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Girija wohnte auf der Plantage in einem Einzimmer-Atap-Haus, das ihm von einem der im Wright’schen Haushalt beschäftigten Diener sauber gehalten wurde. In dem etwa sechs Meilen entfernten Dorf lebten indische Familien, die seiner eigenen Kaste angehörten; sonntags radelte er zum Frühstück hinüber. In einer der Familien gab es eine hübsche Tochter – Sumitra –, die er eines Tages zu heiraten gedachte. In der Woche jedoch zwang ihn das Ausgehverbot, zu Hause zu bleiben, und dort bereitete er sich seine Mahlzeiten selbst. Manchmal ging er nach dem Abendessen ins Büro zurück, um vor dem Zubettgehen noch etwas zu arbeiten; an anderen Abenden stellte er Radio Malaya an, las und träumte.

An dem Abend nach dem Überfall blieb er abends länger im Büro, um die Zeit, die ihn das Begräbniskommando gekostet hatte, wieder aufzuholen. Am nächsten Morgen würde er mit Mr. Wright zur Bank nach Bukit Amphu fahren, um den Scheck für die Wochenlöhne einzulösen, und er hatte die Kontrollkarten noch nicht fertig ausgefüllt.

Diese Arbeit erforderte Sorgfalt und Konzentration, und er war froh darüber, denn so wurde der Augenblick hinausgeschoben, in dem sich jene gefährlichen Gedanken wieder einstellen würden, die ihm am Morgen gekommen waren.

Was er selbst am Ort der Kampfhandlung beobachtet hatte und was er sich von den beiden Plantagenarbeitern hatte erzählen lassen, versetzte ihn in die Lage, sich ein einigermaßen zutreffendes Bild von den letzten Tagen der toten Männer zu machen.

Sie waren erst kürzlich aus dem Norden hierhergekommen und noch ziemlich unerfahren gewesen. Davon war er überzeugt. Allein schon die Tatsache, dass sie den bequemen Weg durch das ausgetrocknete Flusstal benutzt hatten, bewies es. Zugegeben, sie hatten eine Menge zu schleppen gehabt, aber das entschuldigte noch nicht ihre Unvorsichtigkeit. In einer Gegend, wo britische Patrouillen aus der Luft versorgt wurden – ein Umstand, der ihnen kaum verborgen geblieben sein konnte –, hatten sie es nicht einmal für nötig befunden, Späher auszusenden, um den Weg zu erkunden; sie waren geschlossen in die Falle marschiert.

Der Leutnant meinte, sie seien unterwegs gewesen, um die Hauptstraße zu verminen. Girija war anderer Ansicht. Die Munitionsmengen, die sie mit sich führten, standen zu einem solchen Unternehmen in gar keinem Verhältnis. Und wenn sie sich tatsächlich so weit von ihrem Stützpunkt entfernt hätten, wie sollte man sich dann das Fehlen von Kochgerät und Verpflegung erklären? Dafür konnte es, Girijas Meinung nach, nur eine einzige Erklärung geben: Was die Patrouille des Leutnants da abgefangen hatte, musste eine Nachschubkolonne gewesen sein, die unterwegs war, um weiter südlich operierende Banden mit Minen und Munition zu versorgen.

Als Girija an diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen war, begann sein Herz schneller zu schlagen, und er spürte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Wenn seine Vermutungen zutrafen, dann konnte das nur eines bedeuten: Der Stützpunkt bei Awang war ein Waffenlager der Partisanen.

Er beendete seine Arbeit, schloss das Büro ab und ging langsam über den Hof zu seinem Haus zurück. Es war eine warme, feuchte Nacht. Er zog Hemd und Khakishorts aus, wusch sich sorgfältig von Kopf bis Fuß und zog dann einen Dhoti an. In einem eisernen Kochtopf stand Linsensuppe bereit. Er steckte den Ölbrenner an, stellte den Topf darauf, setzte sich hin und wartete.

Was ihn beunruhigt hatte, war eigentlich nicht so sehr der Inhalt seiner Gedanken gewesen, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie ihm gekommen waren. Girija hielt sich weder für grundehrlich noch für sonderlich unehrlich, für unbestechlich oder korrupt, für gesetzestreu oder pflichtvergessen. Seine Vorstellung von sich selbst ließ sich nicht in derartige Begriffe pressen. Bisher hatte er noch jede seiner Schwierigkeiten dadurch meistern können, dass er sie als eine einfache Frage der Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten auffasste. Entscheidung A wäre klug (vorteilhaft). Entscheidung B töricht (unvorteilhaft). Es war eine beunruhigende Entdeckung gewesen, dass er sich in Gedanken eifrig mit der Möglichkeit befassen konnte, ein schweres Verbrechen zu begehen, und sich dabei erst reichlich spät – und widerwillig – des dornigen Tugendpfades entsann.

Denn um ein schweres Verbrechen würde es sich zweifellos handeln.

Er hatte von den versteckten Waffenlagern gehört. Man wusste, dass die Waffen von berufsmäßigen Schmugglern hereingebracht wurden, die von jenseits der thailändischen Grenze operierten und andere Wege benutzten als die Partisanen. Mehrere solcher Lieferungen waren abgefangen worden. Aber es wurde allgemein angenommen, dass eine weitaus größere Anzahl jedes Mal durchkam. Terroristen, die man weit im Süden, in der Gegend von Kuala Lumpur, gefangen genommen hatte, waren im Besitz ansehnlicher Mengen von Waffen, Munition und Sprengkörper gewesen, vom gleichen Muster wie die im Norden erbeuteten. Man sagte, es gebe in ganz Malaya nicht genug Truppen, um die Grenze nach Thailand wirksam abzuschirmen.

