Читать книгу Als meine Fehler laufen lernten - Erma Bombeck - Страница 6

Du bist nicht krank, du brauchst nur
ein Abführmittel

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Als ich am Spülbecken ein Glas Wasser füllte und mir ein Aspirin in den Mund warf, sagte Mutter: »Ist dir nicht gut?«

»Nur ein bißchen Kopfweh«, sagte ich.

»Unsinn«, sagte sie. »Du brauchst vermutlich nur ein Abführmittel.«

Bahnbrechende medizinische Erkenntnisse sind in unserem Lande aufgekommen und wieder verschwunden, und meine Mutter hat sie alle vollkommen ignoriert. Keiner wird sie je überzeugen, daß die stabile Gesundheit nicht von der inneren Einstellung jedes Einzelnen abhängt.

Seit meiner Geburt ist Mutters Allheilmittel für jedwede Krankheit, die mich befällt, »nimm ein Abführmittel«. In den unteren Volksschulklassen fragte ich mich manchmal erstaunt, wieso eigentlich Kinder mit Beinen oder Armen in Gips herumgingen, wo sie doch, um gesund zu werden, nur vor dem Schlafengehen ein wohlschmeckendes Darmpflegemittel einzunehmen brauchten.

Es war unheimlich, wie Mutter einen nur ansah und entschied, man brauche einen inneren Durchputz. Ein Laxativ kurierte bei ihr: verdorbenen Magen, Kopfschmerzen, Fieber, Hautausschlag, Schwindel und allgemeine Zerschlagenheit.

Hatte sie einen verarztet, kam einem nichts mehr wichtig genug vor, um den Mund aufzutun und sich zu beklagen. Als ich etwa zwölf war, erweiterte sie ihre Diagnose noch um »du langweilst dich bloß«.

Meine sämtlichen Freundinnen hatten zu eng stehende Zähne, ein schlechtes Blutbild, Virusbefall, Blinddarmentzündung, Hundebiß und Lungenentzündung. Das hatte ich auch alles, aber ich »langweilte mich bloß« und ihre Therapie lautete: »Such dir was zu tun, sonst finde ich dir was!« Als ich verheiratet war, variierte sie ihr Gutachten etwas. »Das sind nur die Nerven.«

»Mutter, ich bin heute zweimal ohnmächtig geworden.« (Das sind nur die Nerven.)

»Ich glaube, ich bin schwanger.« (Unsinn, das sind nur die Nerven.)

Sie blieb eisern bei ihrer Meinung, sogar noch als ich schon ein fast achtpfündiges Nervenbündel zur Welt gebracht hatte. In meiner Familie hat nie jemand meine Leiden ernstgenommen. Ein einziges Mal nur möchte ich einen Virus erwischen, den nicht schon jeder in der ganzen Stadt hat. Ich scheine immer die letzte weibliche Erwachsene Nordamerikas zu sein, die ihn bekommt. Ich verlange ja nicht gleich das Erbarmen einer Mutter Theresa, aber ein bißchen Mitgefühl, insbesondere bei meinem Mann hätte ich schon verdient.

»Ich fühle mich nicht gut«, sagte ich eines Morgens zu ihm. »Um meine Brust liegt es wie ein zu enger Reifen und in meinen Augen klopft es, als tanze jemand Stepptanz auf meinen Lidern. Und ich unterdrücke den Hustenreiz, bis ich mich dem Husten besser gewachsen fühle.«

»Unsinn«, sagte mein Mann, »du langweilst dich nur. Was du hast, hat das ganze Büro. Das geht jetzt um. Die Diagnose lautet: Du solltest vermutlich einen anderen Beruf ergreifen.«

»Da magst du recht haben«, sagte ich. »Ich möchte nicht länger Ehefrau sein.«

»Manchmal«, fuhr er fort, »redet man sich auch nur ein, man sei krank, während man in Wirklichkeit ganz allgemein unzufrieden mit sich ist. Dieses Verhalten habe ich millionenfach an meinem Arbeitsplatz gesehen.«

»Gesagt hast du das aber nicht, als du dich damals nach dem Zahnsteinentfernen drei Tage ins Bett gelegt hast.«

»Das war etwas anderes«, sagte er. »Dabei kam es zu Komplikationen.«

»Eine im Backenzahn festgebissene Popcornhülse, was?«

Mein Problem ist wahrscheinlich, daß ich meinem Arzt meine Gefühle nicht so richtig verdeutlichen kann. Und von dem, was er sagt, versteh ich kein einziges Wort. Er spricht Latein, ich spreche fließend.

So geht es den meisten. Seit ich damals den im Wartezimmer eines Arztes Versammelten vortrug, ich hätte eine Bavarianische Zyste, hatten zwei andere das gleiche. Ich glaube, wir sprechen gar nicht mehr die gleiche Sprache, mein Arzt und ich. Und natürlich bin ich bange vor einem Menschen, der den ganzen Winter Weiß trägt und sich 137mal pro Tag die Hände wäscht.

»Sie sagen, ich litte an einem verkrümmten Homerus?«

»Nein, das ist ein klassischer Dichter. Was ich meinte, ist die semipermeable Membrane.«

»Wären Sie vielleicht so freundlich, mir das für meinen Mann aufzuschreiben.«

»Natürlich«, sagte er. »Haben Sie einen Zettel da, ich mache Ihnen ein Diagramm.«

»Reißen Sie einfach ein Stück von dem Untersuchungskittel ab, den Sie mir gegeben haben.«

Es gibt nichts Demütigenderes, als seinem Ehemann zu erklären, was ein Arzt gesagt hat. »An meiner Nase ist etwas verkehrt«, sagte ich.

