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Kapitel 5

M

argret Pritchard, Laurens Mutter, war nach Hause gekommen. Irgendwie hatte sie sich bei ihrer Freundin an diesem Abend nicht so recht wohl gefühlt und ihren Besuch vorzeitig beendet. Eigentlich konnte sie sich selbst nicht erklären, was sie unbedingt nach Hause getrieben hatte, aber in der kurzen Zeit, die sie mit ihrer Freundin zusammen war, hatte sie ein seltsames, bedrückendes Gefühl gequält, das zunehmend stärker geworden war. Sie hatte es ihr auch gar nicht erklären können, war einfach aufgestanden, hatte ein paar Entschuldigungen gemurmelt und ihre Freundin sprachlos, mit offenem Mund, verlassen.

Jetzt, wo sie im Flur ihrer Wohnung stand, schalt sie sich eine dumme Kuh wegen ihrer dummen Handlungsweise. Sie war sicher, ihre Freundin würde sie so bald nicht wieder zu sich einladen.

»Lauren, wo steckst du?«, rief sie halblaut nach ihrer Tochter. Sie hatte ihren Mantel an der Garderobe gesehen. »Schläfst du schon, Schatz?«

Sie schloss die Wohnungstür hinter sich und ging mit leisen Schritten auf die Tür zu, die zum Schlafzimmer ihrer Tochter führte. Behutsam drückte sie die Türklinke nach unten, öffnete langsam und blickte in den Raum.

Das Zimmer wurde durch eine kleine Leuchte über dem Frisiertisch nur spärlich erhellt. Auf dem Hocker davor sah sie die zusammengesunkene, nach vorn gebeugte Gestalt ihrer Tochter. Ihr Kopf und der halbe Oberkörper lagen auf der Glasplatte zwischen all den zahlreichen Flakons und kleinen Cremetiegelchen.

»Lauren!«, stieß sie erschrocken aus.

Da war es wieder, dieses dunkle Gefühl, welches sie hatte heimkehren lassen. Ihre Tochter reagierte nicht. Eine tiefe Unruhe bemächtigte sich ihrer als sie nähertrat.

»Schatz! Liebling! Was ist mit dir?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

Forschend beugte sie sich zum Kopf ihrer Tochter hinunter, und im gleichen Moment rieselte ein Schauer des Entsetzens über ihren Körper. Die Augen ihrer Tochter waren weit aufgerissen. In ihnen zeigte sich kein Ausdruck von Leben mehr. Reflexartig griff sie nach Laurens Hand und fühlte den Puls. Sie musste sich konzentrieren, um ihn überhaupt wahrnehmen zu können. Er war derart schwach und zögernd, als ob er jedem Augenblick vollends versagen würde.

Ein oder zwei Sekunden war sie wie erstarrt, doch dann setzte sich der energische, zielgerichtete Teil ihres Wesens durch. Mit hastigen Schritten ging sie zum Telefon und rief den ›Paramedic‹ – den Rettungswagen.


Nur eine gute Stunde später lag Lauren Pritchard bereits in der Intensivstation des ›Royal Edinburgh Hospitals‹, im Bezirk ›Blackford‹. Das ›Royal‹ war wahrhaftig keine architektonische Glanzleistung, und nur die Ehrfurcht vor dem Hauch medizinischer Geschichte, der durch die Hallen wehte, bewahrte den veralteten Bau vor dem Abbruch. Die zahlreichen größeren Gebäude des Krankenhauskomplexes waren Musterbeispiele neugotischen Baustils. In seltsamen Winkeln gab es verschachtelte Mauern aus Abermillionen rotbrauner Ziegelsteine, hohe Fenster und flache Dächer in eintönigem Nebeneinander. Diese Trakte waren angefügt worden, wie es gerade kam, entsprechend dem jeweiligen Bedarf an Betten und den gerade zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln. Alles in allem bot sich dem Blick ein unordentlich wirkendes Nebeneinander hässlicher Steinklötze.

Sie hatte bereits eine erste Bluttransfusion hinter sich. Kurz nach dieser Maßnahme betrat der aufnehmende Arzt das Wartezimmer. Margret Pritchard sprang von ihrem Stuhl auf und lief ihm entgegen. Sorgenvoll und mit einer Spur von Angst sah sie ihn an.

