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Kapitel 3

D

etective Chief Inspector Blake hatte seine Unterlagen vor sich auf dem Pult ausgebreitet, während sich der Hörsaal langsam, bis auf die letzte Reihe, gefüllt hatte. Inzwischen hatten die meisten Studenten ihren Platz in den Sitzreihen eingenommen und Ruhe kehrte ein. Aufmerksam blickten sie zu ihm herab. Er und McGinnis waren für eine Vorlesungsreihe nach Edinburgh kommandiert worden.

»Mir ist bewusst, dass aus der gestrigen Vorlesung noch einige interessante Fragen unbeantwortet geblieben sind. Aber sehen Sie es mir nach, wenn ich diese hinten anstellen möchte, da ich sonst kaum in der Lage sein werden den heutigen Zeitplan auch nur ansatzweise einzuhalten.«

»Fangen Sie nur an, Chief Inspector«, meinte ein junger Mann mit rötlichem Haar aus der dritten Reihe keck.

»Herzlichen Dank für Ihre Erlaubnis«, gab Blake spöttisch zurück, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Ich habe gestern hin und wieder auf die vielfältigen Möglichkeiten der Leichenliegezeitbestimmung Bezug genommen. Ich denke, zu Beginn bietet sich eine kleine Zusammenfassung an.« Er warf McGinnis, der dem Vortrag in der ersten Reihe folgte, selbst noch nie einen Vortrag gehalten hatte, und entsprechend nervös war, da er nach ihm dran war, einen aufmunternden Blick zu. »Die Möglichkeiten über die sogenannten supravitalen Zeichen hatte ich erwähnt. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich um Erfahrungswerte handelt, die durch äußere Einflüsse, sprich Temperatur, stark variieren können.« Blake bediente seinen Laserpointer und ließ eine Powerpointgrafik auf der Leinwand hinter sich erscheinen. »Lassen Sie uns mit den Totenflecken beginnen. Sie beginnen nach etwa zwanzig bis dreißig Minuten am Hals und an den Ohrläppchen und konfluieren über die nächsten dreißig bis zu einhundertzwanzig Minuten. Komplett verlaufen sind sie nach sechs bis zwölf Stunden hpm, also hora post mortem, … sprich nach Todeseintritt. Zehn bis zwanzig Stunden nach dem Tod ist noch möglich sie durch Fingerdruck wegzudrücken.« Er löste sich vom Pult und machte ein paar Schritte zur Seite. »Da wir in der Kriminalistik auch vom Umlagern einer Leiche durch den Täter ausgehen müssen, ist es wichtig zu wissen, dass die grauvioletten Flecken infolge Blutentmischung in den ersten sechs Stunden noch wandern können, und erst danach nicht mehr wegdrückbar sind.« Er betätigte einen Knopf auf seinem Pointer und zeigte den Studierenden ein entsprechendes Bild aus der Pathologie. »Nach ungefähr zwei bis vier Stunden beginnt die Totenstarre am Kiefergelenk. Sechs bis acht Stunden später ist sie komplett ausgebildet. Auch hier gilt es wieder genau auf die Temperatureinflüsse zu achten. Die Ausbildung geschieht unter Hitze schneller, bei Kälte ist sie entsprechend langsamer. Und auch die Lösung der Starre ist sehr stark von der Temperatur abhängig. Zumeist beginnt das nach zwei bis drei Tagen – bis zur vollständigen Rückbildung vergehen in der Regel drei bis fünf Tage …«

»Ich habe gelesen, dass es auch deutlich länger dauern kann«, warf der junge Rotschopf unterbrechend ein.

»Darf ich wissen, wie Sie heißen?«

»Westfield. Thomas Westfield.«

»Damit haben Sie durchaus Recht, Mr. Westfield, auch wenn ich unaufgeforderte Einwürfe nicht schätze«, entgegnete Blake kühl. »Aber ... «, er sah in die Runde seiner Zuhörerschaft, »... um Mr. Westfields Frage zu beantworten: Bei sehr tiefer Umgebungstemperatur kann es bis zu drei Wochen dauern.« Er machte eine kurze Pause, wechselte die Präsentationfolie und sprach weiter: »Kommen wir nun zur elektrischen Erregbarkeit der mimischen Muskulatur. Diese ist ein bis sechs Stunden hpm als ipsilateral fortgeleitete Kontraktion zu erkennen, danach bis zur achten Stunde nur noch elektrodennah ...«

Er war jetzt voll und ganz in seinem Element. Es folgten ausführliche Erklärungen zum Zsako-Muskelphänomen, zur pharmakologischen Reizung der glatten Iris-Muskulatur, zur Abnahme der Körperkerntemperatur und über das Durchschlagen des Venennetzes.

»Wie den meisten von Ihnen sicher bereits bekannt ist, gibt uns auch der Füllstand der Harnblase einen gewissen Anhalt zum Todeseintritt. Allgemein können Sie sich merken, dass eine leere Harnblase auf Tod in der ersten, eine volle Harnblase hingegen auf Tod in der zweiten Nachthälfte schließen lässt. Wie der Füllstand der Blase gibt uns auch der Magen zahlreiche Aufschlüsse.« Die Powerpointfolie zeigte jetzt ein entsprechendes Obduktionsfoto. »In diesem Fall ist es natürlich sehr hilfreich, wenn der Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme bekannt ist, da man bei leichten Mahlzeiten von einer durchschnittlichen Verweildauer von etwa neunzig Minuten ausgehen kann. Wie sie ...« Blake warf eine neue Folie an die Wand. »... sehen, sind es gut drei Stunden bei durchschnittlicher Nahrungsaufnahme, bei schwerer hingegen schon vier. Achten Sie auch unbedingt auf die Nahrungsbestandteile. Sie können und werden Ihnen wertvolle Aufschlüsse geben. Und jetzt, da ich selbst Raucher bin ... eine Viertelstunde Pause, meine Damen und Herren.« Lächelnd hatte er dabei auf seine Armbanduhr getippt, bevor er die Präsentation vorerst beendete und es auf der Wand hinter ihm dunkel wurde. »Im Anschluss wird mein geschätzter Kollege Detective Inspector Cyril McGinnis fortfahren. Herzlichen Dank Ihre Aufmerksamkeit.«

Einige Studenten begannen mit den Fingerknöcheln auf ihre Schreibablagen zu klopfen, um sich auf diese Art für den lehrreichen Vortrag zu bedanken, andere klatschten oder gaben freundliche Zurufe zum Besten.

Zwei Stunden später beendete auch McGinnis seine Vorlesung.

»… und vergessen Sie bitte nie, dass neben all dem Gehörten, eine zusätzliche Präzisierung der Leichenliegezeit immer auch durch Rückfragen der jeweiligen Ermittlungsbehörde zu erlangen sind, zum Beispiel mit der Frage, wann eine verstorbene Person zuletzt lebend gesehen wurde oder weitere Anhaltspunkte, wie dem eines geleerten Briefkastens.« Zufrieden lächelnd sah er in die Runde. »Vielen Dank für Ihre konzentrierte Teilnahme. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag.«

Als er seine Unterlagen zusammenpackte und sich daran machte das Podium zu verlassen, kam Blake auf ihn zu.

»Gratuliere, deine Feuertaufe hast du ausgezeichnet bestanden«, schmunzelte er und reichte ihm darauf die Hand. »Willkommen im Dozenten-Club.«


Die schwarze Macht

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