Читать книгу Der dämliche Dämon - Elke Bulenda - Страница 3

Erstes Buch

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Prolog

Eine Residenzstadt im finsteren Mittelalter.

»Herrin! Der Pöbel hat bereits die Festung gestürmt und treibt in der Vorratskammer und dem Weinkeller sein Unwesen!«, stürmte der Ordensritter in die Turmkammer. Ohne anzuklopfen, versteht sich. Atemlos fuhr er fort. »Doch die Aufrührer sind noch immer nicht zufrieden und jetzt, nachdem sie die Möglichkeit hatten sich Mut anzutrinken, wollen sie Euer Blut fließen sehen! Sie fordern sogar lautstark Eure Verbrennung!«

Roxana blickte eher gelangweilt von dem dicken Wälzer auf, in dem sie tief versunken gelesen hatte. Mit einem Lesezeichen markierte sie gelassen die zuletzt gelesene Stelle. »Wo sind die Kinder? Von welchem Pöbel redest du da? Die, die dort so einen Lärm veranstalten? Wieso trauen sich diese vermaledeiten Bauerntrampel überhaupt, einen Fuß in die heiligen Hallen der Lichtritter zu setzen? Geh gefälligst zu Lord Seraphim und behellige mich nicht länger! Pah! Wie wollen diese Narren dort draußen, ohne einen Klafter Brennholz, ein Feuer entfachen? Verschwinde und sorge für die Einhaltung der Ordnung!«, wedelte sie den getreuen Ritter mit lapidarer Handbewegung wie eine lästige Fliege davon.

Leicht verwirrt betrachtete der Ritter die Dame am Lesepult. Offenbar war ihr nicht klar, wie brenzlig die Situation bereits zu werden drohte. Willibald von Raunheim, so der Name des Ritters, bekleidete das Amt des Leibwächters für die Dame vor ihm, die im Allgemeinen von jedermann, allerdings hinter vorgehaltener Hand, nur schlichtweg »die Fremde« gerufen wurde. Keine Frage, Roxana schien dem Lord Seraphim von Anfang an lieb und teuer zu sein, weshalb sie von seiner Lordschaft die Turmkammer, das Astrolabium, die vielen Bücher, Pergamente, Folianten und seltsamen Gerätschaften zur Verfügung gestellt bekam - deren angebliche Wichtigkeit von Raunheim nach wie vor ein Rätsel blieb - und natürlich stellte der Lord ihr einen Leibwächter zur Verfügung, der wie der Name schon sagt, den Leib und natürlich auch den Rest der holden Dame schützen musste. Zwar wurde ihr und Lord Seraphim ein Affäre angedichtet, doch genaue Beweise dafür blieben fällig.

In der Burg und drumherum, kursierten jedoch die Gerüchte, die Fremde sei eine Hexe. Dabei war noch nicht einmal klar, ob sie überhaupt eine Fremdländerin war, oder nur dementsprechend aussah. Roxana besaß einen eher dunkel zu nennenden Teint, dunkelbraune Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umkränzt, ihr das Aussehen einer Südländerin verliehen. Dazu ihr volles schwarzes Haar, welches sie nicht wie andere blasse, hohe Damen, gescheitelt und mit einem Tuch und Reif bedeckt trug, sondern in wilden, wallenden Locken unbändig über Schultern und Rücken fließen ließ.

Zumindest beherrschte Roxana die höhere Magie. Ansonsten wäre sie kaum in der Lage gewesen, die kompliziert gefertigten Runensteine für die Ritter des heiligen Michael herzustellen. Diese Runensteine waren immens wichtig für die Ritter, denn sie zeigten die unmittelbare Nähe eines Vampirs an. Und Vampire waren der Grund, weshalb die Ritter dem Orden des Lichts dienten. Ihre heilige Aufgabe bestand darin, die Menschheit von der Geißel, den Vampiren, zu befreien. Sobald sich ein Vampir in Reichweite eines Lichtritters aufhielt, begann der magische Runenstein grün zu leuchten. So war es den Rittern ein Leichtes, einen Vampir aufzuspüren, der sich ansonsten perfekt in seinem Umfeld zu tarnen und zu bewegen verstand.

»Herrin! Es gibt heute keine Kinder, die Euch zur Notspeisung besuchen. Habt Ihr es denn noch nicht vernommen? Der Komtur, Lord Seraphim, ist tot!«

»Tot?«, echote Roxana verständnislos, und betrachtete die vollen Brotkörbe, die wohl weiterhin voll bleiben sollten, da keine hungrige Kinderhand danach griff. »Wie ist das passiert?«

»Jawohl, tot, Herrin! Vom Vampir Ragnor gemeuchelt!«, bestätigte Ritter von Raunheim.

