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Vorwort
Wenn man die gesamte Geschichte der Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart im Hinblick auf die Frage nach dem Bewusstsein oder der Seele der Tiere betrachtet, so lassen sich grob gesagt zwei Klassen von Philosophen unterscheiden. Die einen behaupten, dass Tiere eine Seele haben, die anderen meinen, dass sie keine haben. Nach einem altbekannten Scherz enthält die erste Klasse alle Philosophen, die einen Hund haben, und die zweite alle, die keinen haben.
Ich gehöre in die erste Klasse. Denn ich habe 13 Jahre lang mit einem Hund gelebt und bin seitdem davon überzeugt, dass die Hunde nicht nur Bewusstsein, sondern auch ihre eigene Geschichte haben, die jedoch so untrennbar mit der Geschichte der Menschheit verbunden ist, dass sie als ein Abbild menschlicher Kulturentwicklung gelten kann. Daher kann der Hund nicht ausschließlich nur ein Gegenstand biologischer Betrachtungsweise sein, sondern bedarf auch einer eingehenden historisch-kritischen Untersuchung, die sich auf seine Rolle in der Entwicklung der Menschheit bezieht. Diese Aufgabenstellung haben zwar auch Biologen und Hundezüchter erkannt, doch sind ihre Ausführungen darüber zumeist fragmentarische Randerscheinungen, die meistens im Erzählen von Anekdoten stecken bleiben.
Während in manchen kulturhistorisch orientierten populären Hundebüchern in naiv unkritischer Weise und oft sogar in ausdrücklichem Gegensatz zu den naturwissenschaftlich-genetischen Untersuchungen vom Bewusstsein und den Gefühlen der Hunde die Rede ist, wird von Verhaltensforschern, die sich gelegentlich auf die Kulturgeschichte des Hundes berufen, meist übersehen, dass nur ein Lebewesen „Geschichte“ haben kann, das auch Bewusstsein hat. Daher ist jeder Versuch, die Geschichte der Hunde zu schreiben, auch ein Beitrag zu der bis heute in der Wissenschaft noch umstrittenen Frage nach dem Bewusstsein der Tiere. Unter diesem Aspekt ist daher auch dieses Buch entstanden, das einen kritischen Gesamtüberblick über die Geschichte von Hund und Mensch liefern soll, bei dem nicht der Mensch, sondern der Hund mit seinen Leistungen für den Menschen und seinen Leiden durch den Menschen im Vordergrund steht. Damit soll ein weiterer Zugang zum Verständnis des Hundes eröffnet werden, der über den rein naturwissenschaftlichen Weg der Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung hinausgeht, aber trotzdem mit diesem vereinbar ist.
Eine programmatische Darstellung dieses Versuchs, die Geschichte der Menschheit sozusagen mit den Augen des Hundes zu betrachten, habe ich bereits im November 1999 auf einem Symposium vorgetragen, das aus Anlass des 10. Todestages von Konrad Lorenz an der Forschungsstelle für Ethologie in Grünau im Almtal stattgefunden hat. Der etwas provokante Titel dieses Beitrages, >Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen<, sollte darauf hinweisen, dass es sich bei dem Verhältnis von Hund und Mensch von allem Anfang an um die Geschichte einer Überlebensgemeinschaft gehandelt hat, bei der die Hunde mehr und mehr der „machiavellischen“ Intelligenz des Primaten Homo sapiens verfallen sind.
Mit dem Erscheinen dieses Buches 100 Jahre nach dem Geburtstag des großen Verhaltensforschers und Hundekenners hoffe ich einen grundsätzlichen Vorschlag zur Lösung jener Paradoxie zu liefern, die den Verhaltensforscher in seinen naturwissenschaftlichen Darstellungen heutzutage zwingt, Ausdrücke wie „Seele“ und „Bewusstsein“ möglichst zu vermeiden, ohne die jedoch die Leistungen der Hunde im Dienste der Menschheit unerklärbar sind. Wenn heutzutage immer mehr Verhaltensforscher und Psychologen versuchen, objektives und nachprüfbares Beweismaterial für das Denken und Fühlen der Tiere zu sammeln, so bietet die uns in vielen historischen Dokumenten überlieferte Geschichte der Beziehung von Hund und Mensch einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Frage nach dem Bewusstsein der Tiere.
Wien, im Frühjahr 2003
Erhard Oeser