Читать книгу Die List der Schildkröte - Elisabetta Fortunato - Страница 11
ОглавлениеZufrieden stand Giovanna vor dem Schlafzimmerspiegel und band die noch feuchten Haare zusammen. Sie sah gut aus, trotz der schlaflosen Nacht. Ihre Augen leuchteten wie frisch gewaschene Wäsche und ihre Haut – die robuste der väterlichen Linie – hatte die verräterischen Spuren von männlichen Bartstoppeln schon verschwinden lassen. Auch an diesem Morgen hätte sie die Botox-Blondinen vom Vorabend um Längen geschlagen.
Sie dachte an ihre Trophäe, Sonny Omowura. Allein der Gedanke an seine entdeckungsfreudigen Hände ließ ein lustvolles Schaudern ihren Rücken hochrollen. Leider verwandelte es sich augenblicklich in ein Schaudern des Schreckens. Marias Misstrauen kam ihr wieder in den Sinn. Ihre Putzfrau, eine ficcanaso – eine Schnüfflerin in der besten neapolitanischen Tradition –, würde so lange in der Wohnung suchen, bis sie einen Beweis dafür fand, dass sie richtig gesehen hatte. Jetzt ging es darum, schlauer zu sein als die Neapolitanerin. Diese so weit zu verwirren, dass sie am Ende glaubte, die schwarze Hand nur geträumt zu haben. Also musste sie etwas tun, was sie, seit sie Giovanna Greifenstein hieß, noch nie getan hatte: Sie würde ihr Schlafzimmer selber in Ordnung bringen.
Die Bettwäsche war gewechselt und nun wartete sie bibbernd vor dem geöffneten Fenster, dass frische Luft hereinströmte. Merkwürdigerweise hing im Zimmer der Hauch eines fremden Parfums fest. Es war nicht von Sonny. Seine nackte Haut hatte nur nach ihm gerochen, was ihr gefallen hatte. Wahrscheinlich war der unbekannte Geruch im Verlauf des Abends an ihren Kleidern hängen geblieben und auf diese Weise in die Wohnung gekommen.
Wie ein blinder Passagier, fand Giovanna.
Neugierig schnupperte sie an den schwindenden Duftfetzen und korrigierte sich. Es war eindeutig eine Passagierin. Was nach so vielen Stunden vom Parfüm geblieben war, roch nach einer kleinen, zarten Blume. Schon einmal hatte dieser Duft am Vorabend ihre Nase gestreift, da war sie sich sicher. Nur, wer hatte ihn getragen?
Giovanna schloss das Fenster. Dabei passte sie nicht auf und stieß gegen das Nachttischchen. Einer ihrer Ohrstecker rollte weg, fiel klirrend zu Boden, direkt unter das Bett. Während sie auf die Knie ging und fluchend das Parkett abtastete, fiel ihr auf, dass sie mit einem nigerianischen Diamantenhändler mehr gemeinsam hatte, als nur die Lust auf Sex; sie hatten auch beide Lust auf Fluchen. Giovanna lachte auf. Hatte nicht ihre Oma immer gesagt, dass auch große Lieben mit wenig anfangen konnten?
Da bekam sie etwas zu fassen. Es war nicht der gesuchte Ohrstecker, dafür war der Gegenstand zu groß. Vorsichtig zog sie den Arm unter dem Bett hervor und öffnete die Finger. In ihrer Hand lag einer von Sonnys Ringen.
Auch bei Tageslicht war dieser wunderschön und lag angenehm schwer in der Hand. Der Ring war aus massiver Bronze und auf dem breiten Reif befand sich eine handgeschmiedete Schildkröte. Sie hatte eine spitze Nase, kugelrunde Augen und große Flossenfüße, ihr Panzer war flach und von unregelmäßigen Linien durchzogen. Das Tier glich einem Fabelwesen, das zugleich geheimnisvoll und gefährlich war. Wie sein Träger, der ihr nicht hatte verraten wollen, was die auffällige Schildkröte bedeutete und sie in der Nacht nur abgenommen hatte, als sich deren scharfe Nasenspitze schmerzhaft in ihren Unterarm gebohrt hatte.
Giovanna stellte sich ans Fenster und hielt das Schmuckstück gegen das Tageslicht. Sie hatte auf der Innenseite eine Gravur entdeckt. Sonny, las sie. Sie drehte es nach links und nach rechts, aber es blieb dabei: Sie fand nur seinen Namen. Auf unerklärliche Art erleichtert wollte sie den Ring auf die Kommode legen, dann überlegte sie es sich anders und zog sich den schweren Bronzereif über. Erst am Ringfinger saß er perfekt, gehalten von ihrem Ehering.
Ein Blick auf die Uhr rüttelte sie auf. Sie beschloss, vor der Arbeit zum Professor ins Museum zu fahren. Wenn sie mit ein paar biscotti für Barni, seinen geliebten Hund, auftauchte, ließ er sie sicher bei den Untersuchungen zuschauen. Sorgfältig blickte sie sich noch einmal im Zimmer um und, als sie nichts Verräterisches mehr entdecken konnte, verließ sie das Schlafzimmer und ging in die Küche.
»Kekse her, das ist ein Überfall«, erklang es in ihrem Rücken, gleichzeitig legte sich etwas Schweres auf ihre Schulter.
Giovanna schrie auf und drehte sich zum Treppenhaus um.
