Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 50
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ОглавлениеUeber den blauen Spiegel der Fluth glitt ein Boot, das, von S. kommend, die Richtung nach Mirando nahm. Das zierliche Aussehen der Barke ließ sie als das Eigenthum irgend einer reichen Familie erkennen, und die beiden Ruderer trugen die Farben des Hauses Tortoni. Für den Herrn jedoch, der sich außerdem noch im Boote befand, schien weder die schwebend schnelle Fahrt noch das herrliche Panorama ringsum auch nur das mindeste Interesse zu besitzen. Er lehnte, wie schlafend, mit geschlossenen Augen in seinem Sitze und blickte erst auf, als das Fahrzeug an der Marmortreppe anlegte, die von der Terrasse der Villa direct in’s Meer hinab führte. Er stieg aus. Ein Wink verabschiedete die beiden Leute, die, wie die gesammte Dienerschaft des Marchese, gewohnt waren, dem berühmten Gast ihres Herrn fast noch größeren Respect als diesem selbst zu erweisen. Einige Ruderschläge trieben das Boot seitwärts, und gleich darauf legte es drüben am Parke in einem kleinen Hafen an.
Reinhold betrat die Stufen und stieg langsam hinauf. Er kam von S. her, wo Beatrice inzwischen eingetroffen war. Wie gewöhnlich war die Künstlerin auch hier, wo alle Fremden und Einheimischen von Bedeutung sich zur Villeggiatur zusammenfanden, von Bekannten umringt und mit Huldigungen umgeben worden, und Reinhold befand sich kaum an ihrer Seite, als auch ihm, und zwar in noch höherem Maße, dieses Schicksal zu Theil wurde. In Beatrice’s Nähe gab es nun einmal für ihn kein Ausruhen und keine Erholung; sie zog ihn sofort wieder in den Strudel hinein. Aus den Stunden, die er bei ihr zubringen wollte, waren Tage geworden, die an Aufregung und Zerstreuung den letzten Wochen in der Stadt wenig nachgaben, und nachdem er sie gestern Abend noch zu einer größeren Festlichkeit begleitet, welche die ganze Nacht hindurch bis an den lichten Morgen währte, hatte er sich endlich mit Tagesanbruch losgerissen und sich in’s Boot geworfen, um nach Mirando zurückzukehren.
Er athmete tief auf bei der Stille und Einsamkeit, die ihn hier umfing und die nicht einmal durch einen Gruß oder Empfang gestört wurde. Cesario hatte, wie er wußte, heute bereits in aller Frühe und in Begleitung Hugo’s einen Ausflug nach der benachbarten Insel unternommen, von dem beide erst gegen Abend zurückerwartet wurden, und für Fremde war die Villa jetzt nicht zugänglich. Der junge Marchese liebte es nicht, in der Einsamkeit seiner Villeggiatur gestört zu werden, und der Verwalter hatte Befehl erhalten, während seiner Anwesenheit keine fremden Besucher zuzulassen, ein Befehl, der in vollster Strenge aufrecht erhalten wurde, zum großen Mißvergnügen der Fremden, denen Mirando als ein beliebtes Ziel ihrer Ausflüge galt. Die Besitzung mit ihren weiten Gärten und prachtvollen Gebäuden, die man im Norden unbedingt ein Schloß genannt hätte, und die hier nur den bescheidenen Namen einer Villa führte, war weitberühmt, nicht allein wegen ihrer paradiesischen Lage und des unbegrenzten Blickes auf das Meer hinaus, sondern auch wegen der reichen Kunstschätze, die sie in ihrem Innern barg und die jetzt nur das Auge der Wenigen entzückten, die das Glück hatten, sich die Gäste des Marchese nennen zu dürfen.
