen Componisten,“ sagte der Marchese. „Er ist zwar von Geburt ein Deutscher, aber seit Jahren schon gehört er ausschließlich uns an. Er lebt und schafft nur auf italienischem Boden, und wir sind stolz darauf, ihn den Unseren nennen zu dürfen. Uebrigens würde es Ihnen leicht sein, heute Abend seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Er erscheint jedenfalls.“

„Mit Signora Biancona – selbstverständlich!“ fiel der Officier ein. „Hatten Sie schon Gelegenheit, unsere schöne Primadonna zu hören?“

Der Capitain machte eine verneinende Bewegung. „Ich bin erst vor einigen Tagen hier angekommen, indessen sah ich sie bereits vor Jahren in meiner Heimath, wo sie damals ihre ersten Lorbeeren einsammelte.“

„Ah, damals war sie ein aufsteigendes Gestirn,“ rief der Andere. „Freilich, im Norden hat sie ihren Ruhm gegründet; sie kam bereits als gefeierte Künstlerin zu uns zurück. Jetzt aber steht sie unbedingt auf der Höhe ihres Talentes. Sie müssen sie hören und zwar in einer von Rinaldo’s Opern hören, wenn Sie sie in ihrem vollen Glanze bewundern wollen.“

„Gewiß, denn da flammt ein Feuer in das andere,“ bestätigte der junge Marchese. „Jedenfalls werden Sie auch heute schon in der Signora eine blendend schöne Erscheinung finden. Versäumen Sie ja nicht eine Vorstellung und Unterredung mit ihr.“

„Falls dies nämlich dem Signor Rinaldo genehm ist,“ mischte sich der Maestro jetzt wieder ein. „Sonst würden Sie ganz vergeblich eine Annäherung versuchen.“

„Hat Rinaldo darüber zu bestimmen?“ warf der Capitain flüchtig hin.

„Nun, wenigstens nimmt er sich das Recht dazu. Er ist so gewöhnt, überall den Herrn und Gebieter herauszukehren, daß er dies auch hier versucht, und leider nicht ohne Erfolg. Ich begreife die Biancona nicht. Eine Künstlerin von ihrer Bedeutung, eine Frau von ihrer Schönheit – und sie läßt sich so gänzlich von einem Manne beherrschen.“

„Aber dieser Eine ist Rinaldo,“ lachte der Officier, „und damit ist genug gesagt. Gestehen wir es nur, Tortoni, wir Alle können uns nicht mit seinen Erfolgen messen. Dem fliegen ja alle Herzen entgegen, wo er nur erscheint – da ist es am Ende kein Wunder, wenn selbst eine Biancona sich willig dem Zauber beugt, den dieser Mann nun einmal an sich zu tragen scheint.“

„Nun, so willig geschieht es gerade nicht,“ meinte Gianelli hämisch. „Signora ist leidenschaftlich im höchsten Grade, aber Rinaldo überbietet sie darin womöglich noch. Es giebt zwischen ihnen mindestens ebenso oft Sturm wie Sonnenschein, und heftige Scenen sind an der Tagesordnung.“

„Dieser Rinaldo scheint ja, wie das Publicum, so auch die gesammte Gesellschaft zu beherrschen,“ sagte der Capitain sich jetzt ausschließlich an den Capellmeister wendend. „Läßt man sich dergleichen denn von einem einzigen Menschen und noch dazu von einem Fremden gefallen?“

„Weil man eben blind ist und sein will für jedes andere Verdienst,“ rief der Maestro mit unterdrückter Heftigkeit. „Wenn die Gesellschaft einmal einen Götzen auf den Thron erhebt, so pflegt sie auch in ihrer Anbetung bis zur Lächerlichkeit zu gehen. Man treibt ja einen förmlichen Cultus mit diesem Rinaldo, da ist es am Ende kein Wunder, wenn sein Hochmuth und seine Selbstüberschätzung in’s Maßlose geht, und er glaubt, ungestraft Alles unter die Füße treten zu dürfen, was ihm nicht unbedingt huldigt.“

Der Capitain fixirte mit einem eigenthümlichen Lächeln den aufgeregten Italiener. „Schade, daß ein solches Talent solche Schattenseiten hat! Aber am Ende ist es mit dem Talente auch nicht so weit her? Modesache – Laune des Publicums – unverdientes Glück – meinen Sie nicht?“

Gianelli hätte wahrscheinlich von Herzen gern bejaht, aber die Gegenwart der anderen Herren legte ihm doch einigen Zwang auf.

