Читать книгу Vampire essen keine Pasta - Elke Bulenda - Страница 5

Man kann einen Garten nicht düngen, indem man durch den Zaun furzt.

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(Marcel Reich-Ranicki)

Das Erste, woran ich mich bewusst erinnern konnte, war, dass jemand leise die Vorhänge öffnete, um frische Luft und die bunten Farben des Sonnenuntergangs hereinzulassen. Eigentlich bekam ich nicht allzu viel vom Sonnenuntergang mit, weil ich unter kühlenden Seidenlaken, in einem ziemlich altmodischen Himmelbett lag, dessen Vorhangstoff kaum das Tageslicht durchließ. Wie nicht anders zu erwarten, war ich splitterfasernackt. Und unter meinem nackten Hintern fühlte sich das Seidenlaken irgendwie an, als läge ich auf einem toten Fisch. Gut, dass mir nicht schwindelte, sonst wäre ich sicherlich in der nächsten Kurve aus dem Bett geschlittert. Hm, wieso gehen eigentlich ständig meine Klamotten flöten? Egal, seltsamerweise fühlte ich mich richtig gut. Ich sage »bewusst erinnern«, weil zuvor ein ziemliches Chaos in meinem Kopf herrschte. Soweit ich mich entsinnen konnte, sollte ich eigentlich in einem Kryonik-Tank liegen, eingefroren wie ein Tiefkühlprodukt - fehlte nur noch der Bofrost-Mann. Vorsichtig bewegte ich meine Zehen. Kein Gefühl der Kälte, keine Taubheit - gut.

Noch immer fühlte ich mich leicht daneben, zumindest mein Kopf, aber meinem Körper ging es wirklich prächtig. Merkwürdig, sollte es nicht eher umgekehrt sein? Nein, nur mein Schädel fühlte sich an, wie Omas Kochwäsche nach einem heftigen Schleudergang mit anschließender Heißmangel. Kein Wunder, zuletzt war ich mit einem unheilvollen Medikamentenmix derartig zugedröhnt, dass ich von der Hochzeitfeier meines Blutbruders Cornelius, nur noch bruchstückhafte Erinnerungen vorweisen konnte. Na ja, unter anderen Umständen, das heißt, ohne Drogen, stattdessen mit mächtig viel Alkohol, wäre es mir wahrscheinlich nicht anders ergangen. Aber wenn die Giftmischer von Salomons Ring gewusst hätten, welche angenehmen Nebenwirkungen das Zeug verursachte, gäben sie das nächste Mal sicherlich eine Prise Salpeter dazu. Junge, Junge! Ich weiß ja nicht, ob ihr schon mal so richtig feuchte Träume hattet; meine waren jedenfalls so etwas von real. Mir war, als hätte mich ein Sukkubus im Schlaf überfallen. Allerdings saß sie auf mir und nicht wie der Name vermuten lässt, unter mir. Äh, sei´s drum. Alles in allem, sollte ich mich eigentlich schämen, von so etwas zu sprechen. Sofort stellte sich bei mir das schlimme Gefühl der Niedergeschlagenheit ein, gewürzt mit einer kräftigen Portion Reue. Und wieder einmal hatte ich alles verkackt, was man nur vermasseln konnte. Dabei dachte ich, der Plan wäre perfekt, den Mörder meiner Frau Amanda, mittels einer Dämonin auszuschalten, ohne dabei die geringste Spur zu hinterlassen... Pustekuchen! Zwar wurde ich nicht beschattet, leider jedoch die Dämonin, die zufälligerweise den Status meiner Ex-Frau trägt. Eigentlich wäre es eine einfache Quid-pro-quo-Sache gewesen. Tja, dumm gelaufen. Anstatt endlich fertig miteinander zu sein, nahm ich die ganze Schuld allein auf mich, als es zu einer internen Verhandlung kam. Ohnehin weiß ich nicht, was in die Leute von Salomons Ring gefahren war. Sonst drückten sie bei jeder noch so großen Verfehlung ein Auge zu, doch diesmal glich alles einem gottverdammten Hexenprozess. Nach der Verurteilung - ich sollte ohne Schonfrist zwanzig Jahre in einem Kryonik-Tank abbrummen -, überredete Cornelius unseren Boss dazu, mir doch noch eine kleine Gnadenfrist einzuräumen, um der Trauung von Cornelius und Cassandra beiwohnen zu können.

Und jetzt wird´s kompliziert. Als ich meine Kinder ein letztes Mal sehen wollte, wurde ich in Richtung Lift befördert. Es blitzte und tja... mehr weiß ich jetzt auch nicht mehr so genau, denn irgendjemand verpasste mir wieder ein Betäubungsmittel. Also ist es fraglich, was in der Zwischenzeit passierte. Ebenso gut könnten inzwischen zwanzig Jahre vergangen sein, ohne dass ich es bemerkte. Und noch etwas traf mich tief. Was war mit meinen Kindern passiert? Waren sie überhaupt noch Kinder, oder schon Erwachsene? Fakt war, selbst wenn wir bisherig das gleiche Jahr schrieben, wo waren sie abgeblieben? Befanden sie sich in Gefahr, oder brachte Annie sie nach Schottland, so wie ich es Cornelius ausrichten ließ? Selbst wenn sie in Schottland weilten, war es mir nahezu unmöglich, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wenn die Telefonleitung angezapft, oder Annies Handy überwacht wird, müsste ich unwillkürlich in die Falle tappen, denn ich stehe auf der Abschussliste, gelte nicht mehr als Jäger, sondern Gejagter. Was für ein beschissenes Dilemma.