Ueberwacht, ermüdet, und doch unfähig, Schlaf und Ruhe zu suchen, warf sich Reinhold auf eine der Marmorbänke im Schatten der Säulenhalle; er fühlte sich abgespannt bis zur äußersten Erschlaffung. Jawohl, diese schwülen italienischen Nächte, mit ihrem betäubenden Blüthenduft und ihrer mondbeglänzten Ruhe oder dem rauschenden Festesjubel, diese sonnenhellen Tage mit dem ewig blauen Himmel und der glühenden Farbenpracht der Erde, sie hatten ihm alles gegeben, was er nur je im kalten trüben Norden davon geträumt, aber sie hatten ihm auch den besten Theil seiner Lebenskraft gekostet. Die Zeit war längst vorüber, wo dem jungen Künstler das ganze Dasein nur ein Wechsel war von glühendem Rausch und beseligenden Träumen. Das hatte monden-, jahrelang gewährt – dann war allmählich die Ermüdung gekommen und dann zuletzt das Erwachen, wo diese herrliche farbenglänzende Welt so kalt und leer vor ihm lag, wo die Ideale zusammensanken und die einst so heiß ersehnte Freiheit zur grenzenlosen Oede wurde, die keine Pflicht, aber auch keine Sehnsucht mehr begrenzte. Mit den Fesseln, die er so energisch und rücksichtslos gesprengt, hatte er auch den Zügel verloren; er schweifte hinaus ins Schrankenlose, und die Schrankenlosigkeit war ihm zum Fluche geworden. Den Künstler bewahrte freilich der Prometheusfunke in seinem Inneren vor dem Schicksal, das so viele Andere ereilte, vor dem rettungslosen Versinken in diese Ernüchterung und Gleichgültigkeit gegen alles, aber dieselbe Macht, die ihn immer und immer wieder daraus emporriß, jagte ihn auch ruhelos umher, dem Einen nie Erreichten nach, das er nicht zu nennen wußte, und von dem er nur fühlte, daß es ihm fehle und ewig fehlen werde. Italien in all seiner Schönheit hatte es ihm nicht zu geben vermocht, nicht die glühende Liebe Beatricens und nicht die Kunst, die ihm doch den vollsten Ruhmeskranz gereicht – das Phantom zerfloß, sobald er die Arme danach ausstreckte. Und wenn die Wunderblüthe des Südens sich ihm auch geöffnet hatte in ihrer ganzen berauschenden Pracht – die blaue Märchenblume hatte er nicht gefunden. –
Reinhold schreckte plötzlich empor aus seinen Träumereien. Irgend etwas hatte ihn darin gestört. War es ein Schritt, ein Rauschen gewesen – er erhob sich und sah mit grenzenlosem Erstaunen eine Dame nur wenige Schritte entfernt auf der Terrasse stehen und in das Meer hinausblicken. Was sollte das heißen? und wie kam diese Fremde hierher, jetzt wo Mirando doch für Besucher nicht zugänglich war? Sie konnte erst vor wenigen Minuten aus der noch offenen Thür getreten sein, die in den Saal führte, der die berühmte Gemäldesammlung der Villa enthielt, und schien den einsamen Träumer in der Säulenhalle so wenig bemerkt zu haben, wie er sie.
Reinhold war längst auch gegen Frauenschönheit gleichgültig geworden, aber diese Erscheinung fesselte ihn doch unwillkürlich. Sie stand im Schatten einer der riesigen Vasen, welche die Terrasse schmückten; nur das etwas vorgeneigte Haupt wurde von dem vollen Sonnenlicht getroffen und die schweren blonden Flechten schimmerten in dem Strahle wie gesponnenes Gold. Das Gesicht war zur Hälfte abgewendet. Man sah kaum das zarte, rein und edel gezeichnete Profil. Die schlanke Gestalt im luftig weißen Gewande lehnte leicht in unbeschreiblich graziöser Haltung an der Marmorbalustrade; die linke Hand stützte sich darauf, während die herabhängende Rechte den blumengeschmückten Strohhut hielt. Sie stand unbeweglich, ganz im Anblick des Meeres versunken und hatte augenscheinlich keine Ahnung davon, daß sie beobachtet wurde.
