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Als endlich das Frühjahr wiederkam, die Dachrinnen Tag und Nacht das Lied von Winters Abschied sangen und aus manchem Hofe das lebensfrohe Krähen eines Hahnes von früh bis in den lichten Abend erklang – als also nun wieder ein neuer Daseinsabschnitt begonnen hatte, hielt es auch Lore an der Zeit, einen tüchtigen Schritt „vorwärts“ zu tun. Eine war da, die ihr diesen Schritt zutraute, weil sie fest an sie glaubte und immer behauptet hatte, daß Lore Lorenzen zu Höherem geboren sei: Marie Niclas, die Tochter der Kartoffelfrau. Sie wußte, daß ihre Freundin eines Tages von aller Welt anerkannt und bewundert werden würde. Diese Anerkennung von „aller Welt“ glaubte Lore nur finden zu können, wenn sie als Lehrmädchen im Putzladen von Fräulein Lohr für die Doktorsfrau oder für Frau Semper oder für sonst eine vornehme Dame aus seidenen Bändern wunderbare Schleifen an Hüten und vielleicht auch an Kleidern anbrachte – „in Phantasie arbeitete“, wie sie es nannte. Aber Lore hütete sich, zunächst von diesen Hoffnungen zu sprechen. Denn sie wußte, daß die Mutter ganz andere Ansichten von der Zukunft der Tochter hatte.

Nein, die nunmehrige Frau Kranold hatte es nicht vergessen, daß sie selbst einmal als junges Ding in den Dienst gegangen war. Und weil sie immer so „treu und fleißig und ehrlich“ – wie es in ihrem Zeugnis hieß – durch all die Jahre gewesen war, hatte ihr Frau Semper jetzt das Anerbieten gemacht, auch ihre Lore einzustellen, um das Silberzeug zu putzen und das Servieren zu lernen. „Und das is ein janz jroßes Jlück – alles andere is man bloß Firlefanz!“ sagte die Mutter immer wieder. Sie wußte ja, was dahintersteckte, wenn das Mädel sich sträubte. Hochmut, weiter nichts. Der Stiefvater hatte ganz recht! Denn daß Lore einmal bei Fräulein Lili eingeladen worden war, das konnte doch kein Grund sein, um dem Fräulein nicht die Schuhe putzen zu wollen. Aber als nun jetzt der Frühling gekommen war und Lore mit Marie Niclas am Spreeufer spazierenging, waren alle guten Lehren der Mutter vergessen. Die schönen Hoffnungen in Lores Herzen erwachten wieder, umgaukelten sie, und es ging einfach nicht anders, als daß man sich mal so richtig mit der Freundin aussprach.

Was sollte nun aus ihr werden?

Ach, es war so trostlos, in die niedrige, dumpfe Stube an der Friedrichsgracht treten und von der Mutter hören zu müssen, daß wieder ein Tag nutzlos verstrichen sei. Nachgerade wurde es freilich auch höchste Zeit, daß man Frau Semper auf ihr freundliches Anerbieten Bescheid brachte. Wenn die Mutter nicht schon die Sache ganz einfach in die Hand genommen hatte, so lag es daran, daß das neue Kleid für Lore noch immer nicht fertig war, um sich darin bei der Herrschaft vorstellen zu können. Als Lore heute fortgegangen war, hatte nur noch der Rock gesäumt werden müssen – morgen also fiel die Entscheidung. Wenn nicht, wie schon so oft in ihrem Leben, ein Wunder geschah. Ein Wunder ...? Hatte sie es denn nicht selbst in der Hand ...? „Denk dir bloß, Marie“, begann sie und hakte sich fester bei der Freundin ein, „nu soll ich bei Sempers. Da hab’ ich das Silberzeug und das feine Porzellan unter mir – jeden Tag kommen Gäste, is jroße Jesellschaft!“ Marie, rot und gesund wie ein Apfel, starrte aus ihren Pudelaugen Lore erschrocken an. „Aber det is doch –“ sagte sie und erzählte nun, daß auch ihre Mutter davon gesprochen habe, sie bei Sempers als Dienstmädchen anzubringen. – Lore durchzuckte es: hier lag die Entscheidung! Hier mußte sie ansetzen, wenn sie ihrem Schicksal einen Stoß geben wollte.

