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Medium und Konzeption

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Vorlesungen und Parlamentsreden werden von Mund zu Ohr übermittelt. Sie sind also eigentlich mündlich. Dennoch wirken sie irgendwie ‘schriftlicher’ als Alltagssprache, selbst wenn sie weder abgelesen noch auswendig gelernt sind. Diese Beispiele zeigen uns, dass die Begriffe gesprochen und geschrieben zweideutig sind. Sie bezeichnen zum einen das Medium, das durch eine einfache Dichotomie (Zweiteilung) charakterisiert ist: Phonie vs. Graphie. Hier ist ganz einfach zu bestimmen, ob Sprache über Schallwellen von Sprecher*innen zu Hörer*innen gelangt (phonisch) oder ob Schreiber*innen sich in Textform – sei es auf Papier oder dem Smartphone-Bildschirm – an Leser*innen wenden (graphisch). Ein alltägliches Gespräch unter Freund*innen und eine Rede im Parlament sind beide eindeutig phonisch, ein Chat und ein Verwaltungsformular ganz eindeutig graphisch. Daneben bezieht sich die Opposition zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aber auch auf die Konzeption. Hier ist die Einordnung nicht ganz so einfach, denn zwischen dem Pol der kommunikativen Nähe und dem Pol der kommunikativen Distanz besteht ein Kontinuum. Nähe bedeutet dabei neben physischer Nähe (face-to-face-Kommunikation) auch psychische Nähe (Vertrautheit). So stellt ein Gespräch unter Freund*innen einen Extremfall von Nähesprache dar, ein Verwaltungsformular einen Extremfall von Distanzsprache; Vorlesungen und Parlamentsreden dagegen können sich an unterschiedlichen Punkten dazwischen ansiedeln.

Das Schema in Tab. 1.1 bildet dies ab, indem der Strich zwischen phonischem und graphischem Medium durchgezogen ist, der zwischen Nähe- und Distanzkonzeption dagegen nur gestrichelt.

Konzeption
Nähe Distanz
Medium phonisch Alltagsgespräch: [ʃpɔmwa] Rede: [ʒənəsɛpa]
graphisch Chat: <chépa> Verwaltungsformular: <je ne sais pas>

Tab. 1.1:

Gesprochenes und geschriebenes Französisch (in Anlehnung an SÖLL [1974] (31985) und KOCH/OESTERREICHER [1990] 22011).

In diesem Vierfelderschema sind grundsätzlich alle Kombinationen möglich. Allerdings kommen einige häufiger vor als andere. So bestehen ganz klar Affinitäten zwischen dem phonischen Medium und der Nähekonzeption (z. B. Alltagsgespräch) und dem graphischen Medium und der Distanzkonzeption (z. B. Verwaltungsformular). Zur Verdeutlichung sind diese beiden Kästchen in Tab. 1.1 dunkler hinterlegt als die anderen beiden. Die zwei übrigen Kombinationen sind seltener, aber ebenfalls möglich. Dies zeigt allein schon die Möglichkeit des Medienwechsels: Jedes Gespräch lässt sich transkribieren und jeden Text kann man laut vorlesen. Manche Texte sind sogar aus mündlichen Erzählungen entstanden, zum Beispiel die Volksmärchen von Charles Perrault oder der Gebrüder Grimm. Andere wiederum werden speziell geschrieben, um vorgelesen zu werden, insbesondere Kinderbücher. Zudem können einige Menschen (speziell manche Professor*innen und Politiker*innen) auch ohne Manuskript ‘sprechen wie gedruckt’ – was Student*innen und Journalist*innen das Mitschreiben erleichtern kann. Letzten Endes lässt sich Mündlichkeit auch inszenieren, beispielsweise im Comic (vgl. Kapitel 1.1.3).

Auch wenn die Idee der Nähe- und Distanzsprache sehr intuitiv ist, so müssen in der Wissenschaft subjektiv ‘gefühlte’ Kategorien intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden. Dazu dienen sowohl sprachexterne als auch sprachinterne Kriterien. Sprachextern sind dies die „Kommunikationsbedingungen“ (KOCH/OESTERREICHER 22011: 6), d. h. die Charakteristika der Situationen kommunikativer Nähe und Distanz, und sprachintern die „Versprachlichungsstrategien“ (KOCH/OESTERREICHER 22011: 6), mit denen Nähe- und Distanzsprache produziert wird. Beides sehen wir uns im Folgenden genauer an.

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