Ich seufzte bedrückt und als der Seufzer heraus war, fiel mir auf, dass ich mich gar nicht allein im Zimmer aufhielt. Barfüßige Schritte kamen näher, eine Hand mit rot lackierten Fingernägeln griff nach dem Bettvorhang und zog ihn zur Seite. Vor mir stand eine Frau, die nichts anderes als ihre Tätowierungen am Leib trug. »Ah, Ragnor, du bist wach. Was ist denn? Du hast gar keinen Grund, so zu stöhnen. Weißt du eigentlich, wie verdammt sperrig und schwer du bist? Es war die reinste Plackerei, dich aus der Zentrale von Salomons Ring zu teleportieren«, grinste sie anzüglich und entblößte dabei ihr Raubtiergebiss.

»Dinah? Wann und wo bin ich?«, räusperte ich mir den Staub aus dem Hals.

...Argh, mein Schlund war trockener als eine Handvoll Herbstlaub....

»Du sprichst mich immer mit meinem früheren Namen an. Mir wäre lieber, du nennst mich Dyna, so wie alle. Dinah gibt es schon lange nicht mehr«, winkte sie ab und setzte sich zu mir aufs Bett. »Keine Bange, wir schreiben immer noch das gleiche Jahr. Drei Tage warst du völlig weggetreten. Wir haben mal analysiert, was sie dir verabreicht haben. Die Giftmischer von Salomons Ring beherrschen wirklich ihren Job; Strychnin, Eisenhut, Ketamin, Acepromazin, Oxycodon, Propofol und Diazepam waren die Hauptbestandteile. Wie geht es dir jetzt? Sei beruhigt, hier bist du sicher, vertraue mir. Du hast mein Wort.«

»Hm, es geht so. Ich bin froh, nicht wieder irgendwo in einer fremden Gegenwart aufzuwachen«, erwiderte ich heiser. »Vertrauen? Nun hör aber mal auf! Dir vertraue ich nur soweit, wie mich ein Zwerg werfen kann! Du hast mich schon einmal verraten, warum solltest du es nicht nochmals versuchen? Und überhaupt, was zählt dein Wort? Du hast mit meinem Sohn Gungnir geschlafen, und damit meinen anderen Sohn betrogen, beschämt und beleidigt!«, knurrte ich, wieder Herr über meine Stimme.

»Das musst du gerade sagen, wie?«, fauchte sie ungehalten. »Du, der seinem Dienstherren gegenüber schon etliche Male eidbrüchig wurde? Du schwingst dich mir gegenüber zum Richter auf? Und erkläre mir mal, wieso sollte ich dich erst retten, um dich hinterher zu verraten? Das ergibt überhaupt keinen Sinn!«, gab sie mir heftig Kontra. »Na und? Ich hatte Sex mit Gungnir, weil er so lebendig und voller Pläne ist, und nicht den ganzen Tag in der Kammer sitzt und wie ein Verrückter Leinwände beschmiert, oder auf Marmorblöcke eindrischt. Du kannst gar nicht mitreden, wenn es um das Thema der langen Ehe geht. Du weißt nicht, wie es ist, vom Zweifel zerfressen zu werden, ob es noch Liebe, Bequemlichkeit, oder gar Gewohnheit ist. Mir wurde schlagartig klar, wieso so viele Maler niemals heiraten. Es war für mich einfach unerträglich, jemanden mit so etwas Abstraktem wie der Kunst, teilen zu müssen. Wenn es wenigstens eine andere Frau gewesen wäre. Ohne mich kann er leben, jedoch nicht ohne sein Malen oder die Bildhauerei. Was ist da schon ein kleiner Seitensprung? Schließlich habe ich mit dir auch schon geschlafen«, sah sie mir mit silbrigen Augen herausfordernd ins Gesicht.

»Schön für dich, jetzt hast du uns alle durch. Ach, komm mir doch nicht schon wieder mit so ollen Kamellen! Das ist jetzt schon über sechshundert Jahre her!«, brummte ich genervt. »Wo ist Wally untergetaucht?«

»Keine Ahnung, seit unserer Trennung habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber sei gewiss, er ist dort wo die Kunstszene tobt«, meinte sie nüchtern. »Olle Kamellen?« Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte mich aus. Was bildete sich diese dumme Pute eigentlich ein, mich so hemmungslos auszulachen?

»Über sechshundert Jahre? Da irrst du dich, Schätzchen. Bist du dir wahrhaftig sicher, dass es wirklich so lange her ist?«, lachte sie noch immer.

...Oh, oh! Nun war der Groschen gefallen. Darum war es so real. Aber mit dem Sukkubus lag ich gar nicht ganz so weit daneben...

»Du verdammtes Miststück!«, packte ich sie blitzschnell am Hals. »Du hättest mich wenigstens fragen können! Grundgütiger, ich war nicht einmal bei Bewusstsein!«

»In gewisser Weise habe ich gefragt und eine eindeutige Antwort bekommen. Würg´ mich ruhig weiter, da stehe ich drauf!«, lachte sei rauchig.

