Читать книгу Vampire essen keine Pasta - Elke Bulenda - Страница 6

Wenn der Tod dich nach dem Weg fragt, weise ihn zur Tür des Nachbarn.

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(Cicero)

Die Welt meinte es wirklich gut mit Cornelius. Vielleicht war es auch eine höhere Macht, die ihm diesen seligen Schlummer zukommen ließ. Allerdings konnte es auch gut möglich sein, dass er gar nicht schlief, sondern einfach nur ohnmächtig geworden war. Diese beiden Optionen waren allemal besser, als bei vollem Bewusstsein neben Cassandra zu sitzen, wenn sie wieder einmal am Steuer saß und fuhr, als sei sie diejenige, die eindeutig an der Spitze der Nahrungskette stand; was im gewissen Sinne eindeutig stimmte. Schließlich war Cassandra eine Drachenfrau. Selbstverständlich saß sie nicht in der Gestalt eines Drachen am Steuer. Sie hätte gar nicht ins Auto hineingepasst. Sie bevorzugte die Erscheinung einer wohlgeformten Brünette, mit atemberaubender Figur und jeder Menge Charisma und Goldschmuck. Drachen lieben Gold. Allen Äußerlichkeiten zum Trotze - sie fuhr Auto, so wie sie normalerweise flog - und das Bremsen war in ihren Augen nur etwas für Feiglinge.

Wenn es nach Cornelius gegangen wäre, wäre er lieber zuhause geblieben, anstatt mit dem Auto in die Schweiz zu fahren. Außerdem wäre er sowieso lieber geflogen, allerdings in einem Flugzeug und nicht mit eigenen Flügeln. Doch Cassandra drängte ihn, sie müsse in der Schweiz dringende Geschäfte tätigen, obwohl sie zuerst, ebenso wie er meinte, sie bräuchten nicht in die Flitterwochen zu fahren, da sie mit dem Einrichten ihres neuen Heims genug zu tun hätten, und so in trauter Zweisamkeit, ihre Zeit verbringen könnten. Cornelius fragte sie, wieso sie diese Geschäfte nicht online tätigte, worauf ihm seine Gemahlin zur Antwort gab, einiges müsse man eben selbst persönlich vor Ort erledigen. Ein anderer Grund, wieso Cornelius sich so sträubte, war der, dass er Salomons Ring nicht aus den Augen lassen wollte. Seit Ragnors Verschwinden war es ihm unmöglich, auch nur einen Tag abwesend zu sein. Selbstredend hatte Ragnor dieses strenge Urteil verdient, weil er gegen den Kodex verstoßen hatte. Wenn auch nicht direkt, so war er doch indirekt für den Tod eines Menschen verantwortlich. Aber der Hüne hatte ihm die Augen geöffnet. In der Tat lief irgendetwas nicht mehr ganz rund in dieser Organisation. Der Graue wollte sich keinesfalls aus der Führungsspitze verdrängen lassen, gerade wo er doch vor knapp einem Jahrhundert selbst diese Organisation ins Leben gerufen hatte. Er sah es nicht ein, eiskalt und dreist abserviert zu werden.

Einen Tag nach der Hochzeit erschien der Engel Barbiel an seiner Tür, um ihm zu offerieren, dass er ein paar Handys für spezielle Freunde ausgeteilt hätte, was nichts anderes bedeutete, als dass er der Meinung war, bei bestimmten Handlungen und Diskussionen, nicht unbedingt überwacht und abgehört werden zu wollen. Und da Cornelius ebenfalls zum Freundeskreis gehörte, bekam er eines der »Konspirativen Telefone« zugesteckt. Nur dieses Geheim-Handy nahm Cornelius mit, als er mit Cassandra in die »verspäteten Flitterwochen« startete.

