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Kapitel 9

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Inzwischen hatte Doris alle Essentabletts der Patienten wieder eingesammelt und Monika bestückte den Bettenwagen für die Abendrunde. Tom beschloss, noch einen Blick in Zimmer zwei zu werfen. Er empfand so ein ungutes Gefühl. Außerdem konnte er gleich prüfen, ob die Infusion durchgelaufen war.

Langsam öffnete er die Tür. Eine schummrige Beleuchtung herrschte im Raum, da nur die Leselampe am Bett brannte.

Die Leselampe? Er stutzte. Wer hatte die denn angemacht?

Mit zwei Schritten betrat er das Zimmer. Das Bett war leer. An den Seiten hingen die Fuß- und Handfesseln herunter. Die rechte Fixierung schien noch geschlossen – offenbar war der Patient da hinausgeschlüpft – aber die anderen drei standen offen. Wie konnte das sein?

Der Magnet, mit dem sich die Verschlüsse öffnen ließen, hing nicht mehr da. Tom fand ihn neben Herrn Jungks Nachtschrank. Wie war der da nur herangekommen? Selbst, wenn er die rechte Hand befreien konnte, die Entfernung bis zum Nachbarbett betrug über drei Meter!

»Scheiße!« Er drehte sich um und rannte hinaus. Vor Zimmer 1 stand der Bettenwagen, die Anwesenheitsleuchte brannte dort. Offenbar hatte seine Kollegin schon mit der Bettenrunde begonnen. Ansonsten war der Gang leer.

»Monika!«

Die Schwester kam heraus. »Was ist ...?«

»Herr Jungk hat sich befreit, er ist weg!«

Die Fröhlichkeit wich mit einem Schlag aus ihrem Gesicht. »Was? Wie ...?«

»Weiß ich nicht ... Er ist irgendwie an den Magneten gekommen ... Jetzt ist er geflohen!«

»Mist ... der kann sonst wo sein, inzwischen! Ich ruf den Sicherheitsdienst!«

Monika nahm das tragbare Telefon und tippte die Nummer des hausinternen Sicherheitsdienstes ein. Als Tom das Krankenzimmer noch einmal betreten wollte, wurde dessen Tür von innen aufgestoßen und knallte ihm ins Gesicht. Er taumelte zurück, Sterne vor den Augen. Eine große magere Gestalt im Krankenhausnachthemd schoss aus dem Zimmer und rannte lautlos – weil barfuß – den Stationsflur entlang, genau zur Glastür am Ende des Korridors.

Benommen wankte Tom an die gegenüberliegende Wand. Aus einer Platzwunde sickerte Blut. Der Abdruck der Türkante zeichnete sich auf seiner Stirn ab.

Monika stand mit dem Rücken zu ihm und telefonierte. Sie hatte scheinbar nichts mitbekommen. »Jungk ... ja, mit G-K! Wie er aussieht? Sehr groß, mager und blass! Wie viele Leute, die nur mit einem Nachthemd bekleidet sind, werden bei den Temperaturen schon hier herumrennen?«

Verärgert drehte sie sich herum und sah Tom, der mit blutiger Stirn dastand, und Herr Jungk, der durch die Glastür am Ende der Station schlüpfte.

»Du liebe Zeit, Tom!«

Er reagierte nicht auf sie, sondern setzte an, den durchgedrehten Patienten zu verfolgen.

»Tom warte, du bist verletzt!«

Im Nu hatte er den Stationseingang erreicht und lief hindurch. Von hinten hörte er Monika, die immer noch telefonierte: »... gerade die Station verlassen ... unser Pfleger verfolgt ihn ...«

Der Krankenhausflur wirkte leer. Allerdings gab es nur eine dämmrige Beleuchtung und draußen war es schon dunkel, so, dass durch die Fenster kein Licht hereinfiel.

Etwa alle 10 Meter gab es in der Wand eine Nische mit einer Bank und einer großen Grünpflanze in einem Topf. Diese lagen im Dunkeln. Ca. 30 Meter weiter sah man die Glastür der nächsten Station, der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung.

Aber so weit konnte Herr Jungk nicht gekommen sein, auch wenn er sich scheinbar mit einer unheimlichen, lautlosen Schnelligkeit bewegte! Wahrscheinlich versteckte er sich hinter einer der Pflanzen. Vorsichtig schlich Tom näher. Das Krankenhaus schien an der Beleuchtung zu sparen, die wenigen Lampen an der Decke leuchteten nur schwach und der größte Teil des Flurs lag im Schatten. Die Nischen waren gar nicht beleuchtet.