… Diese verdammten Vampirweiber, jetzt versteht ihr sicherlich, wieso ich Menschenfrauen lieber mag ...

Sofort ließ ich sie los. Ich wollte Dyna nichts geben, was ihr auch nur im Geringsten Lustgefühle bereiten konnte.

»Wieso?«, knurrte ich wütend und nicht weniger angefressen.

»Na ja, ich habe mir sozusagen meinen Lohn für diese Rettungsaktion abgeholt. Und du kannst immer noch nicht ›Danke‹ sagen, wie?«

»Genau, in dieser Beziehung habe ich einen echten Sprachfehler. Herrgott, Dyna, hier und jetzt zum Mitschreiben: Das nächste Mal sollte ich auch geistig voll da sein, wenn du mit dem rot behelmten Ritter spielen willst. Mein Körper führt ein Eigenleben, unabhängig von meinem Kopf. Außerdem lügt er verdammt gut. Okay, vergessen wir, was hinter diesen Vorhängen vorfiel, sonst kotze ich gleich, obwohl ich einen völlig leeren Magen habe! Bei Odin! Ich wurde vergewaltigt! Und zieh dir gefälligst etwas an!«, raffte ich die Decke über meinen Hüften zusammen.

Wieder lachte Dyna ihr raues Lachen. »Ja, ich sehe bereits, dein Körper beginnt schon wieder zu lügen! Oder hast du etwa Pinocchio unter der Bettdecke versteckt?« Sie stand auf, drehte mir provokativ ihr pralles Hinterteil zu und bekleidete sich. Als sie damit fertig war, schüttelte sie den Kopf und betrachtete mich nachdenklich: »Wirklich Ragnor, ich hätte niemals gedacht, dich wiederzusehen«, schritt Dyna mit ihrem hautengen, rattenscharfen Latex-Outfit zur Kommode. Diese Frau brachte es tatsächlich fertig, selbst angezogen, noch vollkommen nackt auszusehen. Sie füllte Blut in einen Kelch und kam damit zurück an mein Bett. Gierig trank ich den Inhalt in einem Zug, streckte nebenbei die Hand in Richtung der Kommode aus, und holte mir mittels meiner Telekinese-Kraft, den Krug ans Bett.

»Hm, ein Kelch. Wie antik ist das denn? Ja, ich hätte auch niemals gedacht, diesen schrecklichen Godfrey wiederzusehen.«

»Du hast Godfrey getroffen?«, fragte sie interessiert.

Ich trank durstig und verzog hinterher angewidert das Gesicht, jedoch nicht wegen des Blutes: »Ja, leider. Nun ist der Knallkopf endgültig mausetot.«

»Was ist ihm zugestoßen?«, wollte Dyna wissen.

»Ich bin ihm zugestoßen; habe seinen verrückten Glatzkopf ein gutes Stück tiefergelegt. Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Wo sind wir hier überhaupt?«, fragte ich, wischte mir die Mundwinkel sauber und stellte den leer gesoffenen Krug auf dem Nachttisch ab. Zwar hatte ich bereits einen Blick aus dem Fenster geworfen, konnte leider nichts anderes als eine Hügelkuppe mit vereinzelten Zypressen erspähen. Das Zirpen der Zikaden sagte mir ebenfalls nicht viel, schließlich verstand ich kein Zikadisch.

»Niemand konnte unseren Blutsbruder Godfrey - diesen sadistischen Psychopathen - besonders gut leiden. Tja, ich schätze, es gibt nicht mehr allzu viele von uns«, entgegnet Dyna nüchtern.

»Cornelius ist noch da.«

»Ja, Connie war schon immer ein ganz Guter«, lächelte sie mit ungewohnter Aufrichtigkeit. »Nun zu deiner Frage. Wir sind in der Toskana, fünfzig Kilometer von Florenz entfernt.«

»Schöne Scheiße, Florenz liegt verdammt weit weg von Schottland«, brummte ich missgelaunt. »Nichtsdestotrotz, eine Frage würde mich brennend interessieren: Wieso hast du mich überhaupt gerettet, wenn du nicht mal etwas von meiner Wiedererweckung wusstest?«, sinnierte ich nachdenklich.

»Das liegt an deinen seltsamen Freunden«, grinste sie wie die Cheshire-Katze. »Ich ahnte nichts Böses, da erschien Licht, Musik und ein Kerl, der aussah, als sei er ein Modell von Karl Lagerfeld. Dann das volle Programm mit: ›Fürchte dich nicht‹ und so weiter. Ehrlich, Ragnor! Ich bin eine Vampirin, wovor sollte ich mich noch fürchten?«

»Nannte er seinen Namen?«, hakte ich nach.