„Das Publicum pflegt in solchem Falle zu entscheiden,“ erwiderte er vorsichtig, „und hier ist es verschwenderisch mit seinen Gunstbezeigungen. Ich meinestheils behaupte – ohne dem Ruhme Rinaldo’s irgendwie zu nahe treten zu wollen – er könnte jetzt ein Stümperwerk componiren, man würde es bis in den Himmel erheben, nur weil es von ihm stammt.“

„Sehr wahrscheinlich!“ stimmte der Fremde bei. „Und möglicherweise ist die neue Oper bereits ein solches Stümperwerk. Ich bin durchaus Ihrer Meinung, und werde gewiß –“

„Ich rathe Ihnen, Signor, Ihr Urtheil aufzuschieben, bis Sie Rinaldo’s Werke kennen gelernt haben,“ fiel der Marchese im schärfsten Tone ein. „Er hat allerdings den unverzeihlichen Fehler begangen, den Gipfel des Ruhmes wie in einem einzigen Siegeslaufe zu ersteigen, und sich zu einer Größe aufzuschwingen, an die so leicht Keiner hinanreicht. Das verzeiht man ihm nun einmal nicht in gewissen Kreisen, und er muß es bei jeder Gelegenheit büßen. Folgen Sie meinem Rathe!“

Der Capitain verbeugte sich leicht. „Mit Vergnügen, und dies um so mehr, als es mein Bruder ist, dem Ihre so beredte Vertheidigung gilt, Signor Marchese.“

Diese mit dem liebenswürdigsten Lächeln gegebene Erklärung brachte begreifliche Sensation in der Gruppe hervor. Marchese Tortoni trat erstaunt einen Schritt zurück und maß den Sprechenden von oben bis unten. Der Maestro erbleichte und biß sich auf die Lippen, während der Officier mühsam das Lachen unterdrückte. Der Engländer dagegen hatte diesmal genug von dem Gespräch verstanden, um zu begreifen, welch einen Streich der fremde Seemann den Italienern gespielt, und dieser Streich schien sein höchstes Wohlgefallen zu erregen. Er lächelte mit dem Ausdrucke außerordentlicher Zufriedenheit und steuerte sofort mit langen Schritten zu dem Capitain hinüber, an dessen Seite er sich stumm aufpflanzte, ihm damit ein untrügliches Zeichen seiner Sympathie gebend.

„Den Signori scheint nur der Künstlername meines Bruders bekannt zu sein,“ fuhr Hugo unbeirrt fort. „Der meinige klang Ihnen wohl zu fremdartig bei der allgemeinen Vorstellung vorhin? Wir haben indessen keinen Grund, unser Verwandtschaftsverhältniß zu verleugnen.“

„Ah Signor Capitano, ich hörte bereits von Ihrer bevorstehenden Ankunft,“ rief jetzt der Marchese, ihm mit unverkennbarer Herzlichkeit die Hand entgegenstreckend. „Aber es war nicht schön, uns mit diesem Incognito zu necken. Einen wenigstens hat es in bittere Verlegenheit gesetzt, obgleich er die Lehre reichlich verdient hat.“

Hugo sah sich gleichfalls nach dem Maestro um, der es vorgezogen hatte unbemerkt zu verschwinden. „Ich wollte das Terrain ein wenig recognosciren,“ entgegnete er lachend, „und das war eben nur möglich, so lange mein Incognito noch andauerte. Es hätte doch bald genug sein Ende erreicht, denn ich erwarte Reinhold jede Minute; er wurde noch in der Stadt zurückgehalten, während ich vorausfuhr. Ah, da ist er ja schon.“

Der Erwartete erschien in der That in diesem Augenblicke oben auf der Terrasse, und der Maestro hätte jetzt auf’s Neue Gelegenheit gehabt, seinem Aerger über die „bis zur Lächerlichkeit gehende Abgötterei der Gesellschaft“ Luft zu machen, denn dieses plötzliche Aufhören aller Gespräche, dieses Interesse, womit sich Aller Blicke dem einen Punkte zuwendeten, diese Bewegung, die sich der ganzen Gesellschaft mittheilte, galt einzig Rinaldo’s Eintritt.

