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Kapitel 6

D

r. Robert McIntire hatte sich einen Tee aufgebrüht. Im Gegensatz zum europäischen Festland, besaßen britische Teebeutel nur sehr selten eine angeheftete oder verknotete Schnur mit einem Etikett, und so verwendete er eine spezielle Greifzange, mit der den Filterbeutel nicht nur aus dem Glas entfernen, sondern zugleich auch ausdrücken konnte. Er betrachtete sich als ein passionierter Teetrinker. Den Beutel bereits in eingeschenktes heißes Wasser zu tauchen, kam für ihn nicht in Frage. Eine derartige Vorgehensweise, so hatte er Kollegen schon des Öfteren wissen lassen, sei eine echte Todsünde. Er bevorzugte die traditionelle Mischung eines ›Earl Grey Smoky‹, mit dem speziellen rauchigen Beigeschmack und dem typischen Aroma der Bergamotte-Frucht, die er immer ein wenig länger ziehen ließ. Auf keinen Fall durfte der Tee gesüßt werden und ein Schuss Milch war ohnehin tabu, denn der überlagerte direkt den Zitrusgeschmack.

Entspannt nippte er an dem Glas. Der Tee tat ihm gut, jetzt, nachdem er den letzten Satz seines schriftlichen Berichts über ihren Aufenthalt in Durness getippt und den Datensatz gespeichert hatte. Das mühselige Getippe mit zwei Fingern nach dem Geier-Suchsystem war für ihn wieder einmal ein echtes Unterfangen gewesen. Nach solchen Aktionen ärgerte er sich immer ein wenig darüber, in der Schule nicht am Schreibmaschinenunterricht teilgenommen zu haben. Sicher, er hatte es mal mit einem Online-Kurs versucht, aber schnell wieder aufgegeben. Nun hoffte er auf eine schnelle Genesung von Lauren Pritchard, damit diese wieder ihre Arbeit aufnehmen konnte, denn er brauchte sie dringend für die Katalogisierungstätigkeit.

Leise fluchte er vor sich hin, während er seinen Blick geduldig aus dem Fenster wandern ließ, wo es wenig gab, an dem dieser hängen bleiben konnte – abgesehen vom Uni-Campus. Augenblicklich sah es ziemlich ausgestorben aus. Rundherum war kaum eine Aktivität wahrzunehmen. Es war ja nicht nur Lauren, die fehlte, auch Miss Hogard war ausgefallen – mit einer Erkältung, wie er erfahren hatte.

Warum muss sie ausgerechnet jetzt ihre Auszeit nehmen?, dachte er. Wie oft habe ich Lamondt damit schon in den Ohren gelegen, dass eine Sekretärin am Institut zu wenig ist. Jetzt haben wir die Bescherung.

McIntire ging zu seinem Laptop, zog die Datei auf einen Datenstick und steckte diesen in die Hosentasche. Dann schnappte er sich seine Zigaretten und warf seine Jacke über, um die Raucherecke vor dem Gebäude aufzusuchen. Dort zündete er sich einen der Glimmstängel an und sog genussvoll den Rauch in seine Lungen.

Mittlerweile war es draußen dunkel geworden. Nur noch schwach drangen die Geräusche des zurückflutenden Berufsverkehrs von der nahe gelegenen Straße zu ihm herüber. Nachdem er aufgeraucht hatte, drückte er seine Kippe in den fest einbetonierten metallenen Aschenbecher, rechts neben dem Eingang, und ging zurück in das Büro.

Aus irgendeinem Grund musste er an Lauren und ihre rätselhafte Erkrankung denken. Am Morgen hatte ihn ihre Mutter aufgesucht und ihm aufgeregt erzählt, was vorgefallen war. Er hatte ihr aufmerksam zugehört und versucht ein wenig Trost zuzusprechen, wenngleich das etwas war, was ihm nicht besonders lag. Jedenfalls konnte auch er sich nicht erinnern, jemals von einer solchen Krankheit gehört zu haben.

