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Flix

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Punkt zehn Uhr verstummte das Knattern des Generators und die grelle Deckenleuchte ging flackernd aus. Die Hütte versank im Dämmerlicht. Die Grillen vorm Fenster schienen wie auf Kommando lauter zu zirpen. Er blickte von seinem Buch auf, zu Ryan.

Ryan hatte das Bett neben der Tür gewählt (das unter der Spinne) und Flix sah durch dessen Fenster hinaus zur Lichtung, über den Baumstumpfkreis, zur Feuerstelle. Das Abendlicht kroch über alles hinweg, färbte die Luft rot, färbte auch Ryans Fenstersims und begann, sich langsam zurückzuziehen. Hinter seinem eigenen Fenster lauerte nur der Wald: Dunkelheit und Tiere. Zwei Gründe, es zuzulassen.

»Nacht«, wisperte er, aber von Ryan kam keine Reaktion.

Er schlug sein Buch zu und schob es unters Kopfkissen. Juliane hatte es ihm empfohlen, es sei eine Geschichte für Menschen, die nicht gern lesen, hatte sie gesagt. Und die auf Autos standen, so wie er.

Joyride Ost.

Es war das erste Buch, das er nicht für die Schule las. Mit siebzehn. Juliane hatte sich schlappgelacht. Sie selbst hätte in seinem Alter bereits eine halbe Bibliothek durchgehabt, hatte sie ihn aufgezogen.

Das Buch gefiel ihm. Er mochte den Gedanken, mit jemandem in einem geklauten Wagen zu sitzen und einfach loszufahren. Nein, nicht mit jemandem … mit ihr. Mit Juliane würde er – wie Tarik und Jana in Joyride Ost – immer weiterfahren. Scheiß auf ihre Bedenken, auf die anderen, die Schule, auf seine Eltern. Scheiß auf alles! Wenn sie einsteigen würde, würde er Gas geben. So einfach war das.

Er drehte sich auf den Rücken, starrte die Holzbalkendecke an. Um zehn Uhr im Bett … Was für ein Hohn. Wenn er sie wenigstens anrufen könnte. Er flüsterte ihren Namen, tonlos: Juliane. Und fühlte sich sofort besser. Auch wenn es in den letzten Wochen schwieriger geworden war zwischen ihnen, war sie ihm nah, wenn er ihren Namen nicht nur dachte, sondern aussprach. Als würde er sie für den Augenblick, in dem die drei Silben auf seiner Zunge lagen, besitzen.

Flix, du weißt, wie gefährlich ist, was wir hier tun, oder? Was passiert, wenn es jemand rauskriegt? Versprich mir, dass du es niemandem erzählst!

Er hatte das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen, trat die Decke auf den Boden und setzte sich auf. Lehnte sich an die Wand, die Bohlen drückten im Rücken. Die Luft war schwer und heiß hier drin, und je schneller er atmete, desto weniger Sauerstoff erreichte seinen Körper. Es drängte ihn nach draußen, raus aus dieser Scheißhütte. Wenn er schon nicht zu Juliane konnte, dann wenigstens auf die Lichtung. Er wollte den Himmel sehen. Im Gras liegen, die Sterne betrachten, bis er ruhiger geworden und die innere Hitze los war.

»Sperren Sie uns nachts eigentlich ein?«, hatte er beim Abendessen gefragt.

»Natürlich nicht!«, hatte Jorek erwidert. »Das hier ist eine Maßnahme, die vor allem auf Vertrauen beruht. Wir gehen davon aus, dass keiner von euch Strafpunkte riskieren, aus der Maßnahme fliegen und stattdessen im Vollzug landen will. Insofern ist euer gesunder Menschenverstand gefragt.«

Klang plausibel.

»Hm, okay. Aber im Ernst: Bettruhe um zehn?«

Jorek hatte humorlos aufgelacht. »Kinder, ihr seid so knapp ums Gefängnis drum rum gekommen. So knapp …« Sie deutete zwischen Daumen und Zeigefinger einen Raum an, in dem selbst eine Nadel Platzangst bekommen hätte. »Wir haben nicht viele Regeln hier, aber die paar, die es gibt, nehmen wir sehr genau. Also haltet euch besser dran, wenn ihr nicht im Knast enden wollt.«

Wollte er nicht. Und dass mit der Campleiterin nicht zu spaßen war, hatte er auch längst begriffen. Strafpunkt war Strafpunkt und fünf waren nicht viel.

Also kein nächtlicher Sternenhimmel. Er lauschte hinüber zu Ryan. Totenstille.

»Hey, Bro«, versuchte er es noch einmal, etwas lauter diesmal. »Schläfst du?«

Nichts.

»Ryan?«

Das Schweigen, das antwortete, war dicht und sonderbar. Seufzend rutschte er zurück auf die Matratze, angelte nach der Decke und zog sie hoch. Er schloss die Augen und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Warum musste er ausgerechnet jetzt so dringend pinkeln? Auf keinen Fall würde er sich im Dunkeln quer durch den Raum zu der niedrigen Holztür tasten, die in das Klokabuff führte.

Nicht wegen des Klos; das war zu seiner Überraschung ganz okay. Er hatte ein stinkendes Plumpsklo erwartet, aber das Teil war bloß ein bisschen klobiger als eine normale Toilette. Nein, es war der Weg dorthin …

Mit der Dämmerung kamen die Insekten. Aus den Ritzen im Boden, den Löchern in den Bohlen. Er versuchte, nicht an die Spinne über Ryans Bett zu denken, die sich vielleicht gerade in dieser Sekunde auf eine nächtliche Wanderung begab. Er hörte seinen eigenen Atemzügen zu, dann dem Rauschen der Baumkronen, dem Knispeln und Knacken im Wald.

Etwas raschelte draußen vor seinem Fenster. Waren das Schritte? Er fragte sich, ob Wildschweine bis an die Hütten herankämen. Wildschweine, hatte er mal gehört, waren gefährlicher als Bären und Wölfe zusammen. Angeblich kamen die überall rein, wenn die wollten. Er drehte sich mit dem Rücken zur Wand und betrachtete den fast dunklen Raum. Als er es endlich wagte, die Augen zu schließen, durchschnitt der unheimliche Ruf einer Eule die Luft.

Vielleicht war es auch eine Taube.

Oder ein Wolf.

X

Geduld.

Bei der Jagd ist Warten alles.

Die Nacht ist mein Freund.

Nachts schlage ich zu.

Geduld.

Wild

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