Читать книгу Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener - Страница 11

Kapitel 9

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Ich schiele über meine Augenbrauen hinweg auf die gegenüberliegende Wand. Meine Augenlider sind schwer. Ich weiß nicht, ob es des Alkohols oder der Tränen wegen ist. Ich hatte mit dem Sekt begonnen.

Ich hatte immer nach dem Motto gelebt, sich so wenig wie möglich von anderen abhängig zu machen und immer selbst dafür zu sorgen, dass man sich das Leben so angenehm als möglich gestaltet. Dazu gehört, dass man sich auch selbst etwas zum Geburtstag gönnt, dass man eine Kerze anzündet - auch, wenn man allein zu Abend ist. Und heute gehörte dazu, dass man auch in der ausweglosesten Situation auf sich selbst anstößt. In einem Anflug von "Wenn sich eine Tür schießt, öffnet sich irgendwo eine andere", habe ich mir also den Piccolo aus der Minibar geschnappt, ihn feierlich in einen Sektkelch gefüllt und mir selbst zugeprostet.

Den Sekt - und dem restlichen Inhalt der Minibar - später, liege ich noch immer auf dem Bett, mit dem Rücken an der Wand, die Beine weit von mir gestreckt, die Schultern sind nach vorne zusammengefallen, mein Kopf ist so schwer, dass mein Hals ihn nur noch auf halber Höhe zu halten vermag. Den Gläsern habe ich längst Adé gesagt.

Vor meinem inneren Auge läuft immer wieder ein- und dieselbe Szene ab: ich stelle mir vor, wie Tom mit Anna schläft. Ich sehe, wie er ihr die Klamotten vom Leib reißt; wie sein ganzer Körper nach dem ihren schreit; wie er kaum erwarten kann, in sie einzudringen. Ich sehe, wie er ihre Schultern küsst, und ihre Brust; wie seine Zunge haltlos in ihrem wühlt. Ich sehe sein lustverzerrtes Gesicht als er auf ihr reitet und wie er erschöpft über ihr zusammenfällt, nachdem er sich in ihr ergossen hat.

Ein- und derselbe Film, der in Dauerschleife läuft und plötzlich wird mir speiübel. Mir wird plötzlich heiß und mein Magen scheint sich zu einem gigantischen Knoten gefügt zu haben.

Ich schaffe es noch, den Rest Gin heil auf dem Nachttischschränkchen abzustellen und hechte ins Bad.


Kaum ein Bröckchen tanzt in der gelblich-braunen Flüssigkeit. Klar, ich habe auch seit gestern Mittag nichts mehr gegessen. Aber ein beißend saurer Geruch steigt mir in die Nase.

So liege ich mit dem Kopf auf meinem Arm auf der Klobrille und wieder überkommt mich unendliche Traurigkeit, Enttäuschung und Einsamkeit. Tränen rinnen über meine Wangen, meinen Arm und tropfen lautlos auf die Klobrille, wo ich beobachte, wie sie sich ins Klobecken stürzen.

Meine Schultern beginnen zu beben. In einem hitzigen Stakkato lässt mein Schluchzen sie auf- und ab hüpfen.

Ich mache meine Beine lang. Vorerst habe ich nicht die Kraft aufzustehen. So liege ich, umarme die Toilette und gehe in Gedanken zurück zu dem Pärchen, welchem ich diese Horrornacht zu verdanken habe.

Tom sagte: "Maria war damals noch in der Klinik".

Wir waren damals gerade mal ein halbes Jahr zusammen, noch frisch verliebt, der Blick von der rosaroten Brille verschleiert. Ich war auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, in Vorfreude, und bin schlichtweg eingeschlafen. Und erst mehr als einen Monat später aufgewacht. Aufgrund schwerer innerer Verletzungen wurde ich in ein künstliches Koma gelegt. Erst für 3 Wochen, aber das Erwachen zog sich noch weit länger hinaus. Ich war erst nach 5 Wochen wieder ansprechbar, von Schmerzen und Verwirrung geplagt, aber -Gott sei Dank- ohne Folgeschäden. Bis jetzt.

Die Ärzte sagten damals, dass dennoch alles viel schneller und besser verlief als üblich. Ich weiß natürlich trotzdem, dass es für die Hinterbliebenen eine Ewigkeit schien. Das heißt, ich weiß es nicht, aber ich kann mir vorstellen, wie einen die Ungewissheit zerfrisst. Und ich weiß, dass beide tagein und tagaus bei mir im Krankenhaus waren.

Ich weiß, dass Anna genauso für mich empfindet, wie ich für sie und ich weiß, dass Tom mich innig liebt. Und ich verstehe auch, dass ihrer beider Liebe zu mir die Verbindung zwischen IHNEN beiden ausmacht. Aber niemals werde ich nachvollziehen können, wie beide so kopflos handeln konnten.

Anna ist eine absolute Schönheit. Sie hat den haselnussbraunen Teint ihres Vaters geerbt. Ihre Augen sind wie schwarze Knöpfe in mandelförmigen Schlitzen. Trotz der Unnahbarkeit, die ihre Erscheinung ausstrahlt, sind ihre Augen von einer Wärme erfüllt, die einnehmend ist. Sie hat ein strahlendes Lächeln, das jeden zum Schmelzen bringt und weiß-gebleckte, formschöne und gerade Zähne zum Vorschein bringt.

