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Zweites Kapitel 1
ОглавлениеWenn die Gummiplantagen im Pangkalan-Distrikt Latex zu verladen hatten, benachrichtigten sie meistens die Anglo-Malaiische Transportgesellschaft in der Hafenstadt Kuala Pangkalan. Die Gesellschaft schickte dann ihre Lastwagen auf die Reise, um den Latex abzuholen, zeitweilig in ihren Speichern zu lagern und ihn schließlich, wenn aus Singapur die Anweisungen dazu eingetroffen waren, auf einer ihrer großen Motordschunken zu verschiffen.
Begründer, Manager und Alleininhaber dieses nützlichen Unternehmens war ein Chinese, Mr. Tan Siow Mong.
Mr. Tan war in einer Missionsschule in Macao erzogen worden und sprach Hokkien und Portugiesisch ebenso gut wie Kantonesisch, Malaiisch und Englisch. Sein Vater hatte eine Dschunke besessen und sein Leben damit verbracht, Fische zu fangen und Schilfrohrladungen die Küste entlang nach Hongkong zu bringen. Als er Anfang der dreißiger Jahre starb, hatten Mr. Tan und seine beiden Brüder die Dschunke übernommen und sich dem einträglicheren Geschäft des Opiumschmuggels zugewandt. Schließlich hatte ein britisches Kanonenboot sie aufgebracht, und die Dschunke war beschlagnahmt worden. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits eine erkleckliche Geldsumme gespart und den Verlust der Dschunke mit Gleichmut hinnehmen können. Vom Familienrat war den Tans daraufhin nahegelegt worden, die Chinaküste für eine Weile zu meiden und ihr Glück anderswo zu versuchen. Ein Bruder war nach Singapur gegangen, ein anderer nach Manila. Tan Siow Mong, der Älteste, war mit seiner Mutter nach Kuala Pangkalan gezogen. Mit Hilfe seines Anteils am Familienvermögen begann er mit Kopra zu handeln und an Malaien zu vierzig Prozent Zins Geld zu verleihen. Während der japanischen Besatzungszeit hatte er einen unbenutzten Speicher in Zahlung genommen. Nach dem Krieg hatte er versucht, ihn zu verkaufen, und, als sich kein Käufer fand, entschieden, dass der Speicher sich rentieren müsse. Die Anglo-Malaiische Transportgesellschaft verdankte ihre Gründung diesem Entschluss.
Mr. Tan war jetzt Ende vierzig, hatte angegrautes Haar und trug eine randlose Brille. Seine rohseidenen Anzüge waren vorzüglich geschnitten, und selbst bei größter Hitze sah man ihn niemals ohne schwarze Krawatte. Er strahlte eine noble Würde aus, die in chinesischen Geschäftskreisen von Kuala Pangkalan sehr bewundert wurde.
Sein Büro war so gelegen, dass er, ohne seinen Platz am Schreibtisch verlassen zu müssen, die Lastwagen an der Laderampe von Speicher Nummer eins und den hölzernen Kai übersehen konnte, wo die Dschunken gelöscht und neu beladen wurden. Wenn er den Kopf drehte, konnte er durch eine neben der Tür in die Wand eingelassene Glasscheibe hindurch seine vier chinesischen Assistenten sehen. Mr. Tan glaubte nicht an die Vorteile ausgetüftelter Organisation. Die vier Assistenten arbeiteten fünfundsechzig Stunden in der Woche und waren durchaus in der Lage, den größten Teil der täglichen Schreibarbeit des Geschäftes zu erledigen. Um die Buchhaltung kümmerte er sich lieber selbst.
Man war gerade dabei, zwei Lastwagen zu entladen, die an diesem Nachmittag von einer Plantage des Chiang-Thye-Phu-Syndikates Latexballen abgeholt hatten, und er konnte den indischen Sekretär des Plantagenbüros sehen, der mit dem Vorarbeiter das Gewicht der Waren prüfte.
Mr. Tan schätzte das nicht. Bisher hatte Mr. Wright, der Plantagenmanager, sich vertrauensvoll auf die Gesellschaft verlassen, und das mit Recht. Warum hatte er es auf einmal für nötig befunden, seinen Sekretär mitzuschicken und das Abwiegen zu prüfen?
Wie Mr. Tan beobachten konnte, waren sich Sekretär und Vorarbeiter jetzt offenbar über die Zahlen einig geworden. Denn der Sekretär lächelte und wandte sich zum Gehen. Mr. Tan hatte sich gerade notiert, dass er den Vorarbeiter fragen wollte, welche Gründe – wenn es überhaupt solche gab – für die wenig schmeichelhafte Änderung im Geschäftsgebaren angeführt worden waren, als er sah, dass der Sekretär quer über den Hof auf sein Büro zukam.