Reinhold selbst war freilich ein Anderer geworden in diesen Jahren, ein ganz Anderer. Das junge Talent, das einst so ungeduldig gegen die beengenden Schranken und Vorurtheile seiner Umgebung ankämpfte, hatte sich zum gefeierten Künstler emporgeschwungen, dessen Name weit über die Grenzen Italiens und seiner Heimath hinausdrang, dessen Werke auf den Bühnen aller Hauptstädte heimisch waren, dem Ruhm und Ehre, Gold und Triumphe in reichster Fülle zuströmten. Dieselbe mächtige Wandlung hatte sich auch an seinem Aeußeren vollzogen, und unvortheilhaft war diese Veränderung keineswegs, denn statt des bleichen ernsten Jünglings mit dem verschlossenen Wesen und den tiefen düsteren Augen stand jetzt ein Mann da, dem man es ansah, daß er mit dem Leben und der Welt vertraut war, und erst bei dem Manne kam die stets so eigenthümlich anziehende Art seiner Schönheit zur vollsten Geltung. Es stand dieser idealen Stirn gut, dieses stolze Selbstbewußtsein, das jetzt darauf ruhte, und sich auch in den Zügen, in der ganzen Haltung aussprach, aber es lagen auch tiefe Schatten auf dieser Stirn und in diesen Zügen, die wohl nicht das Glück hineingelegt hatte. Von dem Munde zuckte es wie herber Spott, wie höhnische Bitterkeit, und im Auge schlummerte der einstige Funke nicht mehr in der Tiefe; jetzt loderte eine Flamme dort, brennend, verzehrend und fast dämonisch aufzuckend bei jeder Erregung. Was dieses Antlitz auch äußerlich gewonnen haben mochte, Friede sprach nicht mehr daraus.

Er führte Signora Biancona am Arme, nicht mehr die jugendliche Primadonna einer italienischen Operngesellschaft zweiten Ranges, die in den Städten des Nordens Gastvorstellungen gab, sondern eine Größe von europäischem Rufe, die, nachdem sie auf allen bedeutenderen Bühnen Lorbeeren und Triumphe gesammelt, jetzt an der Oper ihrer Heimathstadt die erste Stelle einnahm. Marchese Tortoni hatte Recht: sie war auch jetzt noch blendend schön, diese Frau. Das war noch der gluthstrahlende Blick, der einst „das ehrsame Patricierblut der edlen Hansastadt so in Flammen zu setzen verstand“, nur schien er heißer, versengender geworden zu sein. Das war noch das Antlitz mit seinem dämonisch bestrickenden Zauber, die Gestalt mit ihren plastisch edlen Formen, nur erschien alles voller, üppiger. Die Blume hatte sich zu reifster, fast überreifer Pracht entfaltet; noch blühte sie; noch stand ihre Schönheit im Zenith, wenn man sich auch sagen mußte, daß vielleicht beim nächsten Jahreswechsel schon die Grenze überschritten sein werde, mit der sie sich unwiderruflich ihrem Niedergange zuneigte.

Die Beiden, besonders Reinhold, wurden sofort nach ihrem Eintritte von allen Seiten in Anspruch genommen. Alles drängte sich um ihn; Alles suchte seine Nähe, seine Unterhaltung. In wenig Minuten war er bereits der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe es ihm gelang, sich all’ den Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien zu entziehen und sich nach seinem Bruder umzusehen, der sich in einiger Entfernung gehalten hatte.

„Da bist Du ja endlich, Hugo,“ sagte er herantretend. „Ich vermißte Dich bereits. Läßt Du Dich suchen?“

„Es war ja nicht möglich, den dreifachen Bewunderungscirkel zu durchbrechen, der Dich wie eine chinesische Mauer umgab,“ spottete Hugo. „Ich habe dieses Wagestück gar nicht versucht, sondern erging mich in Betrachtungen darüber, welch ein Glück es doch ist, einen berühmten Bruder zu besitzen.“

„Ja, dieses fortwährende Herandrängen ist wirklich ermüdend,“ meinte Reinhold mit einer Miene, die nichts von befriedigtem Triumphe hatte, dagegen eine unverkennbare Abspannung verrieth. „Aber jetzt komm! Ich werde Dich Beatricen vorstellen.“

„Beatricen? – Ah so, Signora Vampyr! Muß das sein, Reinhold?“

Der Blick des Bruders verfinsterte sich. „Allerdings muß es sein. Du wirst nicht umhin können, ihr in meiner Begleitung oft und viel zu nahen. Sie ist schon, und mit Recht, befremdet darüber, daß es nicht bereits geschehen ist. Was hast Du denn, Hugo? Du scheinst ja dieser Vorstellung förmlich ausweichen zu wollen, und doch kennst Du Beatrice nicht einmal.“

