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Dreizehnte Woche

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Ich spürte, dass etwas aus meiner Scheide floss, und wusste sofort, dass es wieder so weit war. Schon beim Aufwachen hatte ich kalte Hände und Füße gehabt, was bei mir ein sicheres Vorzeichen der Periode war. Innerlich lobte ich mich für die Entscheidung, nicht die weiße Chino-Hose, sondern den schwarzen Rock angezogen zu haben.

Ich stellte mit einem kurzen Blick durch das Büro sicher, dass mich niemand beobachtete, und steckte den kleinen Beutel in meine Rocktasche. Diese Zeit des Monats durfte es für mich nicht mehr geben.

Mit schnellen Schritten lief ich den menschenleeren Flur entlang und hielt vor der Frauentoilette inne. Durch die geschlossene Tür waren Stimmen zu hören. Sicher schminkten sich wie jeden Morgen einige meiner Kolleginnen, die zu Hause nicht dazu gekommen waren. Montags und freitags war der Andrang auf die Spiegel besonders groß, was mir normalerweise egal war, aber diese Zeiten waren vorbei. In unserem Gebäude gab es keine Otohime – diese fabelhaften Geräte, die die Geräusche beim Toilettengang übertönten. Jede Frau wusste, wie es sich anhörte, wenn man die Einzelverpackung einer Binde aufriss, und ich wollte keinen Anlass für Gerüchte über eine Fehlgeburt oder unnormale Blutungen geben. Ich ärgerte mich, nicht im Internet nachgesehen zu haben, ob Schwangere auch manchmal Ausfluss hatten.

Während ich unentschlossen vor der Tür stand, spürte ich wieder etwas Warmes und Glitschiges aus meinem Inneren heraustropfen. Wie die Eingeweide eines Vogels, dachte ich, und stellte mir einen Vogel auf dem Seziertisch vor. Dann dachte ich an die Geflügelinnereien, die ich letzte Woche gegessen hatte, und lief zum Fahrstuhl.

Für einen Menschen, der viel Blut verlor, war ich sehr gefasst. Ich fuhr ins Erdgeschoss und nutzte die Toilette einer Reiseagentur, die dort ihr Büro hatte. Sie war auch Besuchern und Kunden zugänglich, also würde sich niemand beschweren.

Als ich meine Kabine wieder verließ, hörte ich durch die Tür, wie jemandem eine Reise nach Hawaii verkauft wurde. Ich wusch mir ausgiebig die Hände. Dass es warmes Wasser gab, war einer der wenigen Vorzüge der Toiletten unseres Gebäudes. Auch die beheizten Toilettensitze, die bis auf die heißen Sommermonate das ganze Jahr über eingeschaltet waren, entschädigten mich ein wenig für das Fehlen der Otohime.

Bevor ich die Toilette wieder verließ, schluckte ich, wie immer am ersten Tag meiner Menstruation, ein Schmerzmittel. Schwangere durften viele Medikamente nicht einnehmen, also wollte ich es unbedingt vermeiden, dass Herr Higashinakano mich sah und womöglich einen großen Aufstand machte.

»Rom, Florenz, Venedig – drei Städte in acht Tagen ab hundertneunzigtausend Yen! Fragen Sie einen unserer Mitarbeiter nach den Einzelheiten oder nehmen Sie sich eine unserer Broschüren!«

Ich fühlte mich schwer und müde und so gar nicht von dem Werbetext angesprochen, der durch die Agentur hallte. Während ich mir den Mitarbeiterinnenausweis wieder um den Hals hängte und an meinen Platz zurückkehrte, kam es mir vor, als risse mir jemand die Organe aus dem Unterleib. Meine Hände und Füße schmerzten förmlich vor Kälte.

»Geht es Ihnen gut, Frau Shibata? Sie sind ja ganz blass. Ich hätte Bufferin und Loxoprofen da. Oder dürfen Sie das gar nicht einnehmen?«

Herr Higashinakano kramte in einer seiner Schubladen. Am Ärmel seines Hemdes prangte ein großer brauner Fleck, der wie ein fetter Maulwurf aussah. Ich ballte meine Hand über der Rocktasche, in der sich noch immer der Stoffbeutel befand, zu einer Faust.

»Danke, aber es geht mir gut.«

Auch zu Hause tat mein Bauch noch weh. Ich stellte die Temperatur auf dem digitalen Bedienfeld meiner Badewanne einige Grad höher und ließ das Wasser einlaufen. Währenddessen trug ich die Ausgaben und Einnahmen des letzten Monats in mein Haushaltsbuch ein. Eine Zeit lang hatte ich eine App dafür benutzt, aber mir war das Übertragen der Kreditkartenabrechnungen darin zu kompliziert gewesen, weshalb ich jetzt eine Exceltabelle mit einem Arbeitsblatt für jeden Monat verwendete.

Letzten Monat hatte ich weniger gespart, als ich es mir vorgenommen hatte. Dabei war ich weder länger verreist, noch hatte ich Kleidung gekauft oder viel für mein Mittagessen ausgegeben – ich nahm mir ja jetzt etwas von zu Hause mit. Ich sah mir alle Einträge der Reihe nach an und erkannte schnell, dass meine Ausgaben in der Kategorie »Gesundheit« viel höher als im Vormonat ausgefallen waren.