Mit einem Satz sprang er nach vorn. Die erste Nische war leer.

Voller Anspannung wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, welches von seiner Stirn lief. Ein Scharren drang durch den Gang. Das musste er sein! Achtsam huschte Tom vorwärts. Als sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte, fuhr er mit einem Aufschrei herum. »Monika!«

»Tut mir leid ... wollte dich nicht erschrecken ...« Sie sah ihm ernst in die Augen, wie er sie selten sah.

»Was ist denn?«

»Ich habe mit dem Sicherheitsdienst und Dr. Hendrich telefoniert. Von der anderen Seite des Flurs kommt ein Wachmann. Hendrich hat 2 mg Tavor i.m. angeordnet. Ich war so frei, es aufzuziehen.« Monika drückte ihm eine Spritze und eine Sprühflasche Hautdesinfektion in die Hand. »Wenn der Wachmann ihn aufgehalten hat, hau es ihm einfach rein!«

Er nickte und nahm beides entgegen.

»Und lass mich wenigstens schnell die Platzwunde ...«

Eine Bewegung in Toms Augenwinkeln ließ ihn wieder herumfahren. Mit wedelndem Nachthemd flitzte eine große Gestalt lautlos den Flur hinunter. Er setzte zur Verfolgung an.

Für einen so kranken Patienten bewegte sich Herr Jungk erstaunlich flink. Das konnte nur an den langen Beinen liegen, denn Tom hielt sich selbst für besser in Form als ein langjähriger Alkoholiker mit fortgeschrittenem Magen-Karzinom und Leberzirrhose.

Zwischen den Lichtkegeln lagen Bereiche aus schattigem Dunkel. In den dunklen Flecken sah er den Flüchtigen verschwinden und in den Lichtinseln wieder auftauchen. Bis er plötzlich verschwand.

Außer Atem kam Tom an der Stelle an. Neben ihm fiel eine Tür ins Schloss. Herr Jungk war im Schutz der Dunkelheit ins Treppenhaus gehuscht. Gar nicht so dumm.

Am anderen Ende des Flurs erkannte er jetzt einen Wachmann mit Taschenlampe, der flott angelaufen kam. Es handelte sich um einen großen, schwer aussehenden Mann mit kurzen blonden Haaren. Er mochte Mitte 30 sein und trug die dunkelblaue Uniform des Wachdienstes, welcher für das Krankenhaus arbeitete. Sein Namensschild verriet Tom, dass er es mit Lutz Meisters zu tun hatte. Meister Meisters, dachte er belustigt.

»Der Chirurgiepatient? Herr Jungk?«

Außer Atem nickte er Richtung Treppe. »Er ist da rein!«

Der Wachmann stieß die Tür auf und lief ins Treppenhaus. Tom folgte ihm. Meisters stellte sich ans Geländer und leuchtete mit der Taschenlampe abwechselnd nach oben und nach unten. Vom Flüchtigen war nicht das Geringste zu sehen.

Im Treppenhaus herrschte eine noch gedämpftere Beleuchtung als auf dem Krankenhausflur, obwohl Tom gedacht hatte, dunkler ginge nicht, ohne das Licht komplett abzuschalten.

Naja, Strom kostete Geld und das Krankenhaus musste sparen, sollten die Patienten ruhig die Treppe hinunterstürzen ... Unfassbar. Wenigstens einen Bewegungsmelder hätte man anbringen können!

Er holte Luft, um etwas zu sagen, doch Meisters bedeutete ihm in einer Handgeste, zu schweigen. Sekundenlang drang kein Laut durch die Stille des Treppenhauses. Tom hörte nur seinen eigenen Atem, während der Wachmann angespannt auf ein Geräusch wartete.

Plötzlich vernahmen sie ein Knarren, gefolgt von einem Türknallen. Wie von einer Tarantel gestochen setzte sich Meisters in Bewegung und sauste die Treppe hinunter in den Keller, dass Tom Mühe hatte, Schritt zu halten. Der Uniformierte schien 5 Stufen auf einmal zu nehmen. Unten riss er die Kellertür auf und flitzte hindurch, der Krankenpfleger dicht hinter ihm.