»Ragnor, dieser anmaßende Trottel!«, knurrte die Fremde abfällig. »Wieso konnte er nicht einfach auf dieser verdammten Insel bleiben? Ich riet Seraphim davon ab, weiterhin Ragnors Dienste in Anspruch zu nehmen! Gerade waren wir ihn und seine unheilige Brut losgeworden. Wie froh alle über seine Entscheidung waren, als er bekannt gab, in den Ruhestand zu gehen. Dieser undankbare Kerl biss also die Hand, die ihn fütterte! Sag nicht, er hat auch noch Mala als neue Führerin ausgerufen!«, gab sie ziemlich missgelaunt von sich. »Darüber entscheidet einzig und allein der Kaiser!« Sie selbst brachte es nie fertig, Mala den Rang abzulaufen. In dieser Situation vertrat der Lord nach wie vor die Ansicht, Blut sei dicker als Wasser.

»Klar, der Vampir deklarierte seine Gemahlin als neue Führerin, selbstverständlich ohne Einwilligung des Kaisers. Es war, wie wir bereits alle wissen, nicht Ragnors erster Putschversuch. Beruhigt Euch Herrin, das Beste kommt ja noch: Das Volk war alles andere als begeistert darüber, von einem weiteren Seraphim drangsaliert zu werden. Allein die Dreistigkeit, dass Ragnor seine Ehefrau an die Macht bringen wollten, machte die ohnehin schon aufgebrachte Meute so wütend, dass er ebenfalls dem Zorn des empörten Mobs zum Opfer fiel und von ihnen gemeuchelt wurde!«, meinte der Ritter schadenfroh über den Umstand, Ragnor nie wieder sehen zu müssen. Jeder hasste und fürchtete den Gemahl der Lady Mala Seraphim. Nicht allein, weil er grob und ungehobelt war, und sich obendrein durch die Verbindung zu Mala die Befehlskette hinauf geschlafen hatte, sondern überwiegend, weil er sich für die Rekruten-Ausbildung der Ritter zu verantworten hatte und damit jedem Frischling das Grauen lehrte - und sich ebenfalls für die erste Beule in deren nigelnagelneuen Rüstungen verantwortlich zeichnete. Jedermann fürchtete Ragnors Befehl, im Winter das Wasser des Burggrabens mit Spitzhacken aufschlagen zu lassen, um anschließend die Rekruten mit einem erfrischenden Eisbad zu beglücken. Und alle beklagten, wieso Lord Seraphim es überhaupt zulassen konnte, seiner Tochter zu gestatten, so eine impertinente Person wie besagten Ragnor, zum zu Gemahl nehmen. Ausgerechnet den Feind schlechthin - einen Vampir! Wertvoll war Ragnor insofern, da er, der eigentlich im feindlichen Lager zuhause war, alle Kniffe und Schlichen seiner Artgenossen kannte und somit die Rekruten dementsprechend versiert ausbilden konnte.

Nichtsdestotrotz hätte der Ritter Willibald von Raunheim am liebsten ein kleines Freudentänzchen aufgeführt, als er von Ragnors plötzlichem Ableben erfuhr. Schließlich war auch von Raunheim einst ein Rekrut gewesen, der beinahe an einer Lungenentzündung verreckte, die er aufgrund eines Eisbades, dem großen Rüpel-Vampir zu verdanken hatte. Wie heißt es doch so schön? Hochmut kommt vor dem Fall. Na, wenn das kein tiefer Fall war?

»Schnell, Herrin! Ihr müsst fliehen, solange der Pöbel noch beschäftigt ist. Dummerweise bestand der Lord darauf, Ragnor zu rufen, statt die kaiserlichen Truppen zu bitten, den Aufstand niederzuschlagen.«

Wahrscheinlich scheute sich der oberste Führer des Ordens, Hilfe vom Kaiser zu erbitten. Dann hätte er nämlich seine dunklen Machenschaften aufdecken müssen. Niemand konnte sicher sein, ob der Kaiser wirklich im Bilde darüber war, wie Lord Seraphim mit seinem Terror die Bevölkerung bis auf´s Blut auspresste. Die wenigen, die in den entvölkerten Landstrichen von den Grauen der Pest verschont geblieben waren, mussten ohnehin schon starke Einbußen durch Ernteausfälle hinnehmen. Der Sommer war zu kalt und zu nass gewesen, sogar die Ähren auf den Feldern verfaulten. Und dann war da noch die römische Kirche, die gierig ihre Hände nach dem Zehnten ausstreckte, und vom ausgehungerten Volk ihr Recht im Tausch für das Seelenheil einforderte.