»Klar, habe ich aber vergessen, irgendetwas mit ›el‹ am Ende, so wie sie eben alle heißen. Das Engelchen trug einen Smoking und ein Glas Champagner in der rechten Hand, das er aber auf seinem Heiligenschein abstellte, als er mir die Baupläne überreichte«, erläuterte Dyna. »Ein wirklich schnuckeliges Kerlchen, dunkles Haar, sehr gut gebaut, wäre selbstredend eine Sünde wert gewesen«, meinte sie süffisant, wurde aber wieder ernst. »Dem äußeren Anschein nach zu urteilen, scheinst du die besten Verbindungen bis ganz nach oben zu haben.«

»Das war doch nur Barbiel, ein alter Kumpel von mir. Damals ein schlimmer Finger, ein Gefallener, wurde aber rehabilitiert. Lass lieber deine Krallen von ihm, sonst bekommst du es mit meiner Tochter Mara zu tun. Wieso denkst du, ich hätte eine Connection nach oben?«

»Weil er nicht zufälligerweise vorbeischaute, sondern wie gesagt, spulte er das volle Programm mitsamt des ganzen Tralalas ab. Er behauptete, im Namen des Herren zu mir gesandt worden zu sein, was schon mal ein echtes Unding ist. Ich bin stolz darauf, durch und durch eine Sünderin zu sein. Aber der Engel meinte, du hättest etwas gut bei IHM, also Jahwe, seinem Dienstherren. Angeblich wegen einer Sache in Megiddo, ein verhindertes Armageddon. Was hat das zu bedeuten?«, begehrte Dyna zu wissen.

»Ist eine ziemlich lange und komplizierte Geschichte. Die Apokalypse konnte noch rechtzeitig verhindert werden, sonst säßen wir jetzt nicht hier, so viel sei dazu gesagt«, blockte ich gelangweilt ab.

»Aha, normalerweise befürchtet jeder, der dich etwas besser kennt, du könntest eher die Apokalypse auslösen, als sie, entgegen aller Erwartungen, verhindern«, bemerkte sie spitz.

»Hey, was soll denn das schon wieder heißen? Machst du mir etwa genauso Vorwürfe wie Connie? Weib, erzähl jetzt, was passierte!«, knurrte ich ungeduldig.

»Okay, er sagte, Jahwe hätte ihn geschickt, weil sein Boss ein Gebet erreichte. Kaum zu glauben, jemand könnte um deinethalben zum lieben Gott beten«, frotzelte Dyna und fing sich von mir einen eisigen Blick ein. »Na ja, ich dachte, Odin wäre für dich zuständig. Kurzum, jemand betete für dich, und da du beim obersten Boss etwas gut hattest, wurde das Gebet erhört und ich unfreiwillig, im Namen des Herren, als verlängerter Arm beauftragt. Barbiel ließ mir die Baupläne von der Ringzentrale da, damit ich sie studieren konnte. Es ist nicht lustig, mitten in einer Wand zu stecken, nur weil man sich irgendwo hinein teleportiert, von dessen Örtlichkeiten man keine Ahnung hat«, erklärte sie und schob sich das purpurfarbene Haar aus den Augen. Dyna und ich kannten uns schon eine halbe Ewigkeit. Auf mich machte sie im Moment den Eindruck, als verschweige sie mir einen erheblichen und wichtigen Teil der Geschichte.

»Ach ja«, schien sie sich plötzlich zu entsinnen. »Du hast Besuch! Bist du bereit?«

»Echt, du hast Nerven!«, knirschte ich. »Wie lange wartet die Person schon dort draußen vor der Tür?«

»Gar nicht, ich habe versprochen Bescheid zu sagen!«, erwiderte sie und verschwand so schnell, dass mir beim Zusehen übel wurde. Teleportation ist nichts für empfindliche Gemüter.

»Herrgott Dyna! Ich hasse es, wenn du das machst!«, grunzte ich ins leere Zimmer. Es schwieg vorwurfsvoll.

Wenig später hörte ich Dyna vor meiner Zimmertür mit jemanden reden. Sie sagte, sie sollten sich an die Abmachungen halten. Die Stimmen waren mir bekannt und ich war sehr aufgeregt. Dann klopfte es an die Zimmertür und Sascha streckte ihren Kopf ins Zimmer.

Bei den Göttern, ich kann euch gar nicht sagen, wie mir ein Stein vom Herzen fiel.

»Buonasera. Darf ich reinkommen?«, fragte die Kleine.

»Ja, komm nur rein, ansonsten können wir kaum ein vernünftiges Gespräch führen.«

Sie trat ein und schloss hinter sich die Tür, dann warf sie mir einen verunsicherten Blick zu.

… Sascha ist nicht meine leibliche Tochter, sondern das Kind von Amanda. Ich mache da aber keinen Unterschied, auch wenn nicht mein Blut durch ihre Adern fließt. Sie ist meine Adoptivtochter und ich liebe das Mädchen wie mein eigenes. Nur verhält sie sich manchmal eben nicht so wie mein leibliches Kind. Vielleicht kann ich aber auch von Glück sagen, dass es so ist. Zumindest beansprucht sie den Status, in unserer Familie der einzige, vernünftige Mensch zu sein, was ihr keiner abspricht, weil es nun mal stimmt. Ructus ist ein Teufelchen, Agnir ein Vampir-Hybride, auch Dhampir genannt, Annie eine Vampirin und ich bin ebenfalls ein Vampir ...

»Ragnor? Es tut mir leid!«, meinte Sascha, kam näher und setzte sich auf die Bettkante.

»Wie? Das verstehe ich nicht. Was tut dir leid?«, fragte ich leicht irritiert.