Einzelne Deckenlampen beleuchteten dürftig den Kellerflur, den Monika ihm in den ersten Tagen gezeigt hatte. In regelmäßigen Abständen sah er die unterirdischen Korridore zu den Außengebäuden abzweigen, die im Dunkeln lagen.

Mit zügigen Schritten schlenderte Meisters den Flur entlang und leuchtete mit der großen Stabtaschenlampe in jeden Gang hinein. Beim Vierten hielt er inne. Tom holte ihn ein und folgte mit seinem Blick dem Taschenlampenstrahl. Der Wachmann beleuchtete einen etwa 30 Meter langen Korridor, an dessen Ende gerade langsam eine massive Metalltür ins Schloss fiel. Forsch eilte er darauf zu. Tom lief hinterher und sah sich dabei um. Auf einer abblätternden Farbschicht an der Wand erkannte er eine Beschriftung über einem Pfeil: ARCHIV.

Meisters stieß die Tür auf und trat hindurch. Dahinter führte eine steile Treppe nach oben.

Zuletzt war Rudolf eine enge Treppe hinaufgerannt und in einem kurzen Gang mit einer Tür und zwei Fenstern gelandet. Die Tür bekam er nicht auf, also schlug er kurzerhand mit der Faust eine der Glasscheiben ein. Dass er sich dabei die Hand aufschnitt und ihm das Blut den Arm hinunterlief, bemerkte er nicht. Nachdem er das komplette Glas aus dem Rahmen gebrochen hatte, kletterte er hindurch. Man konnte bereits hören, wie die Stasi-Beamten die Treppe heraufkamen, um ihn wieder zu verhaften.

Kaum war Rudolf draußen, hatte ihn der Eisregen durchnässt. Trotz des dünnen Krankenhausnachthemds und den fehlenden Schuhen spürte er jedoch keinerlei Kälte.

Hinter dem Fenster fiel er zu Boden und schlug hart auf dem Asphalt auf. Mühevoll kam er auf die Beine und sah sich um. Er schien auf einem Vorplatz vor einer Baracke zu stehen. Nichts wie weg! Doch nach ein paar Schritten glitt er aus und stürzte. Warum war der Erdboden bloß so glitschig?

Tom schaute zu, wie Lutz Meisters das zerstörte Fenster öffnete und hindurch kletterte. Zögernd folgte er ihm. Draußen regnete es in Strömen, die eiskalten Tropfen durchnässten ihn schnell. Morgen hatte er dann wahrscheinlich eine fette Erkältung.

Sie standen auf einem verlassenen Parkplatz. In der Ferne sahen sie das flatternde Weiß eines Krankenhausnachthemdes im Patientenpark verschwinden. Während der Wachmann wieder zur Verfolgung ansetzte, prüfte Tom noch, wie er sich fortbewegen konnte, ohne auszurutschen. In einiger Entfernung erkannte er die Ruinen der ursprünglichen Klinikgebäude, welche laut Monikas Erzählungen seit über 30 Jahren leer standen. Herr Jungk schien direkt in die Richtung dieser Gebäudeansammlung zu rennen. Verdammt, fror der Mann nicht? Immerhin schützte ihn nur ein Krankenhausnachthemd vor dem Wetter! Tom jedenfalls fühlte sich bereits steif vor Kälte, denn er trug nur einen kurzärmligen Kasack und dünne Gummischuhe.

Mit den besagten Schuhen rutschte er jetzt aus und schlug der Länge nach hin. Schnell rappelte er sich wieder auf. Dreckspritzer bedeckten die weiße Kleidung.

Jungk und Meisters waren verschwunden. Na toll. Eine Weile stand er unschlüssig herum. Vielleicht sollte er einfach zur Station zurückgehen? Immerhin war es nicht seine Aufgabe, hier einen verrückten Patienten quer durch die Pampa zu verfolgen. Dafür gab es den Sicherheitsdienst. Er wandte sich Richtung Haupteingang.

Allerdings konnte der Wachmann ihm kein Tavor spritzen, wenn er ihn zu fassen bekam. Wie wollte er denn den wildgewordenen und schwerkranken Mann ins Krankenhaus zurückbekommen, ohne ihn zu verletzen? So ein Mist aber auch! Tom zögerte. Der Regen begann, in seinen Haaren zu gefrieren.

Unschlüssig kehrte er um und näherte sich der Ansammlung leerstehender Gebäude. Es handelte sich um riesige, mehrflügelige, villenartige Gemäuer. 3 – 4 Stockwerke mit teilweise zerbrochenen Fensterscheiben blickten düster auf ihn hinab. Kohlrabenschwarze Finsternis herrschte darin.