»Wie geht es ihr?«, sprudelte es sofort aus ihr heraus.

Der Mediziner winkte beruhigend ab.

»Wir haben es gerade noch geschafft, Mrs. Pritchard. Sie hat großen Glück gehabt!«, erklärte er ihr mit ruhiger Stimme. »Nur wenige Minuten später, und Ihre Tochter wäre nicht mehr zu retten gewesen. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch keine exakte Prognose abgeben kann, denke ich, dass sie in einigen Tagen, wenn wir sie gründlichst untersucht haben, wieder nach Hause kann.«

»Gott sei Dank!« Sie entspannte sich ein wenig.

»Was ich sonderbar finde und einfach nicht begreifen kann, ist, dass Ihre Tochter kaum noch Blut in ihrem Körper hatte, obgleich keinerlei Verletzung vorliegt«, erklärte der Medikus. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Ich habe ein paar meiner Kollegen hinzugezogen, aber auch sie haben keine Erklärung dafür. Wir stehen vor einem Rätsel. In meiner Laufbahn ist mir so etwas noch nie untergekommen. Im Grunde handelt es sich um eine klassische Hypovolämie, aber es gibt absolut keinen Anhaltspunkt für Verletzungen, die einen solchen Blutverlust herbeigeführt hätten. Innere Blutungen waren schnell auszuschließen.« Er zuckte ratlos mit den Schultern, schüttelte gleichzeitig den Kopf und fügte resignierend hinzu: »Ich werde einen genauen Bericht anfertigen und ihn unseren Spezialisten vorlegen. Vielleicht bekommen wir dann eine plausible Aussage.«

Nach einem hastigen Blick auf seine Armbanduhr, nickte er ihr noch einmal freundlich zu und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, mit eiligen Schritten aus dem Zimmer. Im Flur drehte er sich noch einmal zu ihr herum.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er lächelnd. »Wenn Sie wollen, Sie können natürlich zu ihr.«

»Danke.«

Sie suchte das Zimmer auf, in dem man ihre Tochter untergebracht hatte. Nach all der Aufregung herrschte jetzt wieder eine gedämpfte Atmosphäre auf der Intensivstation, und auch die Beleuchtung war auf Dämmerlicht heruntergedreht worden. Nachdem sich ihre Augen an die gedämpfte Beleuchtung gewöhnt hatten, fand sie sich inmitten einer vollkommen fremdartig anmutenden Umwelt wieder. Die üblichen Geräusche wie Stimmen und Schritte wurden von der schalldämmenden Decke weitgehend geschluckt. Dafür vernahm sie von überall her mechanische und elektronische Laute, wobei das rhythmische Piepsen der Herzmonitore und das Zischen der Respiratoren, der Beatmungsgeräte, alles übertönte.

Mit einem raschen Blick stellte sie fest, dass niemand an Laurens Bett stand. Sie lag in einem Bett mit Seitengitter in einem abgetrennten Alkoven. Über ihr erhoben sich Ständer mit Infusionsflaschen und einem Gewirr herabhängender Schläuche. Dass niemand bei ihrer Tochter war, ließ sie vermuten, dass sich Laurens Zustand stabilisiert hatte und ihr Kreislauf wieder normal funktionierte. Die Krise war überstanden, und doch war ihre Tochter immer noch in einer dumpfen Ewigkeit gefangen.

Wie unter Hypnose trat sie an ihr Krankenlager und ergriff vorsichtig ihr Handgelenk. Sie bemerkte die porzellanartige Blässe der leblos hängenden Hand, die sie liebevoll streichelte, während sie den Versuch unternahm, sich trotz der verwirrenden Eindrücke einen Überblick zu verschaffen. Ratlos betrachtete sie die fluoreszierenden Punkte, die über die Monitore rasten. Ernüchtern stellte sie fest, wie wenig sie mit alldem hier anfangen konnte. Die Vielzahl der Instrumente erschien ihr wie ein undurchdringliches Labyrinth. Ein Gefühl von Hilflosigkeit über kam sie.

»Alles wird gut, Schatz«, murmelte sie leise, in der Hoffnung Lauren würde sie hören.


Die schwarze Macht

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