Trotzdem war er verwirrt und tief getroffen. Diese Sache mit Gungnir machte ihm schwer zu schaffen. Er kannte den jüngeren Vampir nun schon über sechshundert Jahre und konnte bisher niemals ein aggressives Verhaltensmuster bei ihm erkennen. Ganz im Gegenteil. Der Jüngere war ein Altruist und gab sein Geld gern für einen guten Zweck aus. Zu Mensch und Tier war er gleichermaßen freundlich und zuvorkommend. Wieso sollte Gungnir also einen Wachmann töten, und das nur so zum Spaß? Nein, da musste eindeutig etwas anderes passiert sein. Doch so sehr sich der Grauhaarige auch das Hirn zermarterte, solange er nicht Gungnirs Aussage dazu kannte, käme er an diesem Punkt nicht weiter. Und so wie die Lage aussah, würde er nun nie wieder mit Gungnir reden können. Wie schrecklich! Es war ihm unbegreiflich, wie so etwas Schlimmes passieren konnte. Gungnir sei angeblich in den Alpen umgekommen? Unmöglich! Trotzdem hegte er nicht die Hoffnung, dass dieser einen Absturz aus so mächtiger Höhe überlebt haben könnte. Vampire sind zwar nicht so leicht totzukriegen, doch wenn ihr Körper total zerstört wird, besteht keine Möglichkeit der Wiederauferstehung. Connie war schwer deprimiert und leugnete aus Protest den Tod des Jüngeren. Selbst im Schlaf hielt er das zusammengerollte Exemplar der Zeitung noch immer völlig verkrampft in seinen Händen. Und noch eins konnte er nicht verstehen. Obwohl Cassandra schon seit sehr langer Zeit eine enge Vertraute Gungnirs war, schien sie über seinen Tod nicht sonderlich erschüttert zu sein. Als er nach dem Grund fragte, eröffnete sie ihm, dass sie erst in Zürich hundertprozentig sicher sein könnte, ob Gungnir wirklich tot sei oder nicht. Ansonsten sagte sie zu diesem Thema nichts und ließ sich auch nicht erweichen, irgendwelche Fragen zu beantworten. Doch Cornelius war sich sicher, dass sie genau wusste, was sie tat.

Als der Jaguar Mark 2 in der Bahnhofsstraße 45, in Zürich zum Halten kam, rüttelte Cassandra ihren Gatten wach.

»Cornelius, wir sind da!« Nachsichtig nahm sie ein Taschentuch zur Hand und wischte ihm einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel. Sie liebte ihren Gatten abgöttisch und behandelte ihn pfleglich - auch wenn sie Cornelius mit ihrem Fahrstil, beinahe stets in einen Nervenzusammenbruch trieb.

Der alte Vampir machte eine abwehrende Geste, bis ihm bewusst wurde, dass Cassandra ihm gütigerweise den Sabber wegwischte. So weit war es also schon mit ihm gekommen...

»Äh, wir sind wo da?«, fragte er leicht wirr und betrachtete ein wunderschönes, mit Arkaden verziertes Gebäude, welches von einem Logo mit drei gekreuzten Schlüsseln und den Buchstaben UBS als Bank ausgewiesen wurde. »Willst du hier deine Brautgroschen eintauschen?«, fragte er ratlos. Eigentlich tat man so etwas direkt vor der Hochzeit, um sich damit die Brautschuhe zu finanzieren. Jedoch musste er bei genauerer Betrachtung zugeben, dass diese Bank bestimmt nicht die richtige für so eine Finanztransaktion war.

»Du bist so ein unheilbarer Quatschkopf. Dies ist nicht die Dorfsparkasse, sondern eine der größten Banken der Welt. Komm! Nein, warte!«, meinte Cassandra, hielt inne, um ihren Ehemann kritisch zu betrachten. Sie öffnete das Handschuhfach und nahm eine Kleiderbürste zur Hand, womit sie ihm die Tabakkrümel vom Nadelstreifenanzug putzte. »So, jetzt ist es besser. Du solltest statt deiner Pfeife, lieber diese modernen E-Zigaretten rauchen. Die krümeln und aschen nicht«, bemerkte sie lächelnd.

»Hm, die duften und schmecken auch nicht!«, gab er zurück. »Du solltest beim nächsten Mal meinen kleinen, alten Quarki nicht so treten!«, warf er als Beschwerde ein.

»Cornelius, du bist höchstwahrscheinlich der einzige Kerl unter der Sonne, der seinem Auto einen so lächerlichen Namen gibt!«, lachte sie kopfschüttelnd. »Gut, ich werde in Zukunft ein wenig Rücksicht auf Quarkis und dein Alter nehmen«, zwinkerte sie ihm zu. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich den Mercedes CLS genommen, aber du sagtest, er besäße GPS und wäre zu orten.«

Cassandra teilte zwar nicht Cornelius` Ansicht, mit Salomons Ring könnte etwas nicht stimmen, doch wollte sie trotzdem vor anderen verschleiern, wo das Ziel ihrer Reise lag.