Na ja, dachte er, was weiß ich schon von Medizin. Die Ärzte werden sich darüber gehörig den Kopf zerbrechen und schon herausfinden was Lauren fehlt.

Was ihn besonders verwundert hatte war der Umstand, dass Mrs. Pritchard ihm auch die von ihm in Durness gefundene Kristallkugel zurückgebracht hatte. Sie hatte sie, wie sie ihm sagte, auf dem Frisiertisch ihrer Tochter gefunden und ihn gefragt, ob der Gegenstand dem Institut gehören würde.

Warum nur, fragte sich McIntire kopfschüttelnd, hat Lauren das Ding bloß mit nach Hause genommen? Ist es denkbar, dass der Kristall und seine geheimnisvolle Herkunft ihr Interesse so stark geweckt hat, dass sie ihn mitnahm, um ihn in Muße zu studieren und nachdenken zu können? Er nickte. Es muss so sein. Sie hätte den seltsamen Fund sonst ganz sicher nicht mit nach Hause genommen.

Nachdenklich saß er an seinem Arbeitsplatz und starrte auf den Kristall, dessen Oberfläche im Licht der Schreibtischlampe irisierend funkelte. Sinnierend fragte er sich, was es mit dieser Kugel wohl für eine Bewandtnis haben mochte. Er stützte seinen Kopf auf die Hände, den Blick auf den Fund gerichtet.

Hast du vor tausenden von Jahren vielleicht einem Seher gedient, der mit dir die Zukunft enträtseln konnte? Oder warst du womöglich ein notwendiger Gegenstand bei Beschwörungszeremonien?

»Wofür nur, hat mich dich benutzt?«, murmelte er dann halblaut in Richtung der Kugel vor sich hin. »Ich bin sicher, dass du irgendeine magische Bedeutung gehabt hast.« Entspannt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Und das ich dich in einem sonst völlig leeren Grab gefunden habe ... dafür muss es einen speziellen Beweggrund gegeben haben. Aber welchen?«

Gedankenvoll griff er nach der Kristallkugel. Kurz bevor sie seine Hände umschlossen, fühlte er einen eisigen Schauder durch seinen Körper fahren, und sein Unterbewusstsein verkrampfte sich in der Ahnung einer drohenden Gefahr. Automatisch setzte er den Kristall wieder ab und schüttelte diese Regung unwillig von sich ab. Doch dann nahm er sich zusammen, hob die Kugel erneut hoch, stellte sie direkt vor sich auf die Mitte des Schreibtisches und beugte sich darüber, um sie aufmerksam zu betrachten.

Es war das schwache Glühen im Mittelpunkt des Kristalls, das ihn besonders interessierte, und für das selbst Prof. Lamondt noch keine plausible Erklärung gefunden hatte.

»Du kannst unmöglich mineralischen Ursprungs sein«, stellte er leise fest. »Wenn ich nur eine Ahnung hätte, woraus man dich gemacht hat.«

McIntire beugte sich tiefer über die glatte Kugel.

Und dann passierte es!

Jäh und zielgerichtet erfolgte der Angriff der unheimlichen Macht und mit einer unwiderstehlichen Gewalt. Wie gebannt starrte der Archäologe in das Innere des Kristalls. Plötzlich flammten im Zentrum rotleuchtende Augen auf, die ihn mit grausamer Freude musterten. Eine gefühllose unbarmherzige Gesinnung, ohne jede Empathie, sprach aus ihnen.

McIntire glaubte an eine Sinnestäuschung und wollte seinen Blick abwenden. Erschrocken stellte er fest, dass er dazu nicht in der Lage war. Wie fixiert starrte er die Augen an. Auch sein Versuch aufzustehen, um sich von dem dämonischen Anblick zu lösen, schlug fehl. Er war nicht in der Lage sich auch nur einen Zoll zu bewegen und hatte das Gefühl, als wäre er mit eisernen Ketten an seinem Sessel angeschmiedet. Panik kam in ihm auf, und die schrecklichen Augen taten dazu ihr Übriges. Das kommende Unheil voraussehend, erkannte er sein furchtbares Schicksal. Verzweifelt mobilisierte er noch einmal seine ganze Kraft, um ihm zu entrinnen.