Sie hat eine Stupsnase, die ihrem herzförmigen Gesicht jedoch keine Niedlichkeit beimisst, sondern ihrem Feuer nichts nimmt. Auch ihre dicken, wie Satin glänzenden schwarzen Haare hat sie von ihren italienischen Vorfahren. Sie trägt sie immerschon lang, sodass sie ihr auf die wohlgeformten, festen Brüste fallen. Ihre Figur ist betörend.

Sie ist eine Erscheinung.! Und auch ihr Inneres strahlt. Sie hat einen frechen Humor, der noch jeden Mann einlud, die Herausforderung anzunehmen.

Kurzum, ich verstehe jeden, der ihr zu Füßen liegt.

Ich bin und war ihr ihrer Attraktivität immer bewusst und mir war klar, dass diese auch nicht vor Tom Halt macht. Ich wusste ob der Anziehungskraft, die sie auf ihn auslöste, aber ich wusste auch um die tiefe, innige Liebe, die er für mich empfand. Und ich habe mich immer zu überzeugen versucht, dass sein Verstand die Überhand über seinen Schwanz hätte. Wie konnte er sich der Versuchung nur hingeben. Wie konnte er für diese Minuten oder Stunden mich nur völlig vergessen? Oder dachte er, ich würde nicht mehr zurückkommen? Hatte er mich damals schon aufgegeben? Und gar sein neues Glück versuchen wollen?

Ich hasse ihn für das, was er getan hat. Und obwohl ich weiß, dass es mir nicht zusteht, kann ich nicht umhin, Anna noch viel mehr dafür zu hassen. Es ist primitiv und vielleicht mache ich es mir zu einfach, aber meiner Erfahrung nach, waren Männer immer stets einen Tick triebgesteuerter als Frauen. Oder zumindest für einen Moment länger in der Lage, Emotionen, die ihren Handlungen ggf. folgen würden, auszublenden. Die meisten Frauen, die meinen Weg bisher kreuzten, würde ich umsichtiger beschreiben, als dieselbe Anzahl der Männer, denen ich bisher begegnet bin.

Anna, du wusstest, dass ich in Tom einen Partner gefunden hatte; einen Mann, der WIRKLICH zu mir stand; jemanden, der mich genauso liebte, wie ich ihn. Und du wusstest, wie innig und wie lange ich mir das gewünscht hatte. Wie konntest du nur darüber hinwegsehen, um die Bestätigung zu bekommen, nach der du unentwegt verlangst.

Wir sind beide bei weitem nicht perfekt, sind beide über Leichen gegangen, um das zu bekommen, was wir wollten - du in der Liebe und ich im Beruf. Aber wie konntest du den Menschen, der dir am WICHTIGSTEN war so hintergehen? Wie konntest du mein Herz so mit Füßen treten. Verstehst du jetzt, dass du mir nicht nur die Liebe meines Lebens, sondern auch noch meine Schwester und beste Freundin genommen hast. Und dir?!

Ich denke an all die Jahre, in welcher ich sie in die Höhen und Tiefen meines Liebeslebens eingeweiht habe, an all die Momente, welche ich ihr detailgetreu zu beschreiben versuchte, wo sie doch so genau wusste, wovon ich sprach. Was muss ihr da durch den Kopf gegangen sein. Es ist so beschämend! Ich dachte, ich kannte sie so gut. Aber, wenn ich jetzt zurückdenke, habe ich nie Reue in ihrem Gesicht lesen können. Hast du jemals mit dir gerungen, es mir zu beichten?


Tom gewiss! Tom hat gewiss mehrere Male mich sich gerungen. Er ist ein eigentlich ein Softie und ich hatte immer geglaubt, er könnte nichts vor mir verbergen. Vielleicht darf ich das nicht, aber ich kann nicht umhin, unsere Beziehung, ihn - alles - in Frage zu stellen.

Trotz dieses unglaublichen Betrugs glaube ich dennoch, dass er sich oftmals wünschte, reinen Tisch zu machen. Geheimnisse fraßen ihn in der Regel auf.

Nach meinem Erwachen konnte er es mir nicht beichten - beide nicht. Sie konnten mir nicht einfach den neu gewonnen Boden unter den Füßen wegziehen. Und es war ein Kampf. Ich musste wieder Muskelmassen aufbauen, war in so vielen Situationen auf fremde Hilfe angewiesen. So vergingen die Wochen, in denen mich die Wahrheit wohl zerbrochen hätte. Noch mehr zerbrochen.

Und so verging vielleicht zu viel Zeit bis er an dem Punkt angelangt war, dass er (und vielleicht auch Anna) es ad Acta gelegt hatten und entschieden, dass es nicht wert war, mich so zu verletzen, wo es beiden doch nichts bedeutete.

Ich rede es mir schön. Warum nehme ich die beiden überhaupt in Schutz? Ich fürchte, ich brauche das jetzt. Ich muss in den beiden Wehmut sehen. Ich muss versuchen, in beiden Gewissensbisse zu erkennen, um dies heil zu überstehen.


Auf der Suche nach Wärme

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