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Samstagnachmittags nach Ladenschluss unternahm Rose stets einen langen Spaziergang, wenn das Wetter es zuließ. Während sie durch die Landschaft mit ihrem atemberaubenden Lichtspiel streifte, fiel all der Stress der vergangenen Woche von ihr ab, und sie stimmte sich auf zwei freie Tage ein, zumindest zwei Tage ohne Laden. In der Brennerei war reichlich zu tun. Es hatte sich als sinnvoll herausgestellt, den Shop erst am Dienstag zu öffnen, weil die Leute nach dem langen Wochenende ganz heiß darauf waren, ihre Whiskys zu kaufen. Am Montag dagegen hatte das Geschäft oft wie ausgestorben gewirkt. Deshalb hatte sie sich vor einem Jahr dazu durchgerungen, ihn montags geschlossen zu halten. Ohnehin dauerte es samstags bestimmt ein oder zwei Stunden nach Schließung, bis alle Arbeiten erledigt waren, bevor der Laden für die Öffnung am Dienstag bereit war. Die Mitarbeiterinnen schickte sie pünktlich um eins nach Hause, sodass sie die Räumlichkeiten eine Weile für sich hatte. Diese Momente genoss sie sehr.

Dazu kam, dass sie gegen Ende der Woche ein wenig umgeräumt hatten, damit Sarahs Bild einen ihm gebührenden Platz bekam. Sie würden es in der nächsten Woche aufhängen. Bisher war keine Zeit dazu gewesen, weil der Laden ständig voller Menschen gewesen war. Sarahs Gemälde wäre an der nun leeren Wand ein echter Hingucker.

Jedenfalls läutete Rose mit einem ausgedehnten Spaziergang das Wochenende ein. Heute war sie unterwegs auf den Berg, der am vergangenen Wochenende Mittelpunkt des Wettkampfs Climbing the Hill gewesen war. Zu diesem Wettbewerb, bei dem man zur Bergspitze hinaufrannte und anschließend wieder hinunter, kamen die Verrückten aus aller Welt, um das Preisgeld von eintausend Pfund zu ergattern. Rose mochte es eher gemütlich beim Wandern. Langsam erklomm sie Schritt für Schritt den Glen Ogle, dessen extrem steiler Anstieg selbst im Schritttempo eine enorme Herausforderung darstellte. Bei der Vorstellung, diesen Berg mit großer Geschwindigkeit hochzujagen, lief es ihr kalt über den Rücken.

Wenn frau allerdings den Anstieg geschafft hatte, bot sich ihr eine wunderbare Aussicht auf den kleinen Ort Lochearnhead und den dazugehörigen Loch Earn. Anschließend führte auf gleicher Höhe der Weg über eine ehemalige Bahntrasse mit einem herrlichen Blick über das ganze Tal, dessen Wiesen im Frühling und Sommer üppig grün schimmerten. In den Sommermonaten war das Roses Lieblingsspaziergang, weil der Weg von Bäumen umsäumt wurde und über eine lange Zeit für eine angenehme Kühle sorgte. Kurz nach der Brücke, die einem Aquädukt ähnelte, konnte man entweder der Trasse folgen oder nach unten gehen und durch eine malerische, aber unwegsame Aue zurückkehren. Rose wählte den Abstieg. Als sie aus dem Schutz der Bäume trat, schien die Sonne gnadenlos auf sie herab. Sie zog ihr Hemd aus und knotete es um ihre Taille.

Trotz der Wärme war es ein herrlicher Sommernachmittag. Es ging ein leichter Wind. Spaziergängern war Rose bisher nicht begegnet. Sie liebte es besonders, wenn sie die Landschaft ganz für sich allein hatte. Hier konnte sie alle Probleme, die die Woche mit sich gebracht hatte, von sich abschütteln.

Als wäre es bereits eine Gewohnheit, machte Rose in der Ferne eine Gestalt aus, die vor einer Leinwand saß. Das musste Sarah sein, obwohl Rose sie nicht erkennen konnte, weil ihre Gestalt von der Staffelei verdeckt wurde. Rose fand es merkwürdig, dass sie sich dieselben Orte zur Entspannung suchten. Sie ging langsam in Richtung der Gestalt, die sich tatsächlich als Sarah herausstellte.

Als diese hörte, dass sich ihr jemand näherte, hob sie den Kopf. Sie lächelte, als sie Rose erkannte.

„Hallo“, sagte Rose. „Du könntest denken, ich verfolge dich, aber das ist mein üblicher Samstagnachmittagsspaziergang.“ Sie trat näher an sie heran, um das Motiv in Augenschein zu nehmen, an dem Sarah gerade arbeitete.

„Wow“, entfuhr es ihr. „Der Glen sieht ganz großartig aus.“ Sie betrachtete die Details des gemalten Berges. „Er gefällt mir noch besser als das Triptychon.“ Rose beobachtete, wie Sarah langsam errötete und den Kopf senkte.

„Wie du die Licht- und Schattenspiele des Glen Ogle eingefangen hast, ist atemberaubend schön.“ Versonnen sah sie auf das Gemälde.

„Danke“, sagte Sarah. „Obwohl ich ja einige Jahre nicht gemalt habe, kehrt so langsam die Sicherheit zurück, den Pinsel zu benutzen und die Farben richtig zu mischen.“

Rose schaute Sarah eine Weile zu, wie sie mit dem Pinsel Farbakzente setzte und dem Bild auf diese Art und Weise den letzten Schliff verlieh. Sarah handhabte ihr Werkzeug mit traumwandlerischer Sicherheit, als hätte sie nie etwas anderes getan. Deshalb war sie in Deutschland eine große Malerin gewesen, bevor sie ein Ereignis völlig aus der Bahn geworfen haben musste. Rose hatte sich inzwischen auf einen Felsen gesetzt. Die Pause tat ihr gut. Ihre Wanderschuhe hatte sie abgestreift und ließ ihre Füße in dem kleinen Bach baumeln. Auf diese Weise konnte sie Sarah bei der Arbeit zusehen und sich gleichzeitig erfrischen.

Es war erstaunlich. Obwohl Rose gedacht hatte, das Bild wäre längst fertig, fügte Sarah ihm immer neue Details hinzu, die ihm eine ganz eigene Atmosphäre verliehen. Schließlich schien das Werk in ihren Augen vollendet zu sein.

Sarah wusch die Pinsel in einem verschließbaren Glas aus und legte sie ins Gras, damit die Sonne sie trocknen konnte. Sie sprang über das Rinnsal, setzte sich neben Rose, zog ebenfalls Schuhe und Strümpfe aus und ließ ihre Füße ins Wasser gleiten. „Das tut gut“, seufzte sie wohlig. „Die ganze Zeit in der knalligen Sonne zu stehen, war recht anstrengend.“

„Du solltest dir beim nächsten Mal einen Sonnenhut aufsetzen“, schlug Rose vor.

Sarah nickte, während sie ihre Füße im kühlen Nass hin- und herbaumelte. Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander und genossen die Ruhe, die im Tal herrschte.

„Ich habe vorhin einen Erdbeerkuchen gebacken“, verkündete Rose. „Magst du mich in mein Cottage begleiten und ihn zusammen mit einer Tasse Tee probieren?“

Wie aufs Stichwort knurrte Sarahs Magen.

„Das ist wohl ein Ja.“ Rose lächelte Sarah an.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie miteinander auf der Terrasse von Roses Haus. Am frühen Abend würde Rose mit ihrem Transporter Sarah mitsamt der Staffelei und dem Bild nach Hause bringen.

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