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Kapitel 4

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Tom folgte Monika den Flur entlang. Sie hatte sich bereit erklärt, ihn nach Feierabend noch zu einigen relevanten Orten des Krankenhauses zu führen. Trotz des Versprechens konnte die Stationsschwester dafür keine Zeit erübrigen.

Eben passierten sie die Radiologie und die Notaufnahme. »Ich zeige dir erstmal die wichtigsten Abteilungen. Das meiste kriegst du im Laufe der Arbeit mit. Man kann sich hier gerade am Anfang leicht verlaufen. Dass das halbe Gebäude im Moment renoviert wird und die reinste Baustelle ist, hilft dabei auch nicht gerade.« Lächelnd wandte sie sich an Tom. »Aber du wirst dich schon zurechtfinden!«

»Ja, bestimmt. Die Uniklinik war ebenfalls ein riesiger Kasten!« Aufmerksam folgte er Monika eine schmale Treppe hinunter. Mehrere Stockwerke tiefer schienen sie im Keller angekommen. Ein langer, nur spärlich beleuchteter Korridor lag vor ihnen. Alle paar Meter bogen rechts und links weitere Flure oder Türen ab.

»Hier siehst du die unterirdischen Zugänge zu den anderen Gebäuden des Krankenhauses«, erklärte sie. »Bei so einem Wetter ist es praktisch, dass man nicht über das Gelände laufen muss.«

Er schauderte angesichts des finsteren Kellerflurs und nahm sich vor, nach Möglichkeit immer die überirdischen Wege zu nehmen. Doch jetzt folgte er Monika. Diese zeigte in einen abzweigenden Gang. »Da geht es zur Wäscherei.« Der nächste Abzweig. »Die Apotheke. Die Kühlhalle ...«

»Kühlhalle?«

Sie blinzelte. »Ja, aber nicht für die Küche.«

»Verstehe.« Tom fröstelte wieder, was nicht am kalten Keller lag.

»Der führt zur Pathologie.«

Er nickte. »Ist es denn erforderlich, hier runterzukommen? Wenn ich will, kann ich doch außen langgehen, oder?«

Monika grinste. »Grundsätzlich schon. Ich weiß, was du meinst. Ich bin auch ungern im Keller. Es gibt aber eine Dienstanweisung, dass wir mit Verstorbenen nie über den Hof fahren dürfen. Wir müssen also hier unten lang, wenn wir zur Kühlhalle wollen.«

»Soso ... dann ist man ja wenigstens zu zweit.«

»So ist es.« Sie wies in den nächsten Gang. »Bis vor 10 Monaten ging es dort zum chirurgischen OP. Wir fuhren sämtliche Patienten hier hinunter und schoben sie durch den Verbindungsflur. Der Aufwachraum lag dagegen im Hauptgebäude. Schön umständlich. Nun ist alles beisammen im Zentral-OP.«

»Und was ist im alten OP jetzt?«, wollte Tom wissen.

»Nichts. Er steht leer. Wahrscheinlich behält sich die Leitung die Einrichtung eines Spezial-OPs vor, keine Ahnung.« Sie gingen zum nächsten Korridor. »Dahinter liegt eine Infektionsstation.«

»Infektionsstation?«

»Ja, wenn eine Seuche ausbricht, eine Pandemie oder so. Dann kann die Station verwendet werden, um die Patienten zu behandeln. Der Flur ist der einzige Zugang zu diesem Gebäude, sogar mit Unterdruckschleuse. Normalerweise ist sie aber immer abgeschlossen. Nur der Wachdienst und die Klinikumsleitung besitzen die Schlüssel.« Mit gerunzelter Stirn musterte sie die Staubschicht auf dem Boden, in der man zahlreiche Spuren und Fußabdrücke sah. »Die könnten hier unten auch mal putzen.«

