Читать книгу Der Aushilfsvindicator - Elke Bulenda - Страница 8

Natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur: wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt, und wie lange hat sie offen.

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(Woody Allen)

Das Erste, was ich wahrnahm, war das Summen von Insekten und die Weichheit eines warmen Schoßes, in dem mein Kopf gebettet lag. Das Zweite: Wärmende Lichtstrahlen, die durch meine geschlossenen Lider alles in ein warmes Rot hüllten. Das Dritte waren... leise, weibliche Stimmen, die flüsternd miteinander sprachen? Ja, in der Tat...

Stimme eins: »Da! Ich hab´s genau gesehen! Seine Lider bewegen sich!«

Stimme zwei: »Ja, Mädels! Er kommt zu sich!«

Stimme drei: »Passt doch auf, Skuld! Du dumme Nuss hast mir Wasser über den Fuß geschüttet!«

Stimme Nummer vier: »Euer Voyeurismus nervt. Könntet ihr nicht einfach verschwinden? Habt ihr etwa noch nie etwas von Privatsphäre gehört?«

Diese Stimme war mir nur allzu sehr bekannt. Sie riss mich sofort aus meinem Dämmerzustand…

»Amanda?«, fragte ich verwirrt. »Wie kann das sein? Du bist doch tot.«

»Na und? Du doch auch!«, antwortet sie gewohnt schnippisch. »Könntest du diesen aufdringlichen Damen bitte selbst sagen, sie sollen abdampfen?«

Vorsichtig begab ich mich in eine sitzende Position und betrachtete das muntere Damentrio. »Oh, wir kennen uns! Urd, Skuld und Verdandi… Ihr seid die drei Nornen!«

Die blonde Norne namens Skuld nickte, so wie ihre beiden Begleiterinnen. »Ja, es ist verdammt lange her, Ragnor. Trotzdem muss ich deine Gattin darauf hinweisen, dass ihr euch nicht im Reich der Toten aufhaltet, sondern in der Zwischenwelt.«

»Ja, das stimmt. Ich war schon einmal hier, um meinen Vater zu suchen.« Ich sah nach oben. Über mir breitete der Weltenbaum Yggdrasil seine mächtigen Äste aus, die uns Schatten spendeten. »Okay, ich kann mir durchaus erklären, warum ihr hier seid. Ihr hütet den Weltenbaum. Aber du, Amanda… Was machst du hier?«, fragte ich verwirrt. »Habe ich einen Dachschaden? Irgendwie passt das überhaupt nicht zusammen!«

Die rothaarige Urd winkte ab. »Nein, hast du nicht, zumindest nicht so einen gravierenden, wie du stets glaubst. Warum sie hier ist, kann Amanda dir natürlich nicht erklären, obwohl sie eine ganz Naseweise ist, nicht wahr, Kindchen?…«, fragte sie spöttisch. »Amanda ist hier, weil sie sonst nirgendwo hingehen kann. Zu Lebzeiten gab es für sie keinen festen Glauben. Folglich gibt es für sie weder Himmel, noch Hölle. Nur eine Zwischenwelt, die sie nicht ruhen lässt. Und damit sie nicht so rastlos durch die Gegend spukt, brachten wir sie auf Odins Befehl hin, hier her. Uns tat das arme Ding irgendwie leid.«

Urds letzten Worte wurden von Verdandis und Skulds mitfühlendem Kopfnicken bestätigt.

Amanda grunzte und verdrehte die Augen: »Jetzt tut mal nicht so, als sei ich nicht anwesend! Habt ihr nichts zu tun?«

»Wir haben natürlich alle Hände voll zu tun«, sagte die brünette Verdandi, »doch anstatt uns beim Bewässern der Wurzeln des Weltenbaums zu helfen, verlangst du nach einem Mikroskop, um eine entnommene Wasserprobe mikrobiologisch zu untersuchen! Aber so läuft das hier nicht!«

»Von wegen! Mich hat niemand gefragt, ob es mir überhaupt recht ist, zurück in die Steinzeit zu gehen!«, erwiderte Amanda angefressen.

