Читать книгу Der dämliche Dämon - Elke Bulenda - Страница 7
Dreierlei Leuten muss man ihre freie Meinung lassen: Herren, Kindern, Narren.
Оглавление(Deutsches Sprichwort)
In dem Transporter mit den dunkel getönten Scheiben, der unweit des Tores parkte, kam Bewegung auf. »Da, sie fahren heraus! Auf dem Beifahrersitz sehe ich Sascha, deine Flamme!«, sagte Theo, Justins großer Bruder, neckisch.
»Du sollst nicht so abfällig über sie reden!«, knurrte Justin und machte ein paar Fotos von Sascha und ihrer Großmutter im Range Rover sitzend. Er musste Theo derzeit ertragen, weil dieser den VW-Bus steuerte. Justin selbst konnte den Wagen wohl kaum selbst fahren. Mit seinen dreizehn Jahren war er das Nesthäkchen des Trios und viel zu jung, um unauffällig mit dem Bus durch die Gegend zu kurven.
»Du bist wirklich in sie verknallt, stimmt´s?«, fragte Joe, die hinter ihm saß, durch den Feldstecher spähte und dabei enervierend gelassen auf ihrem Kaugummi herumkaute. Er fragte sich, wie sie bei dem Gewackel überhaupt etwas durch das Fernglas erkennen konnte. Seine fünfzehnjährige Schwester Joe nervte gerne andere Leute, überwiegend Justin selbst, der über die Bemerkung seiner Schwester nur abfällig schnaufte.
Leider war das eine nicht ohne das andere zu haben. Joe war nur mit von der Partie, weil sie sich durch rüde Erpressung einen Platz im Bus ergattern konnte. Wären Theo und Justin allein gefahren, hätte sie den Eltern gesteckt, dass Justin die Schule schwänzte, nur um seiner Freundin hinterher zu spionieren. Dass Joe jetzt ebenfalls die Schule schwänzte, war ihr egal, so hielten wenigsten alle dicht. Mitgefangen, mitgehangen. Ihrer Meinung nach, hatte es das Schicksal ebenso schlecht mit ihr gemeint, wie mit ihrem großen Bruder Theodor. Ihre Eltern liebten Antiquitäten, womit sie sogar ein beachtliches Vermögen erwirtschaften konnten. Ebenso liebten sie antiquierte Namen. Joe hasste ihren eigenen Namen, weil er sich total altmodisch anhörte. Johanna, das klang in ihren Ohren, als sei sie dazu bestimmt, eine alte, vertrocknete Ordensschwester zu werden. Also nannte sie sich Joe. Das fand sie wesentlich cooler, weil es ein Lied über einen gewissen Joe gab, welches von einem Kerl gesungen wurde, der seine Gitarre mit dem Mund spielen konnte. Genützt hatte es ihm wenig, er war bereits längst tot, als Joe das Licht der Welt erblickte. Sie beneidete ihren jüngeren Bruder, weil er Glück gehabt, und es nur einem schwerhörigen Standesbeamten zu verdanken hatte, nicht Justus, sondern Justin zu heißen.