Mr. Tan blickte auf die Papiere hinunter, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Es wäre unwürdig, beim Hinausstarren ertappt zu werden. Kurz darauf trat einer seiner Assistenten ein, um ihm zu sagen, dass Mr. Krishnan um das Vergnügen bitte, eine kurze Unterhaltung mit ihm führen zu dürfen.
Mr. Tan schätzte die Inder nicht. Mehr als einmal hatte er sich über ihre peinliche Genauigkeit in geschäftlichen Dingen geärgert. Und Plantagen-clerks, die – falls man ihnen nicht gelegentlich Geschenke zukommen ließ – fällige Zahlungen verzögern und andere Unbequemlichkeiten verursachen konnten, schätzte er ebenfalls nicht.
Er erinnerte sich, diesen hier mit Mr. Wright, dem Plantagenmanager, zusammen gesehen zu haben. Er war mager und sehr dunkelhäutig, hatte leuchtende, intelligente Augen und einen gierigen Zug um den allzu häufig lächelnden Mund. Es würde interessant sein, von diesem Mann zu hören, wie hoch er seine Bedeutung als potenzieller Störenfried veranschlagt wissen wollte.
Er begrüßte Girija mit feierlicher Höflichkeit und bat ihn, Platz zu nehmen.
»Es passiert nicht oft«, fuhr er auf Englisch fort, »dass wir das Vergnügen haben, Sie zu sehen, Mr. Krishnan.«
Girija lächelte. »Danke. Mr. Wright sendet Empfehlungen und beste Wünsche.«
Mr. Tan gratulierte sich, dass er die englische Sprache für diese Unterhaltung gewählt hatte. Sein eigenes Englisch, das wusste er, war ausgezeichnet. Das des Plantagenaufsehers war nur wenig besser als das ungebildete Kauderwelsch, das die Engländer babu nannten. Das brachte ihm einen Nachteil, der zwar nur geringfügig war, sich aber vielleicht als nützlich erweisen mochte.
»Und sind Mr. und Mrs. Wright wohlauf?«
»Beide, danke. Wir hoffen dasselbe für Mrs. Tan, Sie selbst und für die Familie.«
»Danke, danke.«
Aus dem Vorzimmer wurde Tee hereingebracht und in winzigen Tässchen gereicht. Jetzt konnte man behutsam die Fühler ausstrecken, um den eigentlichen Grund des Besuches zu erfahren.
»Sie müssen um diese Zeit viel zu tun haben auf der Plantage«, bemerkte Mr. Tan.
Diese banale Floskel war in Wirklichkeit nichts anderes als die Frage, warum Mr. Wright es für nötig befunden hatte, die Zeit seines Sekretärs damit zu verschwenden, dass er ihn nach Kuala Pangkalan schickte, um einen völlig normalen Einlagerungsvorgang zu überwachen.
Girija lächelte und antwortete auf Malaiisch. »Wenn der Gummimarkt so fest wie jetzt ist, haben wir immer viel zu tun.«
Mr. Tan nickte. Er fragte sich, ob man seinem Gesicht die Belustigung über das Englisch des Sekretärs in irgendeiner Weise hatte anmerken können. Das Malaiisch war fließend. Höflich antwortete er in derselben Sprache.
»Hoffen wir, dass die schlechten Zeiten endgültig vorüber sind.«
»Gute Geschäfte für einen sind gute Geschäfte für alle«, sagte Girija.
»Sehr wahr.« Jetzt, so entschied Mr. Tan, kam man zur Sache. Der Hinweis auf gegenseitige Vorteile galt als Einleitung zu einer Erpressung.
»Dieser Tee ist ausgezeichnet, Sir«, sagte Girija.
Unverzüglich ließ Mr. Tan weiteren Tee nachkommen. Das wiederum verzögerte das angesteuerte Gesprächsthema nochmals, und man tauschte weitere Allgemeinplätze aus. Widerwillig musste Mr. Tan sich eingestehen, dass der junge Mann die Unterredung geschickt lenkte. Er stellte fest, dass er sich für ihn zu interessieren begann.