Den Wagen parkten sie direkt vor dem Gebäude. Der Graue fragte sich, ob seine Gattin das so ohne Weiteres durfte. Als er allerdings einen Mitarbeiter wahrnahm, der ihnen entgegen eilte, wusste er, dass Cassandra sogar mit dem Wagen direkt in die Filiale hätte fahren können, um selbst dort von einem frisch ausgerollten roten Teppich und einem lächelnden Mitarbeiter empfangen zu werden. Denn alles an Cassandra sagte: »Seht her, durch diese, mit Gold beringten Hände, fließen tagtäglich Millionen,- wenn nicht Milliardenwerte. Kommt mir also nicht mit einem billigen Kugelschreiber als Werbegeschenk, sonst werde ich euch damit einen künstlichen Darmausgang verpassen.«

Das Bankgebäude zog nicht nur wohlhabende Menschen durch sein strahlendes Erscheinungsbild an. Auch solche, mit denen das Leben es weniger gut meinte. Ein Obdachloser mit einem kleinen Hund stromerte neugierig um das Gebäude herum, ganz offensichtlich auf der Suche nach einem geschützten Schlafplatz. Leider war ihm das Glück auch diesmal nicht holt, denn sofort tauchte ein Wachmann auf, der ihn aufforderte weiterzugehen. Es ärgerte Cornelius sehr, wie dieser Mensch, der ohnehin schon vom Leben arg gebeutelt, nur wegen seiner leeren Taschen so rüde behandelt wurde.

Cassandra merkte, wie unruhig ihr Ehemann wurde. »Was hast du denn?«, fragte sie neugierig. »Wo willst du hin?«, rief sie ihm hinterher, als er die Wagentür öffnete und die Richtung einschlug, in der der Wachmann noch immer mit dem Obdachlosen diskutierte. Der kleine struppige Köter bellte warnend. Inzwischen kam der andere Herr aus der Bank. So ein Kerl, der sein Haar mit reichlich Pomade aus dem Gesicht frisiert trug.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Pomaden-Mann indigniert, als er den Grauhaarigen erblickte.

»Nein, mir nicht, aber diesem Herren sollte dringend geholfen werden!«, bahnte sich Cornelius den Weg. Sofort nahm er den Obdachlosen beim Arm. »Ah, gut! Da bist du ja. Wie besprochen.« Connie drehte sich zum Wachmann und den Pomaden-Kerl um. »Danke, meine Herren. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir gerne unter vier Augen, Geschäftliches miteinander besprechen. Wir waren nämlich verabredet.«

Der Pomaden-Kopf nickte dem Kerl von der Security zu, sagte »Sehr wohl« und nahm stattdessen Kurs auf den parkenden Jaguar.

Der Grauhaarige griff in seine Jackentasche, zog einen Block mit Kugelschreiber heraus und notierte eine Adresse. Dann riss er geräuschvoll das Blatt aus dem Notizblock. »Hier, geh zu dieser Adresse und sage, Cornelius schickt dich. Samuel ist ein alter Freund von mir und es steht noch ein Gefallen aus, den er mir schuldet. Sag ihm liebe Grüße von mir«, nickte er dem verdutzten Hundebesitzer zu. Dieser faltete den Zettel zusammen und verstaute ihn in seiner schmutzigen Jacke. »Danke Mann!«, strahlte er und ging mit seinem struppigen Fiffi davon.

Cornelius fühlte sich jetzt ein wenig besser, fragte sich jedoch, wieso um diese Zeit die Pforten der Bank überhaupt noch geöffnet waren. Doch als er sich bewusst wurde, mit wem er neuerdings sein Leben teilte, fiel ihm ein, dass Cassandra selbst früh morgens um drei einen Termin bekommen könnte. Seine Frau leitete eine dubiose Finanzfirma namens Dragon Consulting, die mit Kapitalvolumen jonglierte, die so riesig waren, dass er nie wirklich die Zahl entziffern könnte, falls er sie jemals auf Papier erblicken sollte. Kein Wunder, wenn Cassandra so hofiert wurde.

