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Kapitel 10

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Als Tom die Augen aufschlug, wurde er geblendet. Man ... was für ein helles Licht!

Er lag auf einer fahrbaren Trage in einem kleinen Raum. Ein paar Schränke in der einen Ecke, eine Arbeitsfläche aus Edelstahl und ein winziger Schreibtisch mit Computer bildeten die Einrichtung. Neben ihm stand ein Infusionsständer. Der Infusionsschlauch führte zu einer rosa Flexüle in seiner Armbeuge. Blinzelnd starrte er auf die hängende Glasflasche. Es war nur eine Elektrolytlösung. Scheinbar befand er sich in der Notaufnahme.

Schlagartig fiel ihm alles wieder ein. Der durchgedrehte Patient, die Ruine und die Blutung ... Eine Uhr über der Tür verriet ihm die Uhrzeit, 23 Uhr. Also war er einige Stunden bewusstlos gewesen. Echt blöd gelaufen ... Jetzt stand er wie ein Depp da. Was fiel ihm eigentlich ein, sich so an der Verfolgungsjagd zu beteiligen? Nun hatte er den Salat! Und Monika auf der Station hatte er alleine gelassen! Hoffentlich gab das keinen Ärger. Seine Probezeit lief doch noch! Abermals verfluchte er seine Dummheit.

Die Tür öffnete sich und jemand kam herein. Tom musste ein paarmal blinzeln. Eine Frau mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen ... Dann erkannte er sie. Nur, dass sie jetzt Jeans und Pullover trug, keine weiße Hose und Kasack.

»Monika! Was machst du hier?«

Sie lächelte ihn schüchtern an. »Meinst du etwa, ich kann seelenruhig nach Hause fahren, während der neue Held des Krankenhauses in der Notaufnahme liegt?«

»Held des Krankenhauses? Wovon redest du, in aller Welt?«

»Na von dir! Du hast Herrn Jungk das Leben gerettet!«

»Der lebt noch? Im Ernst?«

»Naja, wie ich hörte, geht es ihm nicht gut. Der Blutverlust war zu groß. Er liegt auf der Intensivstation.«

»Naja, selbst wenn er diese Sache überlebt, hat er kaum was davon.« Zweifelnd sah Tom sie an.

»Jaaaa ...« Monika setzte sich auf einen Drehhocker, der neben der Trage stand. »Aber der Gedanke zählt doch. Ich habe gehört, wie eifrig du ihn verfolgt hast ...«

»Hm ... toll ... Hast du den Spätdienst allein beendet?«, fragte er missmutig. Er konnte sich kaum vorstellen, dass viele von seinem Verhalten beeindruckt sein sollten. Seine Kollegin hatte er allein auf Station gelassen, um einen durchgedrehten Patienten zu verfolgen und dessen Leben auf zweifelhafte Weise um eine Handvoll Tage zu verlängern.

»Ja ... es ging. Nachdem Herr Jungk weg war, blieb es ruhig. Und Iris kam ein bisschen früher und hat mir noch geholfen.«

Tom bezweifelte nach wie vor, dass ihm die Tat angerechnet werden würde. In seinen Augen hatte er sich echt dämlich verhalten! Wie in einer blöden Fernsehserie! »Und nach dem Dienst bist du gleich hergeeilt, um nach mir zu sehen?«

»Ja, ist das nicht nett von mir?« Monika grinste. »Wie geht es dir eigentlich? Du siehst ziemlich schlimm aus!«

»Was?« Er sah an sich hinunter. Jetzt trug er selbst ein Krankenhausnachthemd. Der blutverkrustete Kasack lag in der Zimmerecke im Mülleimer.

O weh ... hatte er etwa außer dem Nachthemd nichts an? Na zum Glück war er noch zugedeckt ...