»Na, so eine Frechheit! Du undankbares Ding!« Und schon keiften die Weiber wild durcheinander. Von zivilisiertem Verhalten keine Spur.

Ehe es zu einem handgreiflichen Streit kommen konnte, rief ich die Damen zur Vernunft… »Meine Damen! Wir können zwar zusammen singen, jedoch nicht alle durcheinanderreden.«

»Amanda hat angefangen!«, meinte Urd beleidigt.

»Ich weiß. Ihr seid schwer beschäftigt, und eure Aufgaben sind sehr wichtig. Könnte ich darum ein paar Minuten mit meiner Frau reden? Falls es hier überhaupt so etwas wie Zeit gibt. Wenn ich wirklich nur in der Zwischenwelt weile, kann es durchaus möglich sein, nicht mehr allzu lange hier zu sein. Wenn ich recht in der Annahme gehe, würde ich ansonsten jetzt bei einer schräg singenden Walküre über dem Sattel hängen und wäre längst unterwegs nach Walhalla, richtig?«

Die drei Nornen nickten unisono. »Ja«, sagten sie im Chor.

»Gut, dann sind wir uns ja einig. Lasst euch nicht von eurer überaus wichtigen Arbeit abbringen«, verabschiedete ich sie.

Murrend gingen die drei Nornen wieder zu den freiliegenden Baumwurzeln, nahmen ihre Tonkrüge auf und bewässerten mit frischem Quellwasser den Weltenbaum Yggdrasil.

»Wir werden alt, Mädels!«, sagte Verdandi im resignierten Tonfall. »Früher hätte uns niemand so dermaßen respektlos davon schicken können!«

»Ja, ja… Heutzutage sind wir in die Bedeutungslosigkeit herab gesunken«, sagte Urd. »Dank eines gutbezahlten Therapeuten meint jeder, er könne sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Als seien wir irgendwelche versponnenen Tee-Tanten, die sich zum Makramee treffen! Tzzzz!«

»Trotzdem war es schön, mal wieder ein anderes Gesicht zu sehen. Vielleicht sollten wir ihm seinen Schicksalsfaden mitgeben, denn bei uns liegt das unglaublich lange Ding sowieso nur herum! Letztens bin ich darüber gestolpert und habe mir die Knie aufgeschlagen!«, meinte Skuld daraufhin und lupfte den Rock, damit die anderen die facti speciem betrachten konnten.

Leider bekam sie, statt des erhofften Mitgefühls, einen Anschiss: »Bist du bescheuert? Das geht doch gar nicht! Wir spinnen noch immer daran, du blonder Holzkopf!«, sagte Verdandi, rollte mit den Augen und schöpfte erneut Wasser…

Nachdenklich betrachtete ich Amanda, die genauso schön war, wie an dem Tag als ich sie zum ersten Mal sah. »Weißt du, wie oft ich mir überlegte, was ich dir sagen sollte, falls wir uns eines Tages im Jenseits wiedersehen? Wir besuchen dein Grab sehr oft; Annie, die Kinder und ich. Und jedes Mal spreche ich mit dir. Und jetzt sehe ich in deine warmen, braunen Augen und weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll«, meinte ich ergriffen.

»Dafür, dass du nicht weißt, was du sagen sollst, redest du verdammt viel«, schmunzelte sie. »Und ja, ich höre jedes Wort, das du zu mir sprichst, denn ich habe euch nie wirklich ganz verlassen.«

»Entschuldige, Liebste. Normalerweise rede ich nicht so viel, aber ich bin völlig aus dem Häuschen. In San Marino, der Schemen, der sich schützend zwischen die Dämonen und unsere Familie stellte, das warst du, nicht wahr? Das habe ich sofort gespürt«, erwiderte ich daraufhin.