»An welchem Teil der Nase?«

»Du weißt schon, an der Schei... dung.«

»Du meinst die Scheidewand«, sagte er. »Was ist damit?«

»Sie ist pervertiert.«

»Du meinst anomal?«

»Na, ist doch dasselbe.«

Ich habe schon mit Leuten gesprochen, die mir erzählten, sie hätten eine amniotische Dyspepsie, es könne aber auch eine dyspeptische Amniotie sein.

Ein Bekannter konnte sich nie die Zahlen seines Blutdrucks merken und sagte, wenn sie unter seinen erzielten Punktzahlen beim Golf lägen, wäre er ganz zufrieden.

Meine Großmutter verkündete mir einmal, sie habe eine Prostata-Unterfunktion, und als ich ihr sagte, das sei nun wirklich nicht möglich, meinte sie patzig: »Alles ist möglich, wenn man ißt wie ich.«

Als eines der Kinder sich zu Mutter und mir an den Tisch setzte, nieste ich und putzte mir die Nase. »Du hast dir doch nicht was geholt?« fragte der Junge.

»Sie langweilt sich nur«, sagte meine Mutter. »Hier, nimm mal einen Schluck Hustensirup.«

»Um den zu nehmen bin ich nicht gesund genug«, sagte ich.

»Wie meinst du das, du bist nicht gesund genug?« fragte sie.

»Ja, lies mal.«

In übergroßen Buchstaben warnte der Beipackzettel, die vorgeschriebene Dosis nicht zu überschreiten, da sonst Unruhe, Schwindel und Schlaflosigkeit eintraten. Man durfte das Präparat überhaupt nicht nehmen, wenn man an erhöhtem Blutdruck litt, an Herzinsuffizienz, Diabetes, Schilddrüsenstörungen oder gleichzeitig ein antihypertensives oder antidepressives Mittel verschrieben bekommen hatte, das einen Mono-amin-oxidase-Hemmer enthielt. Auf keinen Fall durfte man es nehmen im Fall von Glaukom, Asthma oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen, die auf eine Vergrößerung der Prostata zurückzuführen waren.

»Du könntest es ja riskieren«, sagte mein Sohn, »und im Falle einer Reaktion so bald wie möglich den Vergiftungsnotruf anrufen.«

»Hier habe ich eine, die du möglicherweise nehmen kannst«, sagte Mutter und griff nach einer weiteren Medizinflasche. »Laß mal sehen. Bist du werdende oder stillende Mutter?« (Ich stöhnte.) »Ich frag ja bloß. Hast du ein Magengeschwür? Bist du allergisch gegen Aspirin oder hast du irgendwelche Blutungen?«

»Was für Blutungen?«

»Na, ich will nicht schuld sein«, sagte sie und stieß die Flasche wieder auf ihren Platz zurück.

»Und was ist mit diesem Zeug?« fragte mein Sohn. »Die Nebenwirkungen sind: Mundtrockenheit, Schläfrigkeit, vorübergehende Sehbehinderung, vergrößerte Pupillen, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Benommenheit, Halluzinationen, Desorientiertheit, Hautrötungen, trockene, juckende rote Augen – und du darfst keine gefährlichen Maschinen bedienen.«

»Sofern der Backofen nicht dazugehört«, sagte ich, »kann es mir Wurscht sein. So, und jetzt stell die Flasche ins oberste Fach.«

»Warum?« fragte mein Sohn. »Hier sind doch keine kleinen Kinder?«

»So was gehört nicht in die Reichweite von Kranken.«

»Na, hoffentlich verdirbst du jetzt nicht allen den Urlaub«, sagte meine Mutter.

»Oma, du klingst genau wie Mom, als wir noch klein waren. Immer wenn jemand fragte, was wir zu Weihnachten kriegen, hat sie gesagt: Ich weiß es ehrlich nicht. Entweder Bronchitis oder Masern. Irgendwas fällt ihnen immer ein ... und wenn es in allerletzter Minute wäre.«

Das stimmte. Ich weiß nicht, war es die Vorfreude oder die mit dem Fest einhergehende Aufregung oder normaler Verschleiß am Ende des Jahres, die Kinder brachen jedenfalls an Feiertagen wie nach Fahrplan zusammen.

Immer hörten wir Geschichten von Weihnachten ... wie Leute zu netten Parties gingen oder zusahen, wie der große Christbaum vor dem Rathaus angezündet wurde.

Einmal, als ich gerade mit einem Rezept in der Apotheke war, sah ich sogar eine Menschengruppe, die sang. Da ich nicht wußte, worum es ging, fragte ich den Apotheker. Der sagte: »Das sind die Weihnachtssänger, die ziehen singend von Haus zu Haus, und manchmal lädt man sie zu Punsch und Plätzchen ein.«

»Aber wie kommen sie denn dann zu ihrer Medizin?« fragte ich.

»Die sind nicht krank«, sagte er.

Nicht krank!

Da wurde mir zum ersten Mal klar, daß nicht jeder zu Weihnachten krank wird. Ich hätte gern gewußt, wie die Weihnachtsferien bei anderen Leuten aussehen. In unserem Stadtteil, in den Häusern, in denen man noch Plätzchen aussticht, gehörten fiebergerötete Gesichter zum gewohnten Bild.

Wir arrangierten ein kaltes Büffet mit Antibiotika, Cola, Wackelpudding, Obstsalat und hoben ein Glas Nerventonikum mit dem üblichen Trinkspruch: »Prost! Auf die Wechseljahre!«

Als meine Fehler laufen lernten

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