Vor ihr stand Tommaso. Ihr Chef sah aus, als wäre er zu Fuß aus Sibirien gekommen. Während er energisch den Schnee von seiner Kleidung klopfte, schimpfte er vor sich hin.
»Wann lasst ihr endlich die Haustür reparieren? Sie ist die reinste Einladung für alle Zigeuner und Diebe dieser Welt, nur der rote Teppich fehlt. Und nimm das Knie herunter, du siehst eindeutig zu viele Action-Filme.«
»Buongiorno«, antwortete sie, ganz außer Atem. Warum war er zu ihr gekommen, sie wollten sich doch später im Verlag treffen? Tommaso war ein geübter Kartenspieler. »Marias biscotti. Ich habe sie schon an der Haustür gerochen.«
»Hier«, sagte Giovanna und hielt ihm die gefüllte Tüte hin. »Auch wenn sie für Karl-Friedrich sind.«
»Du willst einem Diabetiker Kekse bringen? Das nenne ich Rettung in letzter Sekunde.«
Als wäre er der Prüfer des Gambero Rosso persönlich, zog er das größte Exemplar aus der Tüte und schnupperte ausführlich daran. Giovanna ließ sich von dem Theater nicht täuschen, dafür kannte sie ihn zu gut. Ohne ihn weiter zu beachten, rüttelte sie an ihrer Wohnungstür, unsicher, ob sie eingeschnappt war, bevor er sie erschreckt hatte. Dann suchte sie nach dem Schlüssel und wollte abschließen. Da legte Tommaso seine Karten offen.
»Giovà«, fing er an, »eins musst du mir verraten. Wie lange hat der Afrikaner gestern Nacht gebraucht, um das ganze Bling-Bling auszuziehen?«
Giovanna prustete los.
»Komm schon, sag es mir.«
»Halt dich ein bisschen zurück, Tommaso Festa.«
Sie flüchtete die Treppe hinunter. Im Hauseingang blieb sie stehen und zog die Eingangstür auf. Blitzschnell griff ihr Tommaso ans Gelenk, hielt ihre Hand hoch und betrachtete interessiert den Schildkrötenring.
»Das ging aber schnell«, stellte er fest.
Giovanna versuchte, ihm die Hand zu entziehen, aber er war stärker.
»Es ist nicht so, wie du denkst.«
»So, was denke ich denn?«
»Tommà, wir haben nur geredet, ehrlich.«
»Worüber denn, über die Gästeliste?«
»Was meinst du mit Gästeliste?«
»In Deutschland ist Polygamie noch immer verboten.«
»Bist du verrückt geworden?«
Ihr Chef lachte vor sich hin.
»Ist etwas mit dem Ring?«, fragte Giovanna.
Tommasos Lachen nahm zu.
Draußen schneite es noch stärker als am Morgen, ein ärgerlicher Wind wirbelte die Flocken hoch und blies sie wie spitze Steinchen in ihre Gesichter. Vorsichtig stiefelten sie auf die Straße zu. Die Einfahrt war voller Schnee, Tommasos Fußspuren schon fast unsichtbar.
Sie erreichten das Einfahrtstor und drehten nach rechts, darauf bedacht, nicht die überhängenden, mit Schnee bedeckten Äste aus dem Garten zu streifen. Direkt an der Hausmauer stießen sie mit zwei Männern zusammen, die ihnen eilig entgegenkamen. Der eine war lang und krumm, der andere klein und bullig. Beide trugen altmodische Lederjacken mit Bündchen und Wollmützen auf dem Kopf. Die Männer wichen ihnen aus und wechselten wortlos die Straßenseite, einen mürrischen Gesichtsausdruck auf den südländischen Gesichtern.
Giovanna war ausgerutscht und nur dank Tommaso nicht hingefallen. Jetzt tat ihr das Knie weh.
»Hast du das gesehen? Nicht mal eine Entschuldigung. Was sind das nur für Leute?«
»Zigeuner und Diebe, habe ich dir doch gesagt.«
»Hör auf, du machst mir Angst.« Sie schaute zurück. Die Männer waren im Schneetreiben nicht mehr zu sehen.
»Also gut, dann sag mir, wo ihr leben werdet.«
»Was?«
»Natürlich bestehe ich drauf, dein Trauzeuge zu sein.«
Giovanna blieb abrupt stehen und löste sich von seinem Arm. »Warum machst du dich über mich lustig? Du weißt doch, dass ich das nicht mag.«
Auch Tommaso war stehen geblieben. Ungläubig starrte er sie an. »Du weißt tatsächlich nicht, was er bedeutet.«
Dann begann er so laut zu lachen, dass sich einige Passanten nach ihm umdrehten. Das Lachen nahm geradezu hysterische Züge an und es fehlte wenig, dass sie ihn vor den schmutzigen Kastenwagen geschubst hätte, der langsam an ihnen vorbeifuhr. Sie musste die Stimme erheben, um gegen sein Lachen anzukommen.
»Sag mir endlich, was der Ring bedeutet!«
Tommasos Anfall ebbte nur langsam ab. Er fuhr sich mit den Handschuhen über die tränennassen Augen, zog die Nase hoch und räusperte sich mehrmals. Dann sah er Giovanna fest in die Augen und gratulierte ihr mit feierlicher Stimme zur erfolgten Verlobung.