»Madame Drake! Welche eine Freude, Sie wiederzusehen!«, begrüßte der Schmierlappen Cassandra im schönsten Schwyzerdütsch und einem galanten Handkuss. Vor Cornelius machte er eine knappe Verbeugung und reichte ihm ebenfalls begrüßend die Hand, zum Glück ohne Cornelius´ dieselbige abzubusseln. »Mein Name ist Henry Frey, Madame Drakes persönlicher Betreuer.«

»Cornelius della Monte, Madame Drakes persönlicher Ehemann«, gab er lakonisch zurück und machte keinen Hehl daraus, Herrn Frey nicht sonderlich zu mögen.

Der Banker lachte amüsiert über Cornelius´ Bemerkung. »Oh, Sie Glückspilz, ich möchte Ihnen herzlich gratulieren. Folgen Sie mir bitte!«

Cornelius wusste, sollte es jetzt zu regnen beginnen, würde Herr Frey sicherlich sofort einen kleinen Regenschirm zücken. Nachdem sie das Gebäude betraten, wurde zwar kein roter Teppich ausgerollt, jedoch tat der Pomaden-Kopf so, als gehöre ihm die Bank persönlich und knipste ein so strahlendes Lächeln an, welches selbst einen Vampir in Angst und Schrecken versetzen konnte. Der Graue hegte eine beinahe schon krankhafte Abneigung gegen Schweizer Banken. In seinen Augen waren sie schier unmenschliche Geldtempel, die nach Blut und Opfern gierten. Sofort dachte er an einen taktischen Rückzug, denn nicht nur der Bankangestellte, sondern auch die geräumige Schalterhalle mit ihren schwarz-weißen Bodenplatten schüchterte ihn merklich ein. Leicht neurotisch versuchte er nur auf die weißen Platten im Boden zu treten. Unsicher drehte er sich immer wieder dem rettenden Ausgang zu und dachte an eine sofortige Flucht aus der Bank des Grauens. Nur hielt Cassandra seine Hand so fest umklammert, dass er sie wahrscheinlich abnagen müsste, um frei zu kommen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als brav mitzugehen.

Überhaupt mochte er weder den Bankier, noch Schweizer Banken schlechthin. Er billigte einfach nicht, wie die Schweiz im zweiten Weltkrieg die Grenzen vor den Nasen der Flüchtigen dicht machte. Trotz allem aber keine Scham verspürte, sich am Hab und Gut der Entrechteten zu bereichern. Fünfundsiebzig Prozent der Nazi-Geldgeschäfte wurden über »neutrale« Schweizer Banken abgewickelt. Wenn jemand Cornelius fragte, wo das ganze Nazi-Raubgold abgeblieben war, musste er sich nur umsehen, um zu wissen, wer der Nutznießer des zusammengebrochenen dritten Reiches gewesen war. Lang lebe das Bankgeheimnis. Für ihn als Humanist war es unverständlich, wie jemand neutral bleiben konnte, wenn um ihn herum Millionen Menschen starben. Wenn das nicht feige und hinterhältig war, sich gemütlich im Stübli zurückzulehnen und beim Geldzählen eine heiße Schoki zu trinken...

Noch einmal warf Cornelius der Tür einen sehnsüchtigen Blick zu, da er aber jetzt schon so weit ins Gebäude vorgedrungen war, legte sich sein ungutes Gefühl nahezu beiläufig. Endlich kamen sie zu den Schließfächern. Herr Frey verschaffte ihnen Zutritt und begab sich diskret in eine Ecke, nachdem er Cassandra den Zugang zu ihrem Fach verschaffen konnte. Genau wie der Bankier, guckte auch Cornelius diskret woanders hin. Genauer gesagt, fragte sich, was wohl für Reichtümer in all diesen geheimen Fächern schlummerten. Cassandra entnahm dem Schließfach eine Kassette und holte ebenfalls etwas aus ihrer Handtasche heraus. Sie werkelte einen kleinen Moment in dem Kästchen herum, versenkte den Gegenstand in ihrer Handtasche und gab anschließend die Kassette an Herrn Frey zurück, welche er pflichtbewusst im Schließfach verstaute. Voller Ehrfurcht überreichte er Cassandra den Schlüssel.

Erstaunt registrierte Cornelius, dass der Geschäftsvorgang abgeschlossen schien, denn ohne Umschweifen nahmen sie wieder Kurs auf den Gebäudeausgang. Es erfolgte eine freundliche Verabschiedung, und schon standen sie wieder auf der Züricher Bahnhofsstraße.