„Doch,“ entgegnete der Capitain kurz. „Ich habe sie bereits in H. im Concerte und auf der Bühne gesehen.“

„Aber niemals gesprochen. Eigenthümlich, daß man Dich beinahe zu Dem zwingen muß, was jeder Andere als einen Vorzug betrachten würde! Du bist doch sonst stets der Erste, wenn es die Bekanntschaft einer schönen Frau gilt.“

Hugo erwiderte nichts, aber er folgte ihm ohne ferneren Einwand. Signora Biancona war, wie gewöhnlich, von einem Kreise von Herren umgeben und in lebhaftester Unterhaltung begriffen, aber sie brach diese sofort ab, als die Beiden erschienen. Reinhold stellte ihr seinen Bruder vor. Beatrice wandte sich mit ihrer ganzen Liebenswürdigkeit an den Letzteren.

„Wissen Sie, Signor Capitano, daß ich Ihnen bereits gezürnt habe, ohne Sie zu kennen?“ begann sie. „Rinaldo war nicht zu halten, als er die Nachricht von Ihrer Ankunft empfing. Er ließ mich höchst ungalanter Weise in M. zurück, um Ihnen entgegen zu eilen. Ich mußte die Rückreise hierher allein antreten.“

Hugo verbeugte sich artig, aber doch fremder, als er es sonst wohl vor einer Dame that, und er schien es auch nicht zu bemerken, daß die schöne Hand Beatricens sich dem Bruder Rinaldo’s vertraulich entgegenstreckte, wenigstens widerstand er vollständig der Versuchung des Handkusses, der wohl erwartet wurde.

„Ich bin sehr unglücklich, Signora, Ihren Unwillen erregt zu haben. Wer aber so ausschließlich wie Sie über Reinhold’s Nähe und Gegenwart verfügt, sollte doch Großmuth genug besitzen, ihn einmal auch für kurze Zeit dem Bruder abzutreten.“

Er sah sich nach Reinhold um, aber dieser wurde bereits wieder in Anspruch genommen.

„Ich füge mich ja auch,“ sagte Beatrice, noch immer mit bezaubernder Freundlichkeit, „oder vielmehr, ich füge mich noch jetzt, denn seit der Zeit Ihres Hierseins habe ich Rinaldo wenig genug gesehen. Es wird wohl kein anderes Auskunftsmittel übrig bleiben, als daß ich Sie bitte, ihn zu begleiten, wenn er bei mir erscheint.“

Hugo machte eine etwas gemessene Bewegung des Dankes. „Sie sind sehr gütig, Signora. Ich ergreife gewiß mit Freuden die Gelegenheit, die so hochgefeierte – Muse meines Bruders näher kennen zu lernen.“

Signora Biancona lächelte. „Hat er mich Ihnen so genannt? Freilich, der Name ist unserem Freundeskreise nicht fremd. Rinaldo gab ihn mir einst, damals, als ich seine ersten Schritte auf der Künstlerbahn leitete. Eine etwas romantische Bezeichnung, zumal für deutsche Anschauungen, nicht wahr, Signor? Sie kennen dergleichen schwerlich in Ihrem Norden.“

„Bisweilen doch,“ sagte der Capitain ruhig, „nur mit einem unbedeutenden Unterschiede. Bei uns pflegen die Musen Ideale zu sein, die in unerreichbarer Höhe schweben. Hier sind es – schöne Frauen. Ein ganz unleugbarer Vortheil für den Künstler.“

Die Worte klangen wie ein Compliment und hielten genau den scherzenden Ton fest, den Beatrice selbst angeschlagen; dennoch streifte sie mit einem raschen, forschenden Blicke das Antlitz des Sprechenden; vielleicht sah sie den aufblitzenden Spott darin; denn sie erwiderte mit einiger Schärfe:

„Ich meinestheils bekenne, gar keine Sympathie für den Norden zu besitzen. Nur gezwungen habe ich einige Zeit dort verlebt, und ich athmete erst wieder auf, als der Himmel Italiens sich über mir wölbte. Wir Südländer vermögen es nun einmal nicht, uns in die eisig pedantischen Regeln zu zwängen, die dort die Gesellschaft einengen, in die Fesseln, die man auch den Künstlern auferlegen möchte.“

Hugo lehnte sich mit vollendeter Gleichgültigkeit an die Marmorbalustrade. „Mein Gott, das ist doch von keiner Bedeutung. Man sprengt sie einfach und ist dann frei wie der Vogel in der Luft. Reinhold hat das ja hinreichend bewiesen, und jetzt hat er die Heimath und ihre pedantischen Regeln ein- für allemal abgeschworen, was doch wohl ausschließlich Ihr Verdienst ist, Signora.“

Beatrice gebrauchte heftig den Fächer, obgleich gerade in diesem Augenblicke der Abendwind erfrischend kühl herüberwehte.

