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Einleitung

Es haben sich große Zoologen wie Linné und Buffon oder Evolutionstheoretiker wie Darwin mit dem Hund beschäftigt. Auch war man sich seit jeher der Sonderstellung dieses Lebewesens bewusst, die in unserer Zeit Konrad Lorenz mit seinem durchaus ernst zu nehmenden Ausspruch „Es gibt Tiere, Menschen und Hunde“ am deutlichsten ausgedrückt hat. Aber im Vergleich zur permanenten Gegenwart des Hundes in der menschlichen Gesellschaft und Geschichte ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem einzigartigen Lebewesen und seiner Geschichte merkwürdig gering und kontrovers geblieben. So konnte Brehm vor mehr als hundert Jahren in seinem berühmten Werk über das >Tierleben< die noch heute weitgehend gültigen Worte schreiben: „Jedermann glaubt ihn zu kennen, gründlich und hinlänglich zu kennen, und nur der Naturforscher gesteht zu, dass er, trotz aller Nachforschungen und Vergleichungen, eigentlich noch äußerst wenig und kaum irgendetwas Sicheres über den Hund weiß.“ Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung haben zwar bereits einiges Licht auf die Frage nach der Abstammung, Verbreitung und Variabilität des Hundes geworfen. Doch ist noch vieles an ihm und seinem differenzierten Verhalten zum Menschen rätselhaft geblieben, weil man ihn, trotz gegenteiliger Ansicht großer Naturforscher, sowohl was seine Intelligenz als auch seine Leistungen anbelangt, erniedrigt und missbraucht hat.

Der Anteil des Hundes an der Geschichte der Menschheit ist aber unübersehbar. Nach neuesten Forschungsergebnissen kann er sogar zu ihrer Entstehung wesentlich beigetragen haben. Denn es waren die Caniden, die hundeartigen Vorfahren unserer Haushunde, und zwar in erster Linie die Wölfe, die unseren affenartigen Vorläufern, die wie die heutigen Affen ungestüme, aufbrausende und opportunistische Individualisten waren, zu dem gemacht haben, was wir heute mit „wahrer Menschlichkeit“ (Schleidt) identifizieren: das heißt zu sozialen Lebewesen, die zu einer Zusammenarbeit fähig sind, die weit über die engen genetisch bedingten Familienbande hinausgeht, auf die sich die anthropoiden Affen noch heute beschränken.

Diese Idee, dass der Mensch seine Verbreitung und Herrschaft über die Erde seiner Kooperation mit den Hunden verdankt, ist mehrfach, am deutlichsten aber bereits von Buffon, ausgesprochen worden. Als erster und einziger ständiger Begleiter des Menschen ist daher auch der Hund mit der Geschichte der Menschheit unzertrennbar verbunden. Bereits in den frühen Hochkulturen Ägyptens, Babylons und Assyriens war er Jagdgenosse, Wächter und Mitstreiter in den Kriegen. Und bei den alten Griechen und Römern erlebte er schon eine Differenzierung seiner Leistungsfähigkeit, die zumindest in ihren Grundzügen mit der heutigen Vielfalt der Haupttypen der Rassen vergleichbar ist. Die Leistungen der Hunde bei der Ausbreitung des Menschen über die Erde und seiner Beherrschung der gesamten Tierwelt beschränkten sich nicht auf Antike, Mittelalter und beginnende Neuzeit. So war die Entdeckung sowohl des Nord- als auch des Südpols im vergangenen Jahrhundert ohne den Einsatz der Schlittenhunde nicht möglich, und das erste Lebewesen im Weltraum war weder ein Mensch noch ein Affe, sondern ein sibirischer Hund.

Die Geschichte der Hunde ist aber nicht nur eine Geschichte ihrer Leistungen für den Menschen, sondern auch eine Geschichte ihrer Leiden durch den Menschen, der seit den frühen Hochkulturen mit seiner „machiavellischen Intelligenz“ die Macht über die Hunde übernommen und sie ausschließlich nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen umgeformt hat. Zu diesen Bedürfnissen gehören Nahrung, Erhaltung der Gesundheit und Vergnügungen, die sich der Mensch seit jeher auf Kosten der Hunde verschafft hat. Das Schlachten und Verzehren der Hunde ebenso wie die grausamen Hundekämpfe waren nicht nur in den Ländern Ostasiens üblich, sondern auch bis in die jüngste Vergangenheit in vielen Gegenden Europas verbreitet. Und noch heute gilt bei uns Hundefett als wirksame Medizin für jede Art von Brustleiden. Als Versuchstier verdankt die Menschheit dem Hund die grundlegendsten Einsichten in die Struktur und Funktionsweise des Gehirns und der Verdauungsorgane, die nur durch grausame Experimente bei lebendigem Leib erreicht werden konnten.

