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Fünfte Woche

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Es war kaum zu glauben, wie frisch und saftig das Gemüse am Nachmittag aussah, ganz anders als zu meiner gewohnten Einkaufszeit spät am Abend. An den Blattspitzen des Mizuna-Salats schienen fast noch Tautropfen zu hängen, so sehr strotzten sie vor feuchter Frische. Auch die Kunden wirkten nicht wie sonst. Gelassen suchten sie Lebensmittel für ihr Abendessen aus, das sie später zubereiten und in aller Ruhe verspeisen würden.

War das wirklich derselbe Supermarkt? Es gab kein angetrocknetes Sashimi, kein Hühnerfleisch, das in roter Flüssigkeit schwamm, weil es zu lange in seiner Packung gelegen hatte, keine feindseligen Blicke anderer Kunden, die stumm um reduzierte Fertiggerichte kämpften. Nein, hier wurde das perfekte Shoppingerlebnis inszeniert. Die helle Beleuchtung ließ den Fußboden weiß erstrahlen, und die Hintergrundmusik – eine unaufdringliche Melodie, in der wiederholt der Name des Supermarkts vorkam – vermischte sich harmonisch mit den Geräuschen der Einkaufenden. Ich stellte mich in einer kurzen Schlange hinter einem gebeugten Mann an, der mir kaum bis zu den Schultern reichte. In dem Einkaufskorb, der an seinem schlaffen Arm hing, sah ich ganz oben eine Vorteilspackung Schweinefleisch aus Kagoshima, das für einen Shabu Shabu-Eintopf gedacht war.

Als ich mit meiner gut gefüllten Einkaufstasche zu Hause ankam und die metallene Eingangstür aufschloss, war es draußen noch hell. Durch den abrupten Übergang zum Halbdunkel meiner Wohnung wurde mir schwindelig. Ich streifte die Pumps ab und ließ mich auf den Fußboden sinken. Für eine Weile lag ich einfach nur da und überlegte, was für ein Luxus es doch war, inmitten der nicht enden wollenden Spätsommerhitze die vertraute Kühle der Dielen genießen zu können. Wie gut es sich anfühlte, den Kopf zu heben und zu sehen, dass noch Nachmittagssonne in die Wohnung fiel.

Schwangerschaft. Purer Luxus, pure Einsamkeit.

Meine Schwangerschaft hatte plötzlich vor vier Tagen begonnen.

»Die Kaffeetassen stehen ja immer noch da«, hatte der Abteilungsleiter angemerkt, als er zur Schreibtischinsel in unserem Großraumbüro zurückgekehrt war. Der penetrante Zigarettengeruch, der ihn umgab, vermischte sich mit der sowieso schon stickigen Nachmittagsluft.

»Von wann sind die noch mal?«, fragte er, diesmal etwas lauter. »Ach ja, vom ersten Kundenbesuch heute Nachmittag.«

Statt die Stimme zu erheben und mehrmals auf die Uhr zu sehen, hätte er Tassen und Kanne auch selbst zur Spüle bringen können, aber auf die Idee kam er nicht.

Niemand sah auf. Niemand fühlte sich angesprochen. Ich tat es meinen Kollegen gleich und fixierte einen Punkt auf meinem Computerbildschirm. Die weiße Fläche teilte sich unter meinem starren Blick zu einem Muster auf. Ich bin beschäftigt, sagte ich mir. Ja, ich hatte wirklich genug zu tun. Der Liefertermin stand kurz bevor und ich musste noch den Halbjahresbericht fertigstellen. Ich hatte genauso wenig Zeit wie alle anderen in diesem Büro.

Ein Schatten legte sich über meine Exceltabelle.

»Die Kaffeetassen.«

Jemand schien etwas mit den Kaffeetassen besprechen zu wollen. Wie seltsam. Ich presste meine Lippen fest aufeinander, um den trockenen Atem der Person hinter mir nicht selbst einatmen zu müssen, und hämmerte mehrmals auf die Leertaste.

»Frau Shibata.«

Es war der Abteilungsleiter. Ich konnte den Zigarettengestank beinahe als Rauchwolke vor mir sehen.

»Frau Shibata, die Tassen stehen immer noch im Besprechungsraum. Die müssten mal weggeräumt werden.«

»Ja … Okay.«

Ich stand langsam auf, ließ mir absichtlich Zeit. Der Abteilungsleiter war bereits zurück an seinem Platz am anderen Ende der Schreibtischinsel und brachte sein orthopädisches Sitzkissen in Position, seine neueste Errungenschaft aus dem Internet, wie er uns hatte wissen lassen.

Keiner meiner Kollegen hob den Blick. Wieso sollten sie auch, Aufräumen ging sie ja nichts an. Es war ihnen bestimmt noch nie in den Sinn gekommen, dass es solche Arbeiten überhaupt gab. Also machte ich mich auf den Weg zum Besprechungsraum im selben Stockwerk und richtete nebenbei noch einen Papierkorb auf, der umgekippt auf dem Gang lag.

