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4.

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Stig fuhr in der Mittagspause nach Hause, um etwas zu essen. Er parkte das große Müllauto im Kristallväg in Solberga, war schon ausgestiegen und schon fast dabei aufzuschließen, als ihm einfiel, dass er das Handy in der Halterung am Armaturenbrett vergessen hatte. Er hätte es wohl auch dort lassen können, aber zur Sicherheit nahm er es doch mit.

Es konnte immerhin sein, dass er noch einen Anruf bekam, manchmal kam das vor, es gab mitunter Extratouren zu einem Restaurant oder irgendeinem Container, oder er musste einspringen, wenn sich jemand anderes krank gemeldet hatte. An solchen Tagen gehörten für gewöhnlich das Zentrum von Älvsjö, der Bahnhofsplatz und die Häuser um den Törnrosväg und Götalandsväg zu seinem Bezirk, mit Sperrmüll, Altpapier und dem üblichen Kleinkram. Absolut nichts, woran man noch etwas verdienen konnte. Die Sperrmüllhaufen wurden immer gründlich nach Sachen durchsucht, die man noch gebrauchen konnte. Diese neuen Leute nahmen alles, die Einwanderer aus all diesen Ländern, deren Namen man kaum kannte. Und die Ära des Pfandglases war vorbei. Früher hatten Stig und seine Kollegen immer eine eigene Tüte für Leergut im Fond des Wagens hängen gehabt. Das hatte oft ein nettes Zubrot ergeben.

Das gab es jetzt für etwas anderes: Mal einen Hunderter, mal einen Fünfzigkronenschein für einen Sack mit unbekanntem Abfall, einige Fuhren Krimskrams ohne irgendwelche Fragen. In manchen Wochen konnte sich Stig eine beträchtliche Summe schwarz dazu verdienen.

Stig fuhr allein.

Stig Anders Nilsson, geboren 1949 in Solberga. Er war niemals aus diesem Vorort weggezogen. Als er an der Pizzeria vorbeiging, traf er Acke Bergman, einen Jugendfreund, der nur selten nüchtern war. Früher hatten sie zusammen gesoffen, aber Stig lebte jetzt ohne Schnaps. Acke hatte damit nie aufgehört.

»Tag auch«, sagte Stig und hob die Hand.

»Du schuftest also wie üblich«, antwortete Acke. Mehr sagten sie nicht, das war auch nicht nötig. Beide wussten, dass keiner den anderen zu überreden versuchte, auf die eigene Seite zu wechseln.

Stig kochte ein Ei und füllte einen Teller mit Dickmilch, blätterte im Aftonbladet von gestern, im Sportteil, freute sich, dass Hammarby wieder aufsteigen würde, Kennedy hatte Tore geschossen. Stig dachte, dass er vielleicht mal wieder zum Fußball gehen und eins der Heimspiele der Jungs anschauen sollte, wie er es früher getan hatte.

Nach einer halben Stunde ging er wieder hinaus zum Auto. Es hatte angefangen zu regnen, aber nicht stark, er wurde nicht einmal nass auf den Schultern, der Overall schützte doch ganz gut. Aber er spürte einige Regentropfen auf dem Kopf und wurde daran erinnert, dass sein Haar allmählich recht schütter geworden war.

Um zwei war er mit den Geschäften in der Innenstadt von Älvsjö fertig: Der Konsum, das Hotel, der Megagrill, das indische Restaurant, die italienische Bar, Ronjas Salon, das Bürgerbüro. Die meisten Müllplätze am Törnrosväg hatte er schon am Tag zuvor abgefahren, aber sechs, sieben Müllhaufen musste er noch abholen. Er begann am innersten Wendehammer: eine Menge Glassplitter auf dem Betonboden, zerknüllte Verpackungen, Folie, das Übliche, das von neu zugezogenen Familien zurückgelassen wurde, die bei IKEA eingekauft hatten. Das Haus gegenüber: Noch mehr Pappkartons, ein kaputter Tisch, Teile eines Kinderwagens, ein zerschlagener Fernseher, zerschlissene Schuhe, etwas, das vermodert roch und zwischen die Haushaltsabfälle geworfen worden war. Nächstes Haus: Ein übler chemischer Geruch, noch mehr zerbrochenes Glas. Er schmierte sich Öl, oder was es auch immer war, auf die Arbeitshandschuhe, es war jedenfalls etwas Schmieriges, das über den Boden rann, als er eine nasse Matratze anhob.