Es war noch früh am Tage. Der Morgen war in leuchtender Klarheit aus dem Meere emporgestiegen und lag jetzt sonnig lächelnd in thauiger Frische über der ganzen Umgebung. Noch umwob blauer Dunst das Vorgebirge und die fernen Küsten, deren Linien wie hingehaucht am Horizont zu schweben schienen, und in der Luft flimmerte es noch wie feuchter Silberglanz. Es lag etwas Märchenhaftes in dieser Morgenstunde und dieser Umgebung, vor Allem in der weißen Gestalt da drüben mit dem goldschimmernden Haar, und wie ein Märchenschloß, das aus der feuchten Tiefe emporgestiegen, erschien auch Mirando mit seinen weißen Marmorsäulen und Terrassen. Tiefblau wölbte sich der Himmel darüber hin und tiefblau rauschte das Meer zu seinen Füßen. Aus den Gärten wehte der Blüthenduft herüber, aber geisterhafte Stille umfing Alles, als sei jedes Leben hier gebannt oder in Schlaf versunken. Kein Ton ringsum, nichts als das leise Wallen des Meeres, der immer gleiche, träumerische Laut der Wellen, welche die Marmorstufen küßten, und vor den Blicken nur die blaue wogende Unermeßlichkeit, die sich fernhin dehnte in unbegrenzter Weite.
Reinhold verharrte regungslos in seiner Stellung; er mochte mit keiner Bewegung den Zauber dieser Minute stören. Wehte es doch auf einmal zu ihm herüber wie ein Hauch der alten Sagenpoesie seiner Heimath, die er längst vergessen, und die mit ihrem schwermüthig süßen Reiz in diesem Augenblicke wieder vor ihm auftauchte. Aber die tiefe Stille wurde plötzlich unterbrochen durch das helle Jauchzen einer Kinderstimme. Ein Knabe von sieben oder acht Jahren stürmte die Stufen zur Terrasse herauf, eine große, glänzende Muschel in der Hand, die er irgendwo am Ufer aufgelesen haben mochte. Das Kind war sichtlich voll Entzücken über seinen Fund; das ganze kleine Gesicht strahlte, als er mit glühenden Wangen und fliegenden Locken auf die Dame zueilte, die sich auf seinen Ruf umwandte.
Mit einem halb unterdrückten Aufschrei fuhr Reinhold auf und stand dann wie in dem Boden festgewurzelt. In dem Momente, wo sie ihm das Gesicht voll zuwendete, erkannte er die Fremde, die Ella’s Züge trug und doch nicht Ella sein konnte. Betäubt, todtenbleich starrte er die Frau an, deren poetische Erscheinung er soeben noch bewundert und die doch Zug um Zug seiner so sehr mißachteten und schließlich verlassenen Gattin glich. Auch sie hatte ihn erkannt; das bewies die tiefe Blässe, die auch ihr Antlitz überflog, bewies auch ihr jähes Zurückweichen. Sie faßte nach der Marmorbalustrade, wie um einen Halt zu suchen, aber jetzt hatte der Knabe sie erreicht, und seine Muschel mit beiden Händen emporhaltend, rief er triumphirend:
„Mama! Liebe Mama, sieh nur, was ich gefunden habe!“
Das riß Reinhold aus seiner Erstarrung. Betäubung, Schreck, Erstaunen, das Alles verschwand, als er die Stimme seines Kindes vernahm. Nur der Eingebung des Augenblickes folgend, stürzte er vorwärts und streckte die Arme aus, um den Knaben stürmisch an seine Brust zu reißen.
„Reinhold!“
Almbach hielt betreten inne, aber der Name galt nicht ihm, sondern dem Knaben, der, dem Rufe augenblicklich gehorchend, zur Mutter eilte. Mit einer raschen Bewegung legte sie beide Arme um ihn, als wolle sie ihn schützen oder verbergen, und richtete sich dann empor. Noch war die Blässe nicht von ihrem Antlitze gewichen, und die Lippen bebten noch, aber die Stimme klang fest und energisch.
„Du darfst Fremde nicht belästigen, Reinhold. Komm’, mein Kind! Wir wollen gehen.“
Almbach zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück; der Ton war ihm so neu, wie das ganze Wesen derjenigen, die er einst seine Gattin genannt. Hätte er nicht ihre Stimme erkannt, er würde jetzt mehr als je an eine Täuschung geglaubt haben. Der Kleine dagegen blickte bei dem Vorwurf verwundert auf. Er war dem fremden Herrn ja nicht einmal nahe gekommen und hatte ihn sicher nicht belästigt, aber er sah an der Blässe und Aufgeregtheit der Mutter, daß irgend etwas Ungewöhnliches vorging, und die großen blauen Augen des Kindes richteten sich trotzig, fast feindselig auf den Unbekannten, von dem es instinctmäßig errieth, daß er es sei, der die Mama so erschreckt habe.