»Hilfe naht, meine Dame. Jetzt nachdem der Lord gefallen ist und etliche Ritter sich dem Mob angeschlossen haben, entsandten die restlichen von uns Standhaften einen Kurier, mit einer Depesche für den Kaiser. Jedoch befürchte ich, dass es ein paar Tage dauern wird, bis hier die Verstärkung eintrifft. Bis dahin kann bereits alles verloren und viel zu spät sein. Also nehmt nur das Nötigste mit...«

Von Raunheims Aussage wurde durch ein misstönendes Krachen splitternden Holzes unterstrichen. Ein paar Sekunden später ergoss sich eine brüllende Menge durch die untere Tür des Turmes. Unter Geschrei und Gezeter strömten die Aufrührer in die enge Wendeltreppe des Turmes hinauf. Zumindest versuchten sie es. Glücklicherweise war es dort eng und die Stufen derart steil, so kam es ungewollt zu einem Stau. Jeder schimpfte und versuchte sich durch die Enge weiter hinauf zu quetschen. Ein paar stark Angetrunkene, die sich nicht mehr aufrecht halten konnten, wurden zu Boden gestoßen und niedergetrampelt.

Im Gesicht des Ordensritters zeichnete sich Panik ab: »Sie haben die Wachen unten vor der Tür überwältigt und sind auf dem Weg zu Euch! Bleibt in der Turmkammer, meine Dame, ich werde versuchen sie aufzuhalten!«, befahl der Ritter.

»Nein!«, schüttelte Roxana energisch den Kopf. »Kommt mit mir in die Turmkammer! Wenn Ihr mir wirklich das Leben retten wollt, könnt ihr das nur, wenn Ihr bei mir bleibt. Wenn die tobende Meute Euch vor der Tür niedermäht, bin ich ebenfalls so gut wie tot! Zwar wird die Tür dem wütenden Pöbel nicht ewig standhalten, trotzdem schinden wir damit Zeit!«, rief Roxana, und versperrte mit dem mächtigen Riegel den Ausgang. Wie sich zeigte, keinen Moment zu früh, denn schon trommelten wütende Fäuste gegen das Holz. Ebenso wütende Stimmen forderten Einlass. Mistgabeln, Hacken und Knüppel kratzten und schlugen gegen die mächtige Eichentür. Noch hielt das massive Eichenholz gemeinsam mit dem stabilen Riegel stand. Einige der Aufrührer fluchten und rannten wieder die Treppenstufen hinab, um etwas zu suchen, womit sie die Tür einrammen konnten. Der schwere Prellbock, den sie unten benutzten, war definitiv zu lang, um damit eine enge Wendeltreppe zu erklimmen.

Da es für die nicht gerade hellen Aufständischen länger dauerte, dieses Problem zu lösen, konnten Roxana und Ritter von Raunheim eine Weile verschnaufen.

Der Ritter blickte amüsiert auf die vollen Brotkörbe und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Sollte die Tür dem Ansturm standhalten, macht es nichts aus, wenn die uns da draußen noch länger belagern. Verhungern können wir nun wirklich nicht.«

Roxana nickte ernst. »Ja, es sieht ganz so aus. Nur glaube ich nicht, dass der Pöbel sich so schnell zufrieden gibt. Hört nur, sie toben dort vor der Tür wie die wilden Tiere!«

Dem Anschein nach wirkte es so, als sei Roxana unverschuldet in diese missliche Lage geraten. Der Ordensritter wusste es allerdings besser. Auch wusste er, dass die milde Gaben der Dame an die Ärmsten der Kinder, nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun hatten, sondern etwas anderes war, nämlich ein billiges Mittel zum Zweck. Immerhin konnte von Raunheim zählen. Es kamen immer der Zahl eins weniger aus dem Turm heraus, als hineingegangen waren. Natürlich scherte sich kein Schwein darum, ob ein armes Waisenkind verschwand oder nicht. Diese schmutzigen, zerlumpten Wesen lebten am Rande des Existenzminimums, und wurden nicht anders behandelt als geprügelte Hunde. Falls wirklich von jemandem ein Kind vermisst wurde, verdächtigte man sofort einen Vampir. Dennoch fragte sich der Ritter stets, was wohl mit dem Kind geschah, welches in der Turmkammer blieb. Wohin waren inzwischen all die Kinder im Laufe der Zeit verschwunden? Sollten sie ihr Ende in dem riesigen Kessel gefunden haben, der dort über dem Kaminfeuer hing? Was war mit all dem Blut, dem Fleisch und den Knochen passiert?

