Читать книгу Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеIch muss schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke. Ich liebe ihn immer noch wie am ersten Tag. Wir liegen immer noch die ganze Nacht eng umschlungen im Bett, wir können immer noch nicht voneinander ablassen, wenn der jeweils andere von der Arbeit kommt und können uns immer noch nicht trennen, wenn der jeweils andere zur Arbeit muss.
Ich weiß, dass uns viele um das beneiden, was wir haben. Ich weiß, dass uns viele als DAS Traumpaar bezeichnen und auch ich finde, dass wir ein echt großartiges Team sind.
Ich kann es kaum erwarten, seinen Blick zu sehen, wenn ich gleich in der Tür stehe.
Mittlerweile sitze ich in der Bahn. Alsterdorf, Sengelmannstraße und Ohlsdorf rauschen an mir vorbei. Ich bin fast ein bisschen aufgeregt. Kleinborstel - hier muss ich raus. Normalerweise laufe ich das letzte Stück, aber mit den Einkaufstüten nehme ich lieber den Bus. Als ich aussteige, wirft mir der ewig grimmige Busfahrer durch den Rückspiegel einen Blick zu. Seine Trotzigkeit kann mir heute nichts. Ich bedanke mich dennoch mit einem freundlichen Nicken.
Als ich in unsere Auffahrt einbiege, kann ich die Jungs schon grölen hören. Ich selbst muss auflachen. Wie zu erwarten, haben sie sich wohl das ein- oder andere Getränk bereits gegönnt. Ich überlege, sie nachher für ein Bier auf den Kiez zu begleiten. Die Jungs mögen mich. Sie würden sich sicher freuen. Und wenn ich es bei dem einen Bier belasse, haben sie nachher noch genug Zeit sich auszutoben. Vielleicht keine schlechte Idee.
Leise drehe ich den Schlüssel im Schloss. Ich will nicht, dass sie gleich mitkriegen, dass ich nach Hause gekommen bin. Dafür bin ich zu sehr auf Toms Gesicht gespannt.
Volker lacht gerade dreckig auf. Ich liebe diesen Typen. Nicht nur, weil er mich offensichtlich verehrt. Er hat mich durch seine Ehrlichkeit gewonnen. Volker ist ein absoluter Draufgänger, ein ewiger Junggeselle. Wahrscheinlich sollte ich mich am meisten um Tom sorgen, wenn er mit Volker unterwegs, aber das tue ich keineswegs. Volker macht keinen Hehl aus seinen Affären, aus seinen Saufgelagen und Fettnäpfchen. Wenn er etwas sagt, ist das meistens abgrundtief versaut und aufmüpfig, aber du kannst darauf gefasst sein, dass es aus tiefstem Herzen kommt. Was Volker sagt, stimmt. Und diese raue Direktheit hat mich ihn schätzen gelernt.
"Ach kommt. Ihr seid doch nur neidisch. Als ob nicht jeder einzelne von euch sie flachlegen wollte" - und das ist Jan. Jan ist viel eher der Typ, gegenüber dessen ich mein Misstrauen nie ablegen konnte. Er ist einer dieser Schönlinge. Sein dunkles Haar trägt er etwas länger und gelt es sich stets nach hinten. Wenn alle in Hemd und Jeans ausgehen, trägt er einen Anzug, sein Gesicht glattrasiert. Er geht ins Fitnessstudio und das sieht man. Dennoch kann ich Jan nichts abgewinnen, aber die Frauen lieben ihn. Und das trägt er auch gerne zur Schau. Offensichtlich tut er gerade nichts anderes. Ich erwische mich, wie ich die Augen verdrehe.
"Nö, ich will nur eine ficken, aber die ist mit meinem Kumpel verlobt", raunzt Volker. Ich versuche mir das Lachen zu verkneifen. Die anderen kreischen vor Lachen, aber Volker heult auf. Sicher hat er von Tom einen Rümpfer gekriegt.
Als es wieder still wird, lässt Jan nicht locker: „Sie hat mich geritten als gäbe es keinen Morgen... arrrgh ...". Er gibt einen Laut von sich, der mich zum Würgen bringt. Wieder Gejohle der Jungs. Statt weiteren Details des Sex mit dieser Ach-so-schönen-Göttin zu lauschen, entschließe ich mich, die Treppe langsam hoch zu schleichen. Während Jan weiter singsangt:" Diese Hüften, diese karamell-farbene Haut...", schlüpfe ich aus meinen Schuhen und nehme die ersten Stufen.
"...dieses herzförmige Muttermal in ihrer rechten Leiste..."