Eigentlich hätten sie jetzt die Verfolgung aufnehmen müssen, doch sie wussten nur alle zu genau, wohin Sascha fuhr und da wollten weder Justin, noch Joe hin. Wesentlich interessanter dagegen war die Frage, woher Sascha kam. Jeder von ihnen wusste, wie streng das Gelände gesichert war. Letztens wollten sie endlich das Geheimnis lüften, welches sich so gekonnt hinter dieser Mauer zu verbergen verstand. Also kletterten sie darüber, um in Erfahrung zu bringen, was wohl Geheimnisvolles dahinter lag. Obwohl jeder wusste, dass es auf dem Gelände die alte Irrenanstalt gab, vermuteten sie, es könnte dort einen Hangar mit einem abgestürzten Ufo geben, das auf dem Gelände vor neugierigen Blicken beschützt wurde, damit die Wissenschaftler in aller Ruhe extraterrestrische Alien-Technologie erforschen konnten. Bevor sie der Lösung auch nur ein Quäntchen näher kommen konnten, wurden sie von einem Wachmann aufgegriffen, der einen verdächtig paramilitärischen Eindruck auf sie machte. Er trug sogar eine echte Schusswaffe am Gürtel. Nicht gerade erfreut, derart kalt erwischt worden zu sein, wurden die jugendlichen Eindringlinge, freundlich aber ohne Umschweife, vor das Tor geleitet. Glücklicherweise kamen sie mit der Mahnung davon, sich hier nie wieder blicken zu lassen. Dabei erhaschten sie rein zufällig einen Blick durch eine achtlos offenstehende Tür. Dabei dämmerte ihnen, dass der alte Wachmann, der das Tor bewachte, lediglich als eine Art Strohmann fungierte. Zwei weitere, schwerbewaffnete Leute der Security saßen im Hinterzimmer und beobachteten unzählige Monitore nach verdächtigen Feindbewegungen.
Dieser Umstand machte das aufgeweckte Trio noch einen Tick neugieriger.
Justin erfuhr durch Zufall, dass Sascha eben genau auf diesem geheimnisvollen Grundstück wohnte. Sofort erzählte er es seinen Geschwistern. Sie überredeten ihn, er solle ein gewisses Interesse an Sascha vorheucheln, um sie dazu zu bewegen, Justin bei sich zuhause einzuladen. So könnte er ihnen erzählen, ob es einen Hangar mit Ufos gab, oder eben nicht. Je mehr sie über dieses Mysterium nachdachten, desto mysteriöser erschien es.
Mittlerweile fand Justin allerdings, seine älteren Geschwister steigerten sich ein wenig zu sehr in diese Geschichte hinein. Das Internet tat ihnen definitiv nicht gut. Zudem empfand er inzwischen sein Handeln als schäbig, weil er einiges über Sascha in Erfahrung bringen konnte, was ihm sehr nahe ging. Zum Beispiel, hatte sie erst im Mai letzten Jahres ihre Mutter unter schlimmen Umständen verloren. Traurig fand er es, dass sie schon so jung zur Vollwaise wurde, die nun bei ihrem Stiefvater und ihrer Großmutter leben musste. Justin gestand sich ein, dass er Sascha wirklich mochte, und das, obwohl er eigentlich in einem Alter war, wo man Mädchen noch immer doof zu finden hatte. Außerdem frönten sie beide dem gleichen Hobby. Sie fotografierten gerne und wollten die berufliche Laufbahn eines Fotografen einschlagen. So war es gerade der Besuch der Projektgruppe Fotografie, wo er erfuhr, dass Sascha auf dem geheimnisvollen Ufo-Grundstück wohnte.
Inzwischen kam er sich wie ein Verräter vor. Leider Gottes hörten seine älteren Geschwister nicht mehr auf ihn. Inzwischen entwickelte sich alles zu einem Selbstläufer. Sie drängten, er solle nett zu Sascha sein, damit sie ihn zu sich nach Hause einlud. Als Sascha jedoch mit der Begründung ablehnte, sie dürfe niemanden einladen, da ihr Vater tagsüber schliefe, weil er als Personenschützer nachts arbeiten müsse, drängten Joe und Theo darauf, Sascha wenigstens zu sich nach Hause einzuladen, um sie so besser fachgerecht verhören zu können. Insgeheim hofften sie, Sascha würde sich angesichts des großen Hauses und der geschmackvoll ausgewählten Möbel eingeschüchtert, oder zumindest tief beeindruckt zeigen.
Beim lange erwarteten Besuch zeigte Sascha keinerlei Anzeichen von Demut. Im Gegenteil, sie meinte sogar, ihr Haus sei noch größer, mit wesentlich mehr Zimmern. Zu allen Fragen bezüglich des Grundstücks, legte sie eine eiserne Verschwiegenheit an den Tag, die Theo zu der drastischen Meinungsäußerung führte, Sascha könnte eine Gehirnwäsche erhalten haben, oder selbst ein Alien sein, denn normal sei so etwas nicht.