Im Schein der Solarlampen des Patientenparks nahm er die Fassaden der Häuser und den liebevoll verzierten Putz wahr. Der Stuck hatte sicher einmal sehr schön ausgesehen, bevor alles anfing, zu zerbröckeln. So würde man heute nie im Leben ein Krankenhaus bauen! Kleine Erker und Türmchen krönten die Dächer der Anlage. Um die Außenmauern liefen breite Veranden mit wuchtigen, marmornen Säulen.

Das waren keine alten Klinikgebäude, das war ein verdammtes Spukschloss!

Jetzt sah er in den Fenstern des nächsten Gebäudes ein Licht aufblitzen. Das musste die Taschenlampe des Wachmannes sein. Der hatte doch Herr Jungk nicht etwa bis in die Ruine verfolgt? Naja, da drin war es wenigstens trocken.

Unter einem Vordach über einer breiten Treppe lag der Haupteingang des Hauses, gesäumt von zwei bulligen Säulen. Eine große, zweiflügelige Holztür, kunstvoll geschnitzt, stand sperrangelweit offen. An einem nachträglich angeschraubten Riegel hing ein massives Vorhängeschloss.

Tom stutzte. Wer hatte das Schloss aufgebrochen? Der Patient wohl kaum, der konnte clever, verrückt und stark sein, wie er wollte, ohne Werkzeug war dieses solide Vorhängeschloss unmöglich zu knacken. Lutz Meisters hatte es sicher auch nicht getan, denn der verfolgte ja Herr Jungk. Demzufolge musste die Tür schon offengestanden haben und der alte Mann war bei seiner Flucht einfach in das Gebäude geschlüpft.

Außer Atem erklomm er die Stufen und sah durch die Eingangstür. Undurchdringliche Dunkelheit. Er hatte keine Taschenlampe dabei, daher stand er unschlüssig in der aufgebrochenen Tür. Außer dem trommelnden Regen auf dem Vordach waren keine Geräusche zu hören. Vorsichtig wagte er sich zwei Schritte in das Dunkel der Ruine. Als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, erblickte er eine ausladende Freitreppe innerhalb einer geräumigen Eingangshalle. Fenster neben und über der Tür ließen ein bisschen Licht von den Solarlampen auf dem Krankenhausgelände herein, doch er erkannte kaum etwas. Misstrauisch kam er näher und sah sich um. Dass er aus einer dunklen Ecke hinter der Eingangtür beobachtet wurde, merkte er nicht. Der schlanke Mann mit den schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren verschmolz durch seine schwarze Kleidung völlig mit der Umgebung.

Als oben auf der Freitreppe plötzlich eine weiße Gestalt auftauchte, hätte Tom fast aufgeschrien. Dann wurde ihm klar, dass er kein Gespenst sah, sondern Rudolf Jungk in seinem Krankenhausnachthemd. Er lief über eine Galerie am oberen Ende des Aufgangs. Als Tom hinaufhastete, stolperte er im Dunkeln über eine zerbröckelte Marmorstufe und schlug der Länge nach hin. Die Kanten der Stufen drückten ihm die Luft aus den Lungen.

Nachdem er sich keuchend aufgerappelt hatte, war der Patient weg. Natürlich ... Aber er musste in den Durchgang mit dem Bogen gehuscht sein, rechts von der Treppe. Mit schmerzendem Brustkorb eilte Tom die letzten Stufen hinauf und spähte hindurch. Vor ihm lag ein langer Flur. Auf der rechten Seite fiel durch zerbrochene Fenster ein dünner Lichtschein hinein, links ließ eine Reihe offenstehender Türen den Blick in nachtschwarze Räume fallen. Herrn Jungk konnte er nirgends entdecken. Langsam schlich er zum ersten Zimmer, doch darin herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Es gab keine Lampen auf der Rückseite des Gebäudes, darum drang durch die Zimmerfenster auch kein Licht herein.

Ob der alte Mann da drin war?

Trotz der Kälte lief ihm der Schweiß in Strömen herab. Vielleicht auch das Regenwasser, das aus seinen Haaren tropfte. Oder beides ...

