Читать книгу Der dämliche Dämon - Elke Bulenda - Страница 6

Hüte dich vor allen Unternehmungen, die neue Kleidung erfordern.

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(Henry David Thoreau)

Der grau-braun getigerter Kater, mit dem ziemlich auffällig abgeknickten Ohr, kannte sich im Gebäude bestens aus. Schließlich erblickte er damals im Heizungskeller der Psychiatrischen Klinik das Licht der Welt. Schon als kleines Kätzchen liebte er die Menschen mehr als seine eigenen Artgenossen. Insgeheim hielt er sich womöglich selbst für einen Menschen. Zumindest eroberte er zu dieser Zeit mit seiner tapsig-charmanten Art die Herzen der Patienten und des Personals im Sturm. Irgendwann taufte jemand den Kater auf den Namen Joey. Der Kater kam angelaufen wenn ihn jemand so rief, weil er sich Streicheleinheiten versprach. Schon bald darauf bekam er eine Festanstellung als Therapiekater. Selbst ungewöhnliche Therapiemethoden scheute er nicht. Wenn Patienten im Keller das Schwimmbad benutzten und einige Angst hatten, ins Wasser zu gehen, schreckte der Kater nicht davor zurück, ihnen zu demonstrieren, dass das Wasser nichts Schlimmes tat, was ihm den Respekt aller Anwesenden einbrachte. Es gab nicht viele freiwillig schwimmende Katzen. Viele Patienten vermuteten, dass der Kater noch viel verrückter sei als sie selbst. Eines Tages schloss die Klinik ihre Pforten. Eine Zeitlang musste er sich ganz allein durchschlagen, was ihm eigentlich gar nichts ausmachte. Mäuse gab es genug. Nur fehlten ihm die Hände, die ihn kraulten. Dann wurde das große Gebäude renoviert, was er sehr interessant fand. Nur der Lärm und Staub störte ihn. Da Katzen nicht dem Menschen folgen, sondern ihrem eigenen Revier treu bleiben, betrachtete der Kater, wie selbstverständlich, den leerstehenden Gebäudekomplex als sein Eigentum. Und so verhielt er sich auch. Als plötzlich wieder jemand ins Haus einzog, gab es zuerst ein paar kleine Revierkämpfe, doch als er stur für sein Eigentum plädierte, wurde akzeptiert, dass das Gebäude nicht ohne Kater zu haben war. Joey kannte jeden Winkel und jedes Schlupfloch, so war es quasi unmöglich, ihn aus diesem Haus auszusperren.

Wir folgen ihm einfach mal und finden heraus, was der Kater so im Schilde führt. Geschmeidig erklomm er die Treppe zum ersten Stock, schlich durch Zimmer und Flure, hielt Kurs auf einen ganz bestimmten Raum, sah nach oben, peilte, und sprang lautlos an die Türklinke. Diese gab nach, sodass der Riegel leise aus dem Schloss klickte. Die Tür stand nun einen Spalt weit offen. Mit der Pfote ergriff der Kater die Türkante und zog, um den Türspalt ein bisschen breiter zu machen. Nachdem er breit genug erschien, schlüpfte die Samtpfote mit dem Kopf hindurch, stellte den Schwanz auf, hakte ihn lässig um die Türkante und gab der Tür derart ein wenig Schwung, damit sie wieder beinahe lautlos ins Schloss zurückfallen konnte. Der Stubentiger sah sich im Zimmer um. Als wäre es das Natürlichste der Welt, schlich der Kater zum Bett, sprang hoch und rollt sich auf dem Bauch eines ziemlich großen Kerls zusammen, der in diesem XL-Bett schlief …

»Nein, das tut er nicht!«, richtete ich mich auf und setzte den Kater Joey wieder auf dem Fußboden ab. »Wie soll ich hier in Ruhe schlafen, wenn die ganze Zeit so eine beknackte Pfeife kommentiert, was mein Kater gerade für einen Unsinn verzapft?!«, beschwerte ich mich bitter. »Hey, was machst du hier eigentlich in meinem Schlafzimmer?«, fragte ich ziemlich angepisst. »Ja, du, genau! Dich habe ich doch schon mal hier rausgeworfen! Ständig schnatterst du so einen Müll! Ich brauche keine Erzählerin! Bisher habe ich meinen Scheiß ganz gut allein auf die Reihe bekommen! Also, mach gefälligst einen gepflegten Abgang! Pfeif durch die Socken! Mach einen Adler! Und Tschüss!«, verabschiedete ich die aufdringliche Dame.

»Arrrgh, schon wieder ein Tag, der meine Nerven auf die Probe zu stellen beabsichtigt! Wie heißt das Lied so schön? ›Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na dann ist ja alles klar.‹«

Joey räusperte sich, holte plötzlich eine kleine Ukulele hervor, schlug die passenden Akkorde an und sang: »Wir schwingen unser linkes Bein behände aus dem Bett –

Der Bettvorleger gibt uns Schwung bis direkt vor's Klosett!

Und wo wir schon mal da sind, da bleib'n wir auch hier –

Uh, fertig – wo ist das Papier?«

»Äh...«, sagte ich wortgewandt, betrachtete meinen ansonsten schon leicht verrückten Kater, und musste dabei jedoch feststellen, dass er diesmal noch ein ganzes Stück verrückter erschien als sonst. Eigentlich war er schon immer über Gebühr gesprächig. Doch beschränkte er sich bisher auf katzentypische Laute - und das ohne musikalische Begleitung.

Aber diesmal… Außer dass Joey neuerdings Ukulele spielte und sang, war noch etwas gehörig anders. Im Normalfall besaß Joey zwei völlig korrekt aussehende, grüne Katzenaugen. Jetzt hatte er zwei ziemlich schielende, unterschiedlich farbige Katzenaugen. Das rechte grün, das linke braun.

»Was ist? War das etwa nicht gut?«, fragte Joey und verstaute seine kleine Ukulele irgendwie wieder zwischen seinem Fell.

»Fragt sich nur für wen?«, äußerte ich mich dazu. »Was ist das für eine Ukulele?«

»Ne metaphysische, wieso? Kann daraus auch eine Lyra, oder eine Panflöte machen. Willst du auch so eine?«, schmunzelte er. »Du bist also Ragnor, der Vampir... Ich sehe schon, du bist ein ziemlich abgewichster Kerl«, sagte Joey und grinste. »Weißt du, früher drohten Mütter ihren Kindern damit, dich zu holen, falls sie nicht brav waren. Jetzt weiß ich auch weshalb. Du bist ein verdammt furchteinflößender Kerl! Hm, bist sicherlich größer als zwei Meter. Aus der Katzenperspektive wirkst du riesig.«

»Und du bist definitiv nicht Joey. Soll ich mich etwa davon geschmeichelt fühlen, anderer Leute Kinder erzogen zu haben? Weißt du, wo das Problem liegt? Womit droht der Teufel seiner Brut, wenn sie ihm gegenüber keinen Respekt zollt? Bestimmt nicht mit dem Teufel. Meine eigenen Söhne waren nicht sehr beeindruckt, wenn ich den Raum betrat. Und mein jüngster, ehemals kleiner Sohn, ist ebenso wenig beeindruckt. Noch vor ein paar Tagen, war er ein völlig normaler, kleiner Junge. Und dann wurde er plötzlich vom Pubertäts-Monster angefallen. Er mutierte quasi über Nacht, von einem lieben, aufgeweckten Jungen, in ein mürrisches, mundfaules Wesen. Die Welt ist hart!«

»Das kannst du aber laut sagen!«, bekundete der Pseudo-Joey. »Hm, vielleicht solltest du deinem Sohnemann nicht nur ein Taschentuch unter das Kopfkissen legen, sondern die neuste Ausgabe des Playboy. Das wirkt Wunder«, schmunzelte der Dämon.

»So, nachdem wir mit dem Thema der Kindererziehung durch sind, würde ich gerne wissen, wer du bist, und warum du meinen Kater als Geisel genommen hast. Ach, wenn ich es mir recht überlege… Mir wäre es eigentlich wesentlich lieber, du verziehst dich und verschwindest aus meinem Leben!«, kehrte ich ihm den Rücken, ging ins Bad, um die allmorgendliche Körperpflege zu betreiben. Wenig später, frisch geduscht und rasiert, stand ich vorm Schrank und versuchte mich für das T-Shirt des Tages zu entscheiden. Leider sah ich noch immer das Spiegelbild des Katers mit der Ukulele. »Immer noch hier?«

»Äh… Ja. Ich würde dieses T-Shirt nehmen!«, riet er mir und deutete auf das mit der Aufschrift: »Pozilei«

»Nein, ich nehme das!«, entschied ich mich. Wäre ja noch schöner, mich von einem Dämonen modisch beraten zu lassen. »Okay ich schätze mal, du bis ein Dämon. Wenn du schon weiterhin meinen Kater besetzen musst, will ich wenigstens wissen, wie dein Name lautet. Und vor allem, was du von mir willst. Du besitzt vielleicht Nerven, gerade hier herzukommen! Pass auf, dass ich nicht mein geweihtes Silberschwert hole!«, knurrte ich schroff und zog mir das T-Shirt an, welches die Aufschrift trug: »Zu doof für Schalterrätsel«.

»Und was willst du tun? Deinen armen Kater opfern, weil du mich aus ihm heraus schnippeln willst? Übrigens, deinem Kater geht es gut. Ich lieh ihn mir als Medium, weil er es ohnehin schon gewohnt ist, einem gewissen Herrn Odin, ab und zu mal seine Gestalt zu leihen. Katzen sind magische Wesen«, erklärte er neunmalklug. »Bevor ich dir meinen Namen verrate, will ich noch eines von dir wissen: Was hat es mit den Schalterrätseln auf sich?«, fragte der Eindringling und schielte neugierig auf mein T-Shirt.

»Nun gut. Ich spielte gestern das alte PC-Game Gothic 2 und für das Schalterrätsel brauchte ich eine halbe Ewigkeit, um es zu lösen. Bei jeder falschen Kombination, wurde ich von Zombies oder tödlichen Nebelschwaden angegriffen. Eins sage ich dir: Sollte jemals das Leben eines anderen von einem Schalterrätsel abhängen, ist er aber so etwas von gefickt, wenn ich es lösen müsste«, erklärte ich noch immer frustriert.

»Aha… Hat aber auch ein bisschen mit Intelligenz zu tun… Also gut... Mein momentaner Name ist Qwertz Uiopü Fufluns Pacha. Ich habe noch etliche andere Namen. Qwertz gefällt mir am besten. Hat so etwas Individuelles. Und Dämon… Na ja, ich bezeichne mich lieber als Entität. Das Wort Dämon, hat so etwas Abwertendes«, sagte der Kater und versuchte vor meinem Panzerglasspiegel den leicht schwabbligen Kater-Bauch einzuziehen. - Vergebens.

Ich grinste wie ein Wolf: »Also kein Dämon, sondern ein Entending. So, so... Qwertz? Was ist denn das für ein total bescheuerter Name?«, fragte ich und ging zur Tür.

»Oh, den habe ich von einem Schriftsteller. Als er in eine tiefe Schaffenskrise geriet und sich betrank, erschien ich ihm, sichtete sein Manuskript und gab ihm ein paar wertvolle Tipps zur Verbesserung. Daraufhin fragte er mich, wer ich eigentlich sei. Ich sagte, es spiele keine Rolle, er könne mich nennen, wie er wolle. Daraufhin sagte er, er wollte schon immer mal einen Roman-Charakter ›Qwertz‹ nennen. So wie oben links, die erste Buchstabenreihe der Tastatur. Der Name gefiel mir, also behielt ich ihn. Wenn ich ihn satt habe, suche ich mir einen neuen. Und Fufluns Pacha ist etruskisch. Bin schon etwas älter«, folgte er mir auf den Flur hinaus.

Ich musste mich sputen. Durch diesen frühmorgendlichen Besuch, war ich ohnehin schon spät dran. »Und was willst du?«

»Äh, es ist mir ein wenig peinlich, das zu erwähnen. Aber ich benötige deine Hilfe. Ich persönlich wäre ja nicht so verrückt gewesen, hier bei dir aufzutauchen. Jedenfalls nicht, nachdem ich erfuhr, um wen es sich handelt. Du bist nicht nur ein einsamer Hardcore-Säufer, für die ich schon an und für sich nichts übrig habe. Ich kann sie noch weniger leiden als die Anonymen Alkoholiker. Obendrein bist du auch noch der Ex-Mann meiner Chefin. In ihrem Auftrag bin ich hier, weil sie sagte, du könntest mir helfen, zu Ambrosius Pistillum zu gelangen.«

»Aufpassen, Bursche! Wähle deine Worte in Zukunft weiser!«, knurrte ich angefressen. Zugleich ärgerte ich mich, dass ich ihm keinen Tritt geben konnte, ohne meinen Kater zu verletzen. Dem Anschein nach, war der schielende Bastard ein ziemlich cleveres Kerlchen. Ein Grund mehr, misstrauisch zu bleiben.

»Hilfst du mir, zum Magus Ambrosius zu kommen?«

»Und was willst du von meinem Boss?«

»Ich benötige seine Hilfe.«

»So, so… Meine Ex-Frau hat dich sozusagen zu mir geschickt. Und wieso, wenn ich mal fragen darf?«, blieb ich stehen, um zu verhindern, dass meine Familienmitglieder in der Küche mitbekamen, dass ich ganz offensichtlich mit meinem Kater eine ernsthafte Diskussion führte.

Qwertz ließ den Kopf hängen. »Vermutlich denkt sie, du würdest noch etwas für sie empfinden. Jedenfalls ging sie davon aus, dein Angebot würde noch bestehen. Offenbar irrte sie sich«, winkte er traurig ab und fing stattdessen an, gründlich sein Fell zu putzen.

Wenigstens behandelte er Joeys Körper gut.

»Welches Angebot?«, bohrte ich misstrauisch nach. »Hey, lass das. Tu das nicht! Das ist irgendwie seltsam, wenn du meinem Kater die Eier leckst!«

»Ptttpttt… Pfui, pttpptttt... Katzenhaare!«, wischte er mit der Pfote über die Zunge. »Mich wundert, weshalb er überhaupt noch Eier besitzt. Ah, musste vor dir wohl einen sehr verständnisvollen Katzenhalter gehabt haben… Vasektomie, wie rücksichtsvoll, hinsichtlich Joeys Würde...«

»Quatsch keine Opern!… Was für ein Angebot?«

»Weißt du´s nicht mehr?«, fragte der Entitäten-Kater. »Beim letzten Treffen, als sie dir den Arsch rettete, fragtest du sie wohl etwas sehr Persönliches. Das wird es gewesen sein. Genaueres sagte Lady Mala nicht zu mir. Ich bin doch nur ein kleines Licht, ein Z-Promi. Jedenfalls meinte sie, die Sache wäre es wert, nochmals darüber nachzudenken.«

… Okay, eigentlich fragte ich sie zwei Sachen. Die erste Frage lautete, ob sie bereit sei, mich nochmals zu heiraten; was sie daraufhin empört verneinte. Und die zweite Frage lautete, ob sie denn nicht wenigstens mal mit mir eine flotte Nummer schieben wolle. Sie verneinte ebenfalls. Egal, um welche Frage es sich auch immer handeln mochte, Mala wusste, dass ich noch immer verrückt nach ihr war. Im Grunde hatte ich es nie verwunden, dass sie unsere Ehe annullieren ließ. Und obwohl es inzwischen mehr als sechshundert Jahre her ist, reut es mich, nicht mehr mit ihr zusammen zu sein. Diese Frau ist einfach unglaublich… Eigentlich brachte sie mich damals regelmäßig um den Verstand. Vielleicht war es gerade das, was ich so an ihr schätzte. Sie brachte mein Blut in Wallung, sodass ich mich beinahe wieder lebendig fühlte...

»Wieso sollte ich einem Dämonen vertrauen? Sie lügen und betrügen, verdrehen mir die Worte im Munde. Sie wollen nur anderen Schaden! Nein, vergiss es - und jetzt verschwinde aus meinem Kater! Ich will nicht, dass Dämonen meinen Kindern zu nahe kommen. Von denen haben sie genug!«, knurrte ich.

… Im letzten Herbst nahm der wieder auferstandene Lord Seraphim meine Kinder Sascha und Agnir, mein Mündel Ructus und meine Schwiegermutter Annie als Geiseln. Zumindest versuchte er, sie zu töten. Durch einen glücklichen Umstand konnte er ihnen nichts antun. Trotzdem war ich nicht mehr allzu gut auf Dämonen zu sprechen, vor allem, weil der verrückte Lord zuvor sämtliche Dämonen, die Salomons Ring in der Silberkammer verwahrte, freigelassen hatte. Und wir Betriebsangehörigen mussten verhindern, dass sie auf die Menschheit losgingen. Und jetzt forderte mich ein Dämon auf, ich solle ihn zu meinem Boss bringen. Na, der Kerl hatte Nerven!...

Der dämliche Dämon schielte erbärmlich: »Oh, das mit Seraphim, das tut mir leid… Okay, ich kann dich verstehen, aber bitte! Überlege es dir!«, flehte er mich an. »Bisher habe ich noch nie irgendjemandem geschadet, zu so etwas bin ich gar nicht fähig. Ich bin nicht bösartig! Das schwöre ich dir hoch und heilig. Wenn ich lüge, so soll mich auf der Stelle der Blitz treffen!«

»Blödsinn, wir haben einen Blitzschutz der Firma Zeus! Und jetzt verschwinde!«, knurrte ich. Joeys Augen wurden wieder normal und somit konnte ich getrost die Küche betreten.

Was mir zuerst auffiel war, dass die Reihen ziemlich ausgedünnt wirkten. Drei Personen fehlten: Agnir, Jule und Harry.

Wie jeden Morgen, wuselte mein Schwiegermonster Annie schon wieder durch die Gegend. Sie stieg über Charlie, ihren schlaff herumliegenden Basset-Hund und reichte mir meinen Becher, gefüllt mit Blut. »Guten Morgen, Ragnor. Hier, dein Frühstück. Ach, würdest du mal nachsehen, wo Agnir bleibt? Ich habe schon zweimal an seine Zimmertür geklopft, er kommt mal wieder nicht aus dem Bett. Für solche Spielchen habe ich nun wirklich keine Zeit, ich muss Sascha in fünf Minuten zur Schule fahren!«, meinte sie leicht hektisch.

»Schnauze, mein Freund!«, kommandierte ich unseren Cane Corso Italiano Hund. Seit unserem Italien-Aufenthalt, wohnte der Riesenhund bei uns. »Räum mal Charlie aus dem Weg!«

Schnauze wedelte und packte den apathischen Basset-Hund wie einen Welpen im Nacken. Vorsichtig setzte er ihn unter dem Tisch ab, wo er niemanden stören konnte. »Braver Hund!«, lobte ich und klopfte Schnauze die Flanke.

»Ragnor, das soll er nicht machen!«, beschwerte sich Annie.

»Solange es deinen elendigen Basset nicht mit Muskeln und Knochen gibt, wird er aus dem Weg geräumt. Schon mal etwas von Unfallverhütungsvorschriften gehört?«

»Ragnor! Kümmere dich um deinen Sohn!«, keifte sie.

Wehmütig stellte ich meinen Becher ab, umschritt den Tisch, überlegte es mir jedoch anders und beförderte den Inhalt per Telekinese in meinen Mund. Okay, das Schlürf-Geräusch ist nichts für Zartbesaitete.

Sascha, die gerade noch wie ein Zombie in ihr Smartphone glotzte, gab einen angewiderten Ton von sich. »Iiiihhhh, Ragnor! Ich finde es total ekelhaft, wenn du einen Blutschwall durch die Küche fliegen lässt! Das ist so etwas von krank!«

Trotzig grinsend, wischte ich mir den Mund ab. »He? Was ist? Ich habe keinen Tropfen verschüttet! Und ich finde es voll krank, wenn du trotz meines Verbotes, dein dämliches Smartphone nicht mal beim Frühstück weglegen kannst. Mit wem tauscht du da eigentlich die ganze Zeit über Nachrichten aus?«, wollte ich wissen.

Schleunigst steckte Sascha das Telefon weg: »Mit niemandem!«, antwortete sie ein bisschen zu eilig und wurde rot.

Ructus, das kleine rote Hacker-Teufelchen, das bei uns wohnt, verdrehte die Augen. »Justin heißt der Knilch. Und sie wird ihn bestimmt irgendwann heiraten!«, umarmte er sich selbst, machte Knutsch-Geräusche und blickte selig gen Himmel.

»Justin?«, fragte ich neugierig.

»Geht dich nichts an!«, fauchte Sascha beleidigt. »Ich würde ihn dir ja gerne mal vorstellen, aber du verbietest Besuch!«

»Elfjährige sollten noch keinen Herrenbesuch bekommen. Du weißt, weswegen ich keinen Besuch von deinen Freunden und Freundinnen haben will. Wir sind nicht normal und das regt andere zum Quatschen an!… Ructus? Wer ist dieser Justin?«

»Hab ihn schon durchleuchtet. Er kommt aus einer sehr wohlhabenden Familie. Seine Eltern sind viel beruflich unterwegs. Er ist ein guter Schüler, hat einen älteren, volljährigen Bruder und eine minderjährige Schwester, die etwas älter als Justin ist. Sascha und er kennen sich von der Projektgruppe Fotografie; Justus ist ein Schuljahrgang über Sascha «, erzählte Ructus.

»Du blöde Petze!«, fauchte Sascha beleidigt.

»Ragnor! Sieh nach Agnir!«, mahnte Annie und suchte wieder mal verzweifelt nach ihrem Autoschlüssel. Weshalb besaßen wir ein verdammtes Schlüsselboard, wenn sie stattdessen ihre Schlüssel jedes Mal in unsere Obstschale warf? »Und sieh nach Harry und Jule. Irgendetwas stimmt nicht! Harry müsste schon im Sterben liegen, um ein Frühstück zu versäumen!«, setzte Annie nach.

»Wir sollten eine Vermisstenstelle einrichten«, schlug ich vor und machte mich, am frühen Morgen schon von zwei Weibern angekeift, auf den Weg, um den Rest der Sippe einzusammeln. Zuerst warf ich Annie die Wagenschlüssel zu, damit sie endlich abdüsen konnte. Sobald Annie, alias Fergus weg ist, wird es normalerweise gleich viel ruhiger in der Bude.

Joey folgte mir nach. Seine Augen veränderten sich wieder. »Du meine Güte! Ist bei dir jeden Morgen so ein Trubel?«

»Nein, sonst ist es doppelt so hektisch. Agnir, Jule und Haremhab fehlen noch. Sagte ich nicht zu dir, du sollst abhauen?«

»Ich hoffte, du hast mich inzwischen liebgewonnen!«

Trotzdem ließ ich mich nicht aufhalten und ging ins Schlafzimmer meines Sohnes, wo mich bereits die nächste Überraschung erwartete…

Sofort fiel mir dieser äußerst prägnante Geruch auf.

Qwertz-Joey reckte die Nase in die Luft. »Oh, oh! Das ist ja mal eine nette Überraschung. Wie der Vater, so der Sohn!«, drückte sich an mir vorbei ins Zimmer.

»Agnir!«, rüttelte ich meinen Halbwüchsigen und trat dabei aus Versehen eine leere Flasche Jim Beam unter sein Bett, was mich noch wütender machte. Mein pubertierender Sohn hatte sich mit harten Stoff in die Besinnungslosigkeit gesoffen!

»Oh…Aua! Nicht so laut!«, nuschelte er ins Kissen.

»Das schlägt dem Fass doch glatt den Boden aus! Du hast dich betrunken!«, schnappte ich wütend.

»Na und? Du trinkst auch!«, sagte das Ding, das unmöglich mein Spross sein konnte. Seltsamerweise hoffte ich, dass auch er von einem Dämonen besessen sein könnte. Leider strahlte seine Aura genauso wie immer.

»Na und? Und wie alt bin ich?«, fragte ich säuerlich.

»Puh, tierisch alt! Und so fühle ich mich auch!«

»Jetzt werde mal nicht frech, junger Mann! Ich bin über zwölfhundert Jahre alt! Und du bist gerade mal vierzehn Monate alt. Auch wenn du ein Dhampir, ein Halbvampir bist, bist du noch lange nicht volljährig! Du hast noch lange kein Recht, dich zu betrinken. Und das schon gar nicht mit meinem Stoff! Wer bist du – und was hast du meinem Sohn angetan?«, warf ich mir das Sohnding über die Schulter und trug es in die Dusche, wo es samt Pyjama, kalt abgeduscht wurde. Sein Protestgeschrei tönte durch das gesamte Stockwerk.

Mich störte das nicht. »So! Und jetzt ziehst du dich an, frühstückst und gehst brav zur Schule! Und wehe, mir kommen von deinem Onkel Cornelius Klagen über dich! Solltest du allein nur Dummheiten machen, ist es vorbei mit dem eigenen Zimmer und ich quartiere wieder Ructus bei dir ein! Haben wir uns verstanden?«, fragte ich drohend.

»Ja, Papa...«, quäkte der pitschnasse Teenager ernüchtert und gab sich geschlagen. »Es tut mir leid, das wird nicht wieder vorkommen!«, quietschte er mit seiner kippenden Stimme. Seit Tagen kämpfte er sich durch den Stimmbruch.

»Prima, dann sind wir uns ja einig!«, verließ ich sein Zimmer.

Joey versuchte Schritt zu halten. »Ach, die Hormone! Junge Kerle müssen ihre eigenen Grenzerfahrungen machen! Eine nette Familie hast du da: Eine notorisch-nörgelnde Schwiegermutter, eine über beide Ohren verliebte Stieftochter, einen adoptierten Fehlerteufel, einen halbstarken Dhampir-Sohn, einen phlegmatischen Hund, nicht zu vergessen, den dreibeinigen Riesenhund mit Beinprothese - und einen Kater mit Blumenkohlohr. Ich bin wirklich gespannt, was als Nächstes kommt. Oh, warte… Ich höre da jemanden kotzen!«, kicherte der Dämon.

Wo er Recht hat, hat er Recht. Eigentlich konnte ich ihm nur beipflichten: »Du hast es erfasst. Tolle Mischung, wie? Da bleiben keine weiteren Wünsche offen. Du kennst noch nicht das Socken-Monster, den Plork und den Dodo.«

In einem Punkt hatte er wieder recht. Ich hörte ebenfalls jemanden würgen...

*

Der dämliche Dämon

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