Ach natürlich, ich erinnerte mich. Es war ein Brief von der Zusatzkrankenversicherung gekommen, in dem man mir mitgeteilt hatte, dass mein Jahresbeitrag vom Konto eingezogen worden war. Ich hatte die Versicherung noch schnell vor meinem dreißigsten Geburtstag abgeschlossen, weil meine Mutter mir ins Gewissen geredet hatte. Der Beitrag steige mit jedem Jahr, hatte sie gemeint. Bis jetzt war ich zum Glück noch nie ernsthaft krank gewesen, im Gegenteil, ich konnte stolz behaupten, kerngesund zu sein, auch wenn mir das von niemandem Lob einbrachte.

Die Ausgaben für »Hobbys und Unterhaltung« waren ebenfalls gestiegen, womit ich schon gerechnet hatte. Ich war auf einem Festival gewesen, zu dem Momoi mich eigentlich hätte begleiten sollen. Am Vortag hatte ihr Jüngstes aber Fieber bekommen, sodass ich am Ende allein hingegangen war. Das Doppelzelt, das wir gemietet hatten, konnte nicht mehr storniert werden, und obwohl Momoi versprochen hatte, die Hälfte der Kosten zu tragen, hatte ich es bei dem lauten Kindergeschrei auf ihrer Seite des Telefons nicht über das Herz gebracht, sie damit zu behelligen.

Für diesen Monat drückte ich ein Auge zu. An den Versicherungskosten konnte ich nichts ändern und auf Festivals ging ich nur selten. Ganz ausblenden konnte ich aber nicht, dass mich am Ende des Jahres die Erneuerung meines Mietvertrags erwartete. Ich hatte zwar genug Erspartes, um die Gebühren dafür zu bezahlen, sollte mir aber langsam Gedanken machen, wie ich ab jetzt mit meinem Geld umging. Seit Beginn der Schwangerschaft waren alle vergüteten Überstunden weggefallen und wenn ich erst im Mutterschutz wäre, hätte ich noch weniger zur Verfügung.

Mein Blick fiel auf die Unterlagen im Bücherregal, die mir meine Mutter vor einigen Monaten in einem Paket mit Reis, Äpfeln und einem Avocadoschneider aus dem 100-Yen-Shop, auf den sie momentan schwor, zugeschickt hatte. Es waren Informationen zu Eigentumswohnungen in Tokyo und deren Finanzierung. Zuerst dachte ich, meine Eltern hätten willkürlich Seiten aus dem Internet ausgedruckt, und fast hätte ich den Stapel Papier in den Abfalleimer wandern lassen, als mir ein großer Klebezettel daran auffiel. In seiner langgezogenen Schrift, die mich immer an schmale Fische erinnerte, rechnete mir mein Vater vor, wie viel ich monatlich für einen Kredit zahlen müsste, wenn ich mir eine kleine Einzimmerwohnung kaufen wollte. Ganz unten stand: »Wir könnten dich ein wenig unterstützen. Überleg es dir.« Ich wandte den Blick wieder ab. Ein großes Fahrzeug fuhr an meiner Wohnung vorbei und die Fensterscheiben vibrierten.

Nachdem ich den Laptop zugeklappt hatte, fing ich an, mich zu dehnen. Dafür setzte ich mich wie immer auf meinen Kelim, denn ich musste mich mit den Knien und Ellenbogen auf dem Boden abstützen. Den ziegelsteinroten Kelim hatte ich vor sechs Jahren während einer Reise in die Türkei gekauft, als ich bei meiner vorherigen Firma gekündigt und noch meinen restlichen Urlaub genommen hatte. Kurz zuvor war ich in diese Wohnung gezogen. Ich hatte also sechs Jahre lang fast täglich hier gegessen und mich hier geschminkt. Zahllose Tage und Nächte waren namenlos an mir vorbeigezogen und mitsamt dem Essensdampf und den Fläschchen meiner Lieblingswimperntusche lautlos irgendwohin verschwunden.

Nach den Übungen legte ich mich auf den Boden. Mit einem Mal kamen mir die Konturen der Gegenstände dunkler vor. Das kleine Sofa, das ich noch aus meinem Zimmer bei den Eltern hatte, der niedrige Esstisch und die Vase mit den Kosmeen auf dem Fensterbrett warfen ungewohnt finstere Schatten. Die Dinge schienen mich mit einer Mischung aus Vertrautheit und abschätziger Kritik zu fixieren. Mit den Fingern strich ich über die Muster des Teppichs, dann setzte ich mich hin und klappte erneut den Laptop auf.

Als ich den Antrag zur Eröffnung des Wertpapierkontos fertig ausgefüllt hatte, wurde ich nach dem Verwendungszweck meiner Anlage gefragt. Aus einer Liste von Möglichkeiten wählte ich »Ausbildungskosten der Kinder« aus. Das Bad war fertig eingelaufen und wie immer ertönte als Signal laut die elektronische Melodie »Home on the Range«, ein Cowboysong.

Frau Shibatas geniale Idee

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