Amanda kniff die Lippen zusammen und nickte: »Ja, ich tat, was ich konnte. Schließlich ist es meine Familie.«

»Das war großartig von dir. Natürlich ist es eine dumme Frage, aber wie geht es dir?«, zog ich sie zu mir. Dankbar schmiegte sie sich an mich.

»Wie sollte es mir gehen? Ihr fehlt mir. Zuerst verstand ich nicht, was vor sich ging. Doch als ich über meinem Körper schwebte und die Wunde sah, wusste ich, was geschehen war. Ragnor, es tut mir so leid. Ich dachte, wir hätten mehr gemeinsame Zeit. Es war schrecklich mit anzusehen, wie die Kinder trauerten, wie du beinahe bis zur Selbstzerstörung trauertest... Leider war ich damals nicht stark genug, mir fehlte die Kraft, mich zu offenbaren. Mehr als einen leichten Nebel brachte ich nicht zustande. Nun ja, zumindest scheine ich jetzt wieder eine gewisse Stofflichkeit zu besitzen. Jedenfalls hier, in der Zwischenwelt«, hob sie ihre Hand, betrachtete sie und streichelte damit meine Wange. »Du kratzt und bräuchtest mal dringend eine Rasur«, meinte sie scherzhaft.

»Das ist unwichtig… Und momentan, echte Zeitverschwendung«, grinste ich. »Unser Agnir nahm dich wahr. Er sah dich an seinem Bett sitzen«, streichelte ich wiederum ihre Hand.

»Dort saß ich beinahe jede Nacht. Ich kenne doch meinen Jungen. Wie oft riss er uns aus dem Schlaf, weil er schlecht träumte«, sagte sie lächelnd. »Nun, offensichtlich hat sich das nun geändert. Groß ist er geworden, und genauso stattlich wie sein Vater. Ich bin sehr stolz auf ihn, und natürlich auf Sascha. Eine richtige kleine Lady ist sie geworden. Sie sind beide auf dem richtigen Weg, auch wenn es für dich und Annie sicherlich nicht leicht war.«

»Sascha und Agnir haben beide deinen scharfen Verstand geerbt. Agnir hatte zwar kurzzeitig eine üble Phase, jedoch ging diese glücklicherweise rasch wieder vorüber. Und ja, ich denke, wir beide haben alles richtig gemacht.«

»Wieso wir?«, wollte sie wissen.

»Nun ja, selbst wenn es ein wenig grausam klingt, habe ich dich als Erziehungsmittel eingesetzt. Wenn sie etwas Schlimmes taten, sagte ich ihnen, wenn du das erfahren würdest, seist du schrecklich enttäuscht von ihnen«, gab ich zu.

»In der Tat ist das mehr als grausam. Aber offenbar wirkte es«, lächelte sie in sich hinein.

»Ach, es tut so gut, dich wieder bei mir zu haben«, küsste ich sie. Amanda erwiderte meinen Kuss. Trotzdem zog sie sich nach diesem Kuss zurück und schien bekümmert.

»Was hast du, Amanda?«, fragte ich irritiert. »Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich zu weit gegangen?«

»Das ist nicht richtig. Ich merke, wie du mich wieder begehrst. Trotzdem werden wir scheiden müssen, und dann bleibst du zurück, mit einer neuen, frischen und schmerzenden Trauer, wie einer erneut aufgebrochenen Wunde. Bitte, lass uns wie vernünftige Leute miteinander reden. Du musst dein Augenmerk nach vorn richten, nicht zurück. Was ist mit Molly?«

»Wieso steht Molly eigentlich immer wie ein Bollwerk zwischen uns? Was soll mit Molly sein? Sie ist weg. Weiß der Geier, ob sie nicht gefunden werden will, oder in einem üblen Schlamassel steckt. Ich tippe da eher auf letzteres.«

»Du solltest sie suchen«, drängte Amanda.