Monika schien seine Gedanken zu erraten. »Keine Angst ... nachdem, was ich gehört habe, haben der Notaufnahme-Zivi und ein Pfleger dich von den Sachen befreit.« Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

»Sehr witzig ... Du musst meine Sachen holen! Mein Spindschlüssel ...« Er sah sich um, doch Monika hatte bereits den Inhalt von Toms Kasacktasche entdeckt, der auf der Edelstahlarbeitsfläche lag. Es handelte sich dabei um seinen Schlüssel, eine Schere und ein paar Stifte in verschiedenen Farben. Sie fischte den Spindschlüssel heraus und steckte ihn ein. »Keine Angst, ich bringe dir die Sachen aus der Umkleide. Und dann fahr ich dich nach Hause.« Weiterhin grinsend verließ sie den Raum.

So ein Mist ... wie peinlich ... Der Tag konnte echt nicht schlimmer enden.

Prüfend betastete Tom seinen Kopf. Auf der Stirn klebte ein dickes Pflaster. Das war die Stelle, wo er von der Zimmertür getroffen wurde. Was die wohl noch mit ihm gemacht hatten? Scheinbar Flüssigkeitszufuhr ...

Die Tür schwang wieder auf und ein ihm unbekannter Arzt trat ein. Ein kleiner Mann mit Hornbrille und einem Rest grauer Haare. Freundlich lächelte er ihm zu. »Na, wie fühlen Sie sich?«

»Ganz gut, glaub ich.«

»Sehr schön. Ich bin Dr. Steinmetz. Ihre Kollegin hat zugesagt, Sie nach Hause zu fahren, also werden wir Sie entlassen, sobald die Infusion fertig ist.« Er nickte andeutungsweise in Richtung des Infusionsständers.

»Was ... was wurde denn mit mir gemacht?«

Der Arzt runzelte die Stirn und setzte sich auf den Drehhocker. »Naja, zunächst haben wir die Platzwunde versorgt. Gesäubert und genäht. Wir haben ein CT gemacht, um Kopfverletzungen auszuschließen, aber es ist alles in Ordnung. Dann noch Blut abgenommen, um festzustellen, ob Sie sich bei dem Patienten Jungk mit irgendetwas infiziert haben.«

»Infiziert ...?«, krächzte Tom erschrocken.

Dr. Steinmetz blinzelte. »Sie waren quasi mit seinem Blut bedeckt. Wir machen die üblichen Blutuntersuchungen auf HIV, Hepatitis und so weiter. Beim Patienten natürlich auch. Diese müssen sie in den nächsten Monaten regelmäßig wiederholen, aber das wissen Sie ja sicherlich ... Sie kriegen die Termine vom Betriebsarzt zugeschickt.«

Tom nickte und schluckte. Er hatte auf einmal so einen trockenen Hals.

»Sie wurden gewaschen ...«, fuhr der Arzt fort. »Keine Angst, das haben unser Notaufnahmepfleger und der Zivi übernommen.« Verstohlen blinzelte er Tom zu. »Bei Hauspersonal sind wir doch besonders um Wahrung der Intimsphäre bemüht.«

Tom konnte nur noch nicken.

»Nachdem andere Verletzungen ausgeschlossen waren, haben wir nur Ihre Vitalparameter überwacht und Ihnen etwas Flüssigkeit zugeführt, aber Sie sind zum Glück auch bald wachgeworden. Es war wohl nur ein Kreislaufschock. Ich befürchtete schon ein Schädel-Hirn-Trauma.« Der Arzt erhob sich und legte ein paar Zettel neben Toms Habseligkeiten auf die Edelstahlfläche. »Ich habe Ihre Papiere vorbereitet. Sie können dann gehen. Alles Gute.« Er nickte ihm freundlich zu und ging zur Tür. Dort schien er kurz zu zögern und drehte sich noch einmal um. »Ach ja ... Wie Sie sich um den Patienten gekümmert haben ... Also ... wirklich bewundernswert! So engagiertes Personal braucht dieses Haus!« Damit verschwand er und schloss die Tür. Verwundert schüttelte Tom den Kopf.

Gleich darauf war Monika wieder da und legte ihm die Sachen auf den Schoß. Dann setzte sie sich auf den Hocker. »Deine Infusion ist alle.«

»Hm ...« Er warf einen Blick auf die Flasche. Seine Kollegin hatte bereits einen Tupfer und ein Pflaster in der Hand und entfernte die Flexüle aus Toms Arm. Schelmisch grinsend nahm sie wieder Platz.

