Читать книгу Die List der Schildkröte - Elisabetta Fortunato - Страница 17
ОглавлениеAm liebsten hätte sich Giovanna geohrfeigt. Statt die große Verschwörung gegen den Professor aufzudecken, stand sie ohne Regenschirm unter einer kahlen Platane und holte sich gerade eine Lungenentzündung. Der Hagelschauer hatte sie brutal erwischt. Die Locken klebten nass am Kopf und unentwegt lösten sich dicke Tropfen aus den vollgesogenen Haarspitzen und flossen ihr kalt über die Stirn und in die Augen. Zum wiederholten Mal zog sie ein feuchtes Taschentuch aus der Jackentasche und trocknete sich notdürftig das Gesicht ab. Unschlüssig schaute sie über die Straße zum Liebieghaus hinüber, von dem sie nur die Giebeldächer des alten Hauptgebäudes sah, so hoch und kompakt war die Parkmauer gebaut. Eine uneinnehmbare Festung, wieder einmal. Sogar die Schneeflocken, die nun nach dem Hagelschauer übermütig im leichten Wind herumwirbelten, schienen sich über sie zu mokieren.
Vielleicht war es besser, dass sie nicht sofort ins Museum gestürmt war. Wie hätte sie Karl-Friedrich auch verteidigen sollen? Indem sie dem Direktor sagte, dass von ihnen beiden der Professor der fähigere Wissenschaftler war? Dass dieser nach der Untersuchung am Kultwagen als Gewinner aus ihrem langjährigen Disput über die Rolle der Frau bei den vorrömischen Völkern hervorgegangen wäre? Dass nicht nur er, sondern auch sie, Giovanna, über die Gerüchte um falsche Zertifizierungen Bescheid wusste, die über ihn, Peter Neuhaus, im Umlauf waren und nicht über ihren integren Freund, der sich nicht mehr gegen die haltlosen Anschuldigungen wehren konnte, weil er tot in einem Kühlfach lag?
Sie hätte nicht sagen können, ob Wassertropfen oder Tränen schuld waren, dass sie nur noch verschwommen sah. Aber als plötzlich Leben ins Museum kam und eine Handvoll Mitarbeiter aus dem Tor heraustrat, kam ihr keiner bekannt vor. Hektisch suchte sie nach ihrem Taschentuch, doch bevor sie es gefunden und sich damit die Augen abgewischt hatte, waren die Leute schon weg.
Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
Da trat ein blasser Mann in einem zu großen Mantel auf die Straße. Er stellte sich an den Bordsteinrand und schaute sich suchend um. Giovannas Herz schlug augenblicklich schneller. »Herr Neu…«
Ihr Ruf ging im Geräusch einer bremsenden Limousine unter. Der Wagen blieb mitten auf der Straße stehen, obwohl die Fahrer hinter ihm wütend hupten. Schnell überquerte sie, von weiterem Hupen begleitet, den stark befahrenen Untermainkai.
Auf der anderen Seite drückte sie sich hinter einen Parkscheinautomaten. Direktor Neuhaus diskutierte mit jemandem im Fond des Wagens. Als er sich wieder aufrichten wollte, schoss plötzlich eine behandschuhte Hand heraus und packte ihn fest am Kragen. Giovanna wollte sehen, wer den langen, schmalen Lederhandschuh trug und den schwarzen Pelz, der modisch kurze Ärmel hatte. Aber die Hand hatte den Direktor schon wieder losgelassen, und das Fenster schloss sich. Die Limousine fuhr los.
Obwohl jetzt die Gelegenheit gewesen wäre, Peter Neuhaus zur Rede zu stellen, näherte Giovanna sich ihm nicht. Unerwarteterweise hatte sie die Scheu gepackt, sich nach dieser Szene bemerkbar zu machen. Als würde sie damit den Mann doppelt entwürdigen. Sie schlüpfte in den Park des Liebieghauses und stieß fast mit einer schmächtigen Gestalt zusammen. Beide hielten in der Bewegung inne, dann eilte der Kobold wortlos weiter. Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild einer Kordel, die vom Haken gelöst wurde, damit sie und der Professor vor der Vernissage zum bronzenen Kultwagen treten konnten. Giovanna erkannte die Person: Unter dem dicken Regenschutz versteckte sich die Frau von der Aufsicht, die sie durchgelassen hatte. Wie hieß sie noch mal?
»Halt!«
Die Gestalt drehte sich kurz um, dann eilte sie mit gesenktem Kopf weiter.
»Warten Sie, Frau …« Die Museumsmitarbeiterin beschleunigte ihre Schnitte. Giovanna sprintete los und holte sie keuchend ein. »... Henkel!«
Sie sah den verärgerten Gesichtsausdruck, Frau Henkel hatte sie sehr wohl erkannt und wollte an ihr vorbeihuschen, aber Giovanna hielt sie am Ärmel fest. Der wortlose Kampf dauerte ein paar Sekunden, dann ließ die Spannung in den Muskeln der Frau nach. Giovanna hatte gewonnen, vorerst.
»Laufen wir ein Stück.«
Sie legte der Museumsangestellten einen Arm um die Schulter und zog sie mit.