Die wenigsten von unseren heutigen Hunden sind Versuchstiere oder „Gebrauchshunde“, die für bestimmte Tätigkeiten wie Jagen, Bewachen, Karrenziehen usw. eingesetzt werden. Nur die Anzahl der Blinden- oder Behindertenhunde ist vergleichsweise eher angestiegen, da der emotionale Wert eines lebenden und stets willigen Helfers nicht durch technische Hilfsmittel ersetzt werden kann. Auch bei Erdbeben und Lawinenabgängen sind sie noch immer unentbehrlich. Die überwiegende Zahl der Hunde sind jedoch heutzutage Begleit- oder Familienhunde. Ihr Wert ist heutzutage für die meisten Menschen, wie Lorenz sagt, ein „rein seelischer“. Sie werden sogar als Therapeuten eingesetzt.

Aus dem Alltagsleben vieler Menschen sind bis heute Hunde nicht wegzudenken. Es scheint sogar in unserer Zeit für alle Hunde ein neues paradiesisches Zeitalter angebrochen zu sein, das die Zeit der Hof- und Jagdhunde im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die oft besser als Menschen gehalten wurden, noch weit übertrifft. Denn für die meisten Hundehalter sind ihre Haushunde wie echte Familienmitglieder und werden gefüttert, gepflegt und geliebt wie Kinder, die in ihrem kurzen Leben ewig Kinder bleiben. Doch haben bereits langjährige wissenschaftliche Experimente gezeigt, dass ein Hund keineswegs ein vierbeiniges in Pelz gekleidetes kindliches menschliches Wesen ist, sondern trotz seiner engen sozialen Kontakte mit den Menschen in seiner genetischen Veranlagung ein Carnivore, d. h. ein fleischfressendes Raubtier, geblieben ist. Aber der Hund allein war es, der die Schranke durchbrochen hat, die den Menschen von der Tierwelt trennt. Hunde sind daher die einzigen Lebewesen, die mit dem Menschen eine so enge Lebensgemeinschaft gebildet haben, dass sie nur durch den Tod beendet werden kann. Das vergessen all diejenigen, die ihre leichtfertig angeschafften Hunde aussetzen oder in Tierheime abliefern.

Hunde werden nicht immer und jederzeit geliebt. Für viele Menschen sind sie überhaupt ein Ärgernis. Denn sie verschmutzen mit ihren Kot die Straßen und Parkanlagen der Städte und viele bellen und kläffen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Als so genannte Kampfhunde, die frei herumlaufen, hilflose Kinder anfallen, zerfleischen und sogar töten können, verbreiten sie heutzutage mehr denn je Angst und Schrecken. Doch sie selbst sind schuldlos an diesem Ärger und Grauen. Denn ihre Geschichte lehrt uns, dass alles, was sie tun und leiden, unter Anleitung des Menschen geschieht. Ihre erstaunlichen Fähigkeiten wurden seit den alten Hochkulturen bis heute dazu benützt, um den Menschen im Guten wie im Bösen zu dienen. Sie leben daher auch seit jeher im Zustand absoluter Rechtlosigkeit und totaler Abhängigkeit vom Menschen. Sie, die untereinander jene Rassenunterschiede nicht kennen, die der Mensch ihnen angezüchtet hat, wurden zum Vorbild menschlichen Rassenwahns. Bei der Eroberung Amerikas wurden sie auf Indianer gehetzt und in der Kolonialzeit auf schwarze Sklaven. Zur Zeit des Nationalismus in Europa wetteiferten Deutsche, Engländer und Franzosen mit der Aufzucht ihrer Nationalhunde, von denen der Deutsche Schäferhund als Hund des „Führers“ in die Geschichte eingegangen ist.

Dass sich diese Ansichten heutzutage drastisch gewandelt haben, zeigt wiederum, wie sehr die Geschichte der Hunde ein Abbild der Geschichte des Menschen ist. Wie die Zukunft des Menschen ist daher auch die Zukunft des Hundes offen: Wird er als entbehrliches Relikt aus der Vergangenheit wie schon viele Lebewesen auf dieser Erde verschwinden oder noch weiter existieren? Die Geschichte seiner Leistungen und Leiden lässt hoffen, dass die Spuren seiner Pfoten auch noch in fernen Zeiten neben den Fußstapfen des Menschen zu sehen sein werden.

Hund und Mensch

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