»Wie viele Nebengebäude gibt es denn?«

»In Benutzung werden vielleicht 10 sein, und bestimmt noch einmal so viele leerstehend. Das Problem ist, dass sich die Klinik im Laufe der Jahrzehnte beständig flächenmäßig vergrößerte, so, dass kein geschlossenes Gebäude entstand, sondern lauter Einzelne. Immer, wenn man mehr Platz benötigte, hat man ein Haus oder eine Baracke hinzugefügt. Wenigstens hatte man bei der Errichtung des Neubaus vor 15 Jahren die Idee für die unterirdischen Verbindungsflure. Davor mussten die Patienten bei jedem Wetter über den Hof gefahren werden. Jetzt sind fast alle Stationen und Funktionsabteilungen zentral untergebracht. Außerdem gibt es noch die Ruinen der originalen Krankenhausgebäude von 1902. Jemand hat mir erzählt, die besäßen ein eigenes Tunnelsystem, welches auch schon seit 1902 existiert. Aber im Gegensatz zu den stillgelegten Häusern hier am Hauptgebäude müssten die alten Kästen erst aufwändig saniert werden, bevor man sie nutzen könnte. Die stehen teilweise bereits 30 Jahre oder länger leer. Wahrscheinlich ist die Sanierung wegen der Denkmalschutzauflagen zu teuer. Da hat man lieber in den großen Neubau investiert und nutzt die Nebengebäude weiter.«

Gegenüber der Treppe wandte sich Monika zu einem Fahrstuhl um. »Na los, gehen wir! Genug besichtigt für heute, den Rest zeige ich dir während der Arbeit.« Sie grinste ihn fröhlich an.

Tom war froh, den düsteren Keller verlassen zu können.

Lukas war an einer unbeschrifteten Metalltür angekommen und davor stehengeblieben. Eine Apotheke sah anders aus.

Es handelte sich um eine elektrische Schiebetür mit einem weißen und einem roten Knopf am Türrahmen. Kurz entschlossen drückte er beide.

Die Tür glitt ratternd auf. Dahinter entdeckte er nichts als Dunkelheit. Nur ein Teil des fahlen Lichtschimmers vom Gang fiel in den dahinterliegenden Raum.

Vorsichtig trat er hindurch und tastete nach einem Lichtschalter. Obwohl er keinen gefunden hatte, flammte eine helle Deckenlampe auf. Nach dem schummrigen Licht des Korridors musste Lukas erstmal blinzeln. Anscheinend gab es hier einen Bewegungsmelder. Wie praktisch. Da hatte jemand mitgedacht.

Er befand sich in einem kleinen Vorraum mit schmutzig weißen Wänden. Gegenüber sah er eine Fahrstuhltür, direkt daneben führten schmale Treppenstufen steil aufwärts. Über dem Fahrstuhl verkündete ein Schild: Chirurgie: OP-Saal 3 – 6.

Im Gegensatz zu den Verbindungsgängen lagen die Nebengebäude oberirdisch. Das machte natürlich einen Aufzug und eine Treppe notwendig.

Dass es hier einen OP-Bereich gab, hatte er gar nicht gewusst. Eigentlich waren doch alle Säle im zentralen OP-Trakt des Hauptgebäudes untergebracht ... Naja, es hatte sicher seine Richtigkeit. Vielleicht fand er ja noch Personal, welches ihm den Weg zur Apotheke zeigte. Möglicherweise gab es sogar oben einen Ausgang, dann konnte er über das Krankenhausgelände zum Apothekengebäude gehen. Er würde zwar nass werden, müsste aber dafür nicht nochmals den gruseligen Keller durchqueren.

Hoffnungsvoll erklomm er die Stufen. Hinter ihm erlosch das Licht. Fast stand er im Dunkeln, doch vom oberen Ende der Treppe drang ein düsterer Lichtschimmer. Als er höher kam, stellte er fest, dass dieser durch ein Fenster hereinfiel, auf dessen anderer Seite er einen dunkelgrauen Himmel erspähte. Es regnete in Strömen. Ansonsten hatte man Ausblick über einen großen Parkplatz.