Blieb noch ein Müllplatz, etwas entfernt bei den großen zugebauten Innenhöfen. Stig hatte gerade die Eisentür aufgestemmt, als er ein Kind etwas rufen hörte. Aber er verstand es nicht, das Kind sprach kein Schwedisch, und so kümmerte er sich nicht darum. Aber das Kind rief wieder und wieder. Die Stimme kam näher, und nun sah er das Kind: ein dunkelhäutiges Mädchen um die sechs Jahre, bekleidet mit einem engen, orangefarbenen Kleid. Sie sah sehr ernst aus, versteinert, aber Stig dachte, dass sie vermutlich einfach so aussah, dass ihre Leute vielleicht eben so waren, die Leute des Landes, aus dem sie kam, er wusste aber nicht, welches es war.

Das Mädchen nahm seine Hand und zog ihn mit sich zu einem Eingang, zehn Meter entfernt von ihnen. Er ließ sich widerwillig mitziehen, denn sie klammerte sich an seiner Hand fest. Stig begriff, dass es um etwas Ernstes ging.

Sie liefen dicht nebeneinander, zur Tür hinein, die Treppe hinauf. Das Mädchen lief nun voran, drei Etagen hoch und auch noch die Speichertreppe. Die Speichertür stand einen Spalt offen. Das Mädchen blieb stehen und zeigte hinein. Stig sah etwas, das dort drinnen hing, einen Rücken, einen Arm. Er befreite sich von der Hand des Mädchens, schob die Tür auf und sah den ganzen Körper und das blutige Gesicht.

Stig wandte sich zu dem Mädchen um, nahm wieder ihre Hand und zog sie mit sich die Treppe hinunter.

»Du gehst jetzt wohl besser nach Hause«, sagte er.

Das Mädchen nickte, als würde sie verstehen, blieb aber wo es war.

»Wohnst du hier?«, fragte Stig.

Das Mädchen zeigte durch das Fenster des Treppenhauses auf das fünfstöckige Haus im Hof gegenüber.

»Geh nach Hause zu deiner Mutter«, sagte Stig, aber das Mädchen hielt seine Hand fest, als ob sie überhaupt nicht daran dächte ihn zu verlassen. Stig verstand nicht, warum, aber er wollte nicht weiter schimpfen.

Sie gingen zusammen hinunter zum Eingang. Dort holte Stig sein Handy aus der Tasche und wählte 112, die Notrufnummer, verlangte die Polizei und fügte hinzu, dass es eilig sei. Man bat ihn, dort zu bleiben und nichts anzufassen. Das Mädchen hatte sich hingesetzt.

Sie saß immer noch auf der Eingangsstufe, als zehn Minuten später die Polizei eintraf. Es waren zwei uniformierte Männer, ein junger und ein älterer.

»Sie hat ihn gefunden«, sagte Stig.

»Kennst du das Mädchen?«, fragte der ältere Polizist.

»Nein«, antwortete Stig.

»Wie heißt du?«, fragte der Polizist das Mädchen und hockte sich zu ihr hin.

»Ich heiße Magdalena Sophie«, antwortete das Mädchen in fehlerfreiem Schwedisch, mit der Andeutung eines värmländischen Zungenschlags.

»Wir gehen rauf. Bleib du bei dem Mädchen«, sagte der ältere Polizist zu seinem jungen Kollegen. So begann Stig, zum zweiten Mal auf den Speicher zu gehen, und erst jetzt fühlte er sich betroffen, und etwas Übelkeit stieg in ihm auf.

Herbst der Vergeltung

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