Kurz bevor das Beerdigungskommando an jenem Vormittag seine Arbeit beendet hatte, waren der malaiische Sergeant und vier weitere Soldaten eingetroffen. Sie trugen Bambusstangen, an denen Kisten hingen. Die Munition und die Granaten wurden in die Kisten gepackt und zur Plantage geschafft. Während sie die Maschinenpistolen einsammelten, hatte Girija dem Sergeanten eine Frage gestellt.

Der Sergeant hatte auf die Maschinenpistole, die er in seinen Händen hielt, hinuntergeblickt und mit den Schultern gezuckt. »Woher soll ich wissen, was sie kosten?«

»Aber wissen Sie denn nicht, wie viel Ihre eigene kostet, Sergeant? Nehmen wir an, einer von Ihren Leuten hätte eine verloren.«

»Er käme vors Kriegsgericht.«

»Aber sicherlich würde man ihm doch den Sold kürzen?«

»O ja. Um zweihundert Dollar vielleicht.«

»So viel?«

»Maschinenpistolen wachsen schließlich nicht auf Bäumen.«

Der Sergeant war fortgegangen. Girija hatte sich umgedreht und die Reihe der Gräber überblickt. Jeder der Toten hatte eine Maschinenpistole gehabt; und Munition war nicht billig. Was die zehn Männer geschleppt hatten, mochte gut und gern dreitausend Dollar wert sein. Es müsste interessant sein zu erfahren, wie viel mehr es dort, woher sie gekommen waren, noch von dem Zeug gab.

Die Suppe fing an zu blubbern. Er goss sie in eine Schüssel, und als sie ein wenig abgekühlt war, begann er zu essen.

Auf illegalen Waffenbesitz stand Todesstrafe. Ob bereits das Wissen von der Herkunft geschmuggelter Waffen als gleichbedeutend mit deren Besitz galt und ob die Verheimlichung solchen Wissens die gleiche Strafe nach sich zog, wusste er nicht. Eines war klar: Der illegale Verkauf geschmuggelter Waffen war zweifellos eine Sache, für die man aufgeknüpft wurde; ganz gewiss jedenfalls, solange die Notstandsgesetze in Kraft blieben. Am besten ginge er unverzüglich zu Mr. Wright und schenkte ihm reinen Wein ein.

Aber worüber sollte er ihm eigentlich reinen Wein einschenken? Denn er wusste ja gar nichts von einem Waffenlager. Er glaubte nur, dass es eines gäbe. Aber wo genau? Wenn seine Überlegungen zutrafen, dann befand sich das versteckte Waffenlager irgendwo in einem Dschungelgebiet von mindestens drei Quadratmeilen. Durchaus möglich, dass es unauffindbar blieb. Mr. Wright würde ihm für eine erfolglose Suchaktion nicht dankbar sein. Und die Polizei ebenfalls nicht. Und wenn es dann eines Tages für ihn so weit wäre, die Konzession für einen örtlichen Omnibusdienst zu beantragen, dann könnte ihnen wieder einfallen, welchen Ärger er verursacht hatte, und das würde sie gegen ihn einnehmen. Nein. Das Beste war, gar nichts zu unternehmen.

Er aß seine Suppe und fühlte sich besser. Er war wieder ein unbescholtener Mann, der friedlich sein Abendessen verdaute. Was sollte er mit geschmuggelten Waffen anfangen? Würde er sie jemals verkaufen können? Natürlich nicht. Wer sollte sie denn kaufen? Und angenommen, andere wüssten von dem Waffenlager – wenn es ein solches gab. Zehn Mann waren getötet worden; aber angenommen, es wären einige Mitglieder der Terroristenbande dort zurückgeblieben. Es konnte höchst gefährlich sein, die Gegend nach dem Lager abzusuchen. Abgesehen davon bestand die Möglichkeit, dass der eine oder andere der Männer, die in Awang lebten, schon wusste, wo es sich befand. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht; die Guerillas hatten ihre unfreiwilligen Gastgeber schwerlich ins Vertrauen gezogen; aber irgendjemand konnte es zufällig entdeckt haben. Natürlich würde niemand aus dem Dorf den Mut haben, die Polizei zu informieren; jedenfalls nicht sofort. Es müsste erst eine angemessene Zeit verstreichen, bevor das Versteck ›zufällig‹ entdeckt werden könnte. Wahrscheinlich wurde es einfach wieder vergessen. Und das sollte er vielleicht auch tun: die Geschichte vergessen. Schließlich konnte er später wieder darauf zurückkommen, wann immer es ihm passte.

In einer Ecke des Zimmers stand ein Metallkoffer. Er bewahrte seine Kataloge und Fachmagazine darin auf und den Fahrplan für einen geplanten täglichen Busdienst, der zehn der wichtigsten Gummiplantagen des Distrikts mit dem sechzehn Meilen entfernten Bukit Amphu verbinden sollte. Er nahm den Fahrplan heraus, überlas ihn aufmerksam und begann, die eine oder andere lange bedachte Änderung einzutragen.

Waffenschmuggel

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