Es kam jetzt alles darauf an, wie man Marie behandelte. Es war ein gutes Mädel, wenn man sie lieb behandelte, aber sie konnte ein rabenschwarzes Herz bekommen, wenn man ruppig zu ihr war. Und jetzt – ja jetzt mußte sie mal ihr schwarzes Herz bekommen. „Marie“, sagte Lore plötzlich, „pflück mir doch mal solche Blumen da –“, sie wies auf den sumpfigen Uferrand. „Wenn du mir liebst, pflückst du mir ein recht großes Bund“, wiederholte sie herrisch, als Marie sie zunächst erstaunt ansah, dann aber auf ihre neuen Schuhe wies, vom Naßwerden sprach und andeutete, sie graule sich auch vor den Fröschen. Lore sah sie nur an – – –. Da raffte sich Marie den Rock hoch, kletterte vorsichtig hinunter und begann hastig am Rande ein paar Blumen abzureißen. „Mehr – und schönere!“ rief Lore fast ungeduldig. Plumps! da war Marie mit dem linken, und plumps – da war sie auch mit dem rechten Fuß ins blanke Wasser gerutscht, daß es hoch aufspritzte. „Liebst du mir – oder nicht?“ erboste sich Lore, als Marie zurückwollte. Die sah sie flehend an, doch Lores Gesicht war wie versteinert, fast nicht wiederzuerkennen. Da wagte Marie das Äußerste; sie watete nun richtig ins Wasser und kam pitschpatsch mit einem großen Strauß Dotterblumen zurück. Lore nahm ihn ab, sah ihn einen Augenblick prüfend an – und warf ihn dann in weitem Bogen in die Spree zurück ... „Er taugt nischt“, sagte sie kalt. Es ist schon gesagt worden: Die Marie Niclas war die Treue selbst, wenn man sie lieb behandelte, aber sie konnte ein steinhartes Herz bekommen, wenn man sie schlecht behandelte.

Einen Augenblick sah sie Lore wie erstarrt an, und diese fühlte, wie Marie jetzt also ihr schwarzes Herz bekam. Einen Augenblick noch, und Marie schwenkte plötzlich um und rannte im Galopp heimwärts. Verblüfft sah Lore ihr nach – na also, nun würde sich ja ihr Schicksal entscheiden.

Sie stand da und überlegte: heimzugehen hatte sie wenig Lust. Denn wenn die Mutter, wie immer um diese Stunde, in den Kartoffelkeller zu Frau Niclas kam, würde ihr diese ja ein langes und breites erzählen, was sie für eine Tochter habe. So ging sie also noch ein Stück weiter am Wasser entlang und versuchte jetzt selbst, mit äußerster Vorsicht ein paar Dotterblumen zu pflücken. „Soll ich dir welche ’rausholen – ich ziehe mir die Stiebeln aus!“ Ehe sie sich umwandte, hatte Lore den Sprecher an der Stimme erkannt: der Gustav Holzer aus Marienwerder. „Zu mir sagt man jetzt Sie!“ fuhr sie ihn an. „Ach so – ich dachte, weil wir uns von früher her doch kennen!“ „Dachte sind keine Lichte!“ „Wenn du’s nicht wärst, würde ich dir jetzt bestimmt eine kleben ...!“ „Dann hätt’ste morgen keine Oogen mehr ...!“ „Und du keenen Kopp – der wäre dann ab von meine Maulschelle!“ Lore sah ihn von oben bis unten verächtlich an, wandte sich ab – und ging schleunigst davon. Er lachte laut hinter ihr her. „Warte man – ich fang’ dir noch mal –. Du Katze! Miez – miez – miez!“

Als die Mutter, die glücklicherweise nicht bei Niclasens gewesen war – am nächsten Tage mit Lore zu Frau Semper nach der Breiten Straße ging, um zu sagen, daß ihre Tochter nun so weit sei, um ihre Stellung antreten zu können, erhielt sie von dem kurz angebundenen Mädchen in der Küche den Bescheid, daß die Frau Ziegeleibesitzer ausgegangen sei. „Dann werden wir nachmittags wiederkommen!“ „Nee – hat kein’ Zweck nich – Frau Semper läßt Ihnen bestellen, daß der Posten schon verjeben is. Jawoll! Weil Sie doch jar nichts mehr haben hören lassen – da dachte Frau Semper, Sie wollten nich mehr und hat jestern abend die Marie aus dem Kartoffelkeller anjenommen, als Frau Niclas in die Anjelegenheit da war!“ Frau Kranold wurde abwechselnd rot und blaß, als sie das hörte, aber sie faßte sich und sagte nichts weiter als: „Na – denn adjüs und ’ne schöne Empfehlung!“ Und dann ging sie, ohne ein Wort weiter zu sprechen, mit Lore schnurstracks nach dem Molkenmarkt, hinein in den Laden von Fräulein Lohr, der Putzmacherin. Dort fragte sie, ob ihre Tochter die Stellung als Lehrmädchen bekommen könne, denn Geschick und Geschmack habe das Mädel. Und Fräulein Lohr sagte: „Ja!“ So also hatte sich Lores Sehnsucht erfüllt – das Wunder war geschehen – aber auch die Freundschaft mit Marie zu Ende. – Denn die hatte ihr doch die schöne Stellung im Hause des Fabrikbesitzers vor der Nase weggeschnappt.

Spreelore

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