»Monika ... ich würde mich dann gern mal umziehen.«

Demonstrativ die Augen verdrehend verließ sie das Zimmer. Tom hörte sie noch kichern, bevor sie die Tür schloss. Er schlug die Decke zur Seite und setzte sich mühselig auf. Zwar war ihm noch ganz schön blümerant zumute, doch soweit kam es noch, dass seine Kollegin ihm beim Ankleiden helfen musste. Schnell tauschte er das Krankenhausnachthemd gegen seine normalen Sachen und zog die Jacke drüber. Nachdem er alles erledigt hatte, trat er raus auf den Flur, wo Monika neben der Tür wartete.

»Na? Fertig?«

»Ja, lass uns verschwinden.«

Monikas Auto, ein schwarzer Ford Fiesta, stand auf dem Mitarbeiterparkplatz. Die beiden stiegen ein.

»Von dem Erlebnis wirst du doch bestimmt noch träumen, was?«, meinte Monika, als sie den Wagen vom Parkplatz fuhr.

»Hm ... schon möglich. Aber das wäre nicht mein einziger Alptraum.«

»Was meinst du?«

Tom überlegte, wie er es erklären sollte. »Ach, ich habe alle paar Nächte den gleichen Traum. Ziemlich blöd eigentlich, er wird jedoch von Mal zu Mal gruseliger.«

Monika, die ihn die ganze Zeit über angegrinst hatte, runzelte kaum merklich die Stirn. »Seit wann hast du die denn?«

»Ach, schon eine Weile. Seitdem ich hier im Klinikum arbeite. Oder noch etwas länger. Anfang November fing ich an ... Ich würde sagen, im Oktober hatte ich den ersten Traum. Kurz nach meinem Vorstellungsgespräch und der Einstellungsuntersuchung muss das gewesen sein.«

»Und was träumst du da?«

»Immer ungefähr das Gleiche. Ich bin in einer trostlosen Umgebung mit toten Bäumen und werde von verhüllten Gestalten mit Fackeln verfolgt. Mit jedem Mal wird die Situation weiter ausgebaut. Und gegen Ende streift der Anführer der Personen die Kapuze ab, aber bevor ich das Gesicht sehen kann, wache ich auf.«

Monika wirkte fasziniert und beunruhigt zugleich. »Jedes Mal wachst du auf, wenn die Gestalt ihre Kapuze abstreift?«

»Ja ... Und wie gesagt, die Träume werden immer gruseliger. Ich weiß nicht, was das soll oder wie ich sie loswerde.«

»Das klingt so, als würde es sich um die Identität der verhüllten Person drehen.«

»Möglich. Ist das relevant?«

»Vielleicht ein Ansatz zur Alptraumbekämpfung.« Monika lächelte ihn wieder an.

»Wie meinst du das?«

»Hast du schon mal etwas von Klarträumen gehört?«

Tom schüttelte den Kopf. »Nein ... was ist das?«

»Man nennt Klarträume auch luzide Träume. Es handelt sich um einen Traum, in dem man sich bewusst ist, dass man träumt. Mit diesem Bewusstsein kann man die Handlung beliebig verändern, willentliche Entscheidungen treffen, Gegenstände erschaffen, die Umgebung modifizieren und solche Sachen.«

»Ah ja ... klingt interessant. Und was bringt mir das?«

»Na überlege doch mal: Wenn du die Technik erlernst und deinen Alptraum in einen Klartraum umwandelst, bist du in der Lage, in die Traumhandlung einzugreifen!«

»Will ich das denn in dieser Situation?«, fragte Tom begriffsstutzig.