Ohne es zu bemerken, schüttelte er sich, um diesen Gedanken von sich abzuwenden. Vor der Tür wurde es etwas ruhiger, was von Raunheim eher als ein schlechtes Omen ansah. Die sogenannte Ruhe vor dem Sturm.

Roxana zuckte zusammen, als etwas Schweres mit einem gemeinsamen »Hauruck!« gegen die Tür prallte und sie in ihrem Rahmen erschütterte. Die Turmtür blieb jedoch unversehrt.

Vor der Tür wurde es erneut wieder unruhig, ein Fluchen wurde hörbar, danach: »Zusammen!«, brüllte ein Kerl, mit einer ziemlich versoffenen, rauen Stimme. Erneut krachte etwas brachial gegen die Tür. Späne rieselte zu Boden.

Von Raunheim blickte zur Fremden: »Herrin, bevor wir nicht mehr die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen… Es war mir eine Ehre in Euren Diensten zu stehen. Nur wünschte ich, ich hätte Euch retten können. Denn es ist die oberste Prämisse eines heldenhaften Ritters, die edle Dame zu retten. Doch werde ich mein Leben geben, um Euch bis zum letzten Atemzug zu verteidigen«, sprach von Raunheim ehrerbietig und senkte das Haupt.

»Ihr redet ja gleich so, als wäre alles bereits verloren!«, bemerkte Roxana. »Dabei seid Ihr es doch, der mir das Leben retten wird. Nur wisst Ihr es noch gar nicht!«

»Habt Ihr einen Plan? Dann weiht mich ein, damit ich nicht dumm sterben muss«, sagte der Ritter.

»Oh, wie trefflich formuliert! Ich werde es Euch unverzüglich demonstrieren«, entgegnete die Fremde.

*

Als der wütende Mob endlich die obere Tür des Turmes zum Bersten brachte, trat ihnen, statt der Fremden, lediglich ein Ritter des Lichtes entgegen. Er trug eine schwere Gesichtsverletzung. Vor seinem Gesicht trug er ein blutiges Tuch und presste es an die Stirn. Die aufgebrachte Menge war so erstaunt, dass sie den Verletzten mied und nicht weiter beachtete, als er sich blutveschmiert seinen Weg aus dem Turm bahnte. Als jemand fragte wo die Hexe sei, stöhnte er heiser: »Ahhh, diese Schmerzen. Sie ist nicht mehr hier, diese Hexe! Ich wollte sie aufhalten, doch sie nahm mein Schwert und verletzte mich. Danach schwang sie sich auf einen Besen und flog zum Turmfenster hinaus.«

Die Menge strömte an ihm vorbei ins Turmzimmer. Der Mob tobte. Die Brotkörbe wurden geplündert. Bücher, Dokumente und Pergament wurden von den Menschen in ihrer blinden Wut aus den Regalen gerissen. Vieles davon landete im Kamin und fiel den Flammen zum Opfer. Flaschen gingen zu Bruch. Es war ein Toben und Zerstörungsfeldzug ohnegleichen. Allerdings nahm das zornige Marodieren ein vorzeitig abgebremstes Ende.

Zuerst hielt der betrunkene Pöbel dieses seltsam feucht aussehende Ding für ein geschlachtetes Tier. Doch als der Kerl mit der versoffenen Stimme auf etwas Glitschigem ausrutschte und anschließend völlig blutverschmiert wieder auf die Beine kam, brach plötzlich eine namenlose Panik aus. Neben dem grausigen Fund lag ein Berg aus Frauenkleidung. Doch das Seltsamste an dieser Sache war, dass der nackte, menschliche Leichnam, dem die Gesichtshaut fehlte, ganz eindeutig ein Mann war…

*

Nachdem sich die Hexe Roxana zwei Meilen außerhalb der Stadt in Sicherheit befand, nahm sie den Helm ab und zog die blutige Fleischmaske aus menschlicher Haut von ihrem Gesicht, und schüttelte über die Dummheit der Menschen schlechthin den Kopf und ging ihrer weiteren Wege...

*

Der dämliche Dämon

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