»Amanda… Als hätte ich das nicht längst getan!«, grunzte ich. »Sogar diesen ominösen Zwergen-Indiana-Jones, Gungnirs Raritäten-Jäger, Maddock, habe ich auf Molly angesetzt, in der Hoffnung, wenn er schon Dodo-Eier findet, sie ebenfalls aufzuspüren. Bisher erfolglos.«

»Ich mag sie sehr, denn sie ist eine ehrliche Haut, und sie liebt dich. Wenn dich jemand über deinen Verlust hinwegtrösten kann, dann ist es Molly. Versprich mir, nicht aufzuhören, sie zu suchen. Es klingt seltsam, aber auch ich denke, sie ist in Gefahr. Noch immer besitzt sie diesen Götterfunken, das macht sie für finstere Mächte umso attraktiver«, warnte Amanda.

»In der Tat. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, dass dies ein Grund für ihr Verschwinden sein könnte...«

Zwei Raben krächzten, ein dunkler Schlagschatten fiel auf uns.

»Na sieh mal einer an! Hier sitzen sie, die süßen Turteltäubchen!«

Sofort ließ ich von Amanda ab und beugte das Knie: »Gegrüßt seist du, Göttervater Odin!«

»Ach, lassen wir das Zeremoniell! Ich bin gekommen, um dich zurückzubringen, Ragnor. Nehmt Abschied!«, brummte Allvater Odin, den seine beiden Wölfe Geri und Freki flankierten.

Freki, der einst bei einem Abenteuer mein treuer Begleiter gewesen war, kam sofort zu mir und verlangte ein paar Streicheleinheiten, die ich ihm nicht verwehren konnte.

»Wie gefällt es dir hier, Amanda?«, fiel Odins einäugiger Blick auf meine Gattin. Nebenbei bemerkt, war es diese Sorte optischer Abtastung, die man durchaus als lüstern bezeichnen konnte, und mir deshalb nicht sonderlich behagte.

»Hm, du bist also Odin?«, fragte Amanda. »Dann habe ich dir zu verdanken, dass ich mich in der Gesellschaft dieser zänkischen Zicken befinde?«, setzte sie ihn unschön auf den Pott.

»Das klingt nicht gerade begeistert. Gefiel dir dein Zustand denn vorher besser?«, fragte er ungewohnt feinfühlig.

Ratatöskr, das Eichhörnchen, das den Weltenbaum bewohnt, kam den Stamm heruntergeklettert und hockte sich auf Odins Schulter. Gedankenversunken kraulte der Göttervater ihm den weichen Pelz.

»Nein, nicht unbedingt«, antwortete Amanda aufrichtig. »Trotzdem möchte ich hier ebenso wenig bleiben. Es ist zwar ganz schön, dennoch langweilig.«

»Hm, was könnte ich stattdessen für dich tun, Amanda? Nur lass dir eines sagen: Ich kann dich nicht mehr zu den Lebenden zurückbringen. Dies liegt nicht in meiner Macht. Du glaubtest nicht an meine Existenz, betetest nie zu mir. Lediglich die Wissenschaft ersetzte dir den Glauben, und für Wissenschaftler gibt es weder Elysium, Himmel, noch Walhalla«, wiegelte der Einäugige ab. Zwei Hirsche gesellten sich zu ihm.

Möglicherweise wusste ich eine Lösung: »Wie wäre es, wenn du Amanda nach Asgard bringst? Dort könnte sie an der Tafel meiner Ahnen Platz nehmen. Meine Familie wäre begeistert, Amanda kennenzulernen. Numa und Skryrmir würden sie wirklich mögen.«

Odin betrachtete Amanda kritisch. »Wäre dies dein persönlicher Wunsch, oder eher der von Ragnor?«

»Das weiß ich noch nicht, wenn ich ehrlich bin. Zuvor habe ich mich nie konkret mit der Nordischen Sage beschäftigt. Es fehlte mir einfach die Zeit dazu. Gibt es dort Freigang?«, fragte sie skeptisch. »Nimm es mir nicht übel, aber ich muss ab und zu ein Auge auf meine Liebsten werfen.«

»Kannst du reiten, mit dem Schwert kämpfen, oder Bogenschießen?«, fragte Odin amüsiert. Inzwischen saß ein große Adler auf seiner anderen Schulter. Wenn es so weiter ging, würden wir Odin bald vor lauter Viehzeug nicht mehr sehen.