»Wie jetzt?«, fragte der Graue. »War das alles?«

Cassandra lächelte wissend. »Ja, im Moment schon. Gib zu, du bist nahezu erleichtert darüber, dass es so schnell ging. Dir standen regelrecht die Haare zu Berge. Steigen wir ins Auto, dann sehen wir weiter.«

Und genau, wie von Cassandra prophezeit, ertönte ein ungewohnter Klingelton, gerade als sie im Wagen ihre Plätze wieder einnahmen. Mit erleichterter Miene griff Cassandra in ihre Handtasche und zog ein Handy heraus, welches man beinahe schon als antiquiert bezeichnen könnte. Sie blickte zu Cornelius. »Was ist? Nicht nur du besitzt ein konspiratives Handy«, lachte sie wissend. »Es lag im Schließfach und ich musste lediglich den von mir aufgeladenen Akku einsetzen.« Bei ihrem kehligen Lachen entwich ihr ein kleiner Rauchkringel, der durch den vorderen Teil des Wagens schwebte. Sie nahm das Gespräch ohne längeres Warten sofort entgegen.

»Ist dort Frau Bratbecker?«, fragte eine ihr bekannte Stimme aus dem Handy.

»In der Tat, wollen Sie vielleicht eine Acht kaufen?«, fragte Cassandra zurück.

»Nein, geben Sie mir einen großen Becher mit Eis, aber ohne Cola!«, forderte Cassandras seltsamer Gesprächspartner. »Und alles Gute zur Trauung nachträglich.«

Nun kann sich wohl jeder ausmalen, mit welch fragender Miene Cornelius seine Gemahlin musterte. Gelassen zwinkerte sie ihm zu. »Es ist Gungnir«, strahlte sie erleichtert.

Eigentlich ist Cornelius ein ziemlich gesetzter Charakter, doch er gab seiner Frau keine Gelegenheit ihn abzuwimmeln, sondern brachte stattdessen blitzartig das Handy in seine Gewalt.

»Mensch Gungnir! Du kannst mich wirklich das Fürchten lehren! Weißt du, wie verzweifelt ich wegen dir und deinem seltsamen Verhalten war?«, platzte es aus Cornelius, der immer noch ein wenig mit seiner Frau um den Besitz des Handys rangelte. Doch wie sollte es anders sein, Cassandra gab nach. Die Klügere gibt immer nach. Sie kannte Gungnir lange genug, um zu wissen, dass ein Vampir rein Alibi-technisch, ab und zu mal das Zeitliche segnen musste, um dann abermals, mit einer neuen Identität, irgendwo anders auf der Bildfläche zu erscheinen.

Um seiner Frau nicht die Fakten des Gesprächs vorzuenthalten, ließ Cornelius es über Lautsprecher laufen.

»Ach ja, Connie. Auch dir alles Gute zur Trauung«, beglückwünschte Gungnir seinen alten Freund.

Der machte ärgerlich eine fahrige, wegwischende Handbewegung: »Ja, ja! Das erklärt noch lange nicht, was das alles bezwecken soll. Wo bist du? Brauchst du Hilfe?«, stürmte Cornelius fragend auf ihn ein.

»Wenn du mir mal die Möglichkeit ließest, überhaupt mal irgendetwas zu erklären... Alles nacheinander. Zuerst muss ich dich eindringlich warnen, dass sich etwas überaus Seltsames bei Salomons Ring abspielt«, raunte Gungnir verschwörerisch.

»Das habe ich zwischenzeitig selbst mitbekommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ungern ich hierher in die Schweiz gekommen bin. Leider konnte ich mein Goldstück nicht alleine ziehen lassen. So musste ich meine Spione zurücklassen, damit sie mich bei jedem noch so kleinen Zwischenfall, rechtzeitig informieren können«, berichtete der Graue. »Aber erzähle mir doch erst einmal, wieso du einen der Wächter getötet hast. Ambrosius erzählte, du hättest die coole Killer-Sau herausgelassen und den Sicherheitsmann getötet, nur weil dieser dich gegen deinen Willen anfasste.«

Gungnir machte ein grunzendes Geräusch. »Ich würde nicht allzu viel darauf geben, was Ambrosius Pistillum erzählt, denn er scheint ein falsches Spiel zu spielen. Ich muss zugeben, ich habe mich nicht gerade friedfertig bei der Anhörung benommen, aber ich habe niemanden mit Vorsatz getötet. Ganz im Gegenteil. Ich bemerkte gleich, dass die Leute vom Sicherheitsdienst mir nicht wohlgesonnen waren, denn ihr Puls raste und sie tauschten merkwürdig gierige Blicke untereinander aus. Und als ich dann von ihnen vor die Tür begleitet wurde, passierte etwas wirklich sehr Erschreckendes«, berichtete Gungnir.