Vor ihm lag ein Flur. Rechts ließ eine Reihe von Fenstern tristes Herbstlicht herein, links gingen ein paar unbeschriftete Türen ab, zum Teil Milchglastüren, zum Teil elektrische Schiebetüren aus Metall. Geradezu endete der Gang in einer schmalen Metalltür. Ein Tastenfeld war in den Türrahmen eingelassen.

Der Zivi klopfte an die nächste Tür aus Milchglas. Als keine Antwort kam, drückte er dagegen und erwartete, sie verschlossen zu finden. Zu seiner Überraschung schwang sie auf. Neugierig spähte er in den dahinterliegenden Raum. Es schien sich um ein verlassenes Büro zu handeln. Möbel sah er keine, nur abgetretene schwarze Auslegware auf dem Boden. Regentropfen klatschten an ein schmutziges Fenster. Abdrücke auf dem Teppich kennzeichneten die Stellen, an denen früher einmal Möbelstücke gestanden hatten.

Die nächsten beiden Zimmer boten dasselbe Bild, die vierte Milchglastür war abgeschlossen. Blieben nur noch die Metallschiebetüren. Lukas drückte auf den Knopf neben der vorderen Tür und sie glitt auf. Dahinter herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Die einzigen Lichtquellen bestanden aus einer Handvoll blinkender Lichter, deren nähere Bedeutung der Zivi nicht sehen konnte. Es wirkte, als rührten sie von elektrischen Geräten im Standby.

Er beugte sich ins Dunkel und entdeckte im Dämmerlicht, welches vom Flur hereinfiel, eine Reihe von Lichtschaltern. Nachdem er den Ersten betätigt hatte, flackerte eine Armada aus Deckenleuchten auf.

Staunend glitt sein Blick durch den großen Raum. Ein Metallregal enthielt eine Menge medizinischer Gerätschaften, deren Zweck er nicht kannte. Von dort war auch das Leuchten gekommen. In der Mitte fielen ihm drei schmale schwarze Liegen auf. Aus der Notaufnahme wusste er, dass es sich hierbei um OP-Tische handelte. Das musste die Umbettung der OP-Säle sein. Geradezu entdeckte er eine metallene Tür mit breitem Glaseinsatz, hinter der sicherlich der eigentliche OP-Bereich lag.

Hier war keine Menschenseele, auch jenseits der Glastür brannte kein Licht. Die eingeschalteten Apparate im Regal sagten ihm zwar, dass dieser Bereich scheinbar noch genutzt wurde, aber wohl nicht heute.

Er drehte sich um und löschte das Licht. Als er die Umbettung gerade verlassen wollte, hörte er ein metallisches Scheppern aus der Dunkelheit. Sofort fuhr er herum. »Hallo? Ist da jemand?«

Als niemand antwortete, ertastete er blind den Lichtschalter, ohne die Finsternis aus den Augen zu lassen. Endlich fand er ihn und helle Lichtstrahlen durchfluteten den Raum.

Er war leer, bis auf das Regal und die OP-Tische. Lukas spürte sein Herz aufgeregt hämmern. Sorgfältig sah er sich um. Sein Blick blieb an der Schiebetür zum OP-Bereich hängen. Hinter der Glasscheibe sah man nichts als Dunkelheit.

»Hallo! Ich bin der Zivi aus der Notaufnahme und habe mich hier ein bisschen verlaufen!«

Als ihm niemand antwortete, verharrte er zögernd. Sollte er einfach gehen und die Apotheke selbst suchen? Andererseits hatte ja jemand gescheppert, und der konnte ihm bestimmt den Weg erklären. Vorsichtig schlich er auf die OP-Tür zu. Sein Herz raste vor Aufregung.

