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Die Familie: 1936

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Das waren glückliche Jahre!

Ich hatte meine eigene Uhr, ein Dreirad und eine Haarschleife à la Shirley Temple, die fast meine ganze rechte Kopfhälfte bedeckte. Meine Mutter trug eine Schürze und Seidenstrümpfe und backte jeden Tag frisch. Sie sah aus wie Betty Crocker, ehe sie sich das Gesicht liften ließ, die Ohren durchbohrte und sich Zeug in die Haare schmierte, um sie fülliger zu machen.

Die Familie – wir alle vier – saßen im Sommer auf der Veranda und redeten über die quietschende Schaukel. Mein Vater ermahnte mich täglich, ich solle abends das Dreirad vom Gehsteig räumen, sonst würde noch jemand drüber fallen. Ich tat es nie. Meine Mutter machte tagtäglich das Wohnzimmer sauber. Wir saßen aber nie darin. Einmal knipste ich eine der Lampen an, da kokelte das zum Schutz drübergehängte Zellophan und ich bekam was auf die Finger.

Meine Mutter schnitt den Rasen und hängte jeden Tag die Leine voll Wäsche. Jeden Freitag spritzte sie die Mülltonnen mit dem Gartenschlauch aus. Im Frühling drehte sie wirklich durch – schleppte Matratzen in den Hof und montierte Stangen, um die Spitzenstores daran zu trocknen. Manchmal zog sie sich fein an, nahm Hut und Handschuhe und fuhr mit der Straßenbahn in die Stadt, ging von Geschäft zu Geschäft, bezahlte Rechnungen und 50-Cent-Raten für meine Uhr und das Dreirad.

Meine Schwester führte das große Wort und besuchte die Highschool. Sonst tat sie nichts. Ich dagegen war irrsinnig beschäftigt, ging zur Schule und bediente alle, rannte zehntausendmal pro Tag für Mutter zum Kaufmann, und wenn das Gefäß unter dem Kühlschrank sich mit Schmelzwasser füllte, dann gab es nur einen, du weißt schon wer, der es leeren mußte, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten.

Eines Morgens stand mein Vater nicht auf, um zur Arbeit zu fahren. Er kam ins Krankenhaus und starb am Tage darauf. Noch nie hatte ich so viel an ihn gedacht. Er war einfach jemand gewesen, der wegfuhr und heimkam und sich zu freuen schien, wenn abends alle da waren. Er konnte das Glas mit den Mixed Pickles aufschrauben, wenn kein anderer es konnte. Er war der einzige im Hause, der sich nicht fürchtete, allein in den Keller zu gehen.

Er schnitt sich beim Rasieren, aber niemand machte Heile-Heile-Segen darüber oder regte sich auf. Es war ausgemachte Sache, daß er bei Regen den Wagen vorfuhr. Wenn jemand krank war, fuhr er mit dem Rezept zur Apotheke. Er fotografierte, war aber nie mit auf dem Bild.

Wenn ich mit meinen Puppen spielte, hatte die Mutterpuppe immer viel zu tun. Was ich mit der Vaterpuppe anfangen sollte, wußte ich nie so recht, daher ließ ich ihn immer nur sagen: »So, und jetzt muß ich zur Arbeit!« und warf ihn unters Bett.

Die Trauerfeier war bei uns im Wohnzimmer, es kamen viele Leute und brachten alles mögliche Gute zum Essen, auch Kuchen. Noch nie hatten wir soviel Besuch gehabt.

Ich ging in mein Zimmer und tastete unter dem Bett nach der Vaterpuppe. Als ich sie gefunden hatte, staubte ich sie ab und legte sie auf mein Bett.

Er hatte doch nie etwas getan. Ich hatte nicht gewußt, daß es so weh tun würde, wenn er verschwand.

Am Tag nach der Beerdigung kamen die Gläubiger und fuhren den Kühlschrank, den Wagen und die Möbel des Wohnzimmers ab, in dem nie jemand gesessen hatte.

Großmama kam und sagte, sie nähme uns alle zu sich nach Hause, damit wir wieder »eine Familie« wären. Die Familie wurde dadurch größer und sehr viel merkwürdiger. Da waren Mutters Schwester und ihr Mann und ihre beiden Kinder, ein Bruder, der den ganzen Tag Poolbillard spielte, und dann noch eine Schwester, die Rollschuh fuhr und demnächst heiraten sollte. Außerdem gab es meinen Großvater, der nie eine Linkskurve nahm und den Wagen mit Speck polierte.

Großmama trug eine Schürze und machte tagtäglich im Wohnzimmer sauber, in dem nie jemand saß. Die Küche war der einzige Raum des Hauses, der Heizung hatte und auch das nur, wenn der Backofen brannte. Ich pflegte auf dem Stuhl zu stehen, um warm zu werden und blickte auf alle herab, die sich wegen Geld stritten.

Meine Mutter fand eine Stellung. Niemand in meiner ganzen Klasse hatte eine Mutter, die jeden Morgen zur Arbeit fuhr. Ich erzählte es keinem, nur meiner besten Freundin. Sie verzankte sich dann mit mir und verbreitete es in der ganzen Schule.

Im Jahre 1938 sagte meine Mutter: »Jetzt werden wir wieder eine Familie« (»wieder«, sagte sie!) und stellte uns einem Stiefvater vor. Ich war das einzige Mädchen in Nordamerika mit einem Stiefvater. Ich riskierte nicht, es jemand zu erzählen, nicht einmal meiner besten Freundin.

Mein Stiefvater und ich sprachen längere Zeit nicht miteinander. Ich glaube, er war ein Mensch, der nicht wußte, wie man Liebe zeigt. Ich erinnere mich, wie er mir beibrachte, ein zweirädriges Fahrrad zu fahren. Ich bat ihn, mich nicht loszulassen, aber er sagte, es würde Zeit. Ich stürzte und Mom kam gelaufen und wollte mich aufheben, aber er winkte ihr, zurückzubleiben. Ich war so wütend, daß ich es ihm zeigen wollte. Ich stieg sofort wieder auf und radelte allein weg. Er genierte sich nicht einmal. Er lächelte nur.

Wenn ich wieder ins College mußte, blieb er beim Abschied nicht stehen, um sich noch ein bißchen zu unterhalten wie Mom, er wuchtete nur fünfzehn Gepäckstücke in den dritten Stock hinauf und schien irgendwie beklommen.

Wenn ich zu Hause anrief, tat er immer so, als wolle er mit mir reden, sagte aber nur: »Ich hol deine Mutter.« Mein Leben lang hackte er auf mir herum: ›Wo willst du denn hin? Wann kommst du heim? Hast du auch Benzin im Tank? Wer kommt denn sonst noch? Nein, du kannst nicht hingehen.‹

Es dauerte lange, ehe ich merkte, daß das Liebe war.

Meine egoistische Mutter machte Karriere an einem Fabrikfließband und stellte Gummidichtungen für die Autotüren bei General Motors her. Die Lebensaufgabe meines Stiefvaters bestand darin, mich zu zwingen, im Bad die Handtücher aufzuheben und das Licht auszuknipsen.

Ich konnte es kaum erwarten zu heiraten, von zu Hause wegzuziehen und meine eigene Familie zu haben: Mit einem Wohnzimmer, in dem nie jemand saß.

Als meine Fehler laufen lernten

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