»Na, weil ich doch von dir verlangte, du solltest diesen Kolbyr Faksen töten«, erklärte Sascha aufgeregt. So kannte ich sie überhaupt nicht. Doch anstatt sich zu beruhigen, wurde sie immer erregter. »Das war Böse! Ich hätte das nicht von dir verlangen sollen. Dabei wusste ich doch, du würdest es für mich tun, weil du denkst, ich hätte dich nicht lieb, weil du nicht mein richtiger Vater bist. Und du hast diesen Faksen getötet und jetzt bist du in Schwierigkeiten, nur wegen mir!«, rieb sie sich die Tränen aus den Augen, weil sie nicht wie ein kleines Kind dastehen wollte.

»Hey, Sascha«, legte ich tröstend meinen Arm um sie. »Hör mal, was du da erzählst, ist absoluter Quatsch. Glaubst du, ich würde ohne zu überlegen, einfach losziehen, nur weil du es so wünscht? Nein, ich habe mich dazu entschlossen, weil dieser Faksen es verdiente! Ich tat es für dich, Agnir, und für deine Mutter. Na klar, für mich tat ich es auch. Ich wollte nicht, dass der Mörder die gleiche Luft wie ihr atmet«, erklärte ich. »Und weißt du was? Es ist mir völlig egal, in was für Schwierigkeiten ich stecke. Hauptsache ihr seid bei mir!«, munterte ich sie auf, so dass Sascha wieder lächelte.

»So will ich mein kleines Mädchen sehen. Du bist wirklich tapfer. Äh, sag mal, sind deine Oma Nana (Annie) und dein Bruder auch hier?«, hakte ich nach.

»Ja, und Ructus natürlich auch«, nickte sie. »Sie sind alle wegen mir hier!«, meinte sie im Brustton der Überzeugung.

Genervt verdrehte ich die Augen: »Sascha, erklärte ich dir nicht gerade, es wäre nicht deine Schuld?«, fragte ich geduldig.

»Nein, das verstehst du nicht. Ich war es, die zum lieben Gott gebetet hat«, erwiderte sie ein wenig verlegen und betrachtete nachdenklich ihre rosa lackierten Fingernägel.

»Wie jetzt, du warst das mit dem Gebet?«, fragte ich entgeistert.

… Wieso ich so erstaunt war? Ganz einfach: Meine verstorbene Frau Amanda glaubte nicht an Gott, und so ging ich davon aus, bei Sascha verhielte es sich genauso ...

»Ja«, gab sie kleinlaut zu und biss sich auf die Unterlippe.

»Glaubst du an den lieben Gott?«, fragte ich neugierig.

»Na ja, nicht so, als sei er irgend so ein alter Opa, der gelangweilt im Himmel herumsitzt. Eigentlich wusste ich, dass es eine Hölle gibt. Ructus erzählt immer sehr viel von seiner Zeit, als er noch dort unten war. Es gibt also folglich den Satan. Und Barbiel ist ein Engel und erzählte mir vom Himmel und den anderen Engeln. Also, wenn es eine Hölle mit Satan gibt, muss im Himmel der liebe Gott sein. Und da ich so verzweifelt war und vor allem, weil ich jemanden den Tod gewünscht habe, betete ich zum lieben Gott, in der Hoffnung, er möge mir meine Sünden vergeben, damit ich nicht in die Hölle komme. Und ich wollte natürlich, dass wir wieder alle zusammen sein können«, endete sie ihre Rede.

»Okay, das muss ich erst mal sacken lassen. Nur durch´s Gebet, werdet ihr wohl kaum hierhergekommen sein, oder?«

»Nein, das wäre sicherlich komisch«, kicherte Sascha. »Nein, wir sind von Onkel Ron hierher gebracht worden. Als Tante Dyna mit Nana besprach, wie sie dich am besten retten könnte, rief Nana ihren Sohn Ronald an, damit er uns mit dem Flieger in Sicherheit bringt. Wir durften jeder nur Kleidung und zwei Sachen mitnehmen«, grinste Sascha.

»Argh, nenne sie lieber nicht Tante Dyna... Okay, leuchtet ein, aber warum grinst du denn so? Ach, ich soll dich etwas fragen. Gut, was hast du mitgenommen?«, tat ich ihr den Gefallen.

»Meinen Laptop und Duffy«, lachte Sascha.

»Was? Du hast dein Haflinger-Pony mitgenommen?«, entwich es mir. »Was hat Onkel Ron gesagt?«

»Er sagte, das Pony gehört nicht ins Handgepäck!«, erwiderte sie. »Wir mussten Duffy in den Frachtraum bringen.«

»Du kannst von Glück sagen, so einen toleranten Onkel, mit einem dermaßen großen Flugzeug zu haben. Ist Agnir auch draußen?«, hakte ich nach.

»Ja, ich hol ihn. Ich muss jetzt sowieso ins Bett. Ich habe heute keine Siesta gehalten und bin total platt. Den ganzen Tag mit Agnir und Ructus zu verbringen, nervt total«, gestand sie sehr erwachsen. »Gute Nacht!«, gab sie mir einen Kuss auf die Wange, wischte allerdings ihren Mund ab: »Boah, rasier´ dich mal!«

»Gute Nacht, Sascha. Und danke, für den Tipp und dein Gebet. Äh, dann lass mal gleich deinen kleinen Bruder rein, ja?«

»Okay! Nacht!«, winkte sie beim Hinausgehen.