Jetzt stand er direkt davor. Die Umbettung war zwar hellerleuchtet, doch durch die Glasscheibe in der Tür schien kein Licht zu dringen. Sie wirkte wie eine schwarze Fläche.

Lukas fand nirgends einen Knopf zum Öffnen. Wahrscheinlich ging die Tür nur von innen auf. Er probierte kurz, ob sie sich von Hand aufschieben ließ, aber vergeblich.

Gerade als er gehen wollte, hörte er hinter der Tür in der Dunkelheit ein schleifendes Geräusch. Neugierig versuchte er, einen Blick zu erhaschen. Ein paar Lichtstrahlen mussten doch durch die Glasscheibe fallen ... Er drückte den Kopf an die Scheibe, die Nase nur einen halben Zentimeter vom Glas entfernt, das von seinem Atem beschlug.

Nichts, nur Schwärze ...

Plötzlich tauchte direkt vor ihm ein Gesicht auf. Ein grässlich verunstaltetes Gesicht. Es klatschte auf der anderen Seite gegen das Fenster, mit einer Wucht, welche die Nase verbog. Ein dumpfes Knallen dröhnte ihm in den Ohren.

Lukas schrie auf und torkelte rückwärts von der Tür weg. Das Gesicht! Oh Gott! Was war das für ein Monster?

Es schien der Kopf eines Mannes zu sein, aber so genau ließ sich das nicht sagen. Der Zivi erkannte einen kahlrasierten Schädel mit vor Blut starrender Gesichtshaut. Vom imaginären Haaransatz hingen lose Hautlappen herab. Zwischen der blutigen Schicht starrten ihn weit aufgerissene, blaue Augen voller Angst an.

Er taumelte rückwärts zum Flur. Die Gestalt öffnete den Mund und entblößte eine ganze Reihe Zahnlücken. Die Lippen bewegten sich. Der Mensch versuchte, zu sprechen.

Endlich stieß Lukas gegen die metallene Schiebetür, die sich inzwischen geschlossen hatte. Ohne den Blick abzuwenden, tastete er hinterrücks nach den Schaltern zum Öffnen.

Die Kreatur an der Scheibe bekam einen panischen Gesichtsausdruck.

Mist, wo waren die blöden Türöffner? Um Himmels willen, er musste hier weg!

Hinter dem Fenster patschte eine blutverschmierte Hand ans Glas und hinterließ einen blutigen Handabdruck. Dem Zivi wurde übel. Fieberhaft fingerte er blindlings nach den Knöpfen. Hinzusehen wagte er einfach nicht. Sein Blick haftete fest an der Glasscheibe mit der fürchterlichen Gestalt dahinter.

Die Hand klatschte noch zweimal an die Scheibe, dann verschwand sie. Plötzlich glitt die OP-Tür leise rumpelnd auf. Lukas blieb fast das Herz stehen. Im Türrahmen stand ein grauenhaftes Etwas. Zu dem grässlichen, blutverschmierten Gesicht gehörte ein Kopf ohne Kopfhaut. Darüber war eine grau-rote Masse zu sehen. Der gebeugte Körper wurde zum Großteil von einem blutgetränkten Krankenhausnachthemd bedeckt. Die nackten Füße versanken in einer Blutlache.

Da hatte Lukas endlich den Knopf gefunden und die Metalltür glitt leise zur Seite. Er machte ein paar Schritte rückwärts und fand sich im Gang vor der Umbettung wieder. Weit entfernt hörte er Regen gegen die Fenster trommeln.

Die grässliche Gestalt setzte unsicher einen Fuß nach vorn, ging in die Knie und schien in Zeitlupe umzufallen. Den Aufprall kriegte Lukas nicht mehr mit, da die Tür vor ihm bereits wieder zugeglitten war.

Die nächsten zwei Sekunden stand er still auf der Stelle. Dann übergab er sich schwallartig.

Das Klinikum

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