»Natürlich kann ich reiten. Taekwondo beherrsche ich ebenfalls, sowie Kendo«, behauptete Amanda. »Was das Bogenschießen betrifft, das könnte ich lernen. Kein Problem!«

… Dabei muss ich sagen, dass ich Amanda noch nie auf dem Rücken eines Pferdes gesehen hatte, wusste jedoch dass sie eine hervorragende Kendo-Kämpferin war, da wir gelegentlich miteinander trainiert hatten...

Odin nickte: »Sehr schön, denn einmal im Jahr gibt es bei uns die Wilde Jagd, ansonsten könnte ich dir einen Ausbildungsplatz als Walküre anbieten.«

Ungeduldig mischte ich mich ins Gespräch: »Das klingt doch prächtig! Was gibt es da zu feilschen?«

»Klappe halten!«, fauchte Odin. »Ich rede mit Amanda, du vorlauter Bengel! Also Amanda, die Entscheidung liegt bei dir.«

»Asgard klingt gut, ich stimme zu. Zumindest verspricht das eine bessere Beschäftigung, als hier herumzusitzen und Löcher in den Himmel zu starren«, beschied sie.

»Sehr schön, sobald ich Ragnor an seinen Bestimmungsort gebracht habe, komme ich zurück und hole dich ab«, nickte er. »Nun denn, nehmt Abschied! Und solange ihr damit beschäftigt seid, rede ich mit den drei Grazien, dort drüben. Vielleicht nehme ich auch ein Bad mit ihnen. Dann könnte es allerdings ein wenig länger dauern. Sie sind schrecklich eifersüchtig aufeinander. Das macht aber nichts, Gottvater Odin hat für alle genug übrig, wenn ihr versteht, was ich meine!«, ließ er in schneller Folge seine Augenbrauen auf und ab schnicken, was ihn ein wenig wie Groucho Marx aussehen ließ.

Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, war er schon fort. Weiter vorn ertönte ein Klatschen, ganz so, als hätte jemand einem prallen Frauenpo einen Klaps verpasst. Daraufhin ein kokettes Quieken und Lachen.

Belustigt warf Amanda mir einen Blick zu. »Ich schätze mal, er ist mit Vorsicht zu genießen, nicht wahr? Männer mit Macht glauben stets, alle Frauen lägen ihnen bereitwillig zu Füßen.«

»Hüte dich vor seinen Avancen. Wie er dich vorhin ansah! Wenn er nicht mein Gott wäre, hätte ich ihm allein schon dafür die Fresse poliert!«, knirschte ich grimmig.

»Lass dir von ihm nicht die gute Laune verhageln. Lass uns einfach noch ein wenig zusammensitzen und die Aussicht genießen«, schlug sie vor und legte ihre Hand in meine. »Ich liebe dich. Ach ja, ich mag euren neuen Hund«, sagte sie leise.

»Was auch geschieht, ich werde dich immer lieben, Amanda. Na, das ist ja ein seltsamer Themenwechsel«, bedachte ich. »Und ja, ich mag ihn auch. Schnauze ist ein guter Hund. Er passt gut auf die Kinder auf«, gab ich ihr recht.

Amanda lachte ihr rauchiges Lachen. »Schnauze? Lass mich raten, diesen Namen hast du ihm gegeben?«

»Richtig«, schmunzelte ich. »Du kennst mich wirklich gut.«

»In-und-auswendig«, bestätigte sie und kuschelte sich an mich.

»Amanda?«, fragte ich.

»Nein, sag jetzt nichts mehr, Ragnor. Alles wird gut!«

Gemeinsam schwiegen wir den Sonnenuntergang an, der sich in noch nie dagewesener Farbenpracht vor uns präsentierte.