Als sie wieder allein waren, sagte er: »Mr. Wright ist ein ausgezeichneter Manager. Es muss ein Vergnügen sein, für einen solchen Mann zu arbeiten.«
Girija nickte. »Das ist es wirklich. Er ist, wie Sie sagen, ein hervorragender Manager. Aber er ist auch ein sehr gütiger Mann.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.«
»Als ich ihn um die Erlaubnis fragte, wegen persönlicher Angelegenheiten nach Kuala Pangkalan hinunterzufahren«, fuhr Girija fort, »hat er sich sofort einverstanden erklärt, ohne eine Frage zu stellen.«
»Dass er Ihre Dienste sehr hoch schätzt, wusste man schon immer.« Mr. Tan spielte jetzt wieder den Schrittmacher. Der Gebrauch der Wendung »schätzt Ihre Dienste« würde das Fass zum Überlaufen bringen.
»Und doch«, sagte Girija, »war ich froh, dass er mir keine Fragen stellte.« Er schwieg.
Mr. Tan sagte nichts. Er war überzeugt, dass jetzt der Augenblick gekommen war.
Girija lächelte strahlend. »Wenn er das getan hätte, wäre ich gezwungen gewesen, ihn zu verletzen oder ihn zu belügen. Keines von beiden hätte ich gern getan.«
»Beides verstößt gegen den guten Geschmack«, stimmte Mr. Tan zu.
»Mr. Wright war wie ein Vater zu mir«, sagte Girija. »Wie konnte ich ihm sagen, dass ich in einer Angelegenheit von größter Bedeutung Rat suche und mich in dieser Sache nicht an ihn, sondern an Mr. Tan Siow Mong wenden wollte?«
Mr. Tan schwieg. Er hatte nichts Passendes dazu zu sagen. Er beeilte sich, seine Einschätzung der Situation zu revidieren. Wenn der Plantagenaufseher diese Art der Einleitung zu einer Bitte um Geld wählte, dann musste er an eine absurd hohe Summe denken.
Girija beugte sich vor und sagte ernst: »Was wichtige geschäftliche Dinge angeht, so gibt es in Kuala Pangkalan keinen klügeren Kopf. Das ist allgemein bekannt.«
Mr. Tan war die Einschränkung »was wichtige geschäftliche Dinge betrifft« nicht entgangen. Er sagte: »Sie machen mir ein unverdientes Kompliment.«
»Mein Freund wusste niemanden zu nennen«, fuhr Girija fort, »dessen Rat in dieser Angelegenheit von gleich unschätzbarem Wert sein würde.«
»Ihr Freund?« Das verwirrte Mr. Tan erneut und machte ihn infolgedessen auch ein wenig ärgerlich; aber sein Tonfall blieb höflich.
»Sie kennen ihn nicht, Sir«, sagte Girija. »Und er weiß nur von Ihrem hervorragenden Ruf. Als ich ihm sagte, dass ich in dieser wichtigen Angelegenheit, die ihn so sehr bedrängt, Ihren Rat einholen wollte, bat er mich, seinen Namen nicht zu nennen. Die Sache ist sehr vertraulich.«
»Das sind die meisten geschäftlichen Dinge«, sagte Mr. Tan trocken. Er nahm an, dass ›vertraulich‹ in diesem Zusammenhang wahrscheinlich so viel wie ›kriminell‹ bedeuten sollte.
Girijas Lächeln wurde unsicher. Zum ersten Mal sah Mr. Tan, dass er sich in seiner Haut nicht wohlzufühlen schien, und entschloss sich, ihm mit einem aufmunternden Wort zu Hilfe zu kommen. Es wäre ärgerlich, wenn der Mann es mit der Angst bekäme und fortginge, ohne den Zweck seines Besuches verraten zu haben.
»Wenn Ihr Freund meine Klugheit so hoch schätzt«, bemerkte er, »dann muss er auch meine Verschwiegenheit voraussetzen.«
Girijas Lächeln entkrampfte sich, und seine Augen begegneten Mr. Tans Blick. »Selbstverständlich. Aber er ist ein nervöser Mann. Sie werden verstehen, warum, sobald ich Ihnen alles erkläre.« Er machte eine Pause, um sich seine Worte zu überlegen, bevor er fortfuhr. »Während des Ausnahmezustandes vor ein paar Jahren, als die Terroristen von Norden her Waffen einschmuggelten, hat mein Freund einige von diesen Waffen – Gewehre, Karabiner, Maschinengewehre, Munition – gefunden.« Er hob den Blick, um zu sehen, wie Mr. Tan das aufnahm.