Nun war es Cornelius, der ein grunzendes Geräusch von sich gab. »Hach! Sag mal, willst du mich auf die Folter spannen? Wenn ja, dann ist dir das gelungen. Was passierte so Schreckliches vor der Tür?«, bohrte er nach.

»Die Kerle verwandelten sich in Werwölfe. Aber nicht so hündische, sondern recht menschliche Wölfe, die genau wussten was sie taten. Nicht unkoordiniert, sondern sich dessen voll bewusst. Sie griffen mich an. Dabei zog ich einem den Ring aus der Handgranate, die er dummerweise am Gürtel trug. Jetzt klinge ich schon so paranoid wie mein Vater, aber ich denke, sie bekamen den Auftrag, mich zu töten«, endete Gungnir seine Ausführungen.

»Das ist alles sehr beunruhigend«, warf Cornelius nachdenklich ein. »Nur, wieso sollten die anderen Vorstandsmitglieder von Salomons Ring, dich töten wollen?«

»Na ja, ich denke, weil ich ihnen so arg auf die Füße trat und wahrscheinlich die falschen, bzw. richtigen Fragen stellte. Außerdem besitze ich genug Möglichkeiten, um ihnen gefährlich zu werden. Fakt ist, dass ich der Sache mal ein wenig nachging. Zufälligerweise erzählte mir Ambrosius, woher er die neuen Sicherheitskräfte orderte. Und jetzt wird es wirklich interessant: Von SecuryTec!«, sagte Gungnir verschwörerisch, als erwarte er unheilvoll-musikalische Untermalung, oder das Heulen irgendwelcher Wölfe.

Hingegen konnte Connie nichts mit dieser Aussage anfangen, kratzte stattdessen seinen Kopf. »Hm, was ist mir jetzt Wichtiges entgangen?«

»Das ist es ja gerade. Alles wirkt so völlig korrekt und harmlos. Jedoch solltest du wissen, dass SecuryTec eine Tochterfirma von GenBioTec ist. Einer pharmazeutischen Firma, die mit Genforschung ihr Geld verdient. Na, klingelt da etwas?«

»Äh, Avon?«, fragte Connie verwirrt.

»Wenn es denn nur die Avon-Beraterin wäre! Im letzten Monat brannte das Labor von GenBioTec rein zufällig bis auf die Grundmauern nieder. Sonderbarerweise waren sämtliche Festplatten zuvor gelöscht worden und etliche Behältnisse geleert. Wie merkwürdig, nicht wahr? Gerade, als eine Untersuchungskommission beschloss, einmal genauer nachzusehen, was dort entwickelt wurde. Angeblich sollten sogar Hochrangige des Militärs ihre Finger im Spiel gehabt haben, die freiwillige Bewerber für eine Versuchsreihe stellten. Sicher ist, dass alles ganz gewaltig stinkt. Vor allem, wenn man bedenkt, welch dubiose Verbindungen herrschten. Das hätte ich nahezu auch nicht besser machen können, um meine wahre Identität zu verschleiern«, meinte er amüsiert. »Sehr gekonnt, aber ich folgte einfach der Spur des Geldes. Es ging über Luxemburg, den Caymans bis nach Delaware. Aber wie gesagt, ich habe gute Beziehungen und konnte letztendlich herausbekommen, wer der Besitzer dieses fragwürdigen Firmen-Konglomerates ist: Ein gewisser Ares Himp«, berichtete Gungnir.

Cornelius blickte Cassandra fragend an, doch diese schüttelte verneinend den Kopf. Ihr war er ebenso unbekannt, wie Cornelius selbst. »Tut mir leid, Gungnir. Sollte ich einen Ares Himp kennen?«

»Solltest du eigentlich schon, wenn er indirekt mit deiner Organisation Geschäfte macht. Sei aber beruhigt. Jetzt kommt´s: Offiziell existiert er gar nicht! Wer immer dieser Ares Himp ist, sein wahrer Name lautet anders. Aber ich bleibe an dieser Sache dran«, beschied er ihm.

