Читать книгу Liebe im Fokus - Emma zur Nieden - Страница 12
ОглавлениеSchnellkurs Fotografie
Den ganzen Nachmittag über erklärte Zoe ihrer Fotoassistentin Malin, wie man mit der Kamera arbeitete und welche Möglichkeiten sie bot. Malin schoss zahllose Fotos, die Zoe anschließend mit ihr analysierte. Zoe beobachtete, dass Malin ihr aufmerksam folgte und ihre Tipps zur Optimierung ausgesprochen akribisch notierte. Ihr gefiel das kleine schwarzweiße Notizbuch, in das Malin mit einem Füllfederhalter schrieb. Sie schien es selbst gestaltet zu haben, denn eine Collage aus Zeitungsartikeln zierte Vorder- und Rückseite des Einbandes.
„Gefällt es dir?“, fragte Malin, der offensichtlich Zoes Starren nicht entgangen war.
„Sehr.“ Zoe nickte. „Es sieht selbst gemacht aus.“
„Ist es tatsächlich, …“ Malin hörte auf zu schreiben und platzierte ihren Zeigefinger zwischen die Seiten des Büchleins, „… aber nicht von mir. Ich habe es von einem mir sehr lieben Menschen geschenkt bekommen.“ Malins Blick schweifte in die Ferne, als tauchte dieser liebe Mensch vor ihrem geistigen Auge auf. Ein Ruck durchfuhr sie, und sie schien zurück in die Gegenwart zu finden.
„Ich könnte mir eine Collage als Einband für das Journal ganz gut vorstellen. Wenn du willst, helfe ich dir dabei. Was hältst du davon?“
„Bisher hatte ich eher daran gedacht, eines der Schiffe für die Einbandgestaltung zu nehmen. Ich muss darüber nachdenken.“ Zoe verpackte die Spiegelreflex in die dafür vorgesehene Tasche. „Für heute ist jedenfalls Schluss mit der Analyse. Ich bin ganz zufrieden mit dir.“ Zoe lächelte. „Du machst gute Fortschritte.“
Zoe beobachtete, dass Malins Fotos von Aufnahme zu Aufnahme an Tiefe gewannen. Nach und nach befreite sich Malin von der Freizeitfotografin, die sie bisher gewesen zu sein schien. Zumindest gewann Zoe diesen Eindruck. Malin selbst erklärte, dass ihre letzten privaten Aufnahmen nichts mit denen einer professionellen Fotografin gemein hatten. Sie wäre bisher vollkommen anders ans Fotografieren herangegangen.
Zoe freute sich darüber, dass Malin als gelehrige Schülerin ein Motiv intuitiv richtig in Szene setzte. Zoes Panik jedenfalls, die sie seit ihrem Krankenhausbesuch verfolgte, löste sich nach und nach in Luft auf. Ihre Skepsis, keine perfekte Arbeit abzuliefern, flaute mehr und mehr ab. Die Situation mit ihrem gebrochenen Arm stellte sich längst nicht so dramatisch dar wie noch beim Eingipsen ihres linken Arms. Ob Malin allerdings im freien Gelände ebenso gute Fotos gelingen würden, wagte Zoe nicht zu prognostizieren. Ihr Magen knurrte laut und deutlich. Malin und sie hatten sich bei der Arbeit keine Pause gegönnt. Zoe schlug vor, zum Essen zu gehen. Sie beide brauchten mal ein wenig Abwechslung. Im Restaurant würden sie sich dem Smalltalk hingeben.
Vollkommen erschöpft schlichen sich die beiden in den Speisesaal. Zoes konzentrierte Analyse der Aufnahmen, die Malin gemacht hatte, sowie ihre auf deren Fehler abgestimmte Tipps, wie ein Motiv perfekt festgehalten werden konnte, hatten Zoe dermaßen ermüdet, dass sie am liebsten sofort ins Bett gegangen wäre. Ein ums andere Mal unterdrückte sie ein Gähnen.
Zoe füllte den Teller am Buffet bis zum Rand und konnte ihn kaum zum Tisch tragen, so entkräftet fühlte sie sich. Malin beantwortete ihren Kolleg*innen geduldig ihre neugierigen Fragen, warum sie auf der anderen Seite des Büffets auftauchte und nicht in ihrer wohlverdienten Auszeit weilte. Der Kapitän winkte von seinem Platz aus freundlich zu ihrem Tisch hinüber. Er wusste natürlich von Malins Erlaubnis, sich als Gast im Restaurant aufhalten zu dürfen.