Mr. Tan lächelte schwach. »Und dann hat er sie der Polizei übergeben?«
»Das hätte er tun sollen.« Girija zuckte mit den Schultern. »Aber, wie ich schon sagte, mein Freund ist ein nervöser Mann. Er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Damals schien es das Beste zu sein, nichts zu unternehmen. Jetzt ist er in einer schwierigen Lage.«
»Ja?«
»Mein Freund braucht Geld. Da fielen ihm diese Waffen ein. Wenn er der Polizei jetzt davon erzählte, würde man ihn ausfragen und ihm Ärger bereiten. Ließe sich aber ein Käufer finden, so könnte er seine Schulden bezahlen und niemand wäre geschädigt. Der Ausnahmezustand ist aufgehoben. Ärger könnte daraus nicht entstehen, und mein Freund hätte seinen Vorteil.«
Mr. Tan saß reglos da. »Sie wollen, dass ich Ihrem Freund einen Rat gebe?«
Girija nickte. »Das ist es, was er sich erhofft hat, Sir. Ja.«
»Er sollte die Angelegenheit dennoch der Polizei melden. Es wäre ganz falsch, wenn er die Waffen zu verkaufen versuchte. Dass er sie vor langer Zeit gefunden hat, braucht er ja nicht zu sagen, aber zur Polizei gehen sollte er auf jeden Fall.«
Girija streckte die Hände aus. »Aber mein Freund hat Schulden, Sir.«
»Es ist besser, zu einem Geldverleiher zu gehen, als eine Gefängnisstrafe zu riskieren.«
Girija lächelte triumphierend. »Das ist genau der Rat, den ich ihm gegeben habe. Für ein paar Hundert Dollar eine Gefängnisstrafe riskieren, das tut nur ein Narr. Das habe ich ihm gesagt.«
Mr. Tan zögerte. Diese Zustimmung machte ihn stutzig. Er fühlte instinktiv, dass er die Unterhaltung irgendwann und irgendwie falsch gehandhabt hatte. Er wusste, dass ihm nur noch eine einzige Frage übrig blieb und dass er sich, wenn er sie stellte, als der weniger gewitzte Gesprächspartner erwiesen hätte. Aber er wusste auch, dass seine Neugier befriedigt werden musste. Er nahm die Erniedrigung in Kauf.
»Und was hat er geantwortet?«, fragte er.
Girijas Hand fuhr zu der Reihe von Kugelschreibern in seiner Hemdtasche hinauf und zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor. Er glättete es und reichte es über den Tisch.
»Dieses Papier, Sir«, sagte er, »mein Freund gab mir dieses Papier.«
Mr. Tan nahm das Blatt, breitete es vor sich auf dem Tisch aus und blickte darauf. Es war eine mit der Maschine geschriebene Liste, über der das Wort ›Inventur‹ stand. Er las weiter:
Artikel | Typ | Anzahl | Heutiger Wert auf dem freien Markt in Dollar (Straits) |
Gewehre | 0,303 ZollMilitary S.A.Belgisch | 54 | 16000 |
0,303 Munition | für obige | 5000 Schuss | 6000 |
Maschinenpistolen | Schmeißer | 25 | 18000 |
0,3 Munition | mit Magazinenfür obige | 8000 Schuss | 7000 |
Bazookas | Modell US Govt. | 4 | 6000 |
Munition für dieselben | Modell US Govt. | 35 Schuss | 1000 |
Granaten | ohne Zünder | 100 | 2000 |
Zünder | für obige | ||
Landminen | Teller | 40 | 4000 |
60000 | |||
= Dollar (US) | 21000 | ||
= Pfund Sterling | 7500 | ||
Anmerkung: Alle Waren in fabrikneuem Zustand und Originalverpackung – Behälter etc. Preise: Alle Preise frei ab Nähe Kuala Pangkalan. Zahlungsbedingungen: Einzelposten unterliegen einem Preisaufschlag von 20 %. |
Mr. Tan blickte auf.
»Sie verstehen, Sir«, sagte Girija sanft. »Ich hatte mich geirrt. Es handelt sich nicht um ein paar Hundert Dollar, sondern um viele Tausend.«
Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, tat Mr. Tan, als lese er die Liste ein zweites Mal. Er war fast sicher, dass der ›Freund‹, für den der Plantagenaufseher zu handeln vorgab, nicht existierte. Der Inder musste in verzweifelter Geldnot sein, wenn er das Risiko auf sich nahm, sich an jemanden zu wenden, den er so wenig kannte, oder er musste seiner Menschenkenntnis sehr sicher sein. Mr. Tan hatte das unangenehme Gefühl, dass die zweite Erklärung die wahrscheinlichere war. Selbstbewusst genug sah der Bursche aus und keineswegs verzweifelt. Natürlich war es möglich, dass er log; und die ganze Geschichte konnte ein bloßer Trick sein, um zu Geld zu kommen. Aber eigentlich glaubte Mr. Tan das nicht. Auf jeden Fall würde es leicht nachzuprüfen sein. Er blickte wieder auf und begegnete dem Blick des Sekretärs.