Ella hatte sich bereits wieder gefaßt. Sie wandte sich zum Gehen, den Arm noch immer fest um die Schulter ihres Knaben gelegt, aber Reinhold vertrat ihr jetzt heftig den Weg – sie mußte stehen bleiben.
„Wollen Sie die Güte haben, uns vorüber zu lassen?“ sagte sie kalt und fremd. „Ich bitte darum.“
„Was soll das, Ella?“ brach Reinhold jetzt in leidenschaftlicher Erregung aus. „Du hast mich so gut erkannt, wie ich Dich. Wozu dieser Ton zwischen uns?“
Sie sah ihn an; in dem Blicke lag die ganze Antwort, eiskalte niederschmetternde Verachtung. Er hatte es freilich nie für möglich gehalten, daß Ella’s Augen so blicken konnten, aber er wandte sein Angesicht vor ihnen zu Boden.
„Wollen Sie die Güte haben, uns den Weg frei zu geben, Signor?“ wiederholte sie in vollkommen reinem Italienisch, als nehme sie an, er habe die deutsche Anrede nicht verstanden. Es lag ein entschiedener Befehl in den Worten, und Reinhold – gehorchte. Ganz fassungslos wich er zur Seite und ließ sie vorüber. Er sah, wie sie mit dem Kinde die Stufen hinabstieg, wie dort unten ein Diener in fremder Livree, der gewartet zu haben schien, sich ihnen anschloß, und wie alle Drei durch die Gärten davon eilten; er selbst aber stand noch immer oben auf der Terrasse und besann sich, ob er denn geträumt habe und das Ganze nur ein Gebilde seiner Phantasie sei.
Das geräuschvolle Schließen der Thür, die in den Gemäldesaal führte, brachte ihn wieder zur Besinnung. Mit wenigen Schritten stand er dort, und die Thür ungestüm aufreißend, trat er in den Saal, wo der Verwalter von Mirando soeben beschäftigt war, die Vorhänge wieder niederzulassen, die er der besseren Beleuchtung wegen aufgezogen hatte.
„Wer war die Dame mit dem Kinde, die sich soeben hier auf der Terrasse befand?“ Mit dieser hastigen Frage stürmte Reinhold auf den Mann ein, der sehr bestürzt schien, als er den Gast seines Herrn, den er noch in S. vermuthete, so plötzlich vor sich sah; er zögerte in sichtlicher Verlegenheit mit der Antwort.
„Verzeihung, Signor – ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie schon zurück seien, und da Eccellenza und der Signor Capitano erst gegen Abend erwartet werden, so hatte ich mir erlaubt –“
„Wer war die Dame?“ drängte Reinhold in fieberhafter Ungeduld, ohne auf die Entschuldigung zu achten. „Woher kam sie? Schnell! Ich muß es wissen.“
„Drüben aus der Villa Fiorina,“ sagte der Verwalter, halb verwundert, halb erschreckt über das Ungestüm des Fragenden. „Die fremde Signora wünschte Mirando zu sehen und ließ durch ihren Diener anfragen. Eccellenza haben freilich befohlen, während ihres Hierseins keine Besucher einzulassen, aber es war ja heute Morgen Niemand von den Herrschaften anwesend, und da glaubte ich eine Ausnahme machen zu dürfen.“ Er hielt inne und setzte dann im Tone der Bitte hinzu: „Es würde mir freilich große Ungelegenheiten bei Eccellenza bereiten, wenn Signor Rinaldo es ihm mittheilen wollten.“
„Ich? Nein,“ sagte Reinhold wie abwesend. „Und wie nannte sich die Dame?“
„Erlau, wenn ich recht verstanden habe.“
„Erlau – so?“ Almbach fuhr mit der Hand über die Stirn. „Es ist gut, Mariano; ich danke Ihnen,“ sagte er und verließ den Saal.