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir bis zum Sankt Nimmerleinstag so verharren können. Leider ist das Schicksal unbestechlich und wenig verständnisvoll, was die traute Zweisamkeit angeht.

Erneut ließ sich das Eichhörnchen Ratatöskr neugierig aus Yggdrasils Krone in Richtung Stamm herab, starrte nach vorn und peitschte aufgeregt mit seinem puscheligen Schwänzchen. Deshalb war ich wenig erstaunt darüber, als Odin mit seinem achtbeinigen Hengst Sleipnir erschien. Die beiden Raben Hugin und Munin umkreisten ihn aufgeregt krächzend, was mich ein wenig ärgerte, da dieser Lärm die schöne Stimmung verdarb.

Hoch zu Ross nickte er knapp. »Ragnor, es wird Zeit!«

»Leb wohl!«, verabschiedete ich mich von Amanda, nahm sie nochmals in den Arm, vergrub meine Nase in ihrem Haar und sog ein letztes Mal den für sie so markanten Mandelduft ein.

»Leb wohl«, erwiderte sie. »Und sag bitte den Kindern nichts. Als Ärztin kann ich nur davon abraten, verheilte Wunden erneut zu öffnen. Blicke nicht zurück, Ragnor. Alles ist gesagt.«

Wir lösten uns voneinander. Sofort lief Amanda davon. Sie blickte nicht zurück. In meinem Hals steckte ein Kloß, weil ich wusste, sie weinte. Und vor allem wusste sie, wie sehr ich Abschiede verabscheute. Sie machte kein Drama daraus.

Odin reichte mir die Hand und half beim Aufsteigen. »Nun komm schon, Junge, die Zeit ist um!«, gab er Sleipnir die Sporen, was mich im Unklaren ließ, ob er mit mir, oder nicht doch mit dem Pferd sprach.

Der Hengst setzte sich blitzschnell in Bewegung und galoppelte… Ja, anders kann man diese komfortable Art der Fortbewegung nicht nennen, denn er galoppierte nicht hart, sondern ging eher wie bei einem sehr schnellem Tölt, was eine sehr angenehme Pferdegangart ist. Sie ist nicht wie ein Trab, oder ein Galopp durch eine Schwebephase unterbrochen, woraufhin das Pferd dann wieder auf den harten Tatsachen landet, sondern alle Beine des Pferdes berühren ununterbrochen den Boden, was bei einem achtbeinigen Pferd nun wirklich keine Kunst ist...

Darum bemerkte ich auch nicht, dass wir längst keinen Boden mehr unter den Hufen hatten.

Wir sprachen nicht, sondern ich genoss die Aussicht, obwohl ich nicht sicher war, auf was eigentlich. Ich sah lediglich Wolken, Wolken und nichts als Wolken. Bedächtig streckte ich meine Hand aus, um sie zu berühren, und griff ins Nichts.

»Du sagst ja gar nichts? Was ist los?«, fragte Odin. »Kannst mich ruhig etwas fragen. Du musst nicht die ganze Zeit meinen Hinterkopf anschweigen. Bist ja sonst nicht auf den Mund gefallen!«, meinte er unverblümt.

»Hm, mir fällt nichts ein«, sagte ich kurz angebunden.

»Ha, ha, ha. Ernsthaft?«, lachte Odin gutgelaunt.

»Doch eine Frage habe ich: Damals im Heiligtum, in Uppsala... Der Mann, Wulfric Knutson, der mich vor dem Dänenkönig warnte. Das warst du, nicht wahr?«, wollte ich wissen.

Wieder lachte Odin belustigt. »Bingo! Und der Blitzeinschlag bei deiner Hinrichtung, das war ich ebenfalls. Wie lange hat das jetzt gedauert? Mehr als zwölfhundert Jahre? Sagenhaft! Ragnor, du bist ein echter Schnelldenker!«

*

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