Fazit, sie waren noch keinen Meter vorwärtsgekommen. Deshalb schlug Justin vor, sie sollten einen Tag lang das Grundstück observieren, um zu sehen, ob jemand herauskäme, der vorher nicht hineingefahren sei. Damit wäre hinlänglich bewiesen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehe. Und nun saßen sie da und warteten darauf, dass z. B. ein Schwerlasttransporter irgendwelche verdächtigen Dinge rein, oder gar raus schleppte…
Zumindest kam endlich ein Wagen angerollt, der vor der Schranke des ominösen Geländes stehen blieb. Wenig später öffnete sich die Schranke und das Gefährt wurde auf das Grundstück durchgewinkt. Dieses Fahrzeug weckte die Neugierde der längst gelangweilten Teenager. Außer, dass Justin mal dringend pinkeln musste, war bisher noch nichts außergewöhnlich Spannendes vorgefallen.
Dieses Auto allerdings, machte den Eindruck eines Panzerfahrzeugs, weil es mit einem verdächtigen Tiefgang daherkam.
»Das ist bestimmt ein kugelsicheres Auto!«, bemerkte Theo. »Warum sollte es sonst so schwer auf der Straße liegen?«
Joe ließ ihre Kaugummiblase platzen. »Dort könnte alles Mögliche drin sitzen, Aliens, Darth Vader, oder gar ein Troll. Schließlich kann niemand durch die Scheiben sehen. Sie sind genauso schwarz wie unsere«, kicherte sie.
»Joe, du nervst!«, sagte Justin und verdrehte die Augen…
*
Sicherlich wäre Joe in Jubel ausgebrochen, wenn sie gewusst hätte, wie nahe dran sie mit ihrer Vermutung lag. Gewissermaßen erzielte sie ungewollt einen Volltreffer. Endlich beim Hangar angekommen, der so tief auf dem Grundstück lag, dass niemanden von außerhalb diese Gegend einsehen konnte, bückte sich aus dem besagten Wagen, genauer gesagt, dem rückwärtigen Teil davon, ein ziemlich mächtig großer Troll heraus. Das Merkwürdige an ihm war, dass er mit einem modischen Zweireiher punkten konnte, den er auf seiner steinig-moosigen Haut wie ein echter Gentleman zu Markte trug. Unter seinem Arm klemmte eine Aktentasche. Nachdem er den Wagen verlassen hatte, hoben sich die Stoßdämpfer ruckartig und gaben einen erleichterten Ton von sich. Der gutgekleidete Troll rückte professionell seinen Krawattenknoten zurecht und grüßte die Wachmänner, die vor dem Hangar die Aufsicht führten. Mit geübter Handbewegung griff der Troll in die Innentasche seines Jacketts und wies sich aus, indem er seine Papiere zückte: »Kiesbert von Dreistein. Prüfer für Qualitätsmanagementnormen und deren Zertifizierung. Ich habe einen Termin!« grollte er mit tiefer Stimme und nickte dem Wachmann zu, der seinen Kopf nahezu im Nacken verrenken musste, um ihn mit dem Foto des Ausweises abzugleichen.
»Sie werden bereits erwartet, Herr von Dreistein. Es dauert einen kleinen Moment, bis jemand kommt, um Sie abzuholen«, reichte er dem Troll die Papiere zurück.
»Gut, ich werde warten. Aber nicht zu lange! Es zeugt von schlechter Organisation, andere zu lange warten zu lassen«, bemerkte der Qualitätsmanagementnormen-Prüfer, holte sein Klemmboard aus der Aktentasche und kritzelte ein paar Notizen. Der Wachmann wurde sichtlich nervös und schluckte. Trolle sind schlechthin recht gewöhnungsbedürftig. Wenn sie obendrein feinen Zwirn tragen und wichtige Notizen machen, sind sie gleich noch wesentlich suspekter. Noch suspekter allerdings, sind Manager. Zweifelsohne war er so ein Kerl, der immerzu einen auf wichtig macht...