Unter dem Türsturz kam es kurz zu einer kleinen Slapstick-Einlage, als Sascha hinaus, und Agnir dringend hinein wollte. Sie vollführten einen seltsamen Tanz, der ruckartig vollführt wurde, sie grunzten und verdrehten die Augen. Dabei fiel mir auf, dass Agnir seine Schwester von der Körpergröße her längst eingeholt hatte. Mit seinem wilden Lockenkopf wirkte er ohnehin zusätzlich ein Stück größer. Wir sollten ihm mal dringend das Haar stutzen.

Endlich waren sie aneinander vorbei, die Tür geschlossen und Agnir kam stürmisch auf mein Bett gesprungen. »Toll! Du bist wieder wach!«, plapperte er drauflos. »Habe ich dir nicht gesagt, dass alles gut wird, und wir zusammen eine Reise machen?«, strahlte er übers gesamte Gesicht. »Nur Nana ist stinksauer auf dich«, meinte er ernst.

»Ja, das mit der Reise hast du prophezeit. Und ich bin froh, dass wir alle zusammen sein können. Auch wenn ihr euer ganzes Zeug und wir unser schönes Heim verlassen mussten. Natürlich kann ich mir vorstellen, wie sauer Nana auf mich ist, aber sie wird schon wieder runter kommen. Äh, was hast du von zuhause mitgenommen?«

»Mein Notebook und Saschas Kamera«, antwortete er und bekam rote Ohren.

»Wieso hast du Saschas Kamera mitgenommen und nicht deinen Teddybären, oder sonst etwas?«, wollte ich genauer wissen.

»Na ja, Sascha musste ihr Notebook mitnehmen, weil dort unsere ganzen Familienfotos drauf sind. Und sie nahm ihr Pony mit. Damit waren ihre zwei Sachen aufgebraucht. Aber sie kann doch nicht ohne ihre Kamera wegfahren, sonst bekommen wir keine neuen Fotos mehr«, erklärte er weise. »Ach nö! Was soll ich denn noch mit einem Teddybären? Ich bin doch schon ein großer Junge«, verdrehte er die Augen.

»Das war sehr nett von dir, was du für deine Schwester getan hast. Übrigens, du siehst chaotisch auf dem Kopf aus, wir sollten dir mal die Haare schneiden«, bemerkte ich.

»Nein, ich will sie wachsen lassen. Du hast ja auch langes Haar! Ein richtiger Krieger muss langes Haar haben und Kriegerzöpfe tragen!«, bekannte er.

»Oh, na dann...Willkommen im Klub. Sag mal, was habt ihr für mich eingepackt?«, fragte ich skeptisch.

»Ein paar Klamotten zum Anziehen, Joey, den Kater und deine Rote Drachenklinge«, zählte er auf.

»Den Kater hättet ihr zuhause lassen, und stattdessen an mein Notebook denken können. Moment mal! Wie seid ihr an das Schwert gekommen? Schließlich sperrte ich es in den Waffenschrank.«

Agnir wirkte verlegen, rutschte vom Bett, vermutlich weil er möglichst weit weg von mir sein wollte, wenn er mit der Antwort herausrückte. Unruhig lief er durch das Schlafgemach, berührte die große Kommode, untersuchte die Fußbank, die vor dem Bett stand und setzte sich auf den Fensterkasten, der mit rotem Samt gepolstert war, aber erst nachdem er ihn aufklappte und einen Blick hineinwarf. »Da habe ich es reingelegt!«

Erst jetzt wurde mir gewahr, wie antik die Einrichtung des Gemäuers wirkte.

»Papa, du musst mir versprechen, nicht wütend zu werden«, bat Agnir. »Es ist so: Ructus fand die Kombination des Waffenschranks heraus. Er hat das Schloss nicht aufgebrochen, sondern einfach nur nach den Daten gefragt, die etwas mit Mama zu tun haben.«

Ich dachte über das Gesagte nach. In der Tat war die Zahlenkombination des Waffenschranks, Amandas und mein Hochzeitsdatum gewesen.

»Ructus sagt, alle Leute machen das so«, grinste Agnir verlegen. »Außerdem wollte ich das Schwert mitnehmen, weil es doch ein Familienerbstück ist. Und eines Tages, werde ich dieses Schwert bekommen«, behauptete er kühn.

»Einspruch! Ich habe zwei ältere Söhne, die vor dir ein Anrecht auf das Schwert haben«, korrigierte ich seine Aussage.

»Aber Gungnir hat es schon all die Jahre gehabt, und der andere, der immer so einen Bohai um seinen Namen macht, hat sich bisher nie blicken lassen. Außerdem sind deine beiden älteren Söhne Bastarde!«, platzte es in seinem Übereifer aus ihm heraus. Und obwohl er sich anschließend erschrocken den Mund zuhielt, war der Satz bereits ausgesprochen und von mir registriert.

