Читать книгу Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener - Страница 12
Kapitel 10
ОглавлениеIch wage mir nicht die Augen zu öffnen. Ein einzelner Sonnenstrahl würde mein Gehirn jetzt zum Explodieren bringen. Mein Kopf schmerzt fürchterlich. Der Sekt, das Bier, der Gin und letztlich auch noch der Bourbon fordern jetzt ihren Tribut. Meine Glieder sind bleischwer. Ein weiterer Tag, den ich auf dem Zimmer verbringen werde. So kann es nicht weitergehen! Ich muss eine Entscheidung treffen. Wie soll es weitergehen?
Ich kann nicht klar denken. Ich brauche den Rat einer Person, die unbeeinflusster ist. Ich brauche eine vertraute Stimme, etwas Zuneigung in Form liebenswürdiger Worte und geistesabwesend wähle ich Oma Ernas Nummer.
"Thaler. Hallo", erklingt die vertraute, vom Alter brüchig gewordene, Stimme.
Ich hole tief Luft ... und lege auf. Was soll ich ihr sagen? Ihren Unmut gegen ihre einzig andere Enkeltochter hegen? Sie würde so oder so zwischen den Stühlen stehen. Und ich bin ohnehin noch nicht bereit über das Geschehene zu sprechen. Ich kann noch gar nicht darüber sprechen, ohne den nächsten Heulkrampf zu bekommen. Das würde ihr das Herz brechen und mich beschämen.
So liege ich den zweiten Tag infolge auf meinem Hotelzimmerbett. Ich liebte immer die Atmosphäre in Hotels, die Art, wie man umsorgt wurde; die überschwängliche Freundlichkeit, mit der man versuchte, dich in der Fremde heimelig fühlen zu machen. Aber dies war keine Geschäftsreise, bei der ich ein paar Stunden meine Rolle zu spielen hatte, um dann in die Privatheit meines Einzelzimmers abzutauchen, in der ich mit dem Wissen, dass zuhause ein liebender Mensch auf dich wartete, das Alleinsein genießen konnte. Nun habe ich das Gefühl in dem mittelgroßen Zimmer völlig unterzugehen, in dem Bett verloren zu sein.
Tränen wiegen mich leise in den Schlaf.
Als ich meine Augen wieder öffne, lächelt mir frech eine 11 entgegen. Ich hätte das Hotelzimmer längst geräumt haben müssen.
Widerwillig greife ich zum Telefon. Nicht nur meine müden Glieder versagen ihren Dienst, auch meinem Kopf und meiner Zunge ist jeglicher Kontakt zuwider. Hastig gebe ich meine Kreditkartennummer durch und verlängere um 3 Nächte.
Das gibt mir genügend Zeit, um zu überlegen, wie es weitergehen soll.
In diesem Moment tauchen Bilder in meinem Kopf auf. Bilder aus unserem Ostsee-Urlaub, den wir letzten Herbst unternommen hatten. Ich sehe uns, wie wir mit unseren Schals und Handschuhen, die Mützen tief ins Gesicht gezogen, um uns vor dem eisigen Wind zu schützen, den Sonnenuntergang entgegenblicken. Wieder sucht mich diese allumfassende Sicherheit heim, die ich spürte, als er mich in seine starken Arme nahm.
Ich sehe uns in diesem piekfeinen Restaurant in Madrid sitzen, wo ich völlig unangebrachterweise einen halsbrecherischen Lachanfall bekam, als Tom den Kampf gegen seinen Hummer aufnahm.
Mehr Bilder folgen und ich erkenne, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als in diese Vergangenheit zurückzukehren. Zu gleichermaßen wird mir aber auch bewusst, dass diese Bilder Vergangenheit sind und ich sie nicht in der Zukunft heraufbeschwören kann. Ich wollte mein Leben mit Tom verbringen und unter anderen Umständen wöllte ich es noch. Und so sehr ich mir wünschen würde, ein anderer Mensch zu sein mit anderen Eigenschaften, so weiß ich doch, dass ich sehr nachtragend bin und ihm das nie vergessen könnte. Vergeben vielleicht, aber nie vergessen. Und ich möchte mich den ständigen Zweifeln, die mich dann plagen würden, nicht aussetzen. Ich glaube nicht, dass ich dem standhalten könnte.
Und je länger ich darüber nachdenke, desto fester steht mein Entschluss, nicht mehr zu Tom zurückzukehren. Und dieser Entschluss erfüllt mich mit einer Traurigkeit, die überwältigend ist. Aber meine Tränen sind versiegt, ich kann nicht mehr weinen.