»Natürlich! Du kannst den Traum so verändern, dass es kein Alptraum mehr ist. Zum Beispiel könntest du den Gestalten die Kapuzen vom Kopf reißen und sie identifizieren! Da du weißt, dass alles nicht real ist, kann dir ja dabei nichts passieren! Das nimmt dem Traum bestimmt den Schrecken! Und wer weiß, wenn du erkennst, wer unter der Kapuze steckt, kehrt der Alptraum womöglich nie wieder!« Monikas schwarze Augen schauten ihn begeistert an. Sie glänzten im Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Autos. Tom hätte sie noch eine ganze Weile so beobachten können. »Das klingt zweifellos attraktiv. Kannst du sowas?«

»Ja, ich hatte diese Technik mal aus Interesse gelernt und auch einige Klarträume damit. Aber ich habe das seit Monaten nicht mehr gemacht.«

»Und was muss ich tun?« Die Sache begann ihn, zu interessieren.

»Nun, zuerst musst du dir ein kritisches Bewusstsein aneignen, dich in jeder Situation fragen, ob das jetzt ein Traum sein könnte. Versuche zu rekonstruieren, an was für einem Ort du dich befindest, wie du dahin gekommen bist, was du davor getan hast und so weiter. Suche nach möglichen Anhaltspunkten, dass du träumst. Anschließend führst du einen Realitätstest durch.«

»Einen Realitätstest?«

»Ja. Ein Realitätstest verrät dir verlässlich, ob du schläfst oder wach bist. Wenn du ihn mehrmals am Tag mit einem kritischen Bewusstsein durchführst und dabei intensiv erwartest, dass er zu einem Traumergebnis führt, wirst du ihn irgendwann auch im Traum ausführen. Dann erkennst du mit etwas Glück, dass du schläfst. Das ist der erste Schritt, die Handlung nach Belieben zu verändern.«

Tom schwirrte der Kopf. »Also ... ich versteh nur Traum. Wie sieht denn so ein Test aus?«

»Ach, da hat jeder eine andere Methode. Sehr beliebt ist es, die Finger einer Hand zu zählen.«

»Was? Wozu das?«

»Weil es dir in Träumen meist nicht möglich ist, so komplexe Aufgaben wie zählen oder rechnen korrekt durchzuführen. Und wenn doch, wird dein Gehirn dabei so durcheinander sein, dass du zu wenig oder zu viele Finger hast. Ich habe diesen Test immer verwendet. Oft hatte ich 6 oder 7 Finger.«

»Klingt ziemlich weit hergeholt.«

»Aber es funktioniert! Es gibt noch zahlreiche andere Methoden. Wichtig ist stets, dass du Traumergebnisse erwartest! Du musst auch im Wachzustand fest damit rechnen, zu viele Finger zu sehen! Wenn du jedes Mal automatisch davon ausgehst, dass du sowieso nur 5 hast, wirst du im Traum ebenfalls 5 haben und der Test wird misslingen.«

»Aha. Also muss ich lediglich sichergehen, dass ich im Schlaf bemerke, dass ich nur träume?«

»Genau!«

Nachdenklich lehnte sich Tom zurück. »Nehmen wir an, ich habe eine Karte mit der Aufschrift ›Ich bin wach‹. Und ich schaue immer zur Kontrolle drauf, und wenn dort steht ›Ich träume‹, dann weiß ich Bescheid.«

»Das könnte funktionieren. Aber du musst mit der entsprechenden Erwartungshaltung herangehen und auch in der Realität fest damit rechnen, dass auf der Karte steht, dass du träumst. Denn sonst steht da im Traum ebenfalls, du seist wach.«

»Ja, das klingt logisch.«

»Am besten kombinierst du diesen Test mit der Hand-Methode.«

»Weißt du was, ich glaube fast, ich probiere das aus! Schaden kann es nicht, und wenn ich dadurch die Alpträume loswerde ... Ähm ... da vorne wohne ich!«

Monika fuhr an den Straßenrand und hielt an. »Na, dann wünsche ich dir eine ruhige und alptraumfreie Nacht!« Sie zwinkerte ihm zu.

»Ja ... Danke ... Dir auch ...«, stammelte Tom, während er aus dem Auto kletterte. Er schloss die Tür und sie fuhr wieder an, wobei sie ihm zuwinkte. Mit gemischten Gefühlen drehte er sich um und betrat den dunklen Hauseingang.

Das Klinikum

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