Ein würgendes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es kam aus dem nächsten Zimmer. Schnell rannte er hinüber und spähte vorsichtig durch den Türrahmen. Hinter ihm durchschnitt ein Taschenlampenstrahl die Finsternis. »Ah, Herr Pfleger! Haben Sie ihn?« Meisters war heraufgekommen und trat hinter Tom. Dieser deutete wortlos auf den schwarzen Türrahmen. Sie hörten ein erneutes Würgen und einen platschenden Laut. Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken.

Der Wachmann richtete den Strahl der Taschenlampe in den dunklen Raum und riss sogleich entsetzt die Augen auf. Tom erstarrte. Für einen Augenblick schien sein Herz auszusetzen.

Blut. Überall Blut. Das registrierte er als Erstes. Eine riesige Lache mitten im Zimmer. Im Schein der Lampe sah sie fast schwarz aus. Darin kniete Herr Jungk und sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. Das weiße Krankenhausnachthemd glänzte jetzt blutrot. Todesangst lag in seinem Blick. Er krümmte sich und erbrach einen weiteren Schwall Blut. Es schienen Liter zu sein.

Oh Gott, dachte Tom. Bitte nicht ... Bitte nicht ... die Ösophagusvarizen ...

Der Mann würgte weiter und erbrach immer mehr. Die Lache der dunkelroten Flüssigkeit wurde größer. Lutz Meisters stand schreckensstarr im Türrahmen. Tom löste sich aus seiner Bestürzung und stieß ihn an. »Nun rufen Sie schon Hilfe, Sie Idiot!«

Der Wachmann blinzelte kurz und zog dann das Walkie-Talkie. »Meisters an Zentrale! Wir haben den stationsflüchtigen Patienten ins erste Ruinengebäude verfolgt. Er äh ... kotzt Blut ...«

»Warum macht der denn sowas?«, knarzte die Antwort.

Verärgert riss Tom ihm das Funkgerät aus der Hand und rief hinein: »Er hat eine Ösophagusvarizenblutung! Wir brauchen ein Notfallteam für eine sofortige Blutungsstillung! Sofort!«

Er ließ den Sprechknopf los und lauschte. »Eine was ...?«, drang aus dem Lautsprecher.

»Eine Ösophagusvarizenblutung! Geben Sie es an die Notaufnahme und die Intensivstation weiter! Er ist in wenigen Minuten tot!«

Herr Jungk verdrehte die Augen. Tom drückte dem Wachmann das Funkgerät in die Hand und lief zu seinem Patienten. Eine der durch die Leberzirrhose gestauten Venen in der Speiseröhre war geplatzt. Zusätzlich verkomplizierte die Blutgerinnungsstörung auch noch die Sache, die bei dieser Erkrankung häufig auftrat. Das Blut sprudelte in dem Moment nur so aus dem rupturierten Blutgefäß. Der Mann hatte keine große Chance.

Um zu verhindern, dass er auf die Seite fiel, riss Tom den Oberkörper des Patienten nach oben. Ohne jegliche Hilfsmittel konnte er hier nicht viel tun. Eigentlich nichts, um genau zu sein.

Herr Jungk erbrach wieder einen Schwall Blut, direkt über Toms Kasack. Er spürte, wie die Flüssigkeit warm den Stoff durchtränkte.

»Himmel ...«, war Meisters von der Tür zu vernehmen. Dann verschwand er. Wahrscheinlich lief er zum Gebäudeeingang. Durch die Flurfenster sickerte ein flackerndes blaues Licht herein. Mehr sah Tom nicht, denn der Wachmann hatte die Taschenlampe mitgenommen.

Vom Eingangsbereich kam ein Klappern. Helle Lampen blendeten ihn, als einige Sanitäter und Ärzte mit einer fahrbaren Trage in den Raum stürmten. Mit einem Schlag erfassten sie die Lage. Tom half, den Patienten auf die Trage zu hieven.

»Sengstakensonde!«

Ein Sanitäter zog einen weißen Schlauch aus seinem Koffer. Zügig, aber sorgfältig, führte der Arzt ihn Herrn Jungk in die Nase ein.

»Intubieren!«

Nachdem die Sonde zur Blutungsstillung an Ort und Stelle war, wurde der Patient intubiert. Die ganze Situation wirkte extrem surreal, was nicht zuletzt an der Umgebung und dem Taschenlampenlicht lag. Tom spürte, wie ihm schwarz vor Augen wurde. Um nicht umzufallen, wollte er sich gegen die Wand lehnen, doch da war keine Wand.

Das Klinikum

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