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Merkmale gesprochener Sprache
ОглавлениеDie Verteilung der sprachinternen Charakteristika gesprochener und geschriebener Sprache ist ebenfalls vielschichtig. Der Sprachvergleich zeigt, dass sich eine Reihe von Merkmalen in allen Sprachen der Welt wiederfinden. Diese universellen Merkmale der Nähe- und Distanzsprache lassen sich aus den Kommunikationsbedingungen ableiten. Nähekommunikation findet parallel auf zahlreichen Kanälen statt: neben der Sprache auch durch Gestik und Mimik, den situativen Kontext und geteiltes Wissen. Dagegen ist Distanzkommunikation oft auf die Sprache beschränkt. Aus diesem Grund ist Distanzsprache präziser in der Wortwahl, komplexer in der Syntax und deutlicher in der Phonologie. In der Nähesprache reichen oft sogenannte passe partout-Wörter aus (die so heißen, weil man sie für alles mögliche einsetzen kann), z. B. fr. truc, machin, mec, Aneinanderreihungen von Hauptsätzen und eine reduzierte Aussprache. Im Französischen sind Formen wie <chépa> [ʃpɔ] für je ne sais pas (s. o.), <quat’> [kat] für quatre oder <t’as> [ta] für tu as allerdings komplexeren einzelsprachlichen Regelmäßigkeiten unterworfen (vgl. Kapitel 6.2.2). Zusätzlich finden sich in der Nähesprache viele Deiktika, mit denen man direkt auf die Umgebung zeigen kann: ici, là-bas, celui-ci, celui-là etc.
Da Nähesprache im Gegensatz zu Distanzsprache nicht sorgfältig vorbereitet und korrigiert ist, sondern spontan produziert wird, erscheint sie – wenn man sie als Transkription vorliegen hat – oft chaotisch, provisorisch, bruchstückhaft oder sogar falsch: Man findet hier Häsitationsphänomene wie leere und gefüllte Pausen (euh), Dehnungen und Wiederholungen, abgebrochene Sätze, Selbstkorrekturen (eingeleitet durch enfin, bon etc.) und Unsicherheitsbekundungen (z. B. durch je sais pas, je veux dire). Im Alltag fällt uns das aber gar nicht auf. Denn ganz so chaotisch ist die Nähesprache auch nicht: Statt mit Punkt und Komma ist sie durch Gliederungssignale strukturiert. Das sind Öffnungssignale wie et und alors und Schließungssignale wie hein und quoi. Zu ihrem auf den ersten Blick chaotisch wirkenden Satzbau gehören auch die sogenannten Rechts- und Linksversetzungen, d. h. Abweichungen von der üblichen Subjekt-Verb-Objekt-Reihenfolge. So findet man statt Le chat mange la souris eher il mange la souris, le chat oder le chat, il mange la souris.
À vous !
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Da Nähesprache typischerweise im Dialog vorkommt, finden sich hier auch Kontaktsignale von Sprecher*in (z. B. hein, tu sais, tu vois, écoute) und Hörer*in (z. B. hum, d’accord, tiens).
Das Kriterium der Emotionalität kann sich schließlich unterschiedlich niederschlagen. Einerseits machen Emotionen sprachlos bzw. drücken sich in sprachlich marginalen Interjektionen aus, wie beurk ! für Ekel und aïe ! für Schmerz. Zu dieser direkten Ausdrucksweise gehören auch die Onomatopoetika (‘Lautmalereien’), z. B. crac, boum. Auf der anderen Seite lassen sich durch besonders aufwändige Versprachlichungsstrategien Emotionen bei den Hörer*innen wecken, u. a. durch Metaphern und Übertreibungen (vgl. Kapitel 9.4). Beim mündlichen Erzählen sorgen außerdem das Präsens und die direkte Rede für Lebendigkeit (z. B. « ‘Maman, tu as pas vu mes basquets ?’ » im Interviewausschnitt oben).
Nähe und Distanz beeinflussen jedoch nicht nur die Sprache, sondern auch die nichtsprachliche Kommunikation. So kommt man sich bei einer Umarmung näher als beim Händeschütteln. Viel ist hier allerdings auch kulturell bedingt, wie etwa in Frankreich die Anzahl der bises je nach Region.