Der sogenannte Besprechungsraum war eine mit Wandschirmen abgetrennte Zimmerecke, in der ein paar Tische und Stühle standen. An den Wandschirmen hafteten Tesafilmreste. Ich wusste nicht, was sie dort zu suchen hatten, aber sie waren überall, und einige klebten noch, wenn man sie berührte. Im unteren Stockwerk gab es einen richtigen Sitzungsraum, doch der war dem Management vorbehalten, für uns also tabu.

Die ganze Sache hatte nur ein kleines Experiment sein sollen, das den Namen »Widerstand« gar nicht verdiente. Ich hatte mich gefragt, ob einer der Besprechungsteilnehmer die Tassen selbst in die Küche bringen würde. Vielleicht hätte ja einer von ihnen gedacht: »Endlich ist die Besprechung vorbei. Oh, da stehen noch die leeren Kaffeetassen! Den Kaffee hat uns freundlicherweise Frau Shibata gekocht und hergebracht, die Tassen wegzuräumen, ist das Mindeste, was wir tun können.«

Ich war neugierig, was passieren würde, wenn einmal keine Frau Shibata, die selbst gar nicht an der Sitzung teilgenommen hatte, den richtigen Moment abpassen würde, um das dreckige Geschirr abzuräumen und abzuwaschen.

Eigentlich hatte ich vor, es dabei zu belassen und alles wie immer selbst zu erledigen, wenn sich kein anderer darum bemühte. Und das hätte ich wohl auch getan, wenn in den Kaffeeresten keine Zigarettenstummel geschwommen hätten und der Gestank der abgestandenen Kippen um halb fünf nicht schon so unerträglich gewesen wäre.

»Verzeihung«, sagte ich, als der Abteilungsleiter mit einer Tasse und einem Teebeutel in der Hand an mir vorbeilief. Er wollte sich bestimmt einen Tee aus japanischem Engelwurz machen, von dem er in letzter Zeit immer schwärmte.

»Könnten Sie das Aufräumen heute für mich übernehmen?«

»Wie bitte?«

»Ich kann nicht.«

»Wie, Sie können nicht?«

»Ich bin schwanger. Vom Kaffeegeruch wird mir schlecht und von Zigarettenqualm auch. Schwangerschaftsübelkeit. Überhaupt ist das hier doch eigentlich ein Nichtraucher-Büro.«

Und so wurde ich schwanger.

Als mich die Personalabteilung nach dem voraussichtlichen Geburtstermin fragte, nannte ich ein willkürliches Datum Mitte Mai des nächsten Jahres. Nachträglich rechnete ich aus, dass ich mich in der fünften Schwangerschaftswoche befinden musste. Ein bisschen früh, um es dem Arbeitgeber mitzuteilen, aber was sollte man machen, jetzt hatte ich die Bombe platzen lassen.

In der Personalabteilung wurde mir gesagt, ich solle mich nicht überanstrengen und mit meinen Kollegen besprechen, wie viel ich während der Schwangerschaft arbeiten könnte. Ich ging zum Abteilungsleiter, der sich wiederum an den Sektionschef wandte, aber auch dieser wusste nicht, was zu tun war. Kein Wunder, denn in der Produktionskontrolle, meinem Arbeitsbereich, waren nur Männer beschäftigt. Bevor ich in dieser Firma, die Papierrollen herstellte, angefangen hatte, waren in der Abteilung offenbar noch zwei weibliche Halbtagskräfte angestellt gewesen, doch die eine hatte aufgehört, um ihre Eltern zu pflegen, und die andere hatte geheiratet und war Hausfrau geworden.

Ohne mir große Hoffnungen zu machen, fragte ich, ob ich vorerst pünktlich Schluss machen dürfe, zumindest bis ich die kritische Phase überwunden hätte. Ja natürlich, lautete überraschend die Antwort. Es war gut möglich, dass man sich hinter meinem Rücken über mich beschwerte, aber das war mir egal. Ich gab einen Teil meiner Arbeit ab und machte von nun an zwei, drei Stunden früher Schluss. Vermutlich lief das alles nur so reibungslos, weil meine Vorgesetzten keinerlei Erinnerungen an die Schwangerschaften ihrer eigenen Frauen hatten. Sowieso schien sie die Verkürzung meiner Arbeitszeit kaum zu interessieren, denn sie hatten ein viel dringenderes Problem: Kaffee.

Wer würde ab jetzt bei Kundenbesuchen den Kaffee kochen und servieren? Wer würde das Geschirr abräumen? Wen in der Firma musste man ansprechen, wenn die Milch ausgegangen war? Ich solle doch bitte mal in Word einen Leitfaden dazu erstellen. Die Männer diskutierten das Thema ohne mein Beisein aus und übertrugen die Aufgabe einem jungen Kollegen, der vorletztes Jahr frisch von der Universität zum Team gestoßen war.

»Das ist ja gar nicht so schwer!«, sagte er erstaunt, als ich ihm in der Teeküche vormachte, wie das mit dem Kaffeekochen ging. Er hatte mich um eine Einweisung gebeten.

»Stimmt«, antwortete ich. »Das hat Instantkaffee so an sich.«

Frau Shibatas geniale Idee

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