Aber auch dieser letzte Versuch scheiterte. Unter dem zwingenden Blick der roten Augen krampfte sich sein Inneres in verzweifelter Angst zusammen, und je mehr er sich abmühte, seine Glieder von den unheimlichen Fesseln zu befreien, umso stärker hatte er das Gefühl, dass sie sich noch enger und drückender um ihn legten. Seine Gegenwehr nahm ab. Für einen kurzen Augenblick schoss ihm der Vergleich mit einer Fliege durch den Kopf, die sich im klebrigen Netz einer Riesenspinne verfangen hatte, zappelte und spürte, wie die Kraft nachließ. Entsetzt spürte er, dass jeder Widerstand vergebens war. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, vernahm er eine sonore, spöttische Stimme.

Sie kamen nicht von außen.

Sie ertönte tief aus ihm selbst heraus!

»Du, der du dich Robert McIntire nennst, hast mich aus meinem unterirdischen Gefängnis befreit. Du hast mich zurück ans Licht geholt!«, dröhnte die Stimme. »Endlich! Nach all der langen Zeit! Über viertausend Jahre habe ich, deiner Zeitrechnung nach, in der Finsternis zubringen müssen.«

McIntire vernahm wie die Stimmlage von Hass und Wut zu triumphierender Freude wechselte. In den grauenvollen Augen, die seinen Blick immer noch gefangen hielten, glühte es kurz auf.

»Damals hat man es mir verwehrt«, fuhr die unheimliche Stimme fort, »doch diesmal werde ich es erreichen. Ich werde die kostbarste Kraft des Universums für mein Vorhaben verwenden, eure menschliche Lebensenergie! Mit dieser Hilfe werde ich Geschöpfe schaffen, wie sie eure erbärmliche Welt bis heute noch nicht gekannt hat!« Die körperlose Stimme lachte tief und grausam, bevor sie fortfuhr: »Weil du mich befreit hast, sollst du erfahren, was ich plane, Robert McIntire. Ich werde Wesen erschaffen, die wie Menschen aussehen, aber sie werden meines Geistes sein! Ich werde die in mir gespeicherte Kraft umformen und zu neuer Materie verdichten.« Wieder lachte die teuflische Stimme. »Ihr dummen Menschen habt ja bis heute noch nicht gelernt, dass der sich seiner Kraft bewusste Geist Materie schaffen und zu formen vermag. Diese Geschöpfe werden meine Diener sein. Ihre Zahl wird wachsen, sie werden Legion sein, und es wird nicht lange dauern, bis der Zeitpunkt erreicht ist, der zur endgültigen Errichtung meiner Weltherrschaft führen wird.«

Die gebieterische Stimme schwieg.

Die Augen McIntires waren immer noch starr auf das Zentrum des Kristalls gerichtet, das von dem dämonischen Augenpaar beherrscht wurde. Er war kaum noch in der Lage verstandesmäßig zu denken. Die magische Kraft des Kristalls hatte seinen Willen vollends gebrochen. Zunehmend wurde es still in ihm, und eine überwältigende Müdigkeit nahm von seinem Körper Besitz. Ohne dass es ihm bewusst wurde, verdrehten sich seine Augäpfel, bis nur noch das Weiße zu sehen war.

Wie aufgeschreckte Vögel flatterten seine Augenlider noch für einen kurzen Moment, dann kamen auch sie zur Ruhe. Er spürte den leuchtenden Strahl nicht mehr, der wie ein Blitz aus dem Kristall herausschoss und sich an seine Schläfe heftete. Nur sein Unterbewusstsein registrierte noch die zunehmende Dunkelheit, die schließlich zur völligen Schwärze wurde.


Die schwarze Macht

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