»Gungnir? Ich muss dir leider mitteilen, dass Ambrosius den Vampir-Rat von dieser unheilvollen Geschichte mit dem Wachmann in Kenntnis setzen musste. Du weiß, was das bedeutet, oder?«, fragte Connie.

»Na, hoffentlich habt ihr einen der Besten geschickt. Ich will nicht durch die Hand eines Anfängers sterben«, schmunzelte der Jüngere.

»Hör zu! Wenn Rollo Gunnarson ohnehin offiziell gestorben ist, verläuft sich diese Sache wohl im Sande«, meinte Cornelius erleichtert.

»Oh, da wäre ich mir nicht mal so sicher«, warf Gungnir seine Bedenken ein. »Schließlich bin ich nicht der Erste, der einen genial selbst inszenierten Tod gestorben ist. Ich glaube kaum, dass der Vampir-Rat darauf hereinfällt. Aber du könntest für mich ein gutes Wort einlegen und ihnen sagen, was sich wirklich zugetragen hat«, schlug er vor.

»Gut, ich werde es versuchen«, versprach Cornelius. »Sag mal Gungnir... Wo bist du eigentlich?«, hakte er nach.

»Es ist wahrscheinlich besser, wenn du nicht meinen momentanen Aufenthaltsort weißt. Ich bin jedenfalls in Sicherheit, was aber nicht heißen soll, dass man mich nicht aufstöbern und mir den Kopf abschlagen kann. Und was die Absturzgeschichte betrifft, egal was du darüber hörst. Ich ich bin weiterhin untot. Auch wenn die Fakten eindeutig dagegen sprechen.«

»Das verstehe ich nicht ganz«, bemerkte Cornelius.

»Wenn sie an die Absturzstelle gelangen, werden sie zweifelsohne ein paar Leichen finden, die als meine Wenigkeit und die des Flugpersonals identifiziert werden. Belegt durch Zahnarztakten. Nur sind die Akten nicht von meinen Piloten oder mir, sondern von den Toten, deren Akten ich frisieren ließ, damit die Zahnschemata zueinander passen. Aber alles ganz legal, die waren schon tot, und wegen ihrer Ähnlichkeit, habe ich sie schonend konservieren lassen. Eben für solche Notfälle wie jetzt. Also, egal was du hörst, mir und dem Flugpersonal geht es gut. Nur schade um den schönen Jet. Leider fordern die Umstände, dass ich vorerst eine Weile abtauche. Cassandra weiß was zu tun ist. Wir sind jedes Mal unsere gegenseitigen Nachlassverwalter, bzw. Erben. So halten wir unsere Kohle zusammen!«, lachte Gungnir belustigt.

… Cassandra und Gungir kannten sich schon eine halbe Ewigkeit, genauer gesagt, mehr als sechshundert Jahre. Als Gungnir damals auf die Drachendame stieß, war er sehr enttäuscht, da diese keinen wertvollen Drachenhort besaß. Als er fragte, wo dieser denn abgeblieben sei, antwortete Cassandra, er wurde ihr von einem frechen Ritter gestohlen. Sie war wortwörtlich pleite, was Gungnir zum Anlass nahm, sie »Frau Pleite« zu nennen. Der furchtlose Gungnir war zwar geknickt, keine unsäglichen Reichtümer gefunden zu haben, doch stattdessen bot er der Drachendame an, gemeinsam mit ihm einen neuen Schatz anzulegen. Beide besaßen in Sachen Geldgeschäfte einen guten Riecher. Und im Laufe der Jahre, bekamen sie etliche Gelegenheiten, ihren Reichtum zu vermehren und statt auf labile Währungen, in wertstabiles Gold zu investieren, welches schadlos und ohne Wertverlust, Krisen und Kriege überstand. Sozusagen waren Gungnir und Cassandra seit Jahrhunderten ›Partner in Crime‹. Fraglos haben beide von diesem unverbrüchlichen Bündnis profitiert...