„Wie meinen Sie das, Signor?“ fragte sie rasch.

„Ich? O, ich meine gar nichts, ausgenommen etwa, daß es doch ein erhebendes Gefühl sein muß, so das ganze Schicksal eines Menschen – oder auch einer Familie – in Händen zu halten, wenn man Jemanden seinen ‚Fesseln‘ entreißt. Man muß in einem solchen Falle durchaus etwas von einer irdischen Vorsehung in sich spüren. Nicht, Signora?“

Beatrice war leicht zusammengezuckt bei den Worten, ob vor Ueberraschung oder Zorn, das ließ sich schwer entscheiden. Ihre Augen begegneten den seinigen; aber diesmal maßen sie einander, wie zwei Gegner sich messen. Der Blick der Italienerin sprühte; doch der Capitain hielt ihn so fest und ruhig aus, daß sie wohl fühlte, es sei kein allzu leichtes Spiel diesen klaren braunen Augen gegenüber, die ihr so keck die Spitze zu bieten wagten.

„Ich glaube, Rinaldo hat allen Grund, dieser Vorsehung dankbar zu sein,“ entgegnete sie stolz. „Er wäre vielleicht untergegangen in Verhältnissen und Umgebungen, die seiner unwürdig waren, hätte sie seinen Genius nicht wach gerufen und ihm die Bahn zur Größe gewiesen.“

„Vielleicht,“ sagte Hugo kühl. „Man behauptet zwar, ein wahrer Genius gehe nie zu Grunde, und je schwerer er sich durchringen müsse, desto mehr stähle sich seine Kraft; indessen das ist jedenfalls auch eine von den nordisch-pedantischen Anschauungen. Der Erfolg hat für Ihre Ansicht entschieden, Signora, und der Erfolg ist ja ein Gott, dem sich Alles beugt.“

Er verneigte sich und trat zurück. Er hatte das Alles im leichtesten Conversationstone, scheinbar ganz absichtslos hingeworfen, aber Signora Biancona mußte doch wohl die Bitterkeit empfunden haben, die in den Worten des Capitains lag; denn sie preßte die Lippen zusammen wie in tiefster innerster Gereiztheit, und der Fächer gerieth in eine fast stürmische Bewegung.

Hugo hatte inzwischen seinen Bruder aufgesucht, den er im Gespräche mit dem Marchese Tortoni traf; die Beiden standen ein wenig abseits von der übrigen Gesellschaft.

„Nein, nein, Cesario!“ sagte Reinhold soeben abwehrend. „Ich bin ja vor Kurzem erst aus M. zurückgekehrt und kann unmöglich daran denken, jetzt schon wieder die Stadt zu verlassen. Vielleicht später –“

„Aber die Oper ist ja verschoben worden,“ fiel der junge Marchese im Tone der Bitte ein, „und die Hitze beginnt sich schon fühlbar zu machen. Sie wählen sicher in einigen Wochen irgend eine Villeggiatura. – Kommen Sie mir zu Hülfe, Signor Capitano!“ wandte er sich an den eben herantretenden Hugo. „Sie beabsichtigen gewiß auch, unsern Süden kennen zu lernen, und dazu bietet sich nirgends besser Gelegenheit, als in meinem Mirando.“

„Kennst Du den Marchese bereits?“ fragte Reinhold. „Da bedarf es also keiner Vorstellung mehr.“

„Durchaus nicht,“ versicherte Hugo übermüthig. „Ich habe mich bereits persönlich bei den Herren eingeführt, gerade als sie über Dich zu Gericht saßen, und ich machte mir dabei als unbekannter Zuhörer das harmlose Vergnügen, sie durch eingestreute Bemerkungen zu Angriffen gegen Dich zu reizen. Leider gelang das nur bei einem Einzigen, Marchese Tortoni dagegen nahm leidenschaftlich Deine Partei, ich mußte seine volle Ungnade fühlen, weil ich mir erlaubte an Deinem Talente zu zweifeln.“