Unterdessen gab der Troll seinem Fahrer ein Zeichen, den Wagen zu parken. Wenig später trat ein dünner, triefnasiger Kerl mit vielfarbigem Haar auf. Er war in diesem Gespann sozusagen der Anti-Troll. Seine Lederjacke sah recht mitgenommen aus, gleich so, als habe sie schon eine Menge erlebt. Wahrscheinlich wurde er in ihr von einem feindlich gesinnten Auto zweihundert Meter weit mitgeschleift. Seine schwarze Hose zeigte an den Knien Ausbeulungen, die Schuhe konnten eigentlich mal wieder etwas Schuhcreme und eine ordentliche Abreibung vertragen. Er kramte ebenfalls seinen Ausweis hervor und reichte ihn an den Wachmann weiter: »Carlo Rossi. Ich bin der Chauffeur des Herren von Dreistein.«
»Aha, so wie Kater Carlo, wie?«, schmunzelte der Wachmann.
»Ha, den kenne ich noch nicht«, antwortet Rossi emotionslos.
Ehe ein weiteres Highlight des schenkelklopfenden Humors gezündet werden konnte, kam endlich jemand aus dem Hangar, um den angekündigten Besuch in Empfang zu nehmen. Und nebenbei bemerkt, war er nicht weniger nobel gekleidet als der Qualitätsmanagementnormen-Prüfer.
»Ein herzliches Willkommen, Herr von Dreistein! Mein Name ist Barbiel Marx«, säuselte der Engel Barbiel, der mit der Aufgabe betraut wurde, Herrn von Dreistein durch den Gebäudekomplex zu führen, damit dieser die Organisation bewerten und zertifizieren konnte. »Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Danke, ich kann nicht klagen«, entgegnete von Dreistein.
»Danke, bei mir genauso, aber mich fragt ja niemand«, brummelte Rossi und folgte den aufgedonnerten Wichtigtuern ins Innere des Gebäudes.
Barbiel reichte ihnen ein Clipboard mit einem Formular. Zudem zückte er einen Kugelschreiber. »Hier bitte, ich benötige von den Herren jeweils eine Unterschrift. Dies ist die Schweigeklausel. Ja, danke.« Daraufhin reichte er jedem Herren einen Besucherausweis mit Clip. »Bitte tragen Sie diesen Ausweis gut sichtbar am Revers. Gut, dass Sie eins haben. So, dann können wir gleich vor Ort mit der Tour beginnen.«
Während des Besichtigungsganges im Parterre, prüfte Herr von Dreistein die Faktoren Sicherheit, Effizienz und Qualität. »Ein wirklich ansehnlicher und schöner Fuhrpark. Aber die Schienen sollten öfter gewartet werden, diese ist sehr trocken. Etwas Öl wäre gut«, bemängelte er die Vorrichtung der mobilen Trennwände. Nebenbei warf er nochmals einen wohlwollenden Blick auf die fahrbaren Untersetzer. In diesem Bereich wirkte das Gebäude wie ein Parkhaus, in dem diverse Fahrzeuge auf ihre Benutzung warteten. Busse, Lieferwagen, Limousinen und Motorräder.
»Sehr wohl, das werde ich sofort weitergeben«, bemerkte der Engel. »Machen wir mit der Kantine weiter. Zurzeit können Sie dort den Ablauf am besten sehen. Es herrscht gerade ein reger Andrang. Bitte hier entlang«, führte er die Anwesenden in einen der Fahrstühle. »Ich hoffe, die Herren haben einen ordentlichen Appetit mitgebracht. Selbstverständlich gehört eine Verkostung mit zur Qualitätsprüfung«, sagte er charmant. Was weiteres Interessantes gesprochen wurde, konnte nicht mehr verstanden werden, weil sich unversehens die Fahrstuhltüren schlossen.
*