Ich schnappe nach Luft. Ich erstarre. Selbst wenn mein Körper wöllte, ich könnte keinen weiteren Schritt machen. Mein Herz rast, mein Magen krampft.
Das war Tom!
Ich habe am ganzen Körper Gänsehaut.
Woher kennt er eine so intime Stelle einer anderen Frau?
Oben herrscht auf einmal Totenstille. Ich kann vor meinem inneren Auge sehen, wie sich Tom und Jan in Grund und Boden starren. Zwischen den Freunden hat auch immer eine Rivalität geherrscht.
"Du verarscht uns!", bricht Kevin das Schweigen.
"Oder?", hakt er gleich nach.
Ich habe mich noch immer nicht gerührt, bin wie zu Eis erstarrt.
Es folgt gedämpftes Gemurmel, dann Ausrufe des Erstaunens, Jubel.
Er muss den Jungs zu verstehen gegeben haben, dass das sein voller Ernst war.
Mein Körper ist schweißnass, mir ist kalt und warm zugleich. Die Tüten schneiden in meine Hände. Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie noch immer fest umklammert hielt. In meinem Hals ein fetter Kloß. Ich möchte weinen, ich möchte aufschreien. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Vor Wut? Vor Angst? Angst, ihn zu verlieren? Angst, dass er mich wirklich betrogen hat? Angst, dass er mit so etwas zu protzen versucht? Angst, hier - auf halber Treppe beim Lauschen - erwischt zu werden?
Meine Gedanken rasen, aber mein Körper ist stocksteif.
"Es ist schon ewig her. Es hat mir ... uns auch wirklich nichts bedeutet. Es war nur Sex", stammelte Tom entschuldigend.
"Ich fasse es nicht"
"Das kann doch nicht wahr sein"
"Wann?"
Sie rufen durcheinander mit einer Mischung aus Empörtheit und Neid. Nur Jan schweigt.
Ich will die Runde stürmen. Ich will ihn zur Rede stellen. Ich will ihn anschreien. Ich will überhaupt schreien. Aber meine Kehle ist zugeschnürt. Mein Kopf sinkt auf meine Brust. Ich traue mich nicht mich zu rühren. Leise beginne ich zu schluchzen. Ich will keine Szene. Wie sollte das Wochenende dann weitergehen? Ich will nicht vor den anderen weinen. Sie sehen mich doch immer mit so viel Bewunderung an. Ich kann das heute nicht mit ihm ausfechten und das neue Wissen raubt mir ohnehin alle Kraft.
Mein Herz fühlt sich an, als ob es in Flammen aufgeht. Ich spüre wahrhaftig physische Schmerzen. Als ob mein Herz explodiert und Glassplitter im ganzen Körper verteilt. Meine Arme beginnen zu kribbeln. Sie sind auf einmal bleischwer. Über meinen ganzen Körper hat sich ein schwerer Mantel gelegt, der mich zu Boden ziehen will. Um meine Brust hat sich ein Gürtel gelegt, der sich immer enger zuschnürt; der mir die Luft raubt. Wie ein begossener Pudel stehe ich da auf der Hälfte der Treppe. Die Schultern tief, der Kopf auf der Brust, leises Schluchzen, das meinen Körper zum Beben bringt. Die Einkaufstüten in der Hand. Und oben ermutigende Jubelrufe.
"Maria war damals noch in der Klinik. Sie war seit Tagen nicht ansprechbar. Ich machte mir fürchterliche Sorgen, fühlte mich allein. Wir hatten so lange auf positive Nachrichten gehofft und wurden immer wieder vertröstet. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Ihr wisst, wie sehr ich Maria liebe..."
Ich weiß nicht, wann ich zu weinen begonnen hatte, aber heiße Tränen rinnen unaufhörlich meine Wangen hinunter, tropfen von meinem Kinn.
"...und... ich wollte mich einfach mal wieder fallen lassen; in den Arm genommen werden. Scheiße man, echt, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, man... Und Anna ging´s genauso!"
Anna!!!! Natürlich! Anna hatte ein Muttermal in der rechten Leiste!
Ich schnappe laut nach Luft. Oben verstummt auf einmal alles. Ich bekomme keine Luft, mein Kopf platzt, meine Sicht hinter einem Tränenschleier verschwommen.
In weiter Ferne höre ich, wie die Jungs ihn mit Fragen zu löchern beginnen. Sie haben mich nicht gehört.
Ich möchte noch mehr wissen und auch nicht. Ich kann nicht. Mehr kann ich für den Moment nicht ertragen. Meine Knie geben nach. Hastig, aber bemüht leise, hangle ich mich zurück nach unten. Die Einkaufstüten noch immer in den Händen.