»Hör mal, wenn deine Mutter nicht mit der Hochzeit einverstanden gewesen wäre, wärst du jetzt ebenfalls ein Bastard. Und noch eins, Freundchen: Ich mag dieses Wort nicht. Sag so etwas nie wieder, hörst du?«

Agnir nickte verschüchtert, obwohl es nie einen Grund für ihn gab, mich zu fürchten. Niemals war mir bei ihm die Hand ausgerutscht. Selbst wenn er etwas Schlimmes ausgefressen hatte, wurde alles im ruhigen Ton besprochen. Also fuhr ich fort: »Außerdem waren Gungnirs Mutter und ich damals verheiratet. Alle meine damaligen Kinder sind von hoher Geburt. Schließlich ist ihre Mutter eine echte Edelfrau und ich bin ein Ritter. Erst später, als ich längst begraben war, annullierte sie die Ehe. Eigentlich hätte sie es auch sein lassen können, weil sie schließlich meine Witwe war. Aber sie wollte sich vom Schatten befreien, der ihren guten Ruf beschmutzte. Und Gungnir wurde lange Zeit als Thronanwärter gesehen. Wir hegten große Hoffnungen in seine Fähigkeiten. Tja, dann kam alles anders. Ach, Sohn, das ist Schnee von gestern«, gestand ich ein. »Gut, wenn du das Schwert haben willst, dann musst du dich zuerst als würdig erweisen.«

Agnirs Augen wurden groß. »Du willst mir das Schwert vererben?«, fragte er ungläubig.

»Wenn dir so viel daran liegt, dann sollst du es bekommen. Aber ohne Fleiß, kein Preis. Wenn du es willst, musst du es dir verdienen. Du wirst alle Disziplinen lernen, die ein Ritter ebenfalls beherrschen muss. Das beinhaltet den Schwertkampf, das Schießen mit Bogen und Armbrust, die Streitaxt, Streitkolben und Kriegshammer. Ach ja, selbstverständlich musst du reiten und mit der Lanze hantieren können«, beschied ich ihm.

Der Kleine blies die Backen auf. »Okay, ich frage mich, wann ich das alles lernen soll, denn wir haben ohnehin schon den halben Tag lang Unterricht bei diesem Cesare. Aber was soll´s? Da ist ja noch die andere Hälfte des Tages übrig«, grinste er spitzbübisch.

»Genau meine Rede. Ich werde dir zeigen wie es funktioniert und du musst eben ordentlich trainieren. Zuerst wirst du das Schwert sowieso nicht gehoben bekommen. Stattdessen benutzen wir Übungsschwerter. Du musst ohnehin etwas zur Kräftigung deiner Muskeln tun, sonst wirst du so ein dünner Schlacks wie dein Onkel Cornelius. Hm, wir brauchen einen fähigen Sparringspartner für dich«, überlegte ich laut.

»Vielleicht übt Cesare mit mir?«, meinte Agnir optimistisch.

»Wer ist dieser Cesare überhaupt?«

Agnir grinste. »Oh, Cesare ist der Hauslehrer. Schließlich müssen wir unterrichtet werden, immerhin sind wir schulpflichtig.«

»Aha, vielen Dank für diese Auskunft. Dann bin ich beruhigt, eure Schulbildung kommt nicht zu kurz. So Stöpsel, es wird Zeit, ab in die Furzmulde!«, gab ich ihm einen Kuss auf die Wange.

Mein Sohn verzog das Gesicht. »Ach männo! Ich bin noch gar nicht müde! Und bitte keinen Nachtkuss mehr, ich bin schon groß!«

»Keine Widerrede!«, schickte ich ihn zu Bett. So ganz schien ihm das nicht gegen den Strich zu gehen, denn er grinste schon wieder so geheimnisvoll. Irgendetwas verbarg er vor mir, da war ich sicher.

»Na, dann... Gute Nacht, Papa!«, trollte er sich und verließ stolz den Raum.

Dyna kam herein, erklärte mir wo meine Kleidung und das Rasierzeug verbunkert war. »Ein süßer, blonder Junge... Ach ja, das Bad ist dort«, zeigte sie auf eine Tür, die mir bisher entgangen war.

»Ja, ein süßer Junge, aber ihn wirst du niemals bekommen, verlass dich drauf!«, knurrte ich verärgert. »Was ist das für eine Abmachung, die du vor den Kindern erwähntest?«

»Ach, nichts Besonderes. Wir wollten, dass sie dich nicht aufregen. Schließlich warst du drei Tage völlig daneben«, tat Dyna die Sache lapidar ab. Doch irgendetwas störte mich an dieser Aussage.

»Wer ist wir? Das sagtest du vorhin auch schon einmal«, stellte ich sie zur Rede.

Dynas Miene wurde frostig. »Das wirst du früh genug erfahren. Ich an deiner Stelle, würde mich ein wenig zurechtmachen. Der Herr des Hauses will dich sehen. In einer viertel Stunde komme ich dich abholen«, machte sie kehrt und verließ das Zimmer.

»Ja, lauf nur davon! Ich werde es eh herausbekommen!«, rief ich ihr hinterher. Da sie nichts erwiderte, widmete ich mich der Körperpflege. Und wie Dyna prophezeite, erschien sie genau eine viertel Stunde später. Sie nickte zufrieden, als sie mich beäugte.

»Schon besser. Zumindest siehst du nicht mehr wie der rothaarige Bruder des Yeti aus«, stellte sie fest. »Gut, folge mir!«

»Hey, der Yeti ist ein guter Freund von Connie. Lass ihn das bloß nicht hören«, witzelte ich zurück und heftete mich an Dynas Fersen.