Zu dieser Traurigkeit, deren Schwere ich nicht in Worte fassen kann, gesellt sich aber auch noch etwas anderes. Angst.
Ich habe den Entschluss gefasst, dass unsere Beziehung diese Bürde nicht tragen kann und ich Tom verlassen werde. Aber was soll dann werden? Wir teilen uns eine Wohnung. Wir haben weitestgehend einen Freundeskreis. Und ich könnte es nicht ertragen, ständig seine Anwesenheit zu spüren, ohne in seine Arme fallen zu können. Ich möchte ihm nicht wieder und wieder ins Gesicht blicken, welches sich vor meinem inneren Auge in dieses lustverzerrte entwickelt, welches er neben mir nun auch noch mit meiner liebsten Schwester teilte. Ich fürchte mich vor der Beschämtheit, die meine jahrelange Unwissenheit über den Betrug immer wieder in mir auslösen würde.
Nein, ich möchte nicht immer und wieder damit konfrontiert werden.
Bevor ich meinen Entschluss anzweifeln kann, überlege ich, welche bürokratischen oder finanziellen Hürden eine Trennung mit sich bringt. Welche Sachen teilen wir uns, stehen ihm bzw. mir zu?
Die Wohnung steht alleinig auf seinen Namen. Aufgrund der Verlobung und der in ferner Zukunft anstehenden Namensänderung, hatte alleinig er den Mietvertrag damals unterschrieben.
Meiner persönlichen Sachen und der Möbel wegen, die mir gehörten, würde ich nächste Woche sichergehen, dass er aus dem Haus ist und dann alles abholen.
Wir hatten - Gott sei Dank - noch kein gemeinsames Konto eröffnet. Und wenn ich nächste Woche zurück in die Wohnung gehen würde, würde ich unser Sparschwein, was wir für gemeinsame Urlaube aufgestellt hatten, plündern.
Ich muss erkennen, dass wir bisher wenige gemeinsame Verpflichtungen eingegangen waren. Hatte er die ganze Zeit noch damit gerechnet, dass es doch noch rauskommen würde? Dass wir uns vielleicht trennen würden? Hatte er bewusst keine gemeinsamen Verpflichtungen eingehen wollen?
Ich stelle fest, dass alles, was ich zu tun hatte, war, mir eine Wohnung zu suchen, mich umzumelden und meine Post (wie die von Bank und Krankenversicherung) ummelden zu lassen.
Der Entschluss, mich von Tom zu trennen, macht mich wieder nach vorne blicken. Auf einmal gibt es wieder eine Richtung und nicht mehr nur ein "Zurück". Ich muss nur überlegen, wie ich alles anstellen werde. Schaffe ich, ihm in die Augen zu blicken? In seine stechend grünen Augen, die immer Ehrlichkeit auszudrücken schienen, welche sie jetzt Lügen straft.
Nein, ich werde ihn nie wieder anblicken können. Ich werde ihn nie wieder anblicken können, ohne in seine Arme fallen zu wollen, um ihn kurz darauf ohrfeigen zu können. Er hat mein Herz tiefschwarz gefärbt. Meine Oma sagte immer: " Manchmal hasst man den Menschen am stärksten, den man am meisten liebt, weil er der einzige ist, der einen wirklich verletzen kann". Und das hatte er. Das hatten beide. Sie haben mir das Herz aus der Brust gerissen, es geschüttelt und draufgetreten. Ob ich es je wieder flicken konnte?
Ich werde ihn um jeden Preis meiden, das heißt auch, dass ich die Folgewoche der Arbeit fernbleiben muss. Er wird dort anrufen, vielleicht würde er mich sogar abholen wollen oder gar den ganzen Tag freinehmen, um dort aufzutauchen. Ich weiß, dass er mich trotz dieses Fehlschlags liebt und er um mich kämpfen wird. Das zu erleben, könnte ich nicht ertragen. Ich hätte Angst, meiner innigen Liebe zu ihm nicht standhalten zu können. Ich hätte Angst, dass sie meinen Verstand übermannt. Und dann klingt wieder seine Stimme in meinen Ohren. Der Stolz, der in seiner Stimme mitschwang, widerte mich an. Ich kann quasi vor mir sehen, wie er sich in dem neidvollen Blick von Jan suhlt, bevor ihn sein schlechtes Gewissen einholt.
Nein, ich werde ihm nicht gegenübertreten. Ich will ihn nie, nie wiedersehen.