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7.

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Margret machte erst spät Mittagspause. Seit halb neun hatte sie an einer Zusammenstellung dessen gesessen, was sie und ihre Kollegen bei den Gesprächen mit den Mietern im und um den Törnrosväg herausbekommen hatten: Knapp siebzig Befragungen, davon einige auf englisch mit neu zugezogenen Ausländern, einige wortkarge auf schwedisch, an die zehn brauchbare mit Details und Zeitangaben und auch einige völlig fehlgeschlagene, weil derjenige, der die Tür geöffnet hatte, nichts verstand: Achselzucken, nach oben gewendete Handflächen, Lächeln, aber keine Worte, keine Beobachtungen.

Es wäre absolut falsch gewesen, das Ergebnis als mager zu bezeichnen: Es war wertlos, niederschmetternd, nichtssagend. Das Dezernat war unterbesetzt. Es war Ferienzeit, dazu kamen drei Krankmeldungen: eine Lebensmittelvergiftung, ein Blinddarmdurchbruch, ein akuter Hexenschuss. Gleichzeitig gab es mehrere andere schwere Gewaltverbrechen, in denen das Dezernat die Ermittlungen führte: der Bikermord, der Fernfahrerüberfall, mehrere brutale Ladenüberfälle, Bandenkriege in Fittja. Neue Verbrechen an fast jedem neuen Tag.

Margret saß am Computer, gab die Befragungen ein, stellte sie zusammen, überprüfte Namen, schrieb, schrieb, schrieb, vergaß die Zeit und bemerkte erst spät, dass sie die Mittagspause verpasst hatte. Es war zwanzig nach eins. Sie verließ ihr Zimmer, der Korridor war leer, und die meisten Türen zu den Zimmern ihrer Kollegen standen offen, auch die vom Zimmer des Dezernatsleiters Lennart Philipsson. Einige Sekunden bevor Margret dessen Zimmer passierte, erhob sich der Chef von seinem Schreibtisch, zog sein Jackett an und trat hinaus in den Korridor.

»Hej«, sagte Margret und nickte.

»Hej Margret«, antwortete ihr Chef.

Sie gingen beide zum Fahrstuhl. Margret dachte, dass Philipsson oft schnell ging. Er war groß und mager und war in seiner Jugend vielleicht Sportler gewesen. Er bewegte sich wie ein Läufer, oder vielleicht auch wie ein Orientierungsläufer. Er war einer der Menschen, von denen man zu sagen pflegte, dass sie einen federnden Gang hatten. Lennart Philipsson war sechzig Jahre alt. Er hatte aufgehört, auf höhere Sprossen der Karriereleiter zu hoffen, er gab sich damit zufrieden, das größte Dezernat der Bezirkspolizei zu leiten.

»Fährst du runter in die Kantine?«, fragte er.

»Ja, wird ein spätes Mittagessen heute«, antwortete Margret.

»Ich werde auch eine Kleinigkeit essen, wir können uns ja zusammensetzen.«

»Ja, klar.«

»Oder wolltest du auswärts essen?«

»Nein, ich hab es ziemlich eilig, also nur Aquarium heute.«

»Okay, wie du willst.«

Sie verließen den Fahrstuhl im Erdgeschoss, gingen durch die Gänge zur Kantine neben dem Schwimmbad. Margret bestellte Kartoffelpuffer mit gebratenem Speck, Philipsson entschied sich für Gemüsesuppe. Sie ließen sich an einem Tisch ganz in der Nähe der Glastrennwand zum Schwimmbecken nieder. Es waren einige Schwimmer im Wasser, junge Mädchen. Sie schwammen schnell, Bahn für Bahn.

»Schwimmst du auch?«, fragte Philipsson.

»Nicht wirklich«, antwortete Margret.

»Aber du bist doch eine Sportskanone, meine ich doch. Irgendein Kampfsport, oder ...«

»Ich trainiere hin und wieder.«

»Jemand hat gesagt, dass du richtig gut bist.«

»Ach, was die alle so erzählen.«

»Wie geht‘s mit Älvsjö voran?«

»Nichts Neues, geht nur schleppend vorwärts.«

»Und ich kann euch noch nicht mal Verstärkung anbieten, ich habe bei der Fahndung und der Ausländerbehörde um Unterstützung gebeten, aber die haben genauso wenig Leute übrig wie wir.«

»Ja, das sieht schon ziemlich finster aus.«

»Ich hoffe, dass bald etwas passiert, ansonsten müssen wir da kürzer treten.«

»Das verstehe ich.«

Sie hielten im Gespräch inne und widmeten sich dem Essen. Margret blickte auf die Uhr und sah, dass von ihrem Arbeitstag nur noch wenige Stunden übrig waren.