Reinhold schüttelte den Kopf. „Hat er Ihnen auch schon wieder einen seiner Streiche gespielt, Cesario? Nimm Dich in Acht, Hugo, mit Deinen Neckereien! Wir stehen hier auf italienischem Boden; da pflegt man dergleichen nicht so harmlos aufzunehmen, wie in unserer Heimath.“

„Nun, in diesem Falle bedurfte es nur des Namens, um uns zu versöhnen,“ sagte der Marchese lächelnd. „Aber damit verlieren wir ja ganz den Faden des Gesprächs,“ fuhr er ungeduldig fort. „Ich habe noch immer keine Antwort auf meine Bitte. Ich rechne bestimmt auf Ihren Besuch, Rinaldo, selbstverständlich auch auf den Ihrigen, Signor.“

„Ich bin der Gast meinem Bruders,“ erklärte Hugo, an den die letzten Worte gerichtet waren. „Eine solche Bestimmung hängt wohl von ihm ab und – von Signora Biancona.“

„Von Beatrice? Wie so?“ fragte Reinhold rasch.

„Nun, sie ist bereits ungehalten darüber, daß meine Gegenwart Dich ihr so oft entzieht. Es ist sehr die Frage, ob sie Dich auf längere Zeit freigeben will, wie Marchese Tortoni es zu wünschen scheint.“

„Meinst Du, ich ließe mich so gänzlich von ihren Launen beherrschen?“ In Reinhold’s Ton verrieth sich eine auflodernde Empfindlichkeit. „Ich werde Dir wohl beweisen müssen, daß ich noch einen Entschluß ohne ihre Genehmigung fassen kann. Wir kommen, Cesario. Im nächsten Monate schon, ich verspreche es Ihnen.“

Ein Ausdruck heller Freude überflog das Gesicht des jungen Mannes bei dieser rasch und heftig gegebenen Zusage; er wandte sich verbindlich zu dem Capitain.

„Rinaldo kennt mein Mirando hinreichend und hat es stets bevorzugt; ich hoffe auch Ihnen, Signor, den Aufenthalt angenehm machen zu können. Die Villa liegt sehr schön, dicht am Meeresstrande –“

„Und einsam,“ sagte Reinhold mit einem eigenthümlichen Gemisch von Schwermuth und Sehnsucht. „Man kann da einmal wieder aufathmen, wenn man nahe daran ist, zu ersticken in der Salonatmosphäre. Die Gesellschaft geht zu Tisch,“ sagte er, dem Gespräch eine andere Wendung gebend, mit einem Blicke nach der Terrasse hinauf. „Wir werden uns wohl den Uebrigen anschließen müssen. Willst Du Beatrice zur Tafel führen, Hugo?“

„Ich danke,“ lehnte der Capitain kühl ab. „Das ist doch wohl Dein ausschließliches Recht. Ich möchte es Dir nicht streitig machen.“

„Deine Unterhaltung mit ihr war ja auffallend kurz, so viel ich bemerken konnte,“ warf Reinhold hin, während sie zusammen die Treppe zur Terrasse emporstiegen. „Was gab es denn zwischen Euch?“

„Nichts von Bedeutung. Ein kleines Vorpostengefecht, weiter nichts. Signora und ich haben gleich von vorn herein Stellung zueinander genommen. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?“

Er erhielt keine Antwort, denn das Seidenkleid Signora Biancona’s rauschte bereits dicht neben ihnen, und in der nächsten Minute stand sie zwischen den Brüdern. Der Capitain verbeugte sich mit vollendeter Ritterlichkeit vor der schönen Frau. Es wäre in der That unmöglich gewesen, an der Art seines Grußes auch nur das Geringste auszusetzen, und Beatrice neigte auch dankend das Haupt, aber der Blick, der dabei auf ihn niedersprühte, bewies hinreichend, daß auch sie bereits Stellung genommen hatte. In ihrem Auge flammte der ganze Haß der gereizten Südländerin, freilich nur einen Moment lang; im nächsten schon wendete sie sich um und legte ihren Arm in den Reinhold’s, um sich von ihm in den Saal führen zu lassen.

„Mir scheint, das war nicht mehr und nicht weniger als eine Kriegserklärung,“ murmelte Hugo, indem er sich den Beiden anschloß. „Wortlos, aber hinreichend verständlich! Die Feindseligkeiten sind also eröffnet – zu Befehl, Signora.“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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