»So, bevor ich mich wieder in die Versenkung begebe...«, meinte Gungnir schalkhaft. »Wie ist eigentlich die Verhandlung meines Vaters verlaufen? Leider bekam ich durch diesen unschönen Rauswurf mit anschließendem Lynchversuch, nicht mehr das Ende mit.«

»Gungnir? Versprich mir, dich nicht aufzuregen. Es ist etwas Grauenvolles passiert«, warnte Cornelius.

»Sie haben ihn doch nicht schon wieder in eine Sicherheitszelle im Keller eingesperrt, oder?«, wollte Gungnir wissen.

Der Ältere seufzte: »Wenn es das nur wäre. Nein, sie haben ihm den Mord an diesem Kolbyr Faksen nachgewiesen.«

»Wie soll das gegangen sein, ich dachte, sein Alibi sei lückenlos belegt? Was ist geschehen?«

»Ganz offensichtlich schlich sich dein Vater aus dem Hotel, um diesem Faksen den Garaus zu machen. Nun halt dich gut fest! Er hatte - und das ist mit Fotografien belegt - ein konspiratives Treffen mit deiner Mutter. Und so wie die Dinge stehen, war sie es, die Faksen das Licht ausblies. Und mal ehrlich, deine Mutter ist niemand, der man etwas befehlen kann. Meines Erachtens, tat sie deinem Vater einen Gefallen, der wahrscheinlich noch offen stand. Tja, und als die Leute von Salomons Ring spitz kriegten, worin deine Mutter verwickelt ist, versuchten sie deinen Vater massiv unter Druck zu setzen, um ihm ein Geständnis abzupressen. Der knickte natürlich ein, du weißt ja, wie weich er immer wird, wenn es um deine Mutter geht. Ich glaube, er liebt sie immer noch. Jedenfalls gab er zu, deine Mutter erpresst und gezwungen zu haben, den Mörder seiner Frau umzubringen. Wer´s glaubt wird selig. Nun, statt ihn hinzurichten, oder für immer einzusperren, einigten wir uns auf ein Strafmaß von zwanzig Jahren in einer Kryonik-Kammer. Doch bevor es zu dieser Vollstreckung kommen konnte, wurde dein Vater auf meiner Hochzeitsfeier entführt«, endete Cornelius seine Erzählung.

Man konnte regelrecht hören, wie in Gungnirs Hirn die Räder arbeiteten. »Du meine Güte! Wenn ich nicht wüsste, dass ich dir vertrauen kann, käme ich auf die Idee, dich für einen Vollspinner zu halten. Das ist alles eine ziemlich krude Geschichte. Aber das bestätigt nur meinen Verdacht, dass es nicht nur jemand auf mich, sondern ebenso auf meinen Vater und meine Mutter abgesehen hat. Das hat beinahe schon Ähnlichkeit mit einer Vendetta!«, mutmaßte Gungnir. »Cornelius, du musst mir versprechen, auf meine Geschwister acht zu geben, da ich leider nicht die Möglichkeit habe, sie vor Ort zu beschützen!«

»Die Kleinen sind in Sicherheit. Nur deine Schwestern sind noch in der Ringzentrale. Aber sobald ich wieder zurück bin, werde ich sie wegschicken, in Ordnung? Annie ist mit den kleinen Kindern verschwunden. Wohin sie mit ihnen ging, kann ich nicht sagen, allerdings hoffe ich, dass sie bei deinem Vater sind«, vermutete Cornelius.

»Wieso sollten sie dort in Sicherheit sein? Ich dachte, er wäre entführt worden?«, bezweifelte Gungnir.

Cornelius grinste optimistisch. »Nun, ich habe da so einen Verdacht. Jemand teleportierte sich in die Zentrale, legte die Kameras und Sonden mit einer EMP-Granate lahm und entführte deinen Vater. Das konnte nur Eine gewesen sein. Ich sah zwei Aufnahmen der Kameras und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es Dyna war... Du kennst sie ja. Ihre Kurven sind unverkennbar!«, schmunzelte Cornelius und bekam von Cassandra einen eifersüchtigen Blick zugeworfen. »Und Gungnir? Was wirst du jetzt tun?«, fragte Connie und wusste nicht, ob die darauffolgende Antwort als Scherz oder Ernst zu interpretieren war.

»Folgendes: Ich besorge mir Spezialisten, und dann besuche ich diesen verdammten Saustall von Salomons Ring!«

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Vampire essen keine Pasta

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