„Die Jungs und Mädels sind echte Informationsschleudern.“ Malin beugte sich zu Zoe hinüber. Sie flüsterte, damit nicht jeder verstehen konnte, was sie sagte. „Um nicht zu sagen Tratschweiber und -kerle. Bald wird die ganze Mannschaft wissen, warum ich nicht in meinem Urlaub bin, sondern hier mit dir am Tisch sitze.“
„Ist dir das unangenehm? Soll ich uns das Essen beim nächsten Mal lieber auf die Kabine bringen?“ Zoe runzelte besorgt die Stirn.
„Wieso sollte es? Deshalb habe ich dich ja darum gebeten, bei den Chefs das Okay für mich einzuholen, mich quasi als Passagierin auf dem Schiff bewegen zu drüfen. Ich kann ruhigen Gewissens hier mit dir sitzen. Niemand kann etwas dagegen sagen, weil ich von ganz oben die Berechtigung habe, mich am Büffet zu bedienen. Ich tue also nichts Verbotenes, was wir geheim halten müssten.“
Malin schnitt ihr Steak in zwei Teile und bewunderte andächtig – wie Zoe schien – die Perfektion der Garstufe.
„Ich bin nur froh, dass sich diese Neuigkeit dank meiner lieben Kollegen in Windeseile herumsprechen wird und ich es nicht jeder einzelnen Person in der Crew persönlich mitteilen und erklären muss.“ Sie strich ein wenig Barbecuesoße auf den Steakhappen und verputzte ihn.
„Ich wusste gar nicht, dass die Passagiere dasselbe bekommen wie wir.“ Malins Miene wirkte überrascht.
„Warum sollte es auch nicht so sein?“, fragte Zoe. „Es bleibt sicher eine Menge vom Büffet übrig.“
„Ich bin einfach davon ausgegangen, dass die Gäste exklusivere Lebensmittel serviert bekommen als die Crew.“
„Und du meinst, das Personal muss nicht so exklusiv essen?“ Zoe schob sich ein Stück vom perfekt gegrillten Lachsfilet in den Mund. Eine Explosion der Geschmäcker breitete sich in ihrem Mund aus. Für einen Moment schloss sie ihre Augen und gab sich dem Zauber hin.
Malin nickte. „Ich finde das durchaus, habe aber nicht gedacht, dass die Crew in den Augen der Reederei denselben Stellenwert hat wie die Passagiere. Ich bin positiv überrascht.“
Genießerisch leerten sie ihre Teller. Zoe holte sich ein kleines Dessert-Ensemble von Büffet. Malin blieb sitzen.
„Magst du nicht von diesem wunderbaren Dessertarrangement probieren?“ Zoe schob sich genüsslich einen Löffel mit der köstlichsten Mousse au Chocolat in den Mund, die sie je zu sich nehmen durfte.
„Lieber nicht.“ Malin hielt sich den Bauch. „Wenn ich so weiteresse wie heute, nehme ich fünf Kilo zu.“
Zoe sah Malin kopfschüttelnd an. „Selbst, wenn du so viel zunehmen würdest – was ich nicht glaube, weil du für das Fotografieren all deine Energie brauchst – hättest du immer noch eine tolle Figur.“ Zoe errötete und sah auf ihren Teller. So etwas Unangemessenes hatte sie gar nicht laut sagen wollen. Es war ihr einfach entschlüpft.
„Du kannst mir noch so wunderbare Komplimente machen, aber das Dessert werde ich nicht anrühren.“ Malin trank einen Schluck Wasser und sah aus dem Fenster. Bullaugen gab es auf diesem Schiff kaum, allenfalls auf den unteren Decks.
„Du verpasst echt was.“ Zoe sah auf und verkniff sich beim Anblick von Malins Profil mit zwei süßen Grübchen auf der Wange ein „Wie niedlich!“ und widmete ihre volle Aufmerksamkeit dieser erneuten Gaumenexplosion, denn nicht nur die außergewöhnlich leckere Mousse war das Beste der Nachtische, die Zoe bisher auf dem Schiff gegessen hatte. Die anderen Desserts standen ihm in nichts nach. Das war Küche auf höchstem Niveau.