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Die Gesellschaft der Residenzstädte

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Die Gesellschaft der Residenzstädte des absolutistischen Staates unterschied sich in wesentlichen Merkmalen von jener der mittelalterlichen Bürgerstadt (Abb. 1.28). Das wichtigste Kriterium für die Viertelsbildung war die Religionszugehörigkeit. Das Prinzip des „cuius regio, eius religio“ äußerte sich darin. Daraus resultierte u.a. die Abkapselung der griechischen Händler orthodoxen Bekenntnisses ebenso wie von mohammedanischtürkischen Händlern und jüdischen Familien.

Die gegenwärtig im Fortschreiten begriffene demographische Segregation, d.h. die räumliche Separierung der städtischen Bevölkerung nach Altersschichten und Haushaltsformen, wie sie insbesondere Nordamerika kennzeichnet, fehlte. Vielmehr wiesen die einzelnen Stände spezifische demographische Merkmale und ein spezifisches generatives Verhalten auf. Nicht nur der Adel folgte dem aufwendigen Personalluxus des Hofes, sondern ebenso die Angehörigen der „Zweiten Gesellschaft“, welche über das Finanz- und Manufakturwesen zu Reichtum gekommen waren. Der Dienstbotenluxus am Ende des 18. Jh.s, also vor dem Beginn der Industrialisierung, als auf jeden erwachsenen Angehörigen des Adels und des Beamtentums ein Dienstbote entfiel, ist z.T. mit heutigen Verhältnissen in den Städten der Dritten Welt zu vergleichen. Im Wien des Vormärz waren in Palästen des Hochadels bis zu 100 überwiegend ledige Personen mit der Aufrechterhaltung einer aufwendigen Haushaltsführung beschäftigt. Gleichzeitig bestand in der Adelsfamilie selbst auch eine recht komplizierte Struktur insofern, als neben dem Dreigenerationenverband der Hauptfamilie noch eine Anzahl entfernter Verwandter im selben Palast lebte.

Der Adel selbst war um diese Zeit eine äußerst vielgliedrige Schicht. Diese reichte vom alten Hof- und Landadel über geadelte Angehörige des Beamtenstands und Hofdienstes bis zu den Vorboten der „Zweiten Gesellschaft“ des Vormärz, Großkaufleuten, Manufakturisten und Geldgebern der Regierung.

Im Hinblick auf die Kinderzahlen bestanden beachtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ständen. Die Adelsfamilien hatten mit Abstand die größten Kinderzahlen, nicht zuletzt deshalb, weil bei der Auswahl der Ehefrauen der Aspekt der Sicherung der Geschlechterfolge vielfach den Ausschlag gab und überdies das Alter der Frau meist wesentlich niedriger war als das des Ehemannes. Anders beim Gewerbebürgertum, wo aufgrund der Institution der Einheirat viele Ehen kinderlos blieben. Der Beamtenstand sonderte sich vom Stand der bürgerlichen Gewerbetreibenden durch ein anderes generatives Verhalten ab. Ein höherer Prozentsatz von Ledigen und im Falle der Familiengründung eine niedrigere Kinderzahl zählten zu seinen demographischen Merkmalen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Beamtenstand bereits in vorindustrieller Zeit als erste städtische Bevölkerungsgruppe überhaupt mit der Geburtenbeschränkung begonnen hat. Dies ist begreiflich, war doch für den Beamten das Vorhandensein einer Hausfrau für die geordnete Betriebsführung keineswegs so notwendig wie für den Gewerbetreibenden, der für die Wahrnehmung verschiedener Aufgaben, wie die Verköstigung und Versorgung der Lehrlinge und Gesellen, die Betreuung der Kunden sowie die Pflege und Instandhaltung des Hauses, ganz wesentlich auf die Tätigkeit seiner Frau angewiesen war. Vielfach lebten Beamte mit weiblichen Verwandten, der verwitweten Mutter oder der ledigen Schwester, gemeinsam in einem Haushalt.


Abb. 1.28: Graben in Wien um 1715

Ein sehr wesentlicher Faktor war das Merkmal der Ortsbürtigkeit bzw. der „Fremdbürtigkeit“, welches seinerseits mit der demographischen Struktur gekoppelt war. Vom Beamtenstand abgesehen, lebte die einheimische Bevölkerung zum Großteil im Familienverband, während die fremdbürtige Bevölkerung, mit Ausnahme der Gruppe der fremden Großhändler, im großen und ganzen aus ledigen Personen bestand. Zu diesen gehörten nicht nur die gewerblichen Hilfskräfte, Lehrlinge, Gesellen und das Dienstpersonal, sondern auch Angehörige der intellektuellen Schicht, wie z.B. Ärzte, ferner Angehörige gehobener Positionen in Adelshäusern, wie Sekretäre, Lehrpersonen u. dgl. Ebenso zählte dazu aber auch ein Großteil der Gewerbetreibenden, welche nicht den Zünften der bürgerlichen Meister angehörten, sondern etwa als Störer (ohne festen Arbeitsstandort) oder Dekretisten (mit einem verliehenen Dekret) einem Gewerbe nachgingen. Insgesamt mußte diese fremdbürtige Bevölkerung, nicht zuletzt unter dem Druck der enormen Wohnungsnot der rasch wachsenden barocken Residenz, stets mit den schlechtesten Quartieren vorliebnehmen und wurde erst spät und auch nur in einem sehr beschränkten Ausmaß bei entsprechender ständischer Etablierung, so z.B. durch Einheirat, integriert.

Sowohl bei der ortsbürtigen als auch bei der fremdbürtigen Bevölkerung hatten bestimmte Stände die Funktion einer Schiene in der sozialen Mobilität der ständisch gegliederten Gesellschaft. Bot der Beamtenstand der einheimischen männlichen Bevölkerung die Chance, mit Talent zu den höchsten Stellen zu gelangen, so boten andererseits Großhandel, Finanz- und Manufakturwesen die Chance für die gesellschaftliche Etablierung der Zuwanderer.

Fragt man schließlich nach den Möglichkeiten der sozialen Integration und kulturellen Anpassung der Bevölkerung, so sind zwei Faktoren zu nennen: Einerseits waren es die bereits erwähnten Großhaushalte des Adels und des Bürgertums und andererseits die Hofquartierspflicht, d.h. die Pflicht der bürgerlichen Hausbesitzer, der hofzugewandten Bevölkerung Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Beide Faktoren zusammen haben durch die mit ihnen verbundene Weitergabe von Normen und Verhaltensweisen oberer Schichten die gesamte Bevölkerung tiefgreifend beeinflußt. Dies ging so weit, daß Kleiderordnungen notwendig waren, um die Imitationsbestrebungen unterer Schichten abzufangen.

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