Nach dem Essen tranken sie Kaffee, sprachen weiter über die Unterbesetzung und kamen dann wieder auf den Älvsjö-Mord zurück.

»Was glaubst du?«, fragte Philipsson.

»Es ist zu früh, ich hab noch keine richtige Theorie.«

»Hast du mit Verner Lindgren gesprochen?«

»Ich wurde aufgefordert, mit ihm in Kontakt zu treten, und das habe ich auch getan.«

»Hat es etwas gebracht?«

»Kaum, er hatte nichts Interessantes zu bieten.«

»Wie geht es ihm?«

»Er hat ein schlechtes Gedächtnis, nimmt starke Medikamente, glaube ich.«

»Hm.«

Mehr wurde über Verner nicht gesagt. Margret überlegte, ob Lennart Philipsson vielleicht mehr über Verner wissen wollte und dass der Dezernatsleiter vielleicht aufrichtiges Mitgefühl für seinen alten Kollegen hegte.

Nach der Arbeit ging Margret hinunter in den Trainingsraum. Nach dem normalen Training blieb sie noch und absolvierte ein hartes Spezialprogramm mit Pelle Mogren vom Reichskrim und Morgan Larsson von der Citypolizei. Sie hielt bei allen Ausdauerübungen mit den Jungs mit, und auch beim Training von Beweglichkeit und Schnelligkeit. Sie machten am liebsten Liegestütze, aber Margret hatte kein Interesse an starken Armen mit Muskelpaketen daran. Zum Schluss trainierte sie einige Schlagserien mit mehreren Arten von Fußtritten. Sie erhöhte das Tempo, die Schläge gegen einen imaginären Gegner waren blitzschnell, die Konturen ihrer Fäuste lösten sich auf, Arme und Beine wurden zu fließenden Schatten. Sie bat Morgan, das Lederkissen für sie zu halten. Wollte er, traute er sich? Sie lachten, Morgan kannte das schon, das hier war schließlich nicht das erste Mal. Als sie gegen das dicke Lederkissen schlug, schob sie den fünfundachtzig Kilo schweren Kollegen rückwärts über den Boden. Er bediente sich all seiner Muskelkraft und Schwere, um bei den Schlägen gegenzuhalten, stand aber bald mit dem Rücken an der Wand.

Margret fuhr mit dem Auto zur Arbeit, ihrem dunkelblauen, nicht ganz neuen Saab 9000. Das Auto zu nehmen war eine neue Angewohnheit, sie brauchte es, um sich schneller von Ort zu Ort bewegen zu können, vor allem zu denen, die sie neben dem Dienst noch aufsuchte. Ein solcher Ort war Älvsjö. Sie wohnte selbst in der Gegend, in Årsta, im Långhalsväg. Dort hatte sie eine Einzimmerwohnung mit einer kleinen Küche mit Gasherd, einem großen Zimmer mit Balkon und einem kleinen Badezimmer mit grünen Wänden.

Sie war gegen sieben zu Hause, trank Tee, aß ein paar Butterbrote und legte sich mit den Abendzeitungen in die Badewanne. Nach einer guten Stunde stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab, setzte sich im Bademantel vor den Fernseher und zappte. Sie ließ die Zeit vergehen, dachte bei Flimmerbild und Stimmengewirr nach. Wetterbericht, ein Dokumentarfilm über Bauernboote aus Dalarna, die Nachrichten, Sport. Sie war in Gedanken beim Älvsjömord, bei Verner und seiner Abgeschiedenheit und bei seinen Gewaltausbrüchen, von denen sie gehört hatte. Sie dachte: Er ist abweisend, vielleicht nicht mal nett, und wohl auch sehr misstrauisch. Aber ist er ein möglicher Täter? Sie wusste es nicht, denn sie kannte ihn nicht. Seinen Ruf kannte sie zwar, aber sie wusste nicht recht, was sie von ihm halten sollte.

Herbst der Vergeltung

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