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Am nächsten Nachmittage trafen sich Lore und Agnes, wie sie es in der Schule verabredet hatten, vor der Drogerie, gerade als die Nikolaiturmuhr die vierte Stunde schlug. Eilig, wie zwei, die etwas im Schilde führen, gingen sie durch allerlei Nebenstraßen bis in die Nähe von Lehrer Klaus’ Wohnung. Kein Wort hatten sie bis jetzt miteinander gesprochen, denn das Vorhaben war ja bereits bis in die kleinste Einzelheit sorgfältig überlegt worden. Aber nun, als sie den Molkenmarkt betraten, blieb Agnes stehen. „Erst schwöre, daß du es auch wirklich nicht verraten willst“, sagte sie. „Ich schwöre!“ sagte Lore ebenso feierlich und zog dabei, wie es die Zeremonie der Klasse verlangte, mit dem Absatz der Goldkäferschuhe, die sie heute angezogen hatte und die gar nicht mehr drückten, drei Kreuze auf den Steinen. Aber das genügte Agnes nicht. „Nee – schwöre lieber, daß du ’ne Spinne werden und ewig Fliegen essen willst, wenn du es doch verrätst!“ Lore beschwor auch dies, war also bereit, ein Tier zu werden, das Agnes jederzeit zertreten konnte. Um es gleich zu sagen: es handelte sich um einen furchtbaren Racheakt gegen den Lehrer Klaus, der heute morgen Agnes einen Tadelstrich ins Klassenbuch gegeben hatte, weil sie ihr Lesebuch vergessen hatte. Man denke: ihr, der Agnes Bertram – die doch jederzeit in die Schule für höhere Töchter gehen konnte. Gleich nachdem Agnes am Mittag nach Hause gekommen war, hatte sie aus der Zeitung so viele gedruckte Buchstaben ausgeschnitten, daß sie damit folgenden Vers zusammensetzen konnte:

„Lehrer Klaus –

Hast ’ne böse Frau zu Haus!

Ja, sie ist ’ne böse Sieben – – –

Darum gehst du Kegel schieben.“

Eine halbe Flasche Gummiarabikum hatte es gekostet, ehe es geglückt war, die einzelnen kleinen Buchstaben dieses Gedichts, das zusammen mit Lore während der Religionsstunde verfaßt worden war, richtig zusammenzustellen. Es wäre ja einfacher gewesen, das Gedicht aufzuschreiben, aber die Handschrift ... Sie hätte natürlich leicht zum Verräter werden können.