Das Haus schien nicht so verlassen, wie ich zuerst vermutet hatte. Es ging hier nur gesittet und ruhig zu. Doch hörte ich ab und zu Stimmen, die sich leise miteinander unterhielten. Und das in allen erdenklichen Fremdsprachen. Was war das hier? Ein Ashram? Jedenfalls von den Maßen her, bekam ich langsam eine Vorstellung unseres Exils. Wir befanden uns in einem alten Palazzo, dem Herrenhaus des Gutshofkomplexes. Woher ich das wusste? Es roch ganz erbärmlich nach Stall. Der Wind stand gerade so ungünstig, dass er die Ausdünstungen des Misthaufens direktemang in die Arkadengänge wehte. Na toll. Wir stiegen eine große, steinerne Treppe ins Erdgeschoss hinab.

Weiterhin ging ich meinen Beobachtungen nach, machte mir innere Notizen und zog meine Schlüsse, sodass ich gar nicht registrierte, wie Dyna urplötzlich stehen blieb. Gerade konnte ich noch mein Tempo drosseln, sonst hätte ich sie von den Stiefelsohlen gerempelt. Sie öffnete eine große, von innen gepolsterte Tür.

»Bitte, tritt ein. Er wird gleich bei dir sein«, nickte sie ins Zimmer.

»Eine von innen gepolsterte Tür? Lass mich raten. Hier wohnt der Ober-Jeck!«, grinste ich und entblößte meine frisch geputzten Beißerchen.

»Nein, nur jemand mit sehr empfindlichen Ohren. So, und jetzt sei brav und setz dich irgendwo hin, nur nicht auf den Chefsessel am Schreibtisch, klar?«, schob sie mich ins Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Tja, was soll ich sagen? Wenn ein Raum etwas über seinen Bewohner, bzw. Besitzer aussagt, dann musste es sich beim Hausherren um Marco Polo, oder dessen Nachkommen handeln. Der Raum wirkte wie ein Überseemuseum. An der Wand mit den Fenstern, hingen afrikanische Masken, Schilde und Speere. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein riesiger chinesischer Gong. Allem Anschein nach, versteckte der Kerl den Klöppel, weil es nicht nur mich zu jucken schien, dieses Ding mal auszuprobieren. Darüber hing eine Art Aztekenkalender und etliche nepalesische Gurkha-Messer. Kukuhri, heißen diese seltsamen, wie Bumerangs geformten Messer. Mit Waffen kenne ich mich bestens aus. Aber es gab noch viele andere interessante Objekte zu untersuchen. Am Fenster stand ein Teleskop. Ich trat näher und spähte hindurch. Das Okular war nicht auf den Sternenhimmel gerichtet, sondern auf eine einsame Straße, die direkt zum Grundstück führte. Sehr interessant. Höchstwahrscheinlich war ich nicht der Einzige, der unter Verfolgungswahn litt. Neben dem Teleskop stand ein kleines Schränkchen mit einem Globus. Hinter dem dominant wirkenden Schreibtisch hingen schmückend: Ein Seidenkimono und zwei Fächer. Darunter standen jeweils symmetrisch angeordnet, zwei riesige Porzellanurnen, feinst bemalt. Weiter links stand ein Paravent und davor, kaum zu glauben, eine uralte Kamera auf vier Standbeinen. Ich rede von so einem Ding, dass vorne wie eine Ziehharmonika gefälzelt ist. Auf dem großen Schreibtisch stand ein uralter Ventilator und ein ebenso betagtes Telefon - so ein schwarzes mit Wählscheibe(!!!!!), das ebenso gut Philip Marlowe - seines Zeichens Privatdetektiv - gehören könnte. Auf der Schreibunterlage stapelten sich Atlanten, Briefe und Papiere, die allesamt einen sehr betagten Eindruck machten. Ich warf einen Blick drauf und erkannte ein uraltes Papyrus, beschrieben mit seltsamen Hieroglyphen. Ich ließ weiter mein Auge schweifen. Zwischen Schreibtisch und Ledersitzgruppe, stand ein marokkanisches Tischchen mit typischer Teekanne und den obligatorischen Trinkgefäßen, mehrere lederne Sitzkissen und eine Shisha-Pfeife. Von der gegenüberliegenden Wand, die eingebaute Bücherregale beherbergte, guckte mich der Kopf einer Antilope traurig an. Gleich darunter hing das Gewehr, welches ihr diesen Zustand beschert hatte. Ich kam nicht umhin, dem ausgestopften Tier die Stirn zu kraulen. »Na, du armes Ding? Haben sie dich eingemauert?«

Anschließend schweifte mein Blick über den Glastisch der Sitzgruppe. Dort lag die in der Mitte gefaltete, druckfrische Ausgabe der Tageszeitung La Nazione. Ich griff sie mir, entfaltete sie und musste mich daraufhin erst einmal hinsetzen. Vom Titelblatt sah mich das Foto meines Sohnes an, darüber die Schlagzeile: Learjet von norwegischem Multimilliardär in den Alpen zerschellt.

Mir rutschte das Herz in die Hose. Was war nur mit Gungnir passiert? Völlig fassungslos las ich den Artikel durch. Seine Leiche wurde bisher noch nicht gefunden, weil das Absturzgebiet unwegsam und äußerst schwer zu erreichen war. Zumindest saß ich schon mal, als sich die Tür öffnete und ich jemanden erblickte, mit dem ich erst recht niemals gerechnet hätte. Eigentlich dachte ich, der Tag könnte nicht schlimmer werden, doch weit gefehlt! Schlimmer geht´s immer. Mir entwich lediglich: »Was zum Teufel?... Du?«

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Vampire essen keine Pasta

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