»Mein Freund ist bereit«, sagte Girija, »jedem, der einen Käufer auftreibt und die Ablieferung der Waren übernimmt, eine Kommission von fünfzig Prozent zu zahlen.«
Mr. Tan schüttelte den Kopf. »Aber das wäre eine kriminelle Handlung. Begreift Ihr Freund das denn nicht?«
»Das war auch mein erster Gedanke«, sagte Girija zustimmend, »aber mein Freund war anderer Meinung. Dies ist kein gestohlenes Gut, sagt er. Es gibt keinen Eigentümer. Wenn die Ware ins Ausland ginge, würde sich die Polizei sowieso nicht mehr dafür interessieren. Der Ausnahmezustand ist vorbei.«
»Aber die Gesetze bleiben bestehen.«
»Das ist wahr.« Girija nickte nachdenklich. »Sie meinen also, Sir, ich sollte meinem Freund sagen, Sie rieten ihm, zur Polizei zu gehen?«
»Ich denke, Sie sollten ihm sagen, er müsse sich die ganze Sache aus dem Kopf schlagen.« Mr. Tan unterbrach sich und fügte dann hinzu: »Vielleicht werden die Gesetze eines Tages weniger streng sein.«
»Ja, das ist wahr.«
»Derartige Waren wird man immer verkaufen können.« Mr. Tan sah wieder auf die Liste hinunter. »Haben Sie selbst irgendetwas von diesen Dingen zu sehen bekommen?«
»Mein Freund ist natürlich vorsichtig.«
»Aber glauben Sie ihm? Sie sagen, er wünsche einen Käufer zu finden. Eine Liste ist kein Beweis dafür, dass es wirklich etwas zu verkaufen gibt. Könnte er Muster vorzeigen?«
»Er wäre nur allzu gern dazu bereit, Sir.«
Mr. Tan faltete das Verzeichnis wieder zusammen. »Ich kenne mich in diesen Dingen wenig aus«, sagte er, »aber ich habe mir sagen lassen, dass man auf diesem Marktgebiet nicht leicht an Käufer herankommt. Es müssen Kontakte aufgenommen werden. Das kostet Zeit. Man darf nichts überstürzen.«
»Mein Freund hat Geduld.«
»Dann tun Sie, was ich Ihnen vorgeschlagen habe. Sagen Sie ihm, er soll die Sache einstweilen vergessen.« Er blickte zu Girija auf. »Einverstanden?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Mr. Tan hielt die Liste hoch. »Und ich darf dieses Papier behalten?«
Es war eine Testfrage.
Girija lächelte. »Mein Freund wird sich glücklich schätzen, wenn es in so erfahrenen Händen verbleibt, Sir.«
Er erhob sich. Die Unterredung war beendet. Nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht worden waren, ging er.
Mr. Tan sah ihn über den Hof davonschreiten und ließ sich dann die Akten des Chiang-Thye-Phu-Gummiplantagen-Syndikats kommen. Als Erstes wollte er herausfinden, ob der starke Eindruck, den er von der Verschwiegenheit und Umsicht des Sekretärs bekommen hatte, den Tatsachen entsprach. Mr. Tan wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben und die Liste sofort verbrennen, falls sich herausstellte, dass Girija leichtsinnig genug gewesen war, sie auf der Maschine in Mr. Wrights Plantagenkontor zu schreiben, um diese Liste dann jemandem zu überlassen, der, wenn ihm das angebracht zu sein schien, damit zur Polizei gehen und sich mit der Meldung des Vorfalls moralischen Kredit verschaffen konnte. Wenn, wie er annahm, der junge Mann darauf geachtet hatte, dass er immer in der Lage blieb, jede Kenntnis von der Liste und der Unterredung zwischen ihnen glaubhaft zu leugnen, dann mochte aus der Situation etwas zu machen sein.
Er sah Mr. Wrights Warenbegleitschreiben durch und verglich die Maschinenschrift mit derjenigen auf der Liste. Es war offensichtlich, dass die Liste nicht auf derselben Maschine geschrieben worden war. So weit, so gut. Er las die Liste noch einmal durch und schloss sie dann in seinen Privatsafe.
Noch am selben Tage, nachdem er Zeit gehabt hatte, die Sache zu überdenken, schrieb er an seinen Bruder in Singapur.