Der teuflische Plan, das Gedicht aus Druckbuchstaben zusammenzusetzen, stammte von Lore. Agnes zeigte ihr nun – hier am Molkenmarkt – das kunstvolle Machwerk, an dem sie so lange gearbeitet hatte. Lore überzeugte sich, daß das Gedicht wirklich Wort für Wort stimmte, und nun war sie an der Reihe, ihre Aufgabe zu erfüllen: den Zettel mit dem Gedicht in den Briefkasten des Lehrers zu stecken, an der Tür zu klingeln und davonzulaufen. Geschworen hatte sie nun einmal, es gab also kein Zurück mehr. Also nahm sie das Papier in Empfang, während Agnes wartete. Lore schlich an den Häusern entlang in den dunklen Hausflur, stieg doch ein wenig beklommen die Treppen hinauf, bis sie im dritten Stock das Schild mit der Aufschrift „Klaus“ entdeckte und steckte das Gedicht in den Briefkasten. Dann riß sie an der Klingel und raste wieder hinunter. Agnes war zunächst noch mißtrauisch, ob die Lore den Auftrag auch wirklich ausgeführt hatte und wollte nochmals einen Schwur ... Aber da – und das war schließlich überzeugender als alle Schwüre zusammen – fing Lore plötzlich zu weinen an. „Ich hab’ Jewissensbisse“, heulte sie. „Wenn es nu ’rauskommt“ ... Agnes nannte sie eine alte Pute, doch es half nichts – Lore hatte furchtbare Angst. Agnes nannte sie „affig“ – „dumme Jans“, aber Lore begann nur noch heftiger zu schluchzen, bis sie schließlich der Bock stieß. Und nun merkte Agnes mit Schrecken, daß sie sich in Lore nicht die richtige Helfershelferin gewählt hatte. Morgen, wenn Lehrer Klaus fragte, wer das Gedicht in seinen Briefkasten gesteckt habe, dann würde die dumme Lorenzen sicherlich rot und blaß werden, und wenn er dann weiter forschte, würde Lore sicherlich den Finger hochheben und alles verraten. Agnes Bertram hatte sich die Sache so hübsch gedacht: Sie wollte mit ihrer Freundin, nachdem alles geglückt war, zu Konditor Gumpert gehen und dort entweder Nußtorte mit Sahne oder vielleicht auch zwei Tassen Schokolade spendieren. Und dann wollten sie sich ausmalen, wie Lehrer Klaus unterdessen sicherlich wie ein Wilder in seiner Wohnung hin und her rannte, weil er nicht herausbekam, wer ihm diesen Streich gespielt hatte. Als Lore hörte, daß es zum Konditor gehen sollte, wurde sie ruhiger. Und als sie dann beide in der Hinterstube auf dem schwarzen Ledersofa saßen und die heiße Schokolade kosteten, da wurde sie sogar ganz vergnügt und machte es übermütig nach, wie Lehrer Klaus wahrscheinlich vor Wut an seinem Bart kaute. Als aber der süße Schmaus vorbei war, wurde Lore wieder melancholisch und sah plötzlich alles in sehr trübem Licht. Schon das grüne Papier, auf das die Buchstaben geklebt waren, konnte ja so leicht zum Verräter werden, denn solch grünes Papier gab’s doch nur in der Drogerie. Um auch diese Bedenken zu beschwichtigen, bestellte Agnes noch zwei Nußtorten mit Sahne, und die Freundin wurde wiedervergnügt und gab zu, daß freilich auch der Kaufmann manchmal solches Papier nähme, z. B. wenn er Seife einpackte. Als sie den letzten Bissen der Nußtorte verschluckt hatte, begann sie jedoch plötzlich wieder heftig zu weinen. „Es is jemein von dir, daß du mir tottreten willst! Is doch schon Strafe jenug, wenn ich eine Spinne werden und Fliegen oder anderes ekliges Zeug fressen muß.“ „Ja – wenn du aber den Schwur nicht hältst“, sagte Agnes kalt. „Den Schwur will ich schon halten! Hast du mal Bonbons mit Himbeerfüllung gegessen – wie schmecken die eigentlich?“ Agnes zählte unter dem Tisch verstohlen ihr Geld und ließ die Absicht durchblicken, ein viertel Pfund Bonbons mit Himbeerfüllung zu kaufen. Wenn Lore dann aber immer noch nicht ihren Schwur halten wolle, dann sollte sie eine Küchenschabe werden, und Agnes werde sie in kochendes Wasser werfen ... Lore war nun sehr beleidigt: „Pfui – so ein ekliges Tier!“ Sie wollte durchaus nichts mehr von Bonbons mit Himbeerfüllung wissen. Im Gegenteil, sie wollte nach Hause. Denn ihr sei so schrecklich angst und bange.

Am anderen Tage, als Lehrer Klaus wirklich fragte, wer das schändliche Gedicht in seinen Briefkasten gesteckt habe, behaupteten auch sie beide mit eiserner Stirn, von nichts zu wissen. Nein, nicht das geringste wußten sie von solch einer Gemeinheit ... So kam Lehrer Klaus auf seine ursprüngliche Vermutung zurück, daß ihm nur ein Junge diesen Schimpf angetan haben könnte. Nun – er würde es ja doch noch herausbekommen.

Doch die Geschichte hatte noch ein unerwartetes Nachspiel: Agnes kam bald darauf in die „Schule für höhere Töchter“. Sie hatte ihrer Mutter erzählt, welch schändlichen Verdacht Lehrer Klaus gegen sie gehabt habe, daß er sie schon lange „auf dem Strich“ habe und sie neulich sogar wegen nichts und wieder nichts tadelte. Das war endlich der rechte Anlaß für Frau Bertram, ihrem Gatten klarzumachen, daß er sein einziges Kind doch wohl nicht mit „Waschweiberjören“ auf einer Bank sitzen lassen dürfe. So „stramm liberal“ auch der Herr Drogist im allgemeinen war – seiner Frau gegenüber drang er nicht immer mit seinen Ansichten durch. Auch diesmal trug sie den Sieg mit ihrer konservativen Anschauung davon, daß eine Drogistentochter unbedingt in eine „Schule für höhere Töchter“ gehöre.

Spreelore

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