Читать книгу Der dämliche Dämon - Elke Bulenda - Страница 5
Wer nach fremder Wolle ausgeht, kommt geschoren heim.
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Sonst nicht unbedingt zur Gewalt neigend, wurde der Barde trotz seiner guten Vorsätze, heftigst handgreiflich. Nachdem, was er im Nebenzimmer der Kate gesehen hatte, beschloss er, der Alten das gleiche Schicksal wie das des Raben angedeihen zu lassen. Brennen sollte sie, diese elendige, menschenfressende Hexe!
Obwohl die Alte ansonsten mit gebeugtem Rücken daherkam und krummbeinig durch die Gegend lief, schien ihr jede Menge Kraft innezuwohnen.
Die Kampfszene wirkte gespenstisch, als der Barde mit der Hexe im brennenden Haus raufte. Flammen loderten überall. Tapeten schälten sich zuerst von den Wänden, rollten sich kurz zusammen, um dann gänzlich zu verbrennen. Das alte Friesensofa schmurgelte erst zu einem Klumpen in sich zusammen, um wenig später eine heftige Stichflamme auszustoßen, die sogleich die Gardinen an den Fenstern in Brand steckte. Alles im Haus brannte lichterloh und mittendrin, wie ein holdes Paar, innig vereint im Tanze, drehten sich die Alte und der Barde immerzu im Kreis. Jeder versuchte bei diesem Kampf die Oberhand zu gewinnen und ihn für sich zu entscheiden. Es wurde gedrückt, geschlagen, geschubst und gedrängelt. Einmal sogar gebissen. Der Barde bereute es jedoch sofort, so ein altes, schlaffes Stück Fleisch zwischen den Zähnen gehabt zu haben.
Pfui, pfui…
Erbarmungslos beabsichtigte jeder, den anderen so nahe als möglich an die Flammen zu drängen und in Brand zu stecken. Glücklicherweise schien unser unfreiwilliger Held ein wenig stärker zu sein, als das rein äußerlich schwächlich wirkende Weib. Mit dem Mut des Verzweifelten, gab er ihr einen kräftigen Stoß, sodass sie lang hinschlug und den Käfig mit sich riss.
Schleunigst versuchte der Barde wieder an die Haustür zu gelangen. Hustend schirmte er seine Augen mit dem Oberarm ab, ganz so, als hätte er Angst, sie könnten vor Hitze platzen. Als er endlich die Tür erreichte, sprang er heraus ins Freie, und grapschte währenddessen eilig nach dem Dietrich in seiner Jackentasche. Er fand ihn letztendlich, warf die Haustür hinter sich zu und rammte den Dietrich ins Türschloss. Wie von Sinnen drehte er ihn solange herum, bis es nicht mehr ging. Schleunigst brachte er eine gehörige Distanz zwischen sich und der Bauernkate, die mittlerweile zu einer wahren Hölle mutierte.
Erschöpft, aber nicht minder erleichtert, ließ er sich ins weiche Moos plumpsen und sah dem Inferno zu - teils mit Abscheu, teils mit Faszination. Durch die Hitze bekamen die Fensterscheiben knackend Risse, und wenig später ertönte ein Fauchen, welches immer lauter wurde und in einer Rauchgasexplosion kulminierte. Der Backdraft katapultierte alles Mögliche nach draußen - und der Barde glaubte, seine Augen spielten ihm einen Streich - als die alte Hexe durch das Reetdach geflogen kam… Obwohl, vom Fliegen zu reden, wäre womöglich ein Irrtum, denn sie flog weniger, sondern blieb die ganze Zeit über in der Schwebe, hielt ihren leicht angebrannten Raben in Händen und blickte sich zornfunkelnd um, bis sie den Barden erspähte.
Dieser versuchte natürlich mit dem Moos so gut wie eins zu werden, doch zu spät. Erstens wollte es nicht so recht funktionieren, und zweitens hatte ihn die Hexe bereits entdeckt. Die Flammen, die von ihrem Haar ausgingen, verliehen ihr eine schreckliche Korona, die flammende Kleidung umflatterte sie wie ein Umhang aus Feuertentakeln. Seltsamerweise schien sie keinerlei Schmerzen zu empfinden. Drohend zeigte sie mit dem Finger auf den Barden.
»Du törichter Narr! Du weißt ja gar nicht, mit wem du dich anlegst!«, fauchte sie wütend.
»Das habe ich in der Tat auch schon befürchtet. Warum tust du mir nicht einfach den Gefallen und stirbst, dann wäre die Welt ein bisschen besser«, sprach er eigentlich mit sich selbst, doch die Hexe hörte ihn anscheinend, trotz des Lärms, sehr gut.
»Dir wird der Spott sogleich vergehen! Ich weiß, wer du bist. Ich verfluche dich!«, hob sie die Stimme bedrohlich an. »Du nahmst mir den Körper des kleinen Mädchens, der für mich wichtig war. Gleiches soll mit Gleichem vergolten werden! Dafür nehme ich dir den deinen! Niemals mehr sollst du in Zukunft einen eigenen Körper besitzen! Dies ist mein Schwur, er soll gültig sein bis zum letzten Tag aller Tage!«
»Nimmermehr!«, keifte der Rabe Edgar zustimmend.
Und wie es sich für eine echte Hexe gehört, lachte sie gackernd, hüllte sich in eine Rauchwolke und verpuffte.
»Okay… Heftiger Abgang, aber ich dachte, sie wollte mir den Körper nehmen?«, fragte der Barde erstaunt und besah sich. Vorsichtig tastete er an sich herum. »Offenbar noch alles da! Tja, das war wohl nichts!«, triumphierte er.
In der Tat war alles noch dran, nur bestand das Problem viel mehr darin, dass er immer durchsichtiger zu werden drohte. »Nee, ne? Ach Männo! Was ist das?«, fragte er leicht entnervt. Verwirrt raufte er sich die Haare, und als er sich hilfesuchend umsah, bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Ein Typ in einer schwarzen Kapuzenkutte saß auf einem Baumstumpf; eine Motorsense lag ihm zu Füßen. Der Kerl sah ziemlich bleich aus, genauer gesagt, sein Knochenschädel.
»Na, Gevatter Tod, bist du gekommen, um mich zu holen?«, fragte der Barde unsicher, und schluckte laut.
»Quatsch nicht! Ich nehme mir gerade meine Frühstückspause, Dionysos Polyônomos. Weißt du, ich liebe den Wald. Da habe ich meistens meine Ruhe, denn dort gibt es kaum Menschen«, meinte Gevatter Tod und holte eine Thermoskanne mit Kaffee heraus. Jedoch trank er nicht, sondern goss lediglich einen Becher voll ein und wedelte sich das wohlduftende Kaffeearoma zu. »Na ja, mal abgesehen von diesen Idioten, die sich selbst mit der Jagdflinte erschießen, oder die Holzfäller, die viel zu überzeugt von ihrem Können, vom Baum erschlagen werden. Oder gar diese Hirnis, mit ihren Kettensägen, die sich beim Feuerholz sägen die Beinschlagader durchtrennen. Aber ich will nicht über die Arbeit reden, denn ich habe - wie schon gesagt - jetzt meine Frühstückspause.«
»Also bist du gar nicht gekommen, um mich zu holen?«
»Dich holen kommen? Nein, warum sollte ich? Du warst schon immer ein metaphysisches Wesen. Im Gegensatz zu der Hexe, die du eigentlich erledigen wolltest, kannst du gar nicht sterben.«
»Ach so...«, meinte der Barde erleichtert. »Trotzdem ist da etwas gehörig schiefgelaufen!«, seufzte er.
»Ja, ›Shit happens‹ sage ich da nur!«, grinste der Todesengel Azrael. Nicht etwa aus Schadenfreude, sondern weil´s mit seiner Anatomie gar nicht anders möglich war.
»Ja, das kannst du echt laut sagen«, betrachtete der Barde seine Hände, die immer durchsichtiger wurden.
»Hörmal, Bacchus. Mir ist es leider verwehrt, in die Speichen des Schicksalsrads zu greifen. Aber bei so jemandem, wie bei der Alten gerade eben, würde ich schon gern mal eine Vollbremsung einlegen! Ich bewundere dich für deinen freien Willen und für das, was du dort drinnen getan hast. Du solltest dir das nicht bieten lassen, was sie dir antat! Weißt du, ich liebe meinen Job. Inzwischen habe ich schon einiges gesehen und mir dabei ein dickes Fell zugelegt. Einige Todesfälle sind nicht nur tragisch, sondern tragikomisch, wobei ich mich manchmal echt zusammenreißen muss, die Pietät zu wahren. Mittlerweile geht mir kaum noch etwas nahe… Was mir aber an die Nieren geht, das sind die toten Kinder. Um sie trauere ich wirklich. Eigentlich sollten sie die Zukunft der Welt sein, die Chance, aus gemachten Fehlern zu lernen und wirklich etwas zum Besseren zu bewegen. Doch sterben viele früh, und das unter schrecklichen Umständen! Zwar nicht mehr so viele, wie in grauer Vorzeit oder im Mittelalter; dennoch sind es gerade die Umstände, wie sie zu Tode kommen. Und es liegt durchaus nicht an der schlechten Medizinischen Versorgung. Nein, daran liegt es schon lange nicht mehr. Diese Kinder wären niemals zu Tode gekommen, hätte nicht so eine perverse Sau Hand an sie gelegt, oder jemand von der Fürsorge weggesehen! Wie erwähnt, sind mir die Hände gebunden, doch du, Dionysos Bassaros, du hast die Wahl, dich für das Richtige zu entscheiden. Also tu es gefälligst auch!«, sprach Azrael, schüttete seinen Kaffee aus und verstaute die Thermoskanne wieder unter seiner schwarzen Kutte. »Noch eins: Wenn du es schon nicht aus reinem Heldenmut für die Kinder tust, dann doch wenigstens deshalb, dich nicht von der Alten verarschen zu lassen und dir dabei die Blöße zu geben, von ihr deinen Körper stehlen zu lassen. Oder willst du, so wie ich, niemals mehr ein Getränk zu dir nehmen, ohne hinterher aufwischen zu müssen? Und das gerade jetzt, wo sich die Karnevalssaison ihrem Höhepunkt entgegen neigt. Vergiss also das elendige Trübsal blasen. Sage dir stattdessen: ›Jetzt erst recht!‹ Also, in diesem Sinne: Cheerio und Waidmannsheil! Ich besuche jetzt einen Volltrottel, der sich beim nächtlichen Fallenstellen mit der eigenen Schlinge strangulierte. Echt, ich habe den geilsten Job der Welt!«, kicherte Gevatter Tod und schlenderte zu einem mit Flammenmustern verzierten Quad, welches an einer Halterung zwei Urnen mit sich führte. Eine helle und eine dunkle.
»Waidmannsdank, Azrael. Tausend Dank für deinen Rat. Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe«, nickte ihm der Barde zu. Erfüllt von seiner neuen Mission, machte er eine Geste mit der nun völlig durchscheinenden Hand. Ein blauer Riss im Zeit-Raum-Kontinuum entstand, worin er eintrat und entschwand.
Gevatter Tod setzte sich auf´s Quad und verstaute die Motorsense. Bevor Azrael losbrauste, murmelte er grinsend: »Nun zeig mal, Cowboy, ob du mehr bist, als nur ein loser Trunkenbold! Mach sie platt, diese gottverdammte Hexe!«
*
Natürlich musste sich der Barde eingestehen, dieses Hexen-Problem nicht alleine lösen zu können. Deshalb tat er in seinen Augen das einzig Vernünftige: Er wandte sich an seinen Boss. Leider wurde sein Tatendrang dadurch etwas abgebremst, weil er nicht sofort eine Audienz bekam, sondern so lange geduldig sein musste, bis ihm etwas Zeit erübrigt werden konnte. Unruhig lief er vor der mächtigen Doppelpforte auf und ab. Immer wieder marschierte er vorbei an den zwei starr geradeaus blickenden Wachdämonen, die links und rechts der Pforte Spalier standen. Die beiden hatten die ziemlich voluminösen Erscheinungsformen von Minotauren angenommen. Sie waren ungefähr so breit wie hoch. Ob sie sich von seiner Lauferei gestört fühlten, verrieten sie jedenfalls nicht. Sie verzogen keine Miene, demonstrierten wortlos mit ihren vor der Tür gekreuzten Speeren, dass niemand an ihnen vorbei käme. Selbstverständlich befand der Barde sich in der Dämonendimension, wen sollte er denn sonst angehen, so gänzlich ohne eigenen Körper?
Wie immer, wenn er jemandem höheren Ranges begegnen sollte, war es ihm reichlich peinlich, so tief gesunken zu sein. So war es für ihn nur ein schwacher Trost, nicht der Einzige zu sein, dem es nicht gut ergangen war. Einst ein viel gehuldigter Gott, lebte er nun als verschriener Trinker, nur ein Glas breit von der Gosse entfernt.
Derart gab es leider viele. Z. B. Hermes, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, indem er Sportschuhe entwarf und seinen Verdienst mit einem Paketdienst aufbesserte. Oder Hades, der die Unterwelt räumen musste, um sie diesem komischen Satan zu überlassen. Jetzt putzte er in einer Gay-Discothek den Darkroom. Na, wenn das nicht die Hölle ist?
Und erst mal Pallas Athene... Obwohl sie es ziemlich gut getroffen hatte. Sie verdiente sogar recht vernünftig mit ihrem Guerilla-Camp im Dschungel. Phoebus Apollo hatte natürlich wieder mal die Nase vorn. Für ihn sah sein Verdienst recht einträglich aus. Seine von ihm gegründete Optiker-Kette warf genug ab. Zeus lag ebenfalls nicht auf der faulen Haut. Mehrere Griechische Restaurants und eine Firma, die sich auf Blitzschutz spezialisiert hatte, konnte er sein Eigen nennen.
Trotzdem war das Schicksal hart: Einst ein omnipotenter Gott, und jetzt nur noch ein Pseudo-Dämon ohne Tempel und Priesterschaft, gänzlich dem Vergessen preisgegeben. Was waren das damals für herrliche Zeiten, als es noch diese Bacchanale gab! Tagelanger, ungezügelter Genuss, nicht nur geistiger Getränke, sondern auch die der Fleischeslust. Tja, die Zeiten ändern sich eben stetig. Und das leider nicht immer zum Besten.
In der Doppelpforte öffnete sich unten links eine kleine Tür. Ein Mäuse-Dämon mit senkrecht wallendem Haar trat heraus. Er trug eine altmodische Toga, aber nicht nur die am Körper, sondern zusätzlich eine Dokumentenrolle in Händen. Der kleine Römer in Mäusegestalt entrollte das Dokument und räusperte sich theatralisch: »Hmmm, hmmm, hmmm… Qwäh?… Was ist das - verdammich und eins - für ein dämlicher Name?… Egal!« Er zeigte mit seinem knubbligen Winzlingsfinger auf den Barden. »Du da! Du darfst eintreten! Komm in die Puschen!«, winkte er ihn zu sich. Dann drehte er sich zu den wachhabenden Dämonen und räusperte erneut. »Hmmm hmmm hmmm!… Das machen die doch wieder mal mit Absicht, mich so schnöde zu ignorieren!«, raunte er dem Barden zu. Dann legte er seine Hände trichterförmig um den Mund: »HE DA! IHR ELENDIGEN WIEDERKÄUER! ÖFFNET SOFORT DAS TOR!«, brüllte der Winzling, dem bei diesem Geschrei die Adern schwollen.
Die Minotauren zogen die Speere zurück, jeder trat zur Seite und öffnete einen der Torflügel. Das ging so synchron vonstatten, dass es aussah, als wäre es ein einzelner Soldat vor einem Spiegel. Lautlos öffnete das Tor und der kleine Mäuse-Dämon winkte ungeduldig. »Na komm schon, was denn nun? Folge mir unauffällig. Aber tritt gefälligst nicht auf mich!«
»Werde mir Mühe geben!«, murmelte der Barde und folgte so unauffällig wie möglich.
»Deine erste Audienz?«, fragte der kleine Dämon.
»Ja, und hoffentlich auch meine letzte. Man erzählt sich da so Sachen. Es heißt, es könnte gefährlich werden!«, meinte der Barde und bereute sofort, so etwas geäußert zu haben.
»Jessas, bist du ein alter Schisser!«, schnaufte der Mausartige, lief voran, bis er sich fantastisch-elastisch verbeugte. »Euer Gnaden, äh… besagter Besuch!«, verbeugte er sich abermals und blickte erwartungsvoll auf.
Eigentlich dachte der Barde, die Dämonenherrscherin säße auf einem Thron. Tat sie aber nicht, denn er stand vor einem riesigen Schreibtisch, der über und über mit Akten und Dokumentenrollen bedeckt war. Außerdem saß da ein seltsames Wesen auf dem Schreibtisch, das ständig den Blick zwischen seinem Frauchen und einem großen, gläsernen Gefäß, hin und her wechselte. Im Einweckglas schwammen herausgerissene Herzen und sofort ergriff den Barden die blanke Panik, was der Anblick des Monsters nur verstärkte. Er meinte, es schon mal gesehen zu haben. Ja, irgendwo im nahen Osten. Genau, er kannte es aus Ägypten. Es war eine Art Chimäre und trug eine Mähne wie ein Löwe, besaß Ähnlichkeit mit einem Nilpferd, und dazu Merkmale eines Krokodils, vor allem, was die Zähne betraf.
Die Dämonenherrscherin der nördlichen Hemisphäre schrieb zu Ende und blickte dann vom Schreibtisch auf.
»Warum nimmst du eigentlich ständig diese winzige Gestalt an, Enkidu? Kaum jemand kann dich wirklich auf den ersten Blick wahrnehmen!«, schüttelte sie den Kopf.
»Ich dachte, das wäre ein sehr dramatischer Effekt, wenn ich als kleine Gestalt, vor diesem riesigen Schreibtisch stehe. Dann wirkt alles viel beeindruckender, Euer Gnaden. Und manchmal ist es durchaus von Vorteil, mal das Mäuschen zu spielen«, erklärte der Viertel-Gott und änderte daraufhin die Gestalt. Nun sah er wie ein unrasierter Sumerer aus.
»Lass uns allein!«, befahl die Herrscherin und winkte Enkidu davon. »Ich rufe dich, wenn du unseren Gast wieder verabschieden kannst.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden«, verbeugte er sich abermals und verpuffte in einer schwarzen Nebelwolke. Die Schwaden hingen noch einen Moment in der Luft, dann waren auch sie fort.
Die Herrscherin nahm den Barden ins Visier. Der sah jedoch noch immer leicht verdattert dem nicht mehr vorhandenen Enkidu hinterher. »Enkidu? Der, der mit seinem Kumpel Gilgamesch die Gegend in Uruk unsicher machte? Ist verdammt lange her, als die beiden zusammen etliche Trinkhörner leerten«, bemerkte der Barde.
»Wie du weißt, spielt die Zeit hier bei uns keine große Rolle«, winkte sie ab. »Du bist doch nicht zu mir gekommen, um über die alten, längst vergangenen Zeit zu reden, oder? Meine Zeit ist kostbar, ich muss noch ein paar Dekrete erlassen, also komm auf den Punkt«, sprach sie, zog einen Handschuh an und nahm den Glasdeckel vom Gefäß, griff hinein und hielt daraufhin ein blutiges Herz in der Hand. »Hier Ammit«, zeigte sie das Herz.
»Yummi, yamm, yamm!«, sagte das Monster, wedelte mit dem Stummelschwanz, machte Männchen und fing das Herz mit seinem offenen Maul. Ammit kaute und schluckte.
Der Barde wurde sichtlich nervös. »Schönste der Schönen… Stimmt es eigentlich, dass Ihr die Herzen Eurer Feinde an Ammit, der Fressdämonin, verfüttert?« Er nahm ein immaterielles Taschentuch zur Hand und wischte damit nervös seine Stirn trocken. Außerdem überkam ihn das Verlangen, einen tiefen Schluck aus dem Flachmann zu nehmen.
»Ja, richtig. Also sieh zu, dass du dich mir nicht zum Feind machst, Vielnamiger«, riet ihm die Herrscherin. Nebenbei zog sie den blutigen Handschuh wieder aus und warf ihn in ein dafür zur Verfügung stehendes Behältnis.
»Äh… ja…«, sagte er daraufhin rhetorisch geschickt. »Herrin, ich habe ein Problem! Und erhoffe mir von Euch Hilfe. Eine Hexe stahl mir meinen Körper, als ich ein kleines Mädchen ihrer Gefangenschaft entriss. Könnt Ihr mir helfen? Allein stehe ich auf verlorenem Posten.«
Die Herrscherin zog eine Braue hoch. »Moment mal, sagtest du, eine Hexe?«
Der Barde nickte aufgeregt. »Jawohl. Eine Hexe, die kleine Kinder fängt, um sie zu verspeisen!«
»Dir dürfte wohl unlängst bekannt sein, dass wir Dämonen nichts mit den Menschen am Hut haben. Es ist uns sogar strikt untersagt, uns in ihre Belange einzumischen! Und sollten wir uns nicht daran halten, wird auf uns das Halali geblasen!«, lehnte sie barsch ab.
»Tja, dann zwingt ihr mich offenbar zu drastischen Maßnahmen. Wenn Ihr mir nicht zu helfen gedenkt, werde ich zum Dämonenherrscher des Südens gehen«, gab er zu bedenken.
»Versuch es. Jeder, der zu Ammon geht, ist ein Verräter! Und was mit Verrätern passiert...«, zeigte sie ihm nicht nur die kalte Schulter, sondern ebenso das Glas mit den Herzen. »Ammon wartet nur darauf, einen Krieg anzuzetteln. Ihm verdanken wir den Schlamassel, dass die Grenze zwischen den Dimensionen immer durchlässiger wird. Es sind seine Dämonen, die den Menschen ständig Schaden zufügen. Dennoch wird es mir in die Schuhe geschoben. Ende der Unterhaltung!«
»Aber... Euer Gnaden! Oh, Weiseste unter den Weisen! Die Hexe hat mich verflucht und mir den Körper genommen. Unter uns gesagt, war es kein wirklich schöner Körper, aber er war meiner! Zusätzlich nahm die Alte mir die Fähigkeit, mich zu materialisieren. Das bedeutet, ich werde bis zum Sankt Nimmerleinstag nie wieder auch nur einen Tropfen zu mir nehmen können! Zudem wird die Hexe Roxana weiterhin Jagd auf kleine Kinder machen - und sie verspeisen. Bitte, könnt Ihr nicht irgendetwas für mich tun?«, flehte er aufrichtig. Sogar seinen Dackelblick setzte er auf, zwar schrecklich schielend, aber immerhin hatte er in der Vergangenheit damit schon durchschlagende Erfolge erzielen können. Schließlich war er nicht nur der Gott des Suffs, sondern auch der der Fruchtbarkeit.
Ob es nun an seinem Blick lag, oder an seinem spröden Charme, konnte er nicht genau sagen. Dennoch schien die Lady am Schreibtisch vor ihm, ziemlich hellhörig zu werden. Sie zog eine Braue hoch: »Sagtest du Roxana?«
»Ja, Mächtigste des Nordens!«
»Hm, da fällt mir ein, es gäbe da doch noch eine Möglichkeit, an wen du dich wenden könntest. Sagt dir die Organisation Salomons Ring irgendetwas?«
»Ja schon, aber macht die nicht überwiegend Jagd auf uns?«, fragte der Barde erstaunt.
»Natürlich nur auf solche von uns, die den Menschen schaden. Wer sich an meine Dekrete hält, der hat vor ihnen nichts zu befürchten. Sehen wir das mal so: Egal, wer gegen meine Dekrete verstößt, landet entweder hier im Glas, oder wird von den Dämonenjägern beseitigt. Wenn du dir nichts zu Schulden kommen lässt, hast du von ihnen nichts zu befürchten. Wende dich an Ambrosius Pistillum. Er ist der Leiter dieser Organisation.«
Schüchtern hob der Barde die Hand. »Äh, wie soll ich dort hineinkommen? Ich hörte, der Bau sei so dämonensicher, dass dort nicht mal Enkidu, verwandelt als Mäuse-Dämon, hineinkommt. Wie soll ich also zu Pistillum gelangen? Könnt Ihr mir das mal verraten?«
Die Dämonenherrscherin schien zu schmunzeln. Das war insofern verdächtig, weil sie ansonsten stets ihr Pokerface wahrte.
»Oh, das dürfte kein Problem sein. Ich wüsste da jemanden, der dir weiterhilft. Rein zufällig kenne ich ihn sehr gut. Glaube mir, wenn du erwähnst, dass du in meinem Auftrag kommst, wird er sich ein Bein ausreißen.«
Sie erzählte ihm, um wen es sich bei der erwähnten Person handelte, und vor allem, wie der Barde vorzugehen habe.
Erleichtert verbeugte er sich vor der Dämonenherrscherin. »Vielen Dank, Lady Mala. Das werde ich Euch nie vergessen!«
»Das will ich doch hoffen. Vergiss nicht, eine Hand wäscht die andere!«, winkte sie ihn davon.
Enkidu stand bereit, um ihn vor die Tür zu begleiten. Er sah dem Barden nach, wie dieser wieder in die Dimension der Menschen zurückglitt. Er ging zurück zu seiner Herrin. »Glaubt Ihr, dass er Glück bei seiner Mission haben wird, Euer Gnaden?«, fragte er ungläubig.
Die Herrscherin beschäftigte sich wieder mit ihren Dekreten. »Glück? Das wird er dringend benötigen. Weißt du, worin das Geheimnis der hohen Diplomatie besteht? Andere glauben zu machen, sie seien als Sieger aus diesem Gespräch hervorgegangen. Wenn ich überlege, wohin ich den Barden schickte, könnte es sehr interessant für ihn